Jürgen Kuhlmann
Rechtlich bunt - geistlich eins
Eine ökumenische Nah-Vision
[[Hinweis: [ ] = Anmerkung 1988, [[ ]] = Zusatz 2007 rot: Handschriftliche Anmerkungen (1988) von Prof. Heinrich Fries (damals 77) in meinem Typoskript]]
Hell erleuchtet der Saal, Brotkörbchen, Wein, Traubensaft und Mineralwasser auf den Tischen; an ihnen sitzen Katholiken, Protestanten und Altkatholiken. Ein besonderes Fest wird im Nürnberger Stadtteil Lichtenhof am 29. April 1988 auf besondere Weise gefeiert. Seit 20 Jahren gibt es hier einen rührigen ökumenischen Arbeitskreis. Seine Mitglieder sind in Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat der drei Ortspfarreien aktiv. Das Jubiläum wird als Agape begangen, "wie vor 2000 Jahren". Auf einem Podium berichten zwei Gründer-Laien, wie es war und begonnen hat, andere von Plänen für die Zukunft. Dann singen wir zusammen, jeder der drei Pfarrer sagt ein persönliches Wort, Schriftlesungen handeln vom Essen und Trinken. Ebendies tut die Gemeinde zwischendurch, allerdings nicht in der hohen sakramentalen Form; der Einsetzungsbericht wird nicht vorgelesen. Trotzdem ist er irgendwie da, ähnlich wie im Tao das Nichts der Nabe im Speichenkranz.
Beim Brechen eines Stückchens Brot mit dem protestantischen Pfarrer offenbart sich die christliche Communio, ganz ohne Buchstaben, deutlich genug. Während eines Liedes teilt sich die Gemeinde; in der dritten Strophe beklagen die (Alt-)Katholiken ihre Blindheit gegen die Kirche des Evangeliums, in der vierten die Protestanten ihre Vorurteile gegen das Katholische. Wie sodann alle, wieder vereint, mit doppelter Kraft die letzte Strophe beginnen ("So hat uns, Christus, deine Hand geführt in einem Geist zu einem Glauben"), da fliegt ein Engel durch den Saal, das Grundsakrament Kirche vollzieht sich, das Heilszeichen bewirkt, was es anzeigt. Für den Augenblick, hier in Lichtenhof, ist die Kirche eins.
Schockierend war ein Vorkommnis, das auf dem Podium berichtet wurde. Vor einigen Jahren, als der protestantische Kirchenbau einen runden Geburtstag feierte, waren auch die Katholiken eingeladen, durften aber, ihren Vorschriften folgsam, am gemeinsamen Abendmahl nicht teilnehmen. "Wir haben uns voreinander geschämt, daß Christen zueinander so unanständig sein müssen, Gäste vor dem Essen wieder fortzuschicken. Für uns und im Angesicht der Welt ist das ein Skandal."
Kein Zweifel, das ist es. Wie sollen Skeptiker oder Andersgläubige sich von der Wahrheit des Evangeliums überzeugen, wenn dessen Verkünder miteinander so unmenschlich nicht nur tatsächlich umgehen, sondern anscheinend um ihres Glaubens willen umgehen müssen? Wenn ein "konfessionsverbindendes Ehepaar" an getrennten Tischen des Herrn speisen soll, so entlarvt allein diese Zuspitzung den bestehenden Zustand als unchristlich. Missionare erleben immer wieder schmerzhaft, wie sehr der binnenchristliche Hader all ihre Mühen untergräbt. Mit Recht fragen sich die Missionierten: Wenn die Christen nicht einmal die Gräben zwischen ihren eigenen Spielarten liebend überbrücken, wie wollen sie dann die ihnen noch viel fremderen Wahrheiten unserer geistlichen Traditionen so gerecht würdigen, daß wir die Annahme ihrer Botschaft vor unseren eigenen Ahnen verantworten können?
Untaugliches Ziel: Babylonische Einheit
Wie wäre der Skandal aber zu überwinden? Um die ungeheure Schwierigkeit dieser Aufgabe zu erfassen, müssen wir zuallererst einsehen: Auch bei Gottes Werk sitzt im Detail der Teufel. Denn derart gegensätzlich sind die Kirchenverständnisse, daß sich scheinbar nicht einmal eine gemeinsam wünschbare Weise der Einheit angeben läßt. Z.B. zeichnet das naiv-katholische Modell der Kircheneinheit sich dadurch aus, daß es nicht nur dem katholischen Glauben erwächst, vielmehr auch dem weltlichen Verstand unmittelbar einleuchtet. Allerdings bewertet, was dem Katholiken positiv vorkommt, der Protestant negativ!
Daß in Jesus das Wort Fleisch geworden ist, das glauben die Christen; daß aus Jesu Impuls - dank der Überzeugung seiner Jünger - schon bald eine rechtlich faßbare Institution wurde, die im Bischof von Rom ihr Zentrum hatte und bis heute hat, das läßt sich wissenschaftlich feststellen. Deshalb scheint das ökumenische Ideal mancher Katholiken ebenso einfach wie schlüssig: Alle Kirchen sind dann wieder eins, wenn sie sich als Teilkirchen im Verband der einen, allumfassenden, eben kat-holischen Kirche verstehen, unter der Leitung des Nachfolgers Petri. "Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen" (Mt 16,18), steht in großen Lettern auf Goldgrund an der Innenwand der Peterskuppel. Christi Vorhaben ist geglückt und besteht bis zum Ende der Zeiten.
