Jürgen Kuhlmann

"Erlöst durch Christi Blut?"


"Mich schaudert es jedesmal, wenn im evangelischen Gottesdienst solch ein bluttriefendes Lied erklingt."

Dieser Satz hat einen evangelischen Mitchristen verletzt, er vernimmt ihn als Angriff auf seinen Glauben. Das tut mir leid, so ist er nicht gemeint, vielmehr als Solidarisierung mit den Vielen, denen die - allerdings gut biblische - Rede von der Erlösung durch Jesu Blut den Glauben an den Gott der LIEBE nicht öffnet, sondern versperrt. Läßt sich in dieser Frage christlich so sprechen, daß es niemandem zum Ärgernis wird?

1) Es handelt sich nicht um einen konfessionellen Gegensatz. Auch die katholische Kirche feiert (seit 1849, am 1. Juli) das Fest des kostbarsten Blutes Christi. In einer der ersten Predigten erinnerte ich 1962/63 die Hörer an die Meere von Blut, in unserem Jahrhundert vergossen.

2) Wo in den Tempeln der Antike noch, um Gott oder Götter zu versöhnen, das Blut der Opfertiere floß, da bot dieser Denkrahmen sich an; so lesen wir im Hebräerbrief, daß Christus "nicht kraft Blutes von Böcken und Kälbern, sondern kraft des eigenen Blutes ein für allemal in das Heiligtum eingegangen ist und so unendliche Erlösung gewonnen hat" (9,12). Uns ist solche Erfahrung fremd; eben durch das Christentum ist der blutige Opferkult abgeschafft worden.

3) Eine mögliche Folgerung heißt: Wir sollen nicht deshalb zu dieser Vorstellung zurück, weil sie früher einmal das äußere Gedankenkleid des neuen Glaubens war, der sie überwunden hat! Jener Gott, den man mit Blut versöhnen muß: Er ist von Jesus als eingebildeter Teufelsvampir durchschaut worden, als Wahn einer Angstreligion, als unwirklicher Götze. Diesen Kern von Jesu Erlösungstat wollen wir nicht - durch ihr blutfixiertes Mißverständnis - wieder verlieren! So argumentierte z.B. Uta Ranke-Heinemann 1988. Auch evangelische Pfarrer heute: Was sollen wir in Jesus sehen? "Schon gar nicht ein Opferlamm, das einem beleidigten, Blut fordernden Gott geopfert wird. Sondern uns selbst sollen wir im Kreuz sehen Und den mitleidenden Gott".

4) Was heißt dann aber: "durch sein Blut erlöst"? Fragen wir schlicht: warum ist Jesus gestorben? Eine Antwort liegt auf der Hand: Weil er treu zu den letzten Menschen gehalten hat. Die Ärmsten, Allerverachtetsten von damals: Zöllner, Huren, Samariter, sie hat er als gleichwertig angesehen und deshalb die Schubladenspiele der tonangebenden Kreise gestört. "Reich Gottes", das hieß in Jesu Sprache: Heil und Würde für alle. Solche Botschaft paßte denen nicht, die sich deshalb über den menschlichen Sumpf erhoben fühlten, weil sie die übrigen noch tiefer in ihn hineintraten. Darum haben sie die lautere Stimme des Ganzen abgewürgt. Jesus hat seine Botschaft höher geschätzt als sein Leben und ist für sie gestorben, ähnlich wie es - in seiner Nachfolge - zu unserer Zeit Martin Luther King, Bischof Oscar Romero und Tausende nicht so berühmter Christen getan haben. Ihr kostbares Blut hat erlösende Kraft. Wer ihr Sterben bedenkt, dem stärkt sich der Glaube an ihre Heilsbotschaft: "Martyrer" heißt wörtlich "Zeuge". Indem die herrschende Realität ihren unschuldigen Ankläger mordet, entlarvt sie ihre offiziellen Werte als verlogen, die Maske des Üblichen fällt ab und es zeigt sich das ebenso selbstverständliche wie revolutionäre Licht aus der Tiefe: Selig ihr Letzten; denn ihr seid nicht weniger als die scheinbar Ersten. Gottes Liebe, wie Gottes Sonne, leuchtet allen gleich, laßt euch nicht betrügen, sondern kämpft um euer Recht - nicht so allerdings, daß ihr den Spieß bloß umdreht und jetzt die anderen niedertretet, das würde insgesamt nichts bessern.

5) Gott hat keine Lust am Quälen, im Gegenteil. Dennoch hat er Jesus nicht vor dem Kreuz bewahrt. Auch ein irdischer Vater bewahrt sein Kind nicht vor Angst und Schmerz, wenn es zum Zahnarzt muß. Alle Menschen, denen es bitter ergeht, sollten wissen: Gott hat es sich selbst nicht leichter gemacht. Nicht als (leidensunfähiger) Ewiger ist er bei mir in meiner Not, sondern als jener arme Mensch, der damals das Schlimmste "erleiden mußte, um so in seine Herrlichkeit einzugehen" (Lk 24,26). Nicht weil Gott blutdürstig wäre, sondern weil Gott es in der Welt, wie sie ist, nicht besser haben will als die Elendesten. Der Messias zu sein, das ist billiger nicht zu haben. Wem Gottes Güte die härteste Weise der Nachfolge Christi erspart, der preise Ihn und lebe dankbar im Licht seines Segens, stutze aber nicht den Messias nach unserem Maß zurecht.

6) Blut erschreckt uns. Wo es aus einer Wunde strömt, ist das Leben selbst bedroht. Wegschauen hilft da nicht! Auch nicht bei den offenen Adern der Seele. Gottes richtende Gnade ist zugleich seine richtende Gerechtigkeit. Unser Wort "Richten" drückt beide Pole aus. Der Richter richtet den Schuldigen hin, der Mechaniker richtet das Fahrrad her. Gott, wenn er richtet, gleicht beiden. Von mir aus bin ich dem Egoismus, der Servilität oder sonst einer Enge "verhaftet". Gottes Richtschwert reißt diesen Kerker (der ich selber bin!) unerbittlich nieder und befreit, erlöst so mein gottgewolltes eigentliches Ich, den Neuen Menschen: Strenge bis aufs Blut und allerliebendste Huld sind im Innersten eins, auch wenn unsere armen Nerven diese Selbigkeit nicht fassen können, so wenig wie Jesus am Ölberg, als er, der Neue Adam, unter der Last der Menschheitsschuld fast zusammenbrach. Bin ich durch sein vergossenes Blut so ähnlich erlöst wie der Todkranke, dessen vergiftetes Blut durch eine Transfusion geheilt wird: des Blutes, das der allergesündeste Mensch für ihn vergießt, in den Schlauch rinnen läßt, der mich rettet, weil er mein böses Blut in sein allervitalstes wandelt, das "gnug für die Sünde tut", mit meinem verrottet-sterblichen spielend fertig wird? Mir wird klar: So kann ich jene alten Lieder wieder gläubig mitsingen, ohne jeden Vampir-Krampf. Könnte man sie so auch den Konfirmanden erklären - tut das vielleicht längst? - Oder ist solches Wandlungs-Denken allzu katholisch? Doch handelt es sich um ein Dauer-Ereignis: allein, ohne IHN, kann ich nichts tun, nur das Nichts tun; an SEIN Blut angeschlossen, "in Christus", darf und kann ich sein, was Gott - wie jeder Vater - sich wünscht: ein freies, selbständiges Kind.

Nürnberg, 21. November 1999

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Siehe auch des Verfassers alten und neuen Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

sowie seinen neuen (seit Ende 2000) Internet-Auftritt Stereo-Denken
samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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