Jürgen Kuhlmann
Ehe - Ort des Heils
Liebe ist eine geheimnisvolle Wirklichkeit. Liebe ist das Thema eins der Illustrierten, der gepfefferten Witze. Liebe ist auch das Hauptthema der Bibel. Ist das nicht erstaunlich? Liebe ist das größte Geschenk und die Hauptaufgabe auch Ihres Lebens. Das größte Geschenk: das haben Sie schon beglückend erlebt. Oft haben Sie gespürt, wie die Welt im Innersten verwandelt wurde, weil der geliebte Mensch mit dabei war. Ohne Liebe kein Glück. Wir brauchen uns nur die gelangweilten Gesichter der Luxus-Playboys anzusehen, um das zu begreifen. Die haben scheinbar alles: Gesundheit, Sex, Überfluß. Das alles kann aber das Menschenherz nicht erfüllen, wenn es nicht in einem Gesicht ein Lächeln gibt, das ganz mir gehört. Und umgekehrt: wo die Liebe wahr und stark ist, da kann nichts Schlimmes den Menschen ganz unglücklich machen. In den innersten Bereich der Einheit zweier Menschen können die Bosheiten und Gewitter der Welt nicht eindringen. Das ist das Geheimnis der Liebe. Die Liebe ist stark wie der Tod, so sagt es die Bibel.
Wenn eine Frau und ein Mann sich entschließen, daß Liebe ihr ganzes zukünftiges Leben bestimmen soll, wenn sie einander nicht nur gefühlsmäßig, sondern tatsächlich und vor aller Welt gehören wollen, dann kommt die Liebe zum Anfang ihrer Erfüllung, der Hochzeit. In katholischer Glaubenssprache heißt der Ehebund ein Sakrament (die evangelische Kirche nennt ihn nicht so, der Unterschied besteht aber bloß in den Wörtern sowie der juristischen Behandlung gestorbener Ehen; hinsichtlich des Wesens einer lebendigen Ehe gibt es keinen sachlichen Gegensatz zwischen den Konfessionen).
Wieso Sakrament? Schauen wir uns zum Vergleich zwei andere Sakramente an. Bei der Kommunion begegnen wir Gott in Gestalt eines Stückchens Brot. Gott will uns damit sagen: Wie dies Brot zu dir ist, wie es dich belebt, nährt, stärkt, so bin im Innersten von allem ICH selbst zu dir: ich nähre dich, stärke dich, ich bin dein Leben. Ähnlich bei der Beichte: da begegnet Gott uns im verzeihenden Wort eines Menschen. Indem der Priester im Namen der ganzen Kirche dir verzeiht, dich wieder ganz dazugehören läßt, schenke auch ich dir - sagt Gott zu uns - im Innersten deines Herzens einen neuen Anfang, auch ich frage dich nicht mehr nach gestern. Dank der Sakramente begegnen wir also Gott in einem spürbaren, irdischen Zeichen: dem Brot, der kirchlichen Verzeihung.
Wie kommt es bei der Ehe zu solcher Gott-Begegnung? Wo ist da das spürbare Zeichen? Die Antwort ist unerwartet, ja ungeheuerlich: spürbares Zeichen von Gottes Gegenwart ist: Sie für Ihn und Er für Sie, und beider Liebe für beide. Wie läßt sich das verstehen? Nun, Sie haben schon oft erfahren: die Welt ist ein furchtbares Rätsel. Es gibt da nicht nur Freud und Sonnenschein, auch zerreißende Schmerzen, kalte Bosheit, zuletzt den Tod. Immer wieder packt einen dieses Rätsel, würgt einen bis fast zum Ersticken und man fragt: Was soll das Ganze?
Die wunderbare christliche Antwort heißt: Der Sinn des Ganzen ist Gott, und Gott ist kein blindes Schicksal, Gott ist kein launischer Sadist. Nein: Gott ist die LIEBE. Das hat Jesus zuinnerst gewußt, durch seinen Foltertod und seine Auferstehung hindurch leibhaft erfahren; von dieser Botschaft lebt und redet die Kirche. Deshalb ist das wahrste Zeichen für Gott eben nicht der vieldeutige Sternenhimmel, auch nicht jene innere Stimme, die manchen dauernd sagt: das darfst du nicht. Diese Stimme ist oft nicht das Gewissen, sondern bloß ein Überich, das uns von Eltern und anderen Autoritäten eingeredet worden ist. Von ihm das Gewissen unterscheiden zu lernen ist eine Aufgabe fürs ganze Leben.
Das wahrste Zeichen Gottes sind vielmehr die Sakramente, in denen Gott uns als die Liebe spürbar wird, die das unendliche Rätsel eindeutig löst. Und zu diesen Sakramenten gehört für verheiratete Christen auch Er für Sie und Sie für Ihn. Wenn er etwa einen häßlichen Arbeitstag hinter sich hat, Krach mit dem Chef und einen Haß auf die ganze Welt - und kommt dann heim, findet sie, die auf ihn wartet, die für ihn da ist, ihn nicht wegen seiner Leistungen "schätzt", sondern um seiner selbst willen liebt: dann kann der Krampf sich langsam lösen und er merkt, was liegt an all dem Blödsinn, sie liebt mich, also bin ich geliebt, letztlich ist Alles gut. Ebenso mag es ihr gehen, wenn sie in schweren Zeiten sich an ihn lehnen kann und an seiner Treue Halt findet. So ist für Christen die Vollgestalt der Liebe, d.h. die Ehe, ein Sakrament: Ort, Zeichen und Quell der Anwesenheit Gottes, der in Person die LIEBE ist. Und für sog. Nichtchristen? Für sie auch, sie sagen es bloß anders.
