Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken

BESCHENKT UND GEFORDERT

Antwort auf einen SPIEGEL-Artikel


Nach Kaiser Konstantins Sieg wurde in der alten Kirche über das rechte Verständnis der Dreifaltigkeit öffentlich aufs Heftigste debattiert; selbst beim Barbier und in der Baderstube sollen die Gespräche um wesenseins oder wesensähnlich gekreist sein. Wer hätte gedacht, daß es heutzutage wieder so kommen würde? Und doch kann man im Herbst 1988 beim Friseur plötzlich in einen scharfen Glaubenskampf hineingezogen werden, wofern man im SPIEGEL vom 14. November (S.262 ff) auf die "Bitte um einen sanften Gott" stößt, wie Uta Ranke-Heinemann ihren Artikel anläßlich des Films "Die letzte Versuchung Christi" überschrieben hat. Es heißt dort:

"Die Menschheit insgesamt wird gemäß einer unter Christen verbreiteten Vorstellung durch Blut erlöst, denn auch Gott steht auf Blut. Es ist Gottes eigener Sohn, der sterben muß, in diesem Fall stellvertretend sühnend für die Sünder, damit diese von allem Bösen erlöst werden ... Gott beharrte auf dieser Hinrichtung seines Sohnes. Und auch die Christen beharren auf ihr ...
Der Chinese Lin Yutang, Sohn eines christlichen Pastors, gab seine geistliche Laufbahn auf und kehrte zum chinesischen 'Heidentum' zurück, weil er es als ungereimt ansah, daß Gott, nachdem Adam und Eva von einem Apfel gegessen hatten, so zornig wurde, daß er sie und alle ihre Nachkommen zum Leiden verurteilte, dann aber, als eben diese Nachkommenschaft seinen eigenen Sohn tötete, darüber 'so erfreut war, daß er allen vergab'. Das Christentum führt offenbar zu Mißverständnissen, wenn man sich nicht klarer ausdrückt ...
Der grausame Vater stört nicht das christliche Gottesbild, wohl der verheiratete Sohn ... Lieben soll der Gottessohn zwar schon, aber die Liebe muß sich im Blutopfer manifestieren, nie etwa im Liebesakt. So mag es die Christen trösten, daß er auch bei Scorsese mit dem Entzug seiner Messianität bestraft wird ... Und das ist der Einwand, der eigentliche und schwere Einwand gegen diesen Film, daß er bei allem positiven Ansatz die christenübliche theologische Entgleisung dann doch mitvollzieht, indem er diesen Jesus einen schlimmen Preis dafür zahlen läßt, daß sein Vater sich seiner erbarmt: daß er dann und darum nicht mehr der Messias ist. Und so macht sich Scorsese doch noch mit der gotteslästerlichen Lüge von einem unerbittlichen Gott gemein ...
(Die eigentliche christliche Wahrheit) lautet, daß Gott nicht die Tötung seines Sohnes will und auch nicht sonst irgend jemandes Tötung, weil Gott ... ein Gott der Barmherzigkeit ist, der kein Menschenopfer will, und daß Jesus das Recht Gottes auf seiner Seite gehabt hätte, wenn er vom Kreuz herabgestiegen wäre ... Schade, daß Scorsese ihn sterben ließ und so auch seine gefilmte Unterschrift zu diesem Tode gab.
Wir aber sollten ihn, was an uns liegt, vom Kreuz herabsteigen und als Messias weiterleben und, wenn er mag, auch heiraten lassen, weil auf solche Weise das Bild eines schrecklichen Gottes, wie es verbreitet christlicher Gedankenleere entspricht, eines Gottes, der um einer heiligen Sache willen den Tod seines eigenen Sohnes will und gegebenenfalls auch den Tod anderer Menschen um anderer heiliger Sachen willen, verblaßt und einem anderen Gottesbild Platz macht: dem Bild eines sanften Gottes, der ein Gott des Lebens und nicht des Tötens ist."

Es stehen - in salopper SPIEGEL-Sprache - noch härtere Stellen in diesem Text; mir geht es jedoch jetzt nicht um Polemik, sondern um Verständnis und Versöhnung. Ich bin überzeugt, erstens: die Autorin hat weithin recht. Zweitens: manche ihrer Sätze zeigen, daß sie eine wichtige christliche Dimension allzusehr abblendet. Denn es handelt sich, drittens, auch hier um einen trinitarischen Streit. Solange wir das nicht begreifen, bleibt er unlösbar. Denn angesichts einer absoluten Spannung ("relatio subsistens" sagte die Scholastik) darf keine Seite den ihr aufgegangenen göttlichen Pol verlassen oder auch nur durch einen Kompromiß schwächen!

