Jürgen Kuhlmann

Der Würfel des Heils


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Gottes vielbunte Weisheit

Drei Farbdimensionen

Mein Vorschlag einer trinitarischen Farbsymbolik entspringt nicht bloßer Willkür. Sie ist vielmehr so klar in der Wirklichkeit begründet, daß ich sie für ein naturgegebenes Sinnbild halten muß: Wer es einmal erblickt hat, kann nicht mehr an ihm zweifeln. Bekanntlich gibt es drei Grundfarben: blau, gelb und rot. Jeder von ihnen entspricht eine sog. Komplementär- oder Kompensationsfarbe." Rot "fordert" (sagt Goethe) Grün (= Gelb + Blau); Gelb fordert Violett (= Blau + Rot); Blau fordert Orange (= Gelb + Rot). Das ergibt eine (nur für Christen nicht) erstaunliche Entsprechung zwischen Optik und Trinitätsdogma; jedes Farbenpaar ist in sich dasselbe ganze weiße Licht und doch sind sie voneinander verschieden, je nachdem, welche Grundfarbe (als proprium) sich auf das Commune der beiden anderen bezieht.

Jedem der dreieinigen Grundgefühle finde ich eine Farbe zugeordnet: dem Eins das Blau, dem Du das Gelb und dem Ich das Rot. Die Entsprechungen sind keineswegs zufällig; denn alles Leben entstammt dem blauen Meer, während der blaue Himmel über uns die Einheit der offenen Weite bedeutet.Auch Gelb als Farbe der patriarchalischen Religion ist urbildlich begründet: Wenn ein Kind die Sonne malen will, wird sie gelb. Schon in einem der allerältesten Bücher, im Gilgamesch-Epos, tritt der Sonnengott Schamasch als männlicher Sinn für das Gute auf, der den Helden aus der allzu harmonischen Urgeborgenheit der Mutterwelt herausreißt. Somit bleibt zum Bedeuten des selbstbewußten Ich das Rot übrig; als Farbe des Blutes und der Freiheitskämpfe paßt es dazu aufs beste.

Wider trinitarische Arroganz

Wenn Gott selbst sich als Kraftfeld unendlicher Spannungen offenbart hat, dann müssen auch unsere menschlichen Aussagen über den absoluten Sinn in unaufhebbarer Spannung zueinander stehen. Nur so werden sie dem, was sie meinen, gerecht. Solcher Gegensatz göttlicher Wahrheiten führt aber leider zum Widerspruch der Ideologien: Das in sich gespannte, polar-gegensätzliche Mysterium des Ganzen zu achten fällt uns Menschen schwer: wir möchten es gern "klar und eindeutig" verstehen, ähnlich wie einen geometrischen Beweis oder die Funktion eines technischen Geräts. Weil aber das Wahrheitsgefüge EINS-DU-ICH solches Verständnis nicht zuläßt, muß der durchaus wissenwollende Mensch eines dieser Momente isolieren und zur Grundwahrheit erklären.

Die Überzeugung, der Widerspruch aller großen Denkweisen zueinander folge notwendig aus Gottes Dreieinigkeit und sei durch das Bekenntnis zu ihr auch schon im Prinzip überwunden - sie zeigt dem geistlichen Menschen ein Doppelgesicht. Einerseits fasziniert sie ihn, ahnt er doch plötzlich, wie Versöhnung zwischen den streitenden Sinnformen möglich sein könnte. Anderseits zuckt er vor einer solchen Idee zurück. Gleicht sie nicht dem Turmbau zu Babel? Wirft das Christentum, wenn es sein eigenes Grunddogma zum Friedensprinzip aller übrigen Sinngestalten macht, sich nicht aufs Arroganteste zum Richter über die anderen auf? Kein Wunder, wenn diese gleichfalls aus dem Dialog ausbrechen und - statt sich bescheiden als Unterpole ins trinitarische Gefüge einordnen zu lassen - die ganze Dreifaltigkeitslehre als gotteslästerlich (Judentum, Islam), oberflächlich (Brahmanismus) oder absurd (Aufklärung) verwerfen? Es ergeht dem Christentum da wie dem naseweisen Primus, der in seiner Schulwelt die anderen beschämt, auf dem Pausenhof aber bald merkt, wie wenig seine Vortrefflichkeit in der Realität gilt. Wie finden er und seine Gegner zum echten Dialog?

