Jürgen Kuhlmann

Das byzantinische Pantokrator-Bild


Eindeutig ist nur Glaube -
nicht was er sagt oder malt

(Für Dorothy Sayers)

Mit berühmten Zitaten ist es so eine Sache. Da bildet man sich ein, einen Satz zu verstehen, bedient sich seiner gern - und erfährt, daß man ihn total mißverstanden hat. Frisches Beispiel: Nach einem Vortrag in katholischem Hause sitzen wir beisammen, das Gespräch nimmt eine leicht kirchenkritische Wendung und ich zitiere den klassischen Ausspruch des Modernisten Loisy: »Jesus verkündete das Reich Gottes, und gekommen ist - die Kirche.« Woraufhin P. Norbert Lohfink, Referent des Abends, die Runde mit feinem Lächeln aufklärt, daß jener Satz die Kirche mitnichten habe kritisieren wollen. Umgekehrt: Loisy habe sein Buch gegen Harnacks bloß innerliche Reichs-Auffassung geschrieben; Sinn des Satzes sei also gerade die Bejahung der geschichtlich greifbaren Kirche!

Dennoch ist auch die verbreitete gegensätzliche Deutung sachlich nicht falsch. Ein Gespräch mit einem anderen Jesuiten kommt mir in den Sinn. Als ich vor vierzig Jahren im Germanikum zu studieren begann, kam der Spiritual mit seinen 67 Jahren mir als weiser Greis vor; erst im Januar 1996 ist Wilhelm Klein gestorben. Einmal meinte er: Du erinnerst dich, wie ich im Kolleg immer sagte: Alles ist zweideutig. Später sagte ich dann: Alles ist mehrdeutig. Noch später: Alles ist vieldeutig. Und weißt du, wie ich jetzt sage? Alles ist alldeutig! - Wer ihn kannte, sieht das pfiffige Grinsen. Friede dem Andenken des guten Mannes!

Mehrdeutig sind nicht bloß die Worte, auch die Bilder, zum Beispiel der thronende Christus auf byzantinischen Mosaiken. Ihn sah ich lange mit den kritischen Augen von Whitehead: »Als die westliche Welt das Christentum annahm, siegte der Kaiser; Die kurze galiläische Vision von Demut flackerte unsicher durch die Jahrhunderte. In der offiziellen Formulierung der Religion hat sie die triviale Form angenommen, als hätten die Juden ein Mißverständnis über ihren Messias gehegt. Der tiefere Götzendienst aber, sich Gott nach dem Bilde der ägyptischen, persischen und römischen Herrscher zu modellieren, er wurde beibehalten. Die Kirche gab Gott die Attribute, die ausschließlich des Kaisers waren.« [Alfred North Whitehead, Process and Reality, 520/342]

Welch ein Satz! Und er stimmt. So entstand der Islam unter anderem als Reaktion arabischer Stämme auf das Staatskirchentum von Funktionären, die mit dem Menschensohn wenig im Sinn, am Allherrscher Christus aber, dem goldschwer gekrönten himmlischen Garanten ihres Kaisers, verständliches Interesse hatten.

Die Ablehnung dieses byzantinischen Christusbildes hatte sich in mir unvermerkt zur Mono-Ideologie festgefressen (»so ist es und nicht anders«), den gläubigen Schöpfern jener Werke wurde ich nicht gerecht. Aus ihr herausgerissen hat mich die Begegnung mit einem Byzanz-Gedicht der jungen Dorothy Sayers, das ich an spanischer Küste im Internet fing:

BYZANTINE

Jesus Christ, the same yesterday and to-day and for ever.

I SIT within My Father's house, the Lord God crucified,
My feet upon the altar-stone set straitly side by side,
My knees are mighty to uphold, My hands outstretched to bless,
My eyelids are immutable to judge unrighteousness.

What though the bitter winds of war lay waste the house of prayer?
They cannot shake My quiet robe nor stir My folded hair,
I wrestled in Gethsemane, I cried and I was slain,
Never, for any strife of men, to strive nor cry again.

I sit within My Father's house, with changeless face to see
The shames and sins that turned away My Father's face from Me;
Be not amazed for all these things, I bore them long ago
That am from everlasting God, and was and shall be so.

Ich sitz' in meines Vaters Haus, der gekreuzigte Herr Gott,
meine Füße eng nebeneinander auf den Altarstein gestellt,
meine Knie sind zum Stützen machtvoll, meine Hände zum Segnen ausgestreckt,
meine Augenlider sind unveränderlich, Ungerechtigkeit zu richten.

Was soll's ob auch die bitteren Kriegswinde das Gebetshaus wüst legen?
Sie können mein ruhiges Gewand nicht erschüttern, noch verwirren mein gescheiteltes Haar.
Ich rang in Gethsemane, ich weinte, und wurde ermordet,
um nie, bei keinem Streit der Menschen, wieder zu streiten noch zu weinen.

Ich sitz' in meines Vaters Haus, mit wechsellosem Antlitz zu sehen
die Schanden und Sünden, die meines Vaters Antlitz von mir abgewandt haben.
Seid nicht erstaunt ob all dieser Dinge, ich trug sie lang zuvor,
der ich seit jeher Gott bin und war und sein werde.

Zu jenen Schanden und Sünden gehören nicht nur die Ich-Sünden der Heiden (auch in uns), sondern nicht minder die »Du-Sünden« unerleuchteter Religionsdiener, die aber nicht Gott dienen, sondern einem sich aufzwingenden Götzen, dem Schlußstein im Kerkergewölbe »mein Vorarbeiter mein Chef mein Fürst mein Kaiser mein Gott«. Jenen Kerker hat Christus zerbrochen, jene Reihe mit der anderen versöhnt: »Meine Freude mein Glück mein Heil mein Gott«.

Natürlich kann Dorothy Sayers' Sicht das Christusbild der nachkonstantinischen Reichskirche nicht von seiner Mehrdeutigkeit befreien - wohl aber zu ihr. Man muß nicht zeitgeistgemäß den Unterdrücker erblicken. Ein siebzigjähriger Theologe berichtet, wie seine Generation, die christliche Jugend der Nazizeit, gerade von diesem herrscherlichen Christus begeistert, getröstet, angespornt worden ist. Selig die Armen im Zeitgeist, denn ihr kat-holischer Glaube wird ihnen im Holo-gramm der umfassenden Botschaft immer wieder gerade den Wahrheitsschlüssel zeigen, der ihnen jetzt aus Enge und Erstarrung helfen kann.

Dezember 1996

Nachbemerkung zum Thema Internet: Es ist weder himmlisch noch teuflisch, sondern einfach eine zusätzliche Bibliothek, die neben einer Unmenge Schund auch viel Brauchbares enthält, freilich - wie jede Bibliothek - den Besucher hilflos läßt, der nicht weiß, was er sucht. Die schönen Texte der 25jährigen Dorothy Sayers z.B. finden sich, gratis herunterzuladen, bei der Adresse

http://ccel.wheaton.edu/sayers/cathtales/dls-cathtales.html


Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/byzanz.htm

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