Versuchen wir also, das Knäuel der Gedankenfäden zu entwirren. Die Thesenform scheint mir dazu am geeignetsten (+ gibt der Verfasserin recht, - widerspricht ihr).

1+) Gott steht nicht auf Blut

Obwohl Jesus seinen Vater bat, der Leidenskelch möge an ihm vorüber gehen, wurde er vor Schande und Tod nicht bewahrt. Wollte Gott also seinen Tod? Nein. Jeder Christ müßte der Verfasserin zustimmen: "Es ist wahr: Jesus wurde getötet, aber nicht von seinem Vater. Ermordet wurde Jesus von Menschen. Wer sich wie er mit allen Armen und Abgewiesenen solidarisiert, ist in unserer Welt der Mörder verloren." Der von Jesus uns geoffenbarte Gott ist gerade kein Vampir, kein Sadist, sondern der gute Vater. Jener rachsüchtige, blutgierige "Gott", vor dem so viele Fromme sich ängstigen, ist in Wahrheit der gewähnte Teufel ("Gott dieser Welt" nennt Paulus ihn einmal! - 2 Kor 4,4), aus dessen Gewalt Jesus uns erlöst hat.

1-) Gott verlangt von seinem Messias äußerste Solidarität

Gott hat keine Lust am Quälen, im Gegenteil. Dennoch hat er Jesus nicht vor dem Kreuz bewahrt. Auch ein irdischer Vater bewahrt sein Kind nicht vor Angst und Schmerz, wenn es zum Zahnarzt muß. Alle Menschen, denen es bitter ergeht, sollten wissen: Gott hat es sich selbst nicht leichter gemacht. Nicht als (leidensunfähiger) Ewiger ist er bei mir in meiner Not, sondern als jener arme Mensch, der damals das Schlimmste "erleiden mußte, um so in seine Herrlichkeit einzugehen" (Lk 24,26). Nein: "Als Messias weiterleben und, wenn er mag, auch heiraten" - das konnte Jesus wirklich nicht. Da haben Dichter und Regisseur christlich tiefer geblickt als die Theologin. Nicht weil Gott blutdürstig wäre, sondern weil Gott es in der Welt, wie sie ist, nicht besser haben will als die Elendesten. Der Messias zu sein, das ist billiger nicht zu haben. Wem Gottes Güte die härteste Weise der Nachfolge Christi erspart, der preise Ihn und lebe dankbar im Licht seines Segens, stutze aber nicht den Messias nach unserem Maß zurecht.

2+) Gott ist unbedingte, zarte, Leben schenkende Liebe

Bei der Verkündigungsszene sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen (Lk 1,34 f). Wer jetzt an heidnische Göttergeschichten denkt, etwa die von Europa und Zeus, der irrt gründlich. Das zeigt schon ein Blick in die Grammatik: "Ruach" (Geist) ist auf hebräisch und aramäisch ein weibliches Wort. Die Propheten, Jesus selbst und eben auch Maria, sie alle hatten also, wenn sie vom Heiligen Geist hörten oder sprachen, wenn überhaupt eine Person, dann eine SIE im verborgenen Bilderreich ihres Bewußtseins, bestimmt nicht, wie wir, einen irgendwie gestaltlosen ER. So viel Macht hat die Sprache.

Zwar ist unser Wort "Geist" nur männlich. Das sinnliche Grundwort hingegen ist auch weiblich: die sprühende, brausende, schäumende Gischt. Sie bedeutete den germanischen Völkern jene kosmische Urkraft, die bei Hebräern, Griechen und Römern nach Hauch, Wind und Atem genannt wurde. Was ist die heilige Gischt? Eine theologische Auskunft heißt: Die Liebe zwischen Vater und Sohn. Denn Gott ist nicht einsam, vielmehr eine Liebesgemeinschaft. Das ewige Ich liebt sein Du, und ihre Liebe tritt als "Drittes", als Wir, zu beiden hinzu. Doch läßt es sich auch als Zweites verstehen: Im Kolosserbrief (1,13) heißt Christus "Sohn der Liebe" des Vaters; denn natürlich verdankt das Du sich auch dem Wir; aus ewiger Liebe, nicht nur zu ihr hin, bringt das Ich sein Du hervor, dessen Gegenliebe dann das Wir vollendet. Was aber ist die weibliche Liebe, aus der des Vaters Kind geboren wird? Nichts anderes als seine Mutter. Die Heilige Gischt ist also auch die Mutter in Gott.