"Gott ist Licht, und keine Finsternis ist in ihm" (1 Joh 1,5). Seit das Lichtgleichnis mir zur Einsicht in die eigene christliche Beschränktheit verhalf, stehe ich jedem Dialogpartner nicht mehr nur tatsächlich, sondern überzeugt und gern gleich zu gleich gegenüber, weil ich weiß: Zwar stimmt das dreieinige Kraftfeld, zwar kommt der Wahrheit des andern darin ihr klarer Platz zu, trotzdem hat aber - umgekehrt - auch er recht, wenn er die Dreifaltigkeitslehre als Irrtum ablehnt. Wie das?

Die absolute Wirklichkeit gleicht dem hellen Sonnenlicht, jede Sinn-Ideologie entspricht einer der darin enthaltenen Farben, und zwar so, daß jede Dimension das ganze Spektrum enthält, also Farbe + Komplementärfarbe. Dabei ist dem Du das Gelb/Violett zugeordnet, dem Ich das Rot/Grün und dem Eins das Blau/Orange. Die Mystik wird vom Weiß dargestellt, ihr Gegenpol, das Viele als solches, vom irdischen Braun. Wie heißt nun, in diesem Gleichnis, die christliche Trinitätslehre? Offenbar so: Die Sonne ist bunt. Das aber ist, wie jeder weiß, mehr falsch als wahr.

Das reine Zueinander ohne Nebeneinander der trinitarischen Pole läßt sich zwar der Kirche glauben und theologisch behaupten, aber nicht lebendig vorstellen und existentiell bejahen. Soviel darf der Christ zugeben, ohne seine Wahrheit zu leugnen. Was die Dreieinigkeitslehre meint, ist wahr (im weißen Sonnenlicht sind die gegensätzlichen Farben geheimnisvoll aufeinander bezogen), was sie aber sagt ("Gott ist eins und drei"), das zu leugnen muß ich den anderen gestatten; denn das Sonnenlicht ist eben nicht weiß und bunt. Diese Einsicht reicht aus, die für den Dialog nötige Demut als Pflicht auch vor der Wahrheit zu rechtfertigen. Wenn ein Hindu, Moslem oder Unitarier mir bezeugt, daß sein Glaube ihn jenes Dogma zu verwerfen heißt, dann gebe ich ihm zu, daß die Sonne tatsächlich nicht bunt ist und daß ich sein Bekenntnis zu ihrem reinen Glanz mitspreche. Erst dann ziehe ich ein Prisma aus der Tasche und bitte ihn, über das Geheimnis der Farben nachzudenken.

Gott ist unbegreiflich, deshalb bleibt jeder Satz über ihn dem Verstand zweideutig; das gilt auch für den Satz, daß Gott dreieinig ist. Dem Christen wird er im Glauben mehr wahr als falsch, Andersgläubige halten ihn mit ihrem Recht für mehr falsch als wahr. Sooft ich versucht bin, das trinitarische Friedenssystem den in ihm versöhnten Sinndimensionen für überlegen zu halten, mache ich mir bewußt, ein wie lächerliches Bild der Sonne ein bunter Farbkreis ist, und weiß wieder: Die Kategorien mehr/weniger und Sieger/unterlegen sind, auf gegensätzliche Glaubenszeugnisse angewandt, total unpassend. Wer sie dennoch gebraucht, denkt schon nicht mehr gläubig, sondern ideologisch und verdient keinen Respekt. Wohl soll - Ziel des Dialogs - innerhalb deines und meines Glaubens der gemeinsam gefundene Ausdruck besser sein als das, was jeder von uns allein vorher dachte. Dabei steht aber nicht Zeugnis gegen Zeugnis, sondern feineres gegen gröberes Denken. Wenn meinem Dialogpartner vielleicht irgendwann auch der dreieinige Sinnglanz aufblitzt, dann denkt er besser als vorher, da er ihn nur leugnete; nicht aber dachte, als ich jene Wahrheit verteidigte (ähnlich einseitig wie er die seine), ich besser als er. Diesen subtilen Unterschied lohnt es sich durchzudenken; an ihm entscheidet sich Scheitern oder Erfolg des Dialogs.

