Jürgen Kuhlmann

Kleines CREDO für Zeitgenossen


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Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de caelis
Für uns Menschen und zu unserem Heil ist Er vom Himmel gekommen

"Gott hat den Himmelsthron verlassen und muß wandern auf der Straßen," singen wir in dem schönen alten Lied. Aber "still, still, still" will der versucherische Argwohn jetzt nicht sein, raunt uns vielmehr zu: Mit welchem Recht saß er denn überhaupt auf dem himmlischen Thron? Warum ist jenes Neugeborene, scheinbar schwach, doch so unendlich, uneinholbar mehr und stärker als wir anderen, rettungslos gewöhnlichen Menschen? Was kann Jesu barmherziger Abstieg in meine Niedrigkeit mir nützen, wo das Schlimme doch schon darin liegt, daß es solchen Abstieg braucht? Abhängig Beschäftigte wissen die Leutseligkeit des Chefs beim Betriebsausflug richtig einzuschätzen; daß er sich beim Kegeln sogar schlagen läßt, ändert nicht die einseitige Beziehung. Sie allein ist der Ernst; wenn es darauf ankommt, ist von der angenommenen Gleichheit nichts mehr zu spüren. "Ihr nennt mich Herr und Meister und ihr habt recht, denn ich bin es" (Joh 13,13); "wer nicht glaubt, wird verdammt werden" (Mk 16,16). Ist das die Realität unter der lieblichen Hülle von Solidarität? Nicht nur fällt (auf Bildern, vom Stallfenster aus) der Schatten des Kreuzes schon auf die Krippe, auch der Glanz von Ostern und Himmelfahrt umfunkelt sie bereits; denn der als Säugling in ihr liegt, ist der Herr des Alls. ER gehört nach oben, wir aber sind die da unten, auch wenn wir, dank seiner Gnade, nicht in den Abgrund stürzen, sondern zuletzt in den Himmel kommen. Soll man da nicht neidisch sein? Was wird aus dem Prinzip der letztlich gleichen Menschenwürde, wenn ein Mensch so unerhört viel würdiger ist als alle sonst? Ist das Christentum gar, genau besehen, verfassungsfeindlich? Oder war der eben beschriebene scheele Blick, im Gegenteil, nicht genau, sondern total schief?

So ist es. Wurzel dieses Neides ist die uralte teuflische Lüge. "Ihr werdet sein wie Gott," lockt in Adam und Eva, d.h. in jedem Mann und jeder Frau, die verführerische Stimme. Verspricht sie zu viel? Liegt darin das Teuflische, daß sie uns Menschen auf eine Höhe hinweist, die uns nicht zusteht? So wird die Versuchung zwar oft erklärt. Aber solche Erklärung ist gerade selbst das teuflische Mißverständnis! Eine Seele, die ihm erliegt, ist eben deshalb schon verloren, kann nur mehr brav resignieren wie der ältere Sohn in Jesu Gleichnis, oder rebellieren wie der jüngere. Unerlöst, heillos sind beide. Der eine will, wie der Vater, selbständig sein und rennt in sein Unglück; der andere verzichtet feige auf diesen Wunsch und bleibt freudlos zurück: "Nie gabst du mir ein Böcklein ..." Wo steckt der Fehler?

"Ihr werdet sein wie Gott": Das Wörtlein "wie" enthält die Lüge. Gott ist wesenhaft einzig. Der Sinn des Ganzen kann nur einer sein. Jemanden wie Gott neben Gott kann es nicht geben. Zum all-erfüllenden Licht hinzu kann kein anderes Licht treten, außer ihm ist keine weitere Farbe möglich. In sich Unmögliches hat der Versucher in Aussicht gestellt. Nicht zu viel aber, sondern zu wenig! Nicht wie Gott will unser Herz sein, Gott will es sein. Und Gott darf es sein. Das ist der tiefste Sinn der Weihnachtsbotschaft. Ihn bestätigt uns im letzten Buch der Bibel ein ungeheurer Satz, der erstaunlicherweise den meisten Christen, Theologen eingeschlossen, unbekannt ist. An die Gemeinde in Ephesus läßt Christus schreiben: "Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradiese Gottes steht" (Offb 2,7). Das kann nur heißen: Christus erfüllt unsere tiefste Sehnsucht nach Gottes eigenem Leben, natürlich nicht auf die unmögliche, kranke Weise, wie das böse Prinzip sie uns umlügt ("wie" Gott), sondern auf die wahre, göttliche Weise: in Gott, indem wir gleichrangige Glieder seines einzigen, allumfassend lebendigen Sinnleibes sein dürfen: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben" (Joh 15,5).

Alles ist mithin genau andersherum, als der Neid es uns vorlügt. Nicht das Christentum ist verfassungsfeindlich, vielmehr ist, in unserer Verfassung, die Betonung der Menschenwürde eine späte, reife Frucht des Christentums. Weil Jesus die Würde eines jeden Menschen geachtet, bewußt gemacht und bis zum Tod verteidigt hat, deshalb ist die der Antike selbstverständliche Sklaverei in der Christenheit langsam zurückgedrängt und schließlich abgeschafft worden. Daß die Kirche in diesem Kampf oft weit hinten stand, ist leider wahr; einst wurde die Freilassung von Kirchensklaven sogar offiziell verboten, wäre so doch das Kirchenvermögen gemindert worden. Das Versagen der Christen beweist aber nichts gegen die Heilkraft der christlichen Grundwahrheit.