Jenes sanfte Gottesbild, durch welches die Theologin den überkommenen Herr-Gott ablösen will, ist kein anderes als das Bild "des" Heiligen Geistes. Ihr Bestreben verdient Unterstützung. Tatsächlich ist die abendländische Christenheit im Glauben keineswegs ausgewogen, sondern leidet, untrinitarisch, an einer fatalen patriarchalischen Schlagseite, mit der Folge, daß ihr Gottesbild oft allzu herrisch, geist-los, unevangelisch in Erscheinung tritt. "Gott ist Liebe": Die unbedingte Liebe gilt vor der Geschichte und nach ihr, sowohl im Paradies des Anfangs wie in der großen Einheit nach dem Ende aller Spaltungen. Und dieses Ende ist seit Ostern schon gültige Gegenwart, die immer wieder alle Trennmauern niederlegt, alle Schubladen sprengt. Trotzdem ist dies nur die halbe Wahrheit.

2-) Gott ist bedingte, fordernde, richtende Liebe

In der Geschichte aber heißt es Stellung nehmen, kämpfen, Schläge einstecken und austeilen. Die Verfasserin ist gewiß die letzte, die das leugnet. Die ihr geläufige Praxis hat aber auch ihr theologisches Fundament. Denn der Vater ist der Gott der Heerscharen, der sich dem Judenvolk als Jahwe, den Christen als Jesu Vater und den Muslim als Allah mit bestimmtem Geschichtswillen offenbart hat: Ihr seid meine Knechte, ja meine Kinder und sollt sorgen, daß mein Wille, wie im Himmel, so auch auf Erden geschieht, zuvörderst bei euch. Der göttliche Blick leitet uns zum Guten, zum Heil, das in der Liebe besteht, und zwar in solcher, die den Abgrund der Gegensätze aushält, nicht verkleistert. Gott ermuntert uns zum Kampf für das Gute, sein fordernder Anspruch verwundet uns, wenn wir vor ihm fliehen. Im wichtigen Buch "Der wilde Mann" (München 1986) warnt Richard Rohr die Männer (auch die männliche Seite der Frau!) davor, Gottes Männlichkeit zu verdrängen. Feministische Versuche, den Herrn des AT und Vater des Credo einseitig zu verweiblichen oder zu einem Neutrum zu kastrieren, sind lächerlich und aussichtslos, Gott sei Dank.

Nein: Als Christen bekennen wir das Dogma der Dreieinigkeit: Die Person Jesu, der fordernde Vater und die unbedingte, zarte Liebe sind miteinander und in einem der eine Gott. Daraus folgt: Gottes richtende Gerechtigkeit ist zugleich seine richtende Gnade. Unser Wort "Richten" drückt beide Pole aus. Der Richter richtet den Schuldigen, der Mechaniker richtet das Fahrrad. Gott, wenn er richtet, gleicht beiden. Von mir aus bin ich dem Egoismus, der Servilität oder sonst einer Enge "verhaftet". Gottes Richtschwert reißt diesen Kerker (der ich selber bin!) unerbittlich nieder und befreit, erlöst so mein gottgewolltes eigentliches Ich, den Neuen Menschen: Strenge bis aufs Blut und allerliebendste Huld sind im Innersten eins, auch wenn unsere armen Nerven diese Selbigkeit nicht fassen können, so wenig wie Jesus am Ölberg.

"Alles hat seine Zeit," weiß der Prediger (Kohelet 3,1). In ihrer Ewigkeit gilt jede göttliche Wahrheit immer; wir in der Zeit müssen jeweils darauf achten, welche für den Lichtkegel unseres sich konzentrierenden Bewußtseins gerade "dran" ist. Das eine Mal läßt die Allgüte uns ihre unendliche Zärtlichkeit spüren, das andere Mal müssen wir uns im Dienst des Guten aufreiben, weil Gott in seinem Kampf gegen das Böse keine anderen Hände haben will als uns. Gegen das Wahnbild eines bösen, blutsaugerischen Gottes setzt jener SPIEGEL-Aufsatz die Freudenbotschaft der vollen, auch leiblichen Gnade. Deshalb bin ich, insgesamt, froh um ihn. Als süßer Klang eines Hochzeitswalzers kontrastiert er heilsam mit der Passionsmusik aus dem alten Dom. Den fernen Hörern klingt beides mono und zueinander widersprüchlich. Es genügt aber, sich einer der beiden Botschaften lauschend zu nähern, um in ihre Stereo-Spannung hineingezogen zu werden, welche den Widerspruch zum belebenden Gegensatz erlöst.

Wer dem Evangelium glaubt und Gottes Reich sucht, dem wird schon gezeigt werden, daß im Heilsraum der Liebe dann auch Opfer nötig sind, bis am Ende - aber erst dann - wieder nur allein die Liebe gilt. Die als volle Endgültigkeit kein gewesenes Leid verdrängen muß: "Rubinen gleich die Wunden all" singt der Osterglaube.

16. Nov. 1988


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