Mit dieser römischen Sicht können Orthodoxe, Anglikaner und Altkatholiken nicht einverstanden sein. Noch schärfer stehen ihr die Protestanten entgegen. Und schon bei Mattäus lesen wir, nur fünf Verse nach jener Inschrift im Papstdom, eine ganz andere Rede Jesu an Petrus: "Geh mir aus dem Weg, Satan! Mein Skandal (=Stolperstein) bist du, weil du nicht göttlich, sondern menschlich denkst." Nun, der Dezember 1984 brachte das Halbjahrtausend-Lacrimaeum der grausigen Hexenbulle "Summis desiderantes affectibus". Innozenz hieß jener Papst, und bis heute tut der Heilige Stuhl unschuldig. Oder hat man je [[vor 2000]] ein päpstliches Wort der Entschuldigung für die kirchenamtlich veranlaßte Folterpein so vieler schuldloser Frauen (und Männer) vernommen? [Mitte der achtziger Jahre wurde eine Ausstellung zum Hexenthema in einigen deutschen Städten gezeigt, nicht jedoch in Bamberg, das besonders viele Opfer zu beklagen hatte ... ]
Im Blick auf die Papstgeschichte wirkt jene Polarität Fels/Satan wie eine ungeheure Prophetie des Evangelisten. Die Katholiken haben - um eine vielschichtige Problematik holzschnittartig zu vereinfachen - den Felsenpol gewählt ("Häresie" kommt von haireo, ich wähle, ziehe vor), die Protestanten den Satanspol [Das kann man so global nicht sagen]: "Zu einer Institution kann man keinen Glauben, sondern nur Aberglauben haben ... Derjenige, der eine Garantie für die Wahrheit des göttlichen Wortes sucht, verrät dadurch seinen Unglauben ... Diese Form des Unglaubens liegt im Wesen des Papalismus beschlossen und steht hinter so gut wie allen heutigen Konversionen zur Papstkirche" [R. Prenter, Kerygma und Dogma 1955, 57].
Deshalb wird es nie zur Realisierung des einseitigen Wunschtraums gewisser römischer "Ökumeniker" kommen. Die Kirche als juristisch durchschaubare, straff um den Papst herum strukturierte Großorganisation - das wäre das exakte Gegenbild zu Pfingsten, nämlich der Turm von Babel, der ja auch als Einheitssymbol errichtet war, "damit wir uns nicht über die ganze Erde hin zerstreuen" (Gen 11,4). Käme es je dazu, dann hätten die Pforten der Hölle die Kirche überwältigt, Petrus wäre seiner Versuchung, ein Satan zu sein, erlegen; dagegen steht die Verheißung.
"Einigung der Kirchen - reale Möglichkeit"
Unter diesem hoffnungsvollen Titel haben Heinrich Fries und Karl Rahner im Sommer 1983 acht Thesen veröffentlicht, durch die das ökumenische Gespräch einen gewaltigen Satz vorwärts gemacht hat. In einer erweiterten Sonderausgabe [Freiburg 1985; daraus zitiere ich (eingeklammerte Zahlen beziehen sich im Folgenden auf dieses Buch).] berichtet Fries im Anhang über erste Reaktionen. Vermutlich ist die Literatur inzwischen uferlos geworden; aufgrund meiner Lebensumstände kann ich sie nicht erforschen. Da dies freilich mehr und mehr die Situation aller Nachdenklichen wird, hoffe ich auf freundliches Verständnis. Sollte mein Vorschlag schon gemacht worden sein, wäre das Grund zur Freude; "jede Sache muß durch die Aussage zweier oder dreier Zeugen entschieden werden" (Mt 18,16).
Rahner (+ 1984) und Fries sind überzeugt, daß "in absehbarer Zeit eine Glaubens- und Kircheneinheit unter den großen christlichen Kirchen erzielt werden" kann (17). Mit folgenden acht Thesen (von mir verkürzt) erläutern sie ihre erstaunliche Hoffnung: 1) Alle Kirchen müssen sich an die Heilige Schrift[, das apostolische Credo] und die ersten großen Konzilien halten. 2) Keine Teilkirche darf bekenntnismäßig einen Glaubenssatz verwerfen, der einer anderen als Dogma gilt; doch muß keine ein fremdes Dogma mitbekennen. 3) Unterschiedliche Teilkirchen können ihre Strukturen behalten und auch auf demselben Territorium weiterbestehen. 4) Ein Dienst des Papstes an der Einheit wird von allen im Prinzip anerkannt; der Papst respektiert jedoch die Eigenständigkeit der Teilkirchen und verkündet ex cathedra höchstens die Beschlüsse eines allgemeinen Konzils. 5) In allen Teilkirchen gibt es Bischöfe. 6) Jede Teilkirche versucht, die früheren Erfahrungen der anderen auch für sich selbst fruchtbar zu machen. 7) Sie alle weihen ihre Amtsträger in Zukunft durch Gebet und Handauflegung. 8) "Zwischen den einzelnen Teilkirchen besteht Kanzel- und Altargemeinschaft."