Der bunte Würfel des Heils

"In bunter Pracht" (Ps 45,15) erfreut die Dame Schöpfung das Auge ihres göttlichen Liebhabers, "Gottes vielbunte Sophia" (Eph 3,10 wörtlich) ist unser aller Lebensprinzip: "You are I," versichert uns die Ersterlöste im Gedicht "Assumption" von Francis Thompson:

»Multitudinous ascend I dreadful as a battle arrayed
for I bear ye wither tend I. You are I, be undismayed ...«
. Nicht außer uns, sondern in und um uns strahlt uns der dreieinige Sinn. Verbinden wir deshalb räumliche und farbige Dreidimensionalität zu einem einzigen leuchtenden Gleichnis. In farbigem Abglanz schimmert die Sinn-Kathedrale.

Zunächst befinde ich mich beim Eingang links unten vorn. Drei Richtungen liegen vor mir: Hinten lockt es blau, oben gelb, rechts grün. Jede Richtung steht auf den anderen senkrecht; so gegensätzlich sind sie, daß sie einander nicht widersprechen. In der Gegenecke rechts oben hinten sind die Farben hell, dasselbe Weiß. Ob ich dort je hingelange? Zunächst bin ich noch an meiner dunklen Ausgangsecke links unten vorn. Ich wende mich nach hinten und fühle SIE, die mich umgebende mütterliche Huld, symbolisiert von der Bläue des Meers. Ich schaue aufwärts und spüre DEINEN Vater-Blick, symbolisiert von der leuchtend gelben Sonne (im alten Ägypten galt sie als Gottes Auge). Ich kehre mich nach rechts und ahne MICH, das mir unfremde, innerlichste und zugleich allgemeinste Selbst aller Wesen, symbolisiert von jenem Blattgrün, worin Sonne und Wasser sich verbinden und das die Grundlage allen individuellen Lebens ist. Je in der Gegenrichtung erscheinen die Gegenfarben: links das Rot des individuellen Lebensblutes, unten des Gehorsams Violett, vorn das Orange der heilen Frucht. Farbe + Gegenfarbe ergibt jeweils das ganze Spektrum, d.h. Weiß, wie jede der trinitarischen Relationen der ganze Gott ist.

Auf einmal zeigt sich, innerhalb des großen Würfels, ein kleinerer, mit einem Drittel der Seitenlänge des großen, und zwar bei meiner Ecke. Das ist der Würfel des kosmischen Werdens. Er bedeutet meinen dreieinigen Werdesinn:

- Von hinten nach vorn und zurück schwingt die Eins-Dimension: a) SIE schenkt sich mir, b) ich bin in IHR geborgen, reife IHR im Schoß, c) ich ich gebe mich in SIE auf, d) SIE nimmt mich huldvoll an. e) und f) in beiden Richtungen sind IHRE Huld und mein Genuß nicht nur Gegensätze, sondern auch dasselbe; was dem Verstand unmöglich scheint, erfährt doch jeder, der mitten bei Du und Ich zugleich das reine, ungetrennte Wirgefühl erlebt.

- Von oben nach unten und zurück schwingt die Du-Dimension: a) DU weist mir Deinen guten Willen, b) ich horche auf DICH, c) ich verantworte mich vor DIR, d) DU richtest mich, streng gegen meine Bosheit, voll Erbarmen mit meiner Schwäche, e) und f) wir sind in Freundschaft eins.