Dem Partner ein Zeichen der Liebe Gottes zu sein ist eine ungeheure Aufgabe. Wer vor ihr nicht erschrickt, hat sie noch nicht begriffen. Wie können wir schwache Menschen Gott bedeuten? Die Antwort steht in der Geschichte von der Hochzeit in Kana. Sei sie Begebenheit, sei sie Gleichnis, ihr Sinn ist klar. Die Gäste verlangen nach Wein, und Jesus sagt den Dienern: Füllet die Krüge mit Wasser! Was haben sich die Diener wohl gedacht? Wer will denn Wasser, Wein braucht es! Aber trotzdem, ohne zu begreifen, tun sie, was er ihnen sagt. Und was in der Hand dessen, der es gibt, noch Wasser war, ist im Mund dessen, der es empfängt, schon der köstlichste Wein. So auch in der Ehe. Was du dem Partner von dir aus geben kannst, ist kein göttlicher Freudenwein, sondern nur armes Menschenwerk: Geduld, d.h. Ertragen der schmerzlichen Fremdheit des andern, die immer wieder einmal durchbricht; Bereitschaft, auf Eigenes zu verzichten, wenn es ihn mehr stört als mich freut; vor allem wieder und immer wieder Verzeihen. Das alles ist nicht einfach, kann nur gelingen, wenn jemand von Zeit zu Zeit auch schon während des Lebens zu sterben bereit ist, nämlich etwas losläßt, was ihm zuerst sein Leben zu sein scheint. Erst im Rückblick merkt er, daß es nur die Schlangenhaut eines allzu engen Ich gewesen ist, die abgestreift werden mußte, damit ein schöneres und wahreres Wir wachsen kann.
Solche Menschlichkeit gleicht dem Wasser, stillt zwar den schlimmsten Durst, nicht aber die Sehnsucht nach Glück. Außer es geschieht das Wunder der Wandlung und Gott macht aus dem Wasser deiner Menschlichkeit im Augenblick den berauschenden Wein einer unendlichen Freude, die dann für lange Zeit die Kraft gibt, den Alltag zu meistern. Das ist die Gnade des Sakramentes. Hätten die Diener sich damals geweigert, die Krüge voll Wasser zu füllen, so wären die Gäste ohne Wein geblieben. So schwach das ist, was wir tun können, so unentbehrlich ist es doch. Es darf vor allem nicht bloß etwas sein, was Sie einander geben. In aller bunten Realität von Tisch, Bett usw. sollen Sie sich immer selbst dem andern schenken. Wer liebend sich dem andern gibt, lebt nicht nur aus dem Sakrament, sondern spendet und empfängt es stets aufs Neue. Ihre Aufgabe wird es somit sein, ein Eheleben hindurch menschlich miteinander umzugehen. Dann tut Gott das Seine und erfüllt den geschöpflichen Wir-Raum mit ewig hallendem Jubel.
Manche sagen: Mein Herz ist so weit, daß ich viele lieben kann. Das ist aber eine Illusion. Ganz kann jeder Mensch nur einem anderen gehören. Auch bei den Vielehen anderswo gibt es immer eine Hauptfrau; was zwischen ihr und den Nebenfrauen für Streit und Leid wühlt, läßt sich nur ahnen. Die Kirche darf stolz darauf sein, daß dank ihrer Botschaft die Einehe zur Regel geworden ist. Wenn sie zuweilen weh tut, weil die Gaben des Schöpfers nicht alle in einer Person vereinigt sind: nun gut, das ist nicht so schlimm. Es tut manches weh. Auch der Drachen im Herbstwind zerrt an seiner Fessel.
Eines Tages kommt zu Ihm und Ihr dann Es hinzu. Auch durch Sie beide will die Menschheit weiterleben. Sie dürfen Wesen ins Dasein rufen, die einen Anfang, aber nie mehr ein Ende haben. Dieser Gedanke müßte Vater und Mutter doch schwindlig vor Stolz, Freude und Ehrfurcht machen. Biologen sagen, das Menschenkind werde (im Vergleich zum Tier) um ein Jahr zu früh geboren, in den zweiten Schoß der Familie hinein. Wir sagen zu Gott: Vater unser. Tatsächlich bestimmen die Eltern, wie der Mensch später Gott erlebt. Sind sie lieblos, dann hat das winzige Wesen den Eindruck: ach, eigentlich dürfte es mich gar nicht geben. Ich bin überflüssig, gar ein Schaden. Diese traurige Grundstimmung bringt es dann vielleicht sein ganzes Leben nicht mehr los, sondern bleibt pessimistisch und mißtrauisch. Lassen Sie deshalb nicht nur den Leib, sondern auch die Seele Ihrer Kinder aus Ihrer ehelichen Liebe hervorgehen: im Lächeln von Mutter und Vater soll schon der Säugling das unendliche Wohlwollen seines Gottes erahnen.
Mit der Liebe haben wir angefangen, mit der Liebe hören wir auch auf. Freuen Sie sich über die Liebe und freuen Sie sich auf die Liebe; denn in einer gesunden Ehe reift die Liebe auf stets neue Weise. Deshalb: Nehmen Sie einander bei der Hand und gehen Sie durch Hagelschauer und Sonnenschein Ihren von Jahr zu Jahr gemeinsameren Weg.
(1988, nach einem Nürnberger-Ehekolleg-Text vom Oktober 1968)
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