Das sind mitreißende Ideen. Um so erfreulicher, daß sie nicht von Jünglingen stammen, sondern von erfahrenen alten Männern, zwei führenden Köpfen der katholischen Christenheit. Wie schon viele andere Leser stimme ich ihnen dankbar zu. Allerdings meine ich, daß sie nur dann fruchtbar sein können, wenn wir sie im Licht einer weiterführenden Klärung verstehen, die sie selber noch nicht explizit enthalten. Mein Vorschlag ist also kein Einwand, überschreitet jedoch den Rahmen, den die Verfasser sich gezogen haben, der ihre wahre Intention aber noch allzusehr hemmt.
Zum einen geht es ihnen um die Einheit der "großen christlichen Kirchen" (17); ausdrücklich meint Rahner "aber nicht kleinere Kirchenverbände oder Sekten, selbst wenn solche grundsätzlich einen Willen zur Einheit bekundeten" (64). Irre ich mich, wenn ich hinsichtlich der Freikirchen im Nachwort von Fries - keine Untersuchung könne alles abdecken, die nötige Differenzierung sei fürs erste nicht zumutbar gewesen (163) - eine Abschwächung und Teilrücknahme dessen lese, was in Rahners Worten doch fast wie ein positiver Ausschluß klingt? [Stimmt!] Ein fruchtbares ökumenisches Grundprinzip darf jedoch keinerlei Größenbonus austeilen, muß vielmehr z.B. auch die Altkatholiken einschließen , sowohl die Linken nach dem ersten Vatikanum (secundum Döllinger) als auch die allerfrischesten Rechten (secundum Lefebvre) nach dem zweiten.
Juristisch unfassbar: der Primat
Zum anderen gelten alle Thesen natürlich nur miteinander, wenn also auch These IVb erfüllt ist, der Papst die Eigenständigkeit der Teilkirchen respektiert. Mag sein, daß ein Johannes XXIV. dies irgendwann tun wird; der jetzige Amtsinhaber tut es (mit dem Recht des Primats) innerhalb seiner römisch-katholischen Teilkirche so wenig, daß die anderen geringeren Anlaß als je haben dürften, sich seinem "Petrusdienst" gern anzuvertrauen. Fries erwähnt eigens "die freie Bischofswahl durch das Domkapitel" in Chur (119) - eben dort ist jüngst vom Papst ein Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge eingesetzt worden, die Proteste der Basis blieben ungehört.
Allerdings verbirgt sich hinter der gepriesenen "Eigenständigkeit der Teilkirchen" ein schweres Problem. Fries erkennt an, die Basis sei "äußerst vielschichtig und schwer auf den Begriff zu bringen" (162). In der heutigen, global vernetzten Weltkirche ist jegliche Basis gespalten.[?] Neigt "die brasilianische Kirche" der Befreiungstheologie zu oder nicht? Welche Stimmen werden da gezählt oder wie gewogen? Ist "die ukrainische Kirche" uniert, autokephal oder russisch-orthodox? Angenommen, das Rahner/Fries-Modell setze sich durch, wie soll in der wiedervereinigten Weltkirche der Papst seinen Petrusdienst ausüben, wenn etwa irgendwo ein orthodoxer Bischof einen Priester maßregelt, weil dieser (wie Johannes Paul II. in Assisi) mit Buddhisten zusammen öffentlich gebetet hat und an Petrus appelliert? Oder wenn ein protestantischer Pfarrer in Skandinavien ihn anruft, weil dort ein Mitbruder zwei Homosexuelle kirchlich getraut hat und die örtliche Kirchenleitung dazu schweigt? Es gibt nun einmal konkrete Fragen, wo auch die Güte eines Papa Giovanni nicht weiterhilft, weil so oder so entschieden, unausweichlich der einen oder anderen Seite wehgetan werden muß, und sei es durch die Entscheidung fürs Nicht-Intervenieren, für das Gewährenlassen der örtlich mächtigen Autorität, wie auch immer deren Macht institutionell begründet sei.
Ich glaube: Kein Papst, der sich als Nachfolger des heiligen Petrus und zum Einheitsdienst verpflichtet fühlt, kann auf eine solche Entscheidung (Intervention oder nicht?) im Prinzip und von vorneherein juristisch verzichten, indem er die lokale Autorität a) sich selber unabhängig bilden und b) von Rom unangefochten walten zu lassen sich festlegt. Auch Rahner kann sich nicht denken, daß "die Aufgabe Roms ... irgendeiner Institutionalisierung der Durchführung dieser Aufgabe entbehren könnte" (101). Auf eine solche werden die anderen Kirchen sich jedoch, angesichts der säkularen Erfahrungen mit der römischen Kurie, durchaus nicht einlassen wollen![?]
