Jürgen Kuhlmann

Himmlische Zufallskünste

Gedanken vor dem Endspiel Spanien-Deutschland

29. Juni 2008, 10.35 Uhr

Heute Abend steigt in Wien das Große Endspiel. Mit »Erzittere, Deutschland!« kündigte eine spanische Sportzeitung es an. Dort wie hier feiert die katholische Kirche das Fest Peter und Paul. Wie die Bibel berichtet (Gal 2,11-16), sind auch diese beiden einmal hart zusammen gestoßen. Vor fünfzig Jahren hat unser Spiritual P. Klein uns in Rom erklärt, wieso beide es gut gemeint haben könnten; gestern betonte der junge Priester Michael Pflaum in seiner Predigt den anderen Aspekt: dass Hasenfuß Peter und Dickkopf Paul sich beide etwas unbedacht verhielten.

Heute exakt vor 21 Jahren habe ich meinen ersten Computer gekauft. Zusammen mit Tomas, unserem Ältesten, und seinem Freund Johannes Lenz wollten wir mit dem Auto von Mögeldorf zur Laufer Gasse fahren, doch vor dem Rathenauplatz stockte der Verkehr. Als es zäh weiterging, sahen wir die Ursache: Zwei Trambahnen waren ineinander gekracht! Seltsamer Zufall, dachte ich gleich: Am Fest Peter und Paul wird ihr Zusammenstoß derart massiv öffentlich dargestellt! Zudem wollte ich den Computer ja eben dazu nutzen, mit Hilfe des Programms »prolog« ideologische Widersprüche in friedliche Polaritäten zu wandeln. Tatsächlich kam es dazu nicht, entweder das Programm war mit der Aufgabe oder ich mit ihm überfordert; doch diente der Rechner als Schreibhilfe, seine Nachfolger später als Pförtner zum Internet.

Dies geschah am 29. Juni 1987, heute vor drei mal sieben Jahren. Genau dieses Produkt zweier »heiliger« Zahlen nutzte ich vor dem Berliner ökumenischen Kirchentag zur Veranschaulichung des konfessionellen Rechtecks aus den Hypotenusen-Abschnitten katholisch und protestantisch, das – gemäß dem Höhensatz – dem ökumenischen Quadrat über der Höhe gleich ist.

Während ich diese lustigen Zusammenhänge notiere, ist noch offen, ob abends Spanier oder Deutsche jubeln werden. Für unsere Familie ist es egal; die Gene auch von Tomas, der damals den neuen Computer transportieren half, sind je zur Hälfte spanisch und deutsch. Einmal sagte er mir: Papi, du machst es falsch mit deinem Stereo-Denken. Du willst immer zeigen, wieso beide recht haben. Das führt nicht weiter. Du musst beiden klar machen, dass sie unrecht haben, nur so lernen wir dazu.

Da hänge ich schön im Paradox. Denn gebe ich ihm recht, muss ich ihm widersprechen. Pater Klein wollte Petrus und Paulus versöhnen, indem er beider Auftreten zum Guten hin auslegte; Michael Pflaum bringt sie zusammen, indem er Hasenfuß und Dickkopf einander wechselseitig kritisieren lässt. Immer deutlicher merke ich: Echtes Stereo-Denken muss konfessionell und ökumenisch in überverständiger Einheit gegen- und ineinander glauben. Denn dieselbe Heilige Liebe setzt (an Mariae Verkündigung) Jesus auf seinen bestimmten Lebensweg, kann aber nur nach dessen Ende an Pfingsten alle Heilsgrenzen sprengen.

Abergläubisch wäre, wer derlei himmlische Koinzidenzen als Beweise für irgendwelche Meinungen missverstünde. Gestaltblind, weil szientistisch verbildet nenne ich allerdings jemanden, der sie überhaupt nicht wahrnehmen will. Mag strenge Wissenschaft nur lineare Kausalitäten gelten lassen – Vernünftige können sich an Sinngestalten auch freuen, wenn deren Elemente unkausal verknüpft sind.

Am Konflikt-Gedenktag Peter und Paul ringen heute spanische gegen deutsche Gene, solche haben vor genau drei mal sieben Jahren am selben katholischen Polaritäts-Fest in einem Vierzehnjährigen erstaunt zwei ineinandergekrachte Trambahnen erblickt, während er seinem Vater beim Kauf des Computers half, mit dem der ideologische Zusammenstöße zu friedlichen Polaritäten heilen wollte, was er später mit dem Rechteck drei mal sieben symbolisieren würde ... Das sind freilich lauter Zufälle, keine sinnlosen jedoch, sondern von der Art, wie sie die heiligen drei biblischen Astrologen dazu brachten: »Als sie den Stern sahen, freuten sie sich mit großer Freude sehr« (Mt 2,10).


Nachschrift am 2. Juli 2008. Wozu erzähle ich diese Zusammenhänge? Warum sollten sie außer mir jemanden interessieren? Sie bedeuten doch höchstens, dass bestimmte Lebensfäden sich zu sinnvollen Mustern fügen, die von keinem beteiligten Verstand geplant worden sind. »Anscheinend bin ich etwas Besonderes!« schmeichelt da eine innere Stimme. Den schwarzen Engel korrigiert der weiße: »Allerdings, aber nur weil jeder Mensch immerzu etwas Besonderes ist.« Um jeden Knoten des Weltteppichs ordnet alles sich so an, dass er die Mitte seines Sinngewebes ist.

Damit alle das von sich (und ihren Mitmenschen) immer wieder neu glauben können, deshalb – so vermute ich – wird es mitunter derart unabweisbar deutlich. Ähnlich wie von DIR, Gott, Israel erwählt ist nicht für sich allein sondern um allen Völkern Heilszeichen zu werden, so leuchtet in IHR, der Heiligen Pfingst-LIEBE als dem Großen Zusammenhang des Ganzen, manche Sinngestalt besonders auf, nicht für sich aber, sondern um allen, die es wahrnehmen, den Glauben an die eigene erlöste Besonderheit zu stärken.

Inzwischen hat die schwebende Spannung spanisch / deutsch sich entladen. Spanien ist Europameister, den Deutschen bleibt ihr ewiger Vize-Michi. Diese wie jede historisch-einseitige Realität würde aber missverstanden, vergäße man die wirkliche Stereo-Spannung, deren einer Pol sie ist. So ist es überhaupt, z.B. auch bei Religionen und Konfessionen. »Triff eine Unterscheidung und markiere eine ihrer Seiten« ist zwar der Beginn allen Denkens und Tuns. Die von dir jetzt nicht markierte Seite wird aber nicht vernichtet sondern wartet, bis wann? wer? nun sie ins Licht rückt. Oder spätestens DANN die lebendige Spannung selbst allpolig strahlt.

Wie sagte uns Pater Klein im September 1967? "Glaube, Hoffnung und Liebe sind nicht zweideutig. Aber ihr Ausdruck ist vieldeutig. Zweideutig: im Sinn der Welt und im Sinn des Glaubens. Aber im Sinn der Welt wird aus zweideutig tausenddeutig, milliondeutig, vieldeutig. In Geduld tragen. Es ist Menschenwerk."
Zuletzt sagte er: "Alles ist alldeutig."


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