Jürgen Kuhlmann

Wahrer Kern in hübscher Lüge

Sind Werbeleute die wahren Künstler unserer Zeit? Umgekehrt ist es früher bestimmt so ähnlich gewesen. Wenn im Mittelalter ein reicher Herr einem Maler für die Zunftkirche ein Heiligenbild in Auftrag gab, das unten mit fromm gefalteten Händen den Stifter und seine Gattin zeigen sollte: dann war ein solches Kunstwerk selbstverständlich auch eine gehörige Reklame für diese Familie, mehrte ihr Ansehen und indirekt auch ihr Einkommen.

Was ist diese Reklameseite, die ich vor mir habe: typisch westlich-dekadente Propaganda-Lüge, gleißnerische Verführung zur allerdümmsten Oberflächlichkeit - oder aber hintergründiges Kunstwerk, das noch dem stumpfsten Betrachter ins Gesicht schreit: Mach was anderes aus deinem Leben, denn das, was ich dir da zeige, das kann ja wohl nicht gemeint sein ...?

Was sieht man? Auf stiller sonniger Landstraße fährt ein Jüngling lustig im vornehm mattweißen BMW-Coupé-Oldtimer. Und über dem hohen Himmel des Photos prangt fett die Botschaft:

Ewige Jugend
kann man kaufen: Xyz Motoröl

.

Raffinierte Werbung. Das Auto hat die Vergänglichkeit der Mode überwunden, ist ebenso schick wie alt. An diesem Sieg über die Zeit hat sein Fahrer Anteil, mithin allen Grund, das heilbringende Öl zu nutzen. Auch der Wald im Mittelgrund ist ein Symbol immer neuer Verjüngungskraft. Geschickt rufen die Urheber der Anzeige eine tiefe Sehnsucht jedes Menschen herauf und versuchen - ähnlich wie weiland Pawlow seinen Hunden - den Autofahrern einen neuen Reflex beizubringen: Der Ölstand ist niedrig; du brauchst, liebes Gefährt, eine Kur; ach, auch ich wünschte mir ewige Jugend; auf zur Xyz-Tankstelle! - Die Umsatzzahlen werden zeigen, ob der Werber Werk wie gewollt wirkt. Enthält es auch noch eine minder banale Botschaft? Einem Künstler muß nicht alles bewußt sein, was in seinem Werke steckt. Lassen wir die Gedanken schweifen.

Ewige Jugend kann man kaufen.

Der Spruch ist derart hirnrissig falsch, daß er niemanden täuschen kann. Wer auf ihn hereinfällt, ist wirklich selber schuld, ist schon betrogen, will es nicht erst werden. Kann man ewige Jugend aber offenkundig nicht kaufen: müssen wir dann ohne sie auskommen? Oder gibt es einen anderen Weg zu ihr? Mit dieser aufrüttelnden Frage springt das Werbebild mich an, wie magisch leitet es meinen Blick hinauf in seine größere Hälfte: den herrlich blauen Himmel mit ein paar Wölkchen. Ist dort die Antwort verborgen, die das Auto nicht geben kann?

Probeweise falte ich das Blatt, so daß nur die blaue Hälfte sichtbar ist, verdecke den Produktnamen, und siehe da: Aus der Reklamelüge wird ein strahlendes Evangelium. Jetzt stimmt geheimnisvoll sogar der Spruch. Ewige Jugend kann man tatsächlich kaufen, allerdings nicht mit Geld. Wohl aber auf Kredit. Was heißt "Credit" wörtlich? "Er glaubt". Weil der SINN uns glaubt, wenn wir an Ihn glauben, deshalb können wir das, worauf es ankommt, ihm abkaufen, er fordert uns selbst dazu auf (Offb 3,18): "Weil du sagst: reich bin ich, ja reich geworden und brauche nichts - und nicht weißt, daß du elend bist, erbarmenswert und armselig und blind und nackt, lege ich dir den Beschluß nahe: Kauf Gold von mir, aus Feuerglut herausgeglüht, daß du reich wirst. Und weiße Obergewänder, daß du mit ihnen gewandet wirst und nicht zum Vorschein kommt die Schmach deiner Nacktheit. Und Salbe, um deine Augen einzureiben, auf daß du etwas erblickst."

Sogar, warum nicht, in einer Reklame für Motoröl.

November 1994

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Siehe auch des Verfassers Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

sowie seinen neuen (seit Ende 2000) Internet-Auftritt Stereo-Denken
samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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