Beim Stand der Analyse, den die Verfasser erreicht haben, scheint mir exakt hier der fatale Punkt ihres Unternehmens zu liegen. Tatsächlich sehe ich nicht, wie sie aus folgendem Dilemma herausfinden wollen: Entweder erlaubt die - irgendwann einmal zustandegebrachte - Institutionalisierung des Petrusdienstes [Was heißt das? Ist "Institution von vorne herein vom Übel.] dem Papsttum, prinzipiell in jede Frage, die irgendwo in der weiten Weltkirche den Glauben betrifft, vom gottgesetzten Zentrum aus hineinzuregieren, dann hätten wir aber, wenn auch noch so verbrämt, im Grunde doch den Turm von Babel mitten in Jerusalem, nämlich die weltlich-institutionelle, zentralistisch-apparatliche Einheit einer Großorganisation. [Die auf den Petrusdienst bezogene ecclesia reformanda! Eine Fernsicht!] Alle Teilkirchen wären letztlich, was trotz wohllautender Konzilsbeschlüsse derzeit alle katholischen sind, nicht nur die von Holland, Wien und Chur, nämlich großräumige Verwaltungsbezirke eines straffen Verwaltungssystems, ähnlich wie jene 17 "Diözesen", in die Diokletian die 101 Provinzen des römischen Reiches zusammengefaßt hat. Mit kräftigem "No Popery!" wehrt sich gegen eine solche Aussicht in den jetzt noch selbständigen Kirchen nicht nur lokales Machtgelüst oder "antirömischer Affekt", sondern sehr wohl der Glaube an die ihnen unaufgebbar eigene kirchliche Verantwortung.
Oder aber die - einmal zustandegebrachte - rechtliche Fassung des Primats sieht dieses päpstliche Vorrecht nicht vor, sondern beläßt juristisch jeder Teilkirche ihre letzte Verantwortung vor Gott und den Menschen. Dann wäre, scheint mir, die so schwach geeinte Kirche tatsächlich "der Sache nach nur eine andere Form des Weltrats der Kirchen" (14), [Nein!] dieser von Fries und Rahner vorausgesehene Vorwurf träfe zu. Denn von einer - vor den Augen der Welt - einen Kirche ließe sich offenbar nicht sprechen, wenn, wie heute, ein Geschiedener in der einen Pfarrei kirchlich wieder heiraten könnte, in der anderen, drei Straßen weiter, jedoch grundsätzlich nicht. [Es gibt auch heute noch Situationsethik und die Instanz des Gewissens als letzte Norm]
Natürlich haben die Verfasser diese Frage bedacht: "Die Unterscheidung zwischen höchster Autorität und ihrer Inanspruchnahme macht es möglich, daß der Papst die Ausübung seiner Jurisdiktion freiwillig beschränkt" (85). Auch ich bin überzeugt, daß hier die christliche Lösung des Knotens der Kirchenspaltungen liegt. Freilich gilt es ausdrücklich anzuerkennen, daß dies zwar zu einer geistlichen, nie aber zu einer organisatorisch greifbaren Kircheneinheit führen kann. [Muß ja gar nicht sein. Falsches Bild von Einheit der Kirchen]
Alles kommt darauf an, auf welche Weise solch päpstliche Selbstbeschränkung freiwillig ist. Entweder verzichtet der Papst prinzipiell und verbindlich auf die künftige Ausübung seiner Jurisdiktion. Dies kann er allerdings bloß für sich, nicht für seinen Nachfolger tun. Dann wäre Petrus (rechtlich gesehen) sozusagen dienstunfähig, hätte sich selbst gelähmt, [?] die katholische Kirche wäre höchstens ein gleichberechtigtes Mitglied des Weltrats, jene Selbstbeschränkung wäre "freiwillig" nur in ihrer Wurzel, dem früheren Entschluß, dann nicht mehr. Oder der Papst verspricht zwar seinen guten Willen, auf Primatsausübung zu verzichten; da er aber natürlich die Zukunft seiner Verantwortung nicht kennt, wird er sich wohl hüten, dieses Versprechen in juristisch bindender Form zu leisten - entsprechend werden sich die anderen Kirchenführer hüten, die Einheitsformel zu unterschreiben. Kurz: Die von den Thesenverfassern geforderte freiwillige Selbstbeschränkung scheint (als Dauerprinzip der Kirchenverfassung) in sich unmöglich zu sein. Wer sich beschränkt hat, ist nicht mehr frei; [doch!] wer frei bleibt, beschränkt sich nicht wirksam. Weder eine Organisation noch viele zueinander exklusive Organisationen darf die Kirche Christi also sein - anscheinend kann nur ein Wunder aus diesem wasserdichten Dilemma herausführen. [? ? falsche Alternativen!]
Die Kirche ist keine Organisation
Eben dieses Wunder, glaube ich, hat Gott schon gewirkt, nur uns fehlen die Augen, es zu sehen. Ein Mensch ist kein Skelett, braucht aber eines. Ähnlich ist die Kirche kein organisatorischer Apparat, braucht aber einen. Wäre sie ein Apparat, so könnte irgendein Individuum oder Unter-Apparat zum Gesamt-Apparat nur entweder gehören oder nicht, würde von dessen Schaltzentrale aus gesteuert oder nicht; auf diese Alternative läuft das soeben geschilderte Dilemma hinaus.