Et incarnatus est - hat Fleisch angenommen

Joh 1,14: "Und der Logos (das WORT) ist Fleisch geworden." Rudolf Bultmann erläutert: Wie mit dem incarnatus est der Messe setzt ein neuer Ton ein ... Mit Fleisch wird die Sphäre des Weltlich-Menschlichen im Gegensatz zum Göttlichen, als der Sphäre des Geistes, bezeichnet, und zwar nach ihrer Vergänglichkeit, Hilflosigkeit und Nichtigkeit ... In dieser Sphäre erscheint der Logos, d.h. der Offenbarer ist nichts als ein Mensch. Und als Mensch nehmen ihn die Menschen, die ihm begegnen, bis zu dem ecce homo (19,5) ... Die Offenbarung ist also in einer eigentümlichen Verhülltheit da.

de Spiritu Sancto ex Maria Virgine
durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria

Wir lesen: Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen (Lk 1,34 f). Wer jetzt an heidnische Göttergeschichten denkt, etwa die von Europa und Zeus, der irrt gründlich. Das zeigt schon ein Blick in die Grammatik: "Ruach" (Geist) ist auf hebräisch und aramäisch ein weibliches Wort, verwandt mit den Worten für Mutterschoß und Erbarmen. Die Propheten, Jesus selbst und eben auch Maria, sie alle hatten also, wenn sie vom Heiligen Geist hörten oder sprachen, wenn überhaupt eine Person, dann eine SIE im verborgenen Bilderreich ihres Bewußtseins, bestimmt nicht, wie wir, einen irgendwie gestaltlosen ER; das zu wissen kann uns allen gut tun, Frauen wie Männern!

Wer ist die göttliche SIE? Eine theologische Auskunft heißt: Die Liebe zwischen Vater und Sohn. Denn Gott ist nicht einsam, vielmehr eine Liebesgemeinschaft. Das ewige Ich liebt sein Du, und ihre Liebe tritt als "Drittes", als Wir, zu beiden hinzu. Doch läßt es sich auch als Zweites verstehen: Im Kolosserbrief (1,13) heißt Christus "Sohn der Liebe" des Vaters; denn natürlich verdankt das Du sich auch dem Wir; aus ewiger Liebe, nicht nur zu ihr hin, bringt das Ich sein Du hervor, dessen Gegenliebe dann das Wir vollendet. Was aber ist die weibliche Liebe, aus der des Vaters Kind geboren wird? Nichts anderes als seine Mutter, das heißt - und diesen letzten Schritt müssen wir uns trauen, sonst sind wir nicht ehrlich - die unsagbar mütterlich liebende Göttin.

Ich weiß, daß es christlichen Ohren unerhört klingt, von einer Göttin zu reden; ich bin aber nicht bloß theoretisch, sondern im Glauben überzeugt, daß wir es nunmehr müssen. Sie, die Göttin, hat sich also in Maria eingesenkt, sie an ihrer göttlichen Mutterschaft teilhaben lassen und so zur Mutter Gottes gemacht. Deswegen wird Mariens Jungfräulichkeit so betont. Denn die Göttin ist aus sich selber fruchtbar, braucht dazu kein männliches Prinzip, insofern ist auch die von ihr erwählte Frau nicht auf das Zutun eines Mannes angewiesen, um das Heil der Welt hervorzubringen.

In einer Zeitung hieß es jüngst, die Mehrzahl der Pfarrer glaube schon lange nicht mehr an die Jungfrauengeburt. Jedem Kind, aber nicht nur ihm, kommt da die Frage: Was denken solche Pfarrer sich dabei, wenn sie das Glaubensbekenntnis trotzdem vorbeten? Die Rückkehr zur gemeinsamen Überzeugung von Mariens biologischer Jungfräulichkeit scheint tatsächlich versperrt; träten alle, die an ihr zweifeln, morgen aus der Kirche aus, so bräche die deutsche Kirche finanziell zusammen, könnte nicht einmal mehr jene Pfarrer besolden, die den überkommenen Glauben wörtlich nehmen. Die Tür zu ihm ist für die allermeisten Christen endgültig zu. Aber "wenn Gott eine Tür schließt, öffnet er ein Fenster" (Chesterton). Frische Glaubensluft zieht durch unser Herz, sobald wir die überraschende Botschaft der Bibel begreifen: Wir alle hier sind - hoffentlich! - Jungfrauenkinder. Das klingt wie ein schlechter Scherz, steht aber so im Evangelium.

