Jürgen Kuhlmann

Die Boje

Kleines Erlebnis am Meer

Vorbericht: Der letzte Absatz fehlte noch, als ich abends den Text an die Redaktion senden wollte. Das mißlang. Am Morgen zeigte ich ihn meiner kritischen Mila, sie lehnte ihn ab, fühlte genau das Gegenteil. So entstand um der Stereo-Wirkung willen der Schluß. Ihn - und den Hinweis auf das Vorbild der Muslime - hat die fromme Redaktion wieder weggekürzt.

Schwimmen wir zur Boje? - Warum nicht? - Weit draußen vor der Bucht ist die neue gelbe Boje verankert, als Grenzzeichen, damit Boote die Schwimmer in Ruhe lassen. Derzeit ist keins in Sicht, deshalb schwimmen wir noch über die Boje hinaus ins offene Meer, weiter als je zuvor in all den Jahren ohne Boje. "Plus ultra!" war Karls V. Motto. Um "weiter jenseits" streben zu können, braucht es eine Grenze; nur ihr verdankt, wer sie überwindet, sein Hochgefühl. Und seine Sicherheit, wer diesseits bleibt.

Zwei Tage später liegt die Boje, vom Sturm losgerissen, sinnlos am Ufer, wird höchstens als Hundespielzeug gebraucht. Hinauszuschwimmen ist gefährlicher, auch reizloser geworden, "plus ultra!" gilt nicht mehr.

Das kleine Erlebnis verdeutlicht mir, warum manchen Christen mißfällt, daß in der Kirche frühere Grenzen verschwunden sind. Mit wieviel Spaß hat mein Vater sich ehedem beim Freitags-Frühschoppen gegen das Ansinnen seiner Freunde verteidigt, gleichfalls einen Braten zu bestellen; treu blieb er bei Karpfen oder Forelle. So winzig dieses Zeugnis war, hielt es doch seinen Glauben präsent. Und überhaupt [- das machen die Muslime uns vor -] geht ohne Fasten Festen viel ab. Sogar für solche, die es nicht halten.

Was tun? Wo öffentliche Grenzen fehlen, springen neu geschaffene Riten ein. Dem Heiligen Geist ein Segel aufspannen und mit schöpferischer Phantasie vor der Familienbucht Bojen verankern: ist das für junge Eltern nicht ein schönes Programm?

[Wenn auch nur, damit die Kinder später einmal froh sein können, daß die dumme Boje endlich weg ist. So erging es einer Mitschwimmerin, die aus derselben Situation die umgekehrte Lehre zieht und begreift, wie lächerlich viele Ziele sind, die unsereins sich setzt, bis ein Sturm sie vernichtet ...]

Torrevieja, 29. August 2007

Veröffentlicht in "Christ in der Gegenwart" 59/2007, Heft 37 (16. Sept.), 303


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