Doch ist die Kirche kein Apparat, vielmehr ein gottgewirktes Heilsgeheimnis, das in irdischen Rechtsstrukturen ähnlich "subsistiert", [Mit diesem Begriff bezeichnet das zweite Vatikanum (Kirche 8) in einem lang umkämpften Satz das Verhältnis dessen, was die Kirche ist (die Heilswirklichkeit), zu dem, worin sie ist (das gesellschaftliche Gefüge der katholischen Kirche, ohne aber die anderen auszuschließen!). Vgl. die Entstehungsgeschichte der Formel im ersten Konzilsband des LThK (Freiburg 1966), S. 174, Anm. 29] d.h. sich verwirklicht, wie der göttliche Logos in Jesu Menschheit oder der lebendige Mensch im physikalisch-chemischen Substrat seines Körpers. Deshalb ist jenes Dilemma lösbar; die enge Alternative (zum Kirchenapparat gehörig oder nicht gehörig) öffnet sich auf eine dritte Möglichkeit hin: Ein Mensch oder eine Gruppe gehört zwar nicht zum "gesellschaftlichen Gefüge" [Kirchenkonstitution Nr. 8, erster Absatz, letzter Satz; das nächste Zitat ebendort, zweiter Absatz, letzter Satz] der römisch-katholischen Kirche, ist jedoch - obzwar "außerhalb ihres Gefüges" - dennoch von dem, was die Kirche ist, keineswegs getrennt, weil die Heilswirklichkeit Kirche auch in ihnen wirk-lich da ist, [Auf welche Weise?] belebend, erleuchtend, heiligend, und all das wahrlich nicht weniger als im Katholiken, nur anders, nämlich juristisch nicht gar so greifbar. Eben darauf aber legt der Glaube dieser anderen Christen auch weniger Wert, so daß der Katholik sich mit ihnen auf die Formel einigen kann: Beide Seiten erblicken die "vielbunte Weisheit Gottes" (Eph 3,10 wörtlich übersetzt) zwar in verschiedenen Farben, deshalb aber nicht verschieden hell.
Geistlicher Primat
Organisatorisch ist die Primatsfrage nicht zu lösen. [Wieso nicht?] Die schwebende Mitte des Geheimnisses stürzt, sobald sie den Eindeutigkeiten des organisierenden Verstandes ausgesetzt wird, unweigerlich in einen der beiden Abgründe platter Häresie: [?? Übertreibung!] den rechten des monozentrischen Großapparats oder den linken getrennt rivalisierender Institutionen. Deshalb dürfte es, auf den Buchstaben der Kirchenverfassung gesehen, vermutlich beim jetzigen Zustand bleiben: innerhalb der römisch-katholischen Kirche ein Übergewicht des Zentrums, außerhalb ihrer organisatorische Getrenntheit. Nicht anders als solcherart gebrochen kann der verständige Buchstabe den vernünftigen Geist fassen [Zur systematischen Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft siehe z.B. Karl Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen (München 1958), 310; Jürgen Kuhlmann, Innen statt droben (Düsseldorf 1986) [[jetzt auch in books.google.com lesbar]], 22 ff.].
Wie aber müssen wir Christen uns geistlich-konkret verhalten, damit die Kirchen den Namen "christlich" nicht nur historisch mitschleppen, sondern je neu verdienen? Den entscheidenden Wink können wir einer exegetischen Horrorstory entnehmen. Mit eigenen Augen sah ich in einem vorkonziliaren italienischen Meßbüchlein den Satz "Seid einander untertan!" (Eph 5,21) so übersetzt: "Die Unteren seien den Oberen untertan!" Mit dem Recht seines unvernünftigen Verstandes sah der Übersetzer ein, daß wechselseitiges Untertansein logisch nicht geht. Ein Computer hätte ihm zugestimmt. Als einer ordentlichen Schul-, Betriebs- oder sonstigen Ordnung paßt der biblische Satz nicht.
Geistlich gilt: Das kirchliche Amt steht der Gemeinde sowohl gegenüber als auch in ihr. In diesem Prinzip kommen alle Kirchen überein (115). Bestimmende Autorität ist weder der Amtsträger allein noch die Gemeinde als Gruppe, sei die aristokratisch, demokratisch oder charismatisch verfaßt. Bestimmende Autorität ist vielmehr eben die (juristisch nie adäquat auflösbare) Spannung zwischen Amtsträger und Gemeinde. Aufgabe des Amtsträgers ist es, der deutlich herausgehobene eine Pol dieser Spannung zu sein. Bestimmende Autorität ist aber nicht er, sondern die je neu zur Gemeinschaft des Heiligen Geistes sich lösende Spannung zwischen dem geistlichen Leitungsamt und der geistbegabten Basis.
Der weiteste und jetzt, da der Globus zusehends zur einen Welt wird, immer unentbehrlichere Fall dieses (jeder Gemeinde aus dem eigenen Leben vertrauten) Prinzips ist das Verhältnis des Petrusamtes zur einen Weltkirche der nahen Zukunft. Jeder Pfarrer, der nicht den frommen (=harten?) Kern für das Ganze hält, sondern die extremen Gruppen seiner Gemeinde mehr schlecht als recht beisammen hält, und jedes Gemeindeglied, das zuweilen eine Wut auf den Pfarrer hat und doch nicht ohne ihn sein möchte, hat hautnah Problematik und Notwendigkeit dieser Beziehung erfahren. Mit kalten Buchstaben von Bullen, antirömischen Protestschriften und Konkordaten ist sie nicht zu bewältigen, ebensowenig wie sich mit einer geschriebenen Kirchenordnung eine lebendige Pfarrgemeinde aufbauen läßt. Hier wie dort gilt: "Seid einander untertan!" Heute ermuntert die Heilige Geist-Liebe das schlichte Gemeindeglied, um des Ganzen willen auf sein Recht zu verzichten; morgen gibt sie vielleicht dem Papst ein, persönlich nach Nordbrasilien zu fliegen und zwei Wochen in einer Basisgemeinde mitzuleben, um der Wahrheit der Befreiungstheologie tiefer inne zu werden.
