Jürgen Kuhlmann

Nicht mehr bitte noch danke ?

"Die Marmelade her!" - "Wie heißt das?" "Möchtest du mir, bitte, die Marmelade herüberreichen," flötet die Schwester dem Bruder vor. Der aber schiebt unwillig seinen Stuhl zurück, geht um den Tisch herum und holt sich das Gewünschte selbst. Opa und Oma sind fassungslos, die übrigen lachen.

Die Wörtlein bitte und danke gehören zu den zweideutigsten überhaupt. Touristen müssen sie in der noch so zungenbrecherischen Landessprache unbedingt können. Nur Eroberer nehmen, ohne zu bitten; Undank ist eins der schwärzesten Laster; für den schlimmsten Augenblick des Ungläubigen hält Chesterton den Moment, da er so richtig glücklich ist - aber niemand hat, dem er dafür dankbar sein könnte.

Trotzdem war Meister Eckhart (+ 1328) sich nicht sicher, ob er Gott um etwas bitten wolle: weil er dann unter Gott wäre wie ein Knecht, und er im Geben wie ein Herr, "und so soll es mit uns nicht sein im Ewigen Leben". Der Papst war gegen diesen Satz.

Unsere Kinder haben ein Recht darauf, daß wir sie für den höflichen Alltag erziehen. Stellt sich ein Sprößling dabei aber bockig an, dann heißt es fein unterscheiden: Hat er sich auf den Abweg räuberischer Unverschämtheit verirrt? Oder steckt unter solch rauher Schale eine tiefe Einsicht ins Wesen der Liebe, die zu solch wunderbarer Einheit führt, daß von Bitte und Dank nicht mehr die Rede sein kann? "Und wem soll ich danken für soviel Glückseligkeit," fragt am Ende der Alkestiade von Thornton Wilder die Sterbliche den Gott. Apollo antwortet ihr: "Freunde fragen einander das nicht." Und wiederholt es: "Die einander geliebt haben, fragen einander das nicht, Alkestis."

Mai 1988

Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/dankfrag.htm

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Siehe auch des Verfassers Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

sowie seinen neuen (seit Ende 2000) Internet-Auftritt Stereo-Denken
samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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