Als ich zu meinem Vater sagte, daß auch wir beide Jungfrauenkinder sind, hat er protestiert: mindestens bei mir wisse er genau, dem sei nicht so. Es stimmt aber doch, jeder Christ muß es für sich und seine Freunde hoffen: "Die Ihn angenommen, ihnen hat er Vollmacht gegeben, Kinder Gottes zu werden - den an Seinen Namen Glaubenden: Die nicht aus dem Geblüt und nicht aus Fleisches Willen und nicht aus Mannes Willen, sondern aus Gott gezeugt sind" (Joh 1,12 f).

Bei diesen Sätzen des Johannes-Prologs ist nun freilich klar, daß sie nicht biologisch, sondern geistlich gemeint sind: Zwar stammen unsere irdischen Leiber aus der Gier des Fleisches und dem Begehren des Mannes; das aber, was wir im Innersten sind, nämlich Töchter und Söhne Gottes, das verdankt sich keiner irdischen Anstrengung. Stellen Sie es sich vielleicht mit Hilfe jener russischen Puppen vor, wo eine in der anderen steckt. Ähnlich besteht auch eines Menschen Ich aus mancherlei Schichten. Das äußere Ich wird vom Vater gezeugt und der Mutter geboren, das innerste Ich jedoch kann nur deshalb nach Gott verlangen, an Gott glauben, aus Gottes Kraft wirken, weil es von vornherein nichts Irdisches ist, vielmehr ein Funke des göttlichen Feuers, geboren aus dem Heiligen Geist.

Wenn nun schon dein und mein erlöstes Ich nicht von einem irdischen Vater gezeugt ist, wieviel mehr gilt das von der göttlichen Person des Erlösers selbst! Unterscheiden wir deshalb bei der Jungfrauengeburt ausdrücklich zwischen der Glaubens-Frage und der Wissens-Frage. Der Glaube hat es mit der Heilsbotschaft zu tun, sie lautet: Jesu und unser Tiefen-Ich, überhaupt jedes Göttliche in der Menschheit läßt sich nicht von männlicher Macherei produzieren; alle irdische Potenz, auftrumpfende Vitaliltät, sexuelle und sonstige Kreativität bringt stets nur zweideutig-Irdisches hervor, nie den einzig notwendigen SINN aller Dinge. Das etwa bekennen wir mit den Worten "geboren von der Jungfrau Maria". So beantwortet sich die Glaubens-Frage.

Die Wissens-Frage bleibt hingegen in der Schwebe, sie zu klären haben wir keine Möglichkeit. Die einzigen, die hier wissen konnten, Maria und Josef, stehen uns als Zeugen nicht zur Verfügung. Denkbar ist beides: daß der ewige Sohn Gottes bei seiner Fleischwerdung uns so gleich werden wollte, daß sein Leib auf ganz gewöhnliche Weise begann; oder daß Gott als leuchtendes Zeichen der geistlichen Jungfrauengeburt auch die biologische wollte. Wissenschaftlich macht auch das Wunder kein Problem; wollte jemand fragen, wo denn Jesu Y-Chromosom hergekommen sei, obwohl Maria doch zwei X-Chromosomen gehabt habe, dann kann ein vorurteilsfreier Biologe antworten: Wie schon der Name sagt, ist der weibliche X-Erbfaktor vollständiger; die männliche Y-Anlage kann schlicht so entstehen, daß vom ursprünglich-Ganzen ein Stück abbricht, dazu braucht es aber keine mirakulöse Zauberei, natürliche Ursachen reichen hin. Wunder geschehen ja nicht wider die Natur (sonst würde der Glaube durch beweisbares Wissen ersetzt), sondern durch wunderbar-unwahrscheinliche Nutzung der Naturgesetze, ohne aber den Schöpfer zum Spielverderber gegen seine eigenen Regeln zu machen.

Wenn wir miteinander dieselben Worte sprechen: "Geboren von der Jungfrau Maria", werden wir also hoffentlich alle ebenso gemeinsam den Glaubenssinn dieser Botschaft bejahen und bewußt auf die Anmaßung verzichten, als könnten wir das, worauf es letztlich ankommt, aus eigener Kraft machen. Solche Gemeinsamkeit im Glauben genügt, damit das Bekenntnis wahr ist. Bei der Wissens-Frage werden und dürfen wir auseinandergehen. Die einen sind weiterhin gemäß der Tradition überzeugt, daß Maria ihr Kind ohne Zutun eines Mannes empfangen hat. Andere meinen, daß Jesus wie alle Kinder einen irdischen Vater hatte. Eine dritte Gruppe endlich, zu der ich gehöre, meint genau zu wissen, daß sie die Antwort auf diese Sachfrage eben nicht weiß und sie in diesem Leben auch nie wissen wird.

et homo factus est - und ist Mensch geworden

Einer der historisch Bestbezeugten! Naive Konsumenten lassen sich von marktschreierischen Jesus-Bestsellern einfangen, die aber nicht ihrer Aufklärung, nur der finanziellen Auffrischung von Schreiber und Händler dienen. Wer wissen möchte, was heutige Wissenschaft vom Menschen Jesus weiß, lese Joachim Gnilka, Jesus von Nazaret, Botschaft und Geschichte (Freiburg 1993).


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