Erst auf diese Unterscheidung von apparatlich und geistlich hin erstrahlen die Thesen von Fries und Rahner in ihrem wahren Glanz. Sie sind geistlich gemeint, das heißt aber keineswegs: nebulös. "Seht, wie sie einander lieben!" - das kann und soll die Welt sehen. Ja, die Einigung der Kirchen ist eine reale Möglichkeit und kann auf der Basis jener Thesen schon bald wirklich sein, wenn wir Christen uns auf allen Ebenen vom Buchstabendienst zum Geist bekehren. Dann mag der Buchstabe im großen und ganzen bleiben, wie er ist, da er sich ja doch nicht radikal reformieren kann. Denn seine lebendige Wurzel ist nicht er selbst, sondern der Geist. [Vgl. den Abschnitt "Geist gegen bloßen Buchstaben" in meinem Buch "Wider die Arroganz der Apparate" (Nürnberg 1984) [[jetzt auch in books.google.com lesbar]], 51 ff.]
Das heilsam unzuständige Recht
Doch eines kann und soll der Buchstabe noch: Seine prinzipielle Unzuständigkeit für die Beurteilung des fremden Buchstabens ausdrücklich und offiziell eingestehen. Ließe jede Konfession auch in ihren Amtsblättern drucken, was doch all ihren denkenden Gläubigen schon lange klar ist, daß nämlich die Gottesdienste auch der anderen Konfessionen vor Gott vielleicht gültig sind und es deshalb dem Gewissen der einzelnen wie dem Glaubenssinn lebendiger Gruppen überlassen bleiben darf, ob sie an ihnen teilnehmen; daß ferner gegen Mischehen nichts zu sagen ist, weil Spender der Ehegnade letztlich Gott ist und keine Kirche; daß endlich ein Konfessionswechsel zwar aus Kirchensteuergründen zu bedauern sein mag, aber nicht aus geistlichen ("wer nicht gegen euch ist, ist für euch," achtet also jeden Gewissensentscheid und nennt keine Konversion Abfall ...) - dann wäre die Kirche in der Dimension des Buchstabens ungefähr so eins, wie sie es sein kann, und hat nur mehr die nie endende Aufgabe, auch geistlich-sichtbar immer mehr so eins zu sein, wie sie es geistlich-gnadenhaft in der Person Jesu Christi seit jeher gewesen ist.
Das erforderliche Wunder gäbe es also längst, wollten die Christen es nur bemerken. Schärfer gesagt: Wären sie nicht "wie mit Blindheit geschlagen, so daß sie Ihn nicht erkannten" (Lk 24,16), und zwar geschlagen nicht bloß von ihrer eigenen Feigheit, sondern sehr wohl auch von solchen kirchlichen Instanzen, deren Verwalter ein verstehbares Interesse daran haben, daß solche Blindheit fortdauere. Würde die Kirche Christi nämlich von den Christen ausdrücklich als über-apparatliche Heilstatsache anerkannt, der die verschiedenen Apparate nur, jeder auf seine Weise, dienen sollen - dann müßte die Aura vieler Kirchenführer arg verblassen. Dagegen wehren sie sich verständlicherweise und legen den Gläubigen Scheuklappen an. [Alles überzogen!]
Die hat das Konzil ("subsistit"!) im Prinzip schon abgerissen; die alten Fäden, an denen sie immer noch hängen, verdienen keinen Respekt. Die Kirche Christi als überorganisatorische Stiftung ist die Wirklichkeit, jede äußerlich greifbare, soziologisch erforschbare Kirchenstruktur ist bloß ein Umstand an diesem Wirklichen. Zwischen einem dieser Umstände und einem anderen vermittelt eine kraftvolle juristische Kategorie: die Unzuständigkeit. Um die Entscheidung ersucht, ob eine Rechtsauffassung zutreffend sei oder nicht, erklärt ein Gericht sich bisweilen für unzuständig. Solche Demut der Bürokratie scheint mir bei unserer Frage der einzig mögliche Lösungsweg.
Wird der Pfarrer von einem Jüngling gefragt, ob er lieber Rosa oder Heidi heiraten solle, so wird der Pfarrer sich amtlich für unzuständig erklären, als Seelsorger aber durchaus zu einem helfenden, den freien Entschluß befördernden Gespräch bereit sein. Warum sollte der Pfarrer auf meine Frage, ob ich am Abendmahl einer anderen Konfession teilnehmen dürfe, nicht ebenso reagieren?
