Jürgen Kuhlmann

Erinnerung an ein liebenswertes Antlitz der Kirche

Dreißig Jahre seit dem Tod des Papstes Johannes XXIII

Kernaussage: Sein Geist der zuversichtlichen Güte bleibt ein unvergeßliches Vorbild.
Kurzinhalt: Ein Papst für alle - er hat im äußeren Zentrum der Kirche ihre innerste Mitte vorgelebt: die Liebe - und von Randwahrheiten rücksichtsvoll abgesehen - Frucht des Konzils: Gewachsene Freiheit - Gottes Garten lohnt alle Mühe
Ziel: Der Hörer gewinnt neu Anteil am geistlichen Vermächtnis des Übergangspapstes, der zum Papst des Übergangs wurde.

Ist es wirklich schon dreißig Jahre her, jenes Pfingsten 1963? Viele, die damals erwachsen waren, erinnern sich der besonderen Stimmung, als der gute Papst Johannes XXIII. im Sterben lag. Nach seinem Tod wurden - was bei keinem Papst zuvor oder nachher geschah - sogar im streng antipäpstlichen Belfast die Fahnen auf Halbmast gehängt! Wodurch hat dieser Mann die Herzen der Menschen in aller Welt so ergriffen? Durch seine Güte. Daß Gott die Liebe ist, sagen alle rechtgläubigen Christen, denn es steht in der Heiligen Schrift. Papst Johannes hat diese Überzeugung vorgelebt, weil er von ihr durch und durch erfüllt war.

An die Spitze der katholischen Kirche gewählt, hat er auch in dieser Position nicht seine Gewißheit verheimlicht, daß der Apparat es nicht macht, daß er kein Selbstzweck ist. Die Kirche soll die grenzenlose Liebe Gottes bedeuten. Wo sie das nicht tut, hat sie ihre Aufgabe verfehlt, egal wie blitzend elegant ihre geistlichen und weltlichen Mechanismen abschnurren. Wir können des großen Papstes nicht besser gedenken, als indem wir ihn selbst zu uns sprechen und seinen Geist möglichst tief in uns wirken lassen.

"Ich bin nicht unfehlbar," sagte er einmal im Gespräch mit griechischen Seminaristen. Als die ihn verwundert anschauten, erklärte er lächelnd: "Nein, ich bin nicht unfehlbar. Der Papst ist unfehlbar nur, wenn er ex cathedra spricht. Ich werde aber nie ex cathedra sprechen." Und er hat es nie getan. Als er während des Konzils die Vertreter der nicht katholischen christlichen Gemeinschaften im Vatikan empfing, wollte er sich nicht auf den päpstlichen Thron setzen. Er ließ einen Stuhl bringen und setzte sich zu ihnen: "Für Sie bin ich nicht der Nachfolger Petri!"

Was können aus dieser Einstellung wir anderen lernen, die wir nicht Papst sind? [Obwohl "jedermann Papst werden kann. Beweis: Ich bin es geworden," schrieb er an den zehnjährigen Bruno, der ihn gefragt hatte, ob er lieber Polizist oder Papst werden solle.] Mir scheint, dies: In Gottes Augen kommt es bei einer Begegnung nicht darauf an, was oder wer ich (mag sein, mit Recht) in meinen Augen bin, vielmehr soll ich für Gott (weil Er die Liebe auch zu jenem anderen Menschen ist) so Zeugnis geben, daß ich von mir absehe, mich nach seinem Glauben richte und schlicht den Platz einnehme, der mir dort zukommt. Das ist zwar ein komplizierter Gedanke, aber immer noch viel leichter zu verstehen als zu tun. "Abstrahieren heißt nicht lügen," weiß Aristoteles; daß dies auch bei absoluten Glaubenswahrheiten so ist, wofern die Liebe (nicht die Feigheit!) von ihnen jetzt abzusehen rät, das lehrt uns das Beispiel Johannes' XXIII.

Was erwartete der Papst vom Konzil? "Vom Konzil," sagte er einmal zu einem Diplomaten und näherte sich dabei dem Fenster, als wollte er es öffnen, "erwarte ich einen frischen Luftzug ... Es gilt, den kaiserlichen Staub, der sich seit Konstantin auf den Thron des heiligen Petrus gesetzt hat, abzuschütteln." Als wollte er es öffnen ...Das Fenster blieb also, könnte man nach manch trüben Erfahrungen seither argwöhnen, tatsächlich leider zu. Das wäre aber eine allzu pessimistische Deutung, gar nicht im Sinn des heiligen (obzwar noch nicht offiziell kanonisierten) Papstes.

Bei feierlichstem Anlaß, in seiner Rede zur Konzilseröffnung, wandte er sich gegen solche unkluge Menschen, die da "meinen, in den heutigen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil zu erkennen. Sie reden unablässig davon, daß unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum Schlechteren abgeglitten sei. Sie benehmen sich so, als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt, die eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als sei in den Zeiten früherer Konzilien, was die christliche Lehre, die Sitten und die Freiheit der Kirche betrifft, alles sauber und recht zugegangen. Wir sind aber völlig anderer Ansicht als diese Unglückspropheten, die ständig Katