Jürgen Kuhlmann
Schöne Fehler
Schau her, es ist doch ein persönlicher Brief! Vinzenz wedelt mit der Absage. Brauchen können sie mich nicht. aber wenigstens gemeint haben sie mich. Ein Textautomat vertippt sich nicht. Aber die Buchstaben hier sind mit Tipp-Ex korrigiert.
Wer solche Schreibmaschinen zu bauen hat. sinniere ich, sollte also am besten ein automatisches Fehlerprogramm entwerfen, damit Schemabriefe wie persönliche wirken. Närrische Welt!
Erfreulich ist die seltene Raupe im Salat: sehr giftig kann er nicht sein. Erst wenn der alten Dame vor der Großmarktkasse ihr Geld am Boden scheppert und der junge Mann sich bückt, erst da kommt Leben in die kalte Schlange, die Leute sind plötzlich Menschen, schauen, lächeln, sprechen einander an.
Sollen wir uns also nicht bemühen, daß alles glatt gehe, gut funktioniere, in Ordnung sei? Doch. Je problemloser die Routinedinge ablaufen, desto mehr Energie kann sich auf Besonderes, Schönes, Herzerfreuendes richten. Eines allerdings dürfen wir nicht. so sehr ein (vergangener?) Zeitgeist es uns einflüstert: die funktionierenden Systeme und Mechanismen für das Eigentliche halten und meinen, wenn sie nur liefen, hätten wir schon alles getan.
Im Gegenteil. Wirklich ist nie ein Apparat, sondern nur deine und meine lebendige Beziehung zum Apparat. Mechanismen (vom Dosenöffner bis zu den herrschenden Ideologien) sind allesamt nur Lebensmittel. Ziel ist, je aktuell und alle Systeme überströmend, das lebendige Leben selbst.
Weil sie auf diese entscheidende Dimension, die zu jeglicher Ordnung senkrecht steht. uns mit Gewalt die Nase stoßen, deshalb sind Fehler mitunter so heilsam erfrischend.
Dezember 1984
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