Was kann z.B. der katholische Priester über das protestantische Abendmahl derzeit amtlich sagen? Da gilt es, eine haarfeine Unterscheidung zu begreifen: Weil die bischöfliche Sukzession fehlt, deshalb mangelt jene juridische Eindeutigkeit, die (so meine ich) das Wesen des Römischen im Katholischen ausmacht. Deshalb ist jener Gottesdienst im katholischen Verständnis nicht gültig. Das bedeutet aber nicht, daß er nach katholischer Auffassung ungültig wäre! Scheuen wir nicht ein banales Beispiel. Im Verständnis der Fußballer ist ein mit der Hand geworfenes Tor ungültig. Aber auch nach der Auffassung von Fußballern kann ein solches Tor gültig sein, wenn man nämlich auf dem Nebenfeld Handball spielt. Amtlich kann der Katholik nur feststellen, daß jener Gottesdienst nicht im katholischen Sinn gültig ist. Was er aber in sich selbst sei, für diese Auskunft ist die katholische Amtskirche unzuständig. Das sollte sie endlich eingestehen. Seelsorgliche Klugheit wird dem Fragenden herauszufinden helfen, wie sein Gewissen hier spricht. Tut er schlicht mit den Protestanten zusammen, was Jesus den Seinen zu tun aufgetragen hat? Oder gäbe er Ärgernis, eigenem oder fremdem Schwachglauben?
Die Kirche ist aber doch kein Sportverein! Nein. Aber auch kein ideologischer Monopolbetrieb. Viele Christen wissen gar nicht, daß Jesus allen intoleranten Konfessionalismus ausdrücklich verboten hat. Im Lukas-Evangelium lesen wir: "Johannes begann und sprach: Meister, wir sahen einen, der in deinem Namen Dämonen austrieb, und wehrten es ihm, denn er hält sich nicht zu uns. Jesus aber sprach zu ihm: Wehret es nicht! Denn wer nicht gegen euch ist, der ist für euch" (9,49 f). Einige Seiten weiter heißt es: "Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut" (11,23). Im Verhältnis zum Sinn des Ganzen in Person gibt es also keine Neutralität, wohl aber im Verhältnis zu den Jüngern, seien sie noch so sehr von Jesus selbst bevollmächtigt: "Wer euch hört, hört mich; wer euch verwirft, verwirft mich" (10,16). Diese Aussagen sind keine Kalendersprüche, sondern bilden miteinander ein geradezu verblüffend ausbalanciertes ökumenisches Prinzip [Die Anregung zu dieser Zusammenschau verdanke ich dem Heft 2 (München 1969) der Integrierten Gemeinde, ab S. 60].
Welche Erfahrungen haben sich zu ihm verdichtet? Offenbar diese: Die glaubende Gemeinde ist gewiß, daß der Auferstandene sich mit ihr identifiziert. Wer euch hört, hört mich: Wer die Botschaft der Gemeinde annimmt, kann sich darauf verlassen, daß er mit Christus verbunden ist; denn nur dank seiner inneren Gnade kann er es. Wer euch verwirft, verwirft mich: denn ihr seid die Meinen.
Anders, wenn jemand die Gemeinde weder für sich annimmt noch bekämpft, sondern neutral bleibt. Was soll sie von einem solchen halten, der sich weder in noch gegen, sondern neben sie stellt? Dann hat Christi Identifizierung mit einer konkreten Gemeinde ihre Grenze. Denn im Hause seines Vaters sind viele Wohnungen; die unterschiedlichsten Gemeinden berufen sich zu Recht auf den einen Herrn. Jede mahnt er deshalb: Wer nicht gegen euch ist, der ist für euch. Wenn einer sich eurem "gesellschaftlichen Gefüge" nicht anschließt, aber auch nicht gegen es wirkt (außer indem er durch sein kräftigeres Zeugnis euch Seelen abwirbt), dann habt ihr damit zu rechnen, daß auch seine Berufung auf mich vor mir gilt.
Wenn jeder Begriff erst durch seinen Gegensatz klar wird, dann ist "kirchliche Gemeinschaft" ein überaus klärungsbedürftiger Begriff; denn es gibt zu ihm viele ineinander verschwimmende Gegensätze. Eine bestehende kultische Gemeinschaft kann tiefgreifende Glaubensgegensätze überwölben: Hans Küng darf seinen Glauben zwar nicht mehr auf einem kirchlichen Lehrstuhl vortragen, wohl aber mit dem papstfrömmsten Kurialen konzelebrieren. Umgekehrt haben manche Laien durchaus denselben Christenglauben, nur ist halt der eine katholisch, der andere evangelisch. Die amtliche Unzuständigkeit fürs Verbot der offenen Kommunion hat die westdeutsche katholische Synode 1975, wenngleich einigermaßenm gewunden, so doch ehrlich ausgesprochen: "Die Synode kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Teilnahme eines katholischen Christen am evangelischen Abendmahl nicht gutheißen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß ein katholischer Christ - seinem persönlichen Gewissen folgend - in seiner besonderen Lage Gründe zu erkennen glaubt, die ihm seine Teilnahme am evangelischen Abendmahl innerlich notwendig erscheinen lassen. Bei der Entscheidung, vor die er sich gestellt sieht, darf er weder das Beheimatetsein in der eigenen Kirche gefährden, noch darf seine Entscheidung einer Verleugnung des eigenen Glaubens und der eigenen Kirche gleichkommen oder anderen eine solche Deutung nahelegen [Zitiert bei Fries/Rahner 177 f.].
