Jürgen Kuhlmann

Schlange und Taube

Vom Atheismus-Kongreß im Vatikan

Anfang Oktober fand an der päpstlichen Universität Urbaniana in Rom ein internationaler Kongreß über Evangelisierung und Atheismus statt. Die Namen der Referenten, die dort gesprochen haben - Frossard, Kolakowski, Moltmann, Rahner, Wetter -, sind weit bekannt, doch auch eine "einfache römische Straßenmissionarin" (wie sie sich nannte; gelernt hat sie Juristin) gehörte zu den Glanzlichtern des Treffens. Ergebnisse haben derlei Kongresse nicht - das Wichtigste geschieht am Rand des offiziellen Programms : Bekanntschaften, Gespräche ... Im Folgenden berichte ich deshalb lediglich einige Eindrücke.

Jeder Atheismus wendet sich gegen eine bestimmte Gottesvorstellung. Deshalb dürfen wir hoffen, daß viele, die sich gottlos nennen, in Wahrheit Pseudo-Atheisten sind. Der Atheismus des 19. Jahrhunderts war eine Reaktion - nicht so sehr auf den christlichen Gott der Liebe, sondern - auf den Deismus der Aufklärungszeit, auf einen obersten Himmels-Chef, der sich nicht innerlich beteiligt und trotzdem alles bestimmen will. Daraus folgert Karl Rahner: "Der Kampf gegen den Atheismus ist zunächst und notwendig ein Kampf gegen die Unzulänglichkeit unseres eigenen Theismus." Eine Hauptgefahr heute ist der Szientismus: Wer auf irgendeinem Gebiet mit Erfolg etwas wissen will, muß dies als Wissenschaftler tun; bei jedem Thema ist das zwar richtig, beim Thema ALLES ist es aber falsch, denn von ihm gibt es keine Wissenschaft. Doch bestimmt solche Verallgemeinerung die öffentliche Meinung. So verliert Gott seinen "Begriffsraum". Der Gott des Monotheismus geht derzeit jenen Weg in die bloße Mythologie, den in der Antike die Götter gegangen sind. Was können wir dagegen tun? Es gilt zu begreifen, daß die Menschenwürde, der Zentralbegriff unserer Kultur, kein wissenschaftlicher Begriff ist, vielmehr vom Christentum in die Welt gebracht wurde. Als Mensch ist jeder Wissenschaftler auf diese Wahrheit angewiesen und hat von daher einen Zugang zur überwissenschaftlichen Glaubensbotschaft.

Einige Gegensatzpaare, die nachdenklich machen:

Natur und Person. Auf die Frage, ob er an Gott glaube, sagte der Dalai Lama: Wenn du mit Gott die absolute Wahrheit meinst, die uns alle trägt und durchdringt, dann glaube ich an Gott. Wenn du aber mit Gott ein persönliches höchstes Wesen meinst, dann glaube ich nicht an Gott. Auf dieselbe Frage soll Martin Buber geantwortet haben: an einen Gott, über den man reden kann, glaube ich nicht. An den Gott, zu dem man sprechen kann. glaube ich.

Zeit und Raum. Ernst Bloch leugnet einen Gott über uns, hofft aber auf den totalen Sprung des Universums in sein eigenes Licht, also den Gott vor uns. Genau umgekehrt das biblische Buch Kohelet: Ob es eine absolute Zukunft gibt, ist ungewiß; freu dich täglich deines Heute im Licht des über dir gegenwärtigen Gottes. Die christliche (vermutlich trinitarische) Zusammenschau dieser Perspektiven bleibt noch zu leisten.

Schlange und Taube: "Wir sind so klug, daß es so aussieht, als habe die Schlange die Taube gefressen" (Frossard). Dagegen läßt sich fragen: Hackt nicht oft genug die Taube der Schlange genüß1ich die Augen aus?

Veröffentlicht in "Christ in der Gegenwart", Nr. 45 vom 9. November 1980, S. 372

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sowie seinen neuen (seit Ende 2000) Internet-Auftritt Stereo-Denken
samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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