- Von rechts nach links und zurück schwingt die Ich-Dimension: a) ICH bejahe mich, b) ich erfahre mich als von MIR bejaht, c) ich verwirkliche mich SELBST, d) ICH bejahe (kritisch, versteht sich) mich, die Tat-Sache. e) und f) ICH (die Person selbst) und jede Weise meines Ich (z.B. Finger-Ich, Zungen-Ich usw.) sind ein einheitliches, ungeschiedenes Ich-Leben.

Ganz ruhig bin ich, dreifach so gespannt-erlöst. Mal bin ich wie eine an Gummis zitternde winzige Kugel in der Mitte des Werdewürfels, mal ist die weg und ich bin das gesamte spannungsreiche Kraftfeld selber. Und was dann, wenn es ausgefüllt ist? Ist das Werden alles?

Nein, blitzt es plötzlich. Rechts oben hinten im großen Würfel, am anderen Ende der Diagonale, strahlt jetzt ein anderer kleiner Würfel, ebenfalls mit einem Drittel Seitenlänge. Das ist der mystische Seinswürfel. Wer bin ich dort? Nicht mehr diese(r) Bestimmte, geboren dann und dort, jetzt im xten Jahr meines Lebens. Sondern DORT (= EINST) bin ich: einfach ich, das Bewußtsein schlichthin [das heißt: Teilhabe am Logos]. Als solches werde ich nicht, sondern bin. Die Dimensionen sind dieselben: In IHRER Huld werde ich empfangen und in SIE gebe ich mich wieder auf; DEIN Wille ist mein Seinsquell und Gericht; MEIN unbedingtes Ja läßt mich sein und bestätigt mich. Welche Lichtfülle, welch ewige Pracht! Wie im Anfang, so auch in Ewigkeit. Ist das Alles? Ja. Bleibe ich dort? Noch nicht. Aber die Versuchung ist groß. Buddha hat sie gekannt, aber er verließ das Nirwana wieder, um andere zu erlösen. Und Jesu JÜnger wollten auf dem Verklärungsberg bleiben, er aber trieb sie hinab, dort wartete der besessene Bub.

Ja, Christus: Nicht nur am Anfang und in Ewigkeit gilt die glorreiche Dreispannung, auch jetzt und alle Zeit! Nicht getrennt sind bestimmtes Werden und reines Sein, sondern in Dir, dem Gottmenschen und Menschengott, heilsam verbunden. Im Osterlicht glüht da der mittlere Würfel auf, zwischen dem Werdekraftfeld des Logos und dem göttlichen Seinskraftfeld schwingt beider Einheit, das Kraftfeld des Heils, des Heiligen Geistes (Heil hängt zusammen mit whole, ganz). Das Werden ist nicht ganz, weil es ins Unabsehbare zerstiebt; das reine Sein ist nicht ganz, denn es kennt keine Teile. Ganz ist die Einheit von Werden und Sein, das Heil. In dem Maße, wie ich diese Wahrheit vollziehe, bin ich heil, vom gesamten Kraftfeld Werden-Sein-Heil durchlebt.

Statt nun in den übrigen 24 Teilwürfeln einen je anderen trinitarischen Sinn zu entdecken - was vermutlich geht - frage ich lieber anders. Ich, sagte ich bisher immer. Bin ich denn allein? Was ist mit den anderen? Nein, mein Sinnwürfel ist gar nicht allein. Um seinen "mystischen Punkt" (in der Ecke oben rechts hinten) drehen sich unermeßlich viele andere gleichgroße Würfel. Da sie nicht aus Materie, sondern aus geistlicher Energie bestehen, durchdringen sie einander, ohne sich zu vermischen, wie Wellen im Meer und Lichtstrahlen im Raum. So reich durchgestaltet ist also in christlicher Wahrheit jene "wohlgerundete Kugel", wie Parmenides das Sein erschaut hat.


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