Dasselbe Prinzip scheint mir freilich auch anzuwenden, wo es um frische Trennungswunden geht. Sollte ein Katholik, der die alte Meßform liebt, einmal in Econe vorbeikommen, und die Traditionalistenordnung ebenso wie sein Gewissen ließe seine Mitfeier zu, dann bräuchte die päpstliche Exkommunikation ihn nicht zu hindern. Sie zerschneidet - als notwendige Disziplinarmaßnahme - zwar das apparatliche Tischtuch. Weil eine unerlaubte Bischofsweihe aber kein christliches Grundprinzip verletzt, nicht einmal den päpstlichen Primat (für den L. ja ausdrücklich eintritt, nur ist dieser Papst ihm nicht päpstlich genug!), deshalb betrifft diese Trennung nur das gesellschaftliche Gefüge der Kirche, nicht ihre spirituelle Wirklichkeit. Anders, wenn in Lateinamerika ein Bischof den örtlichen Gouverneur exkommuniziert, weil der ein stadtbekannter Folterer ist. Der hat sich schon vor seinem amtlichen Ausschluß von der Kirche als göttlichem Liebesbund selbst abgeschnitten, gehört nicht mehr zur Substanz des Weinstocks.
Ökumene aller Menschen
Christus will, daß seine Gemeinden eins seien, im Heiligen Geist aber, nicht in einem zentral regierten Apparat. [Der „Apparat“ wird hier und im Ganzen zur fixen Idee.] Daß diese Sicht der kirchlichen Einheit von den jeweils Verantwortlichen anerkannt und befördert werde, dafür lohnt sich die Mühe. Nur wenn innerchristlicher Ökumenismus sich ein solches Ziel setzt, kann er zum Modell für die weitere Ökumene der Menschen werden. Juden und Moslems, Hindus und Buddhisten, Marxisten, Technokraten und New-Age-Leute, sie alle wollen weder untereinander noch mit den Kirchlichen zu einem Gefüge verschraubt werden. Weiterhin nur wider einander streiten, das wollen wir aber auch nicht. Auch für die Menschheit gilt das biologische und ökumenische Grundprinzip: Wirklich ist die Einheit; die Gegensätze sind Umstände an ihr. Nicht allein die Einheit der Christen soll von der Kirche bedeutet werden; nach dem schönen Wort des letzten Konzils [Kirchenkonstitution, Nr. 1] ist sie vielmehr "Sakrament ... für die Einheit der ganzen Menschheit".
Bemühen wir uns deshalb immer neu um die Balance von mutigem ökumenischem Vorpreschen und demütigem Einordnen, so wie das Gewissen uns jeweils anweist. Dessen göttlichen Spruch aus dem Lärm des tyrannischen Überich und des rücksichtslosen Ego herausfiltern zu lernen, diese Aufgabe währt so lange, wie ein Mensch atmet. Derselbe Paulus, der dem ersten Papst "ins Angesicht widerstand" (Gal 2,11), ließ selbst einen Unzüchtigen "dem Satan übergeben" (1 Kor 5,5). Nie werden alle Spannungen zwischen verschiedenen Kirchen sowie zwischen Zentrum und Peripherie einer Gemeinschaft sich mit institutionellen Regelungen bewältigen lassen.
Das ökumenische Ziel versöhnter Verschiedenheit, wie Fries und Rahner es so anziehend aufgezeigt haben, ist also eine, nein: die reale Möglichkeit, der wir noch um vieles näher kommen müssen, als wir bisher sind. Ohne harmonistische Illusionen jedoch. Wo sich der eine Streit nach Jahrhunderten schlichten läßt, ist längst manch anderer aufgebrochen. Sooft dann, nach ehrlichem Bemühen um neues Einverständnis, für die beiden Standpunkte schließlich doch nicht mehr Platz in einer Wohnung ist, muß man sich eben (mehr oder minder offenkundig) in verschiedenen einrichten. Wenn z.B. eine "Katholikin" nicht guten Gewissens die Pille nimmt (wie der Papst so oft betont), gibt es dann etwa weniger hundert Millionen "Katholiken", als die kurialen Statistiker zählen? In solchem Fall gilt sogleich Jesu Prinzip: Wer nicht gegen euch ist, der ist für euch. Richtet nicht! Gebt zu, daß für die Ordnung nebenan (ja sogar in manchem Randzimmer "eurer" Wohnung) nicht ihr zuständig seid. "Wie kannst du den Diener eines anderen richten? Er steht oder fällt seinem Herrn" (Röm 14,4).
Laßt den Geist wehen, wo Er will, mitunter dann auch in einer Feier der tieferen Einmütigkeit, die kein bloß konfessionell funktionierender Verstand fassen kann, nur ökumenisch liebende Vernunft, wie jüngst in Lichtenhof. Wollte die sich allerdings zum Prinzip einer rivalisierenden Organisation etablieren (dem berühmten Gespenst der "dritten Konfession"), so hätte sie sich selbst verraten, wäre nur ein weiteres Spaltprodukt, nicht Zeuge der Einheit. Hoffentlich macht sie es nicht so wie die Christenheit, die sich zu Beginn als drittes Volk gegen Juden und Heiden abschloß, statt in ihnen aus Gottes Kraft für Versöhnung zu wirken.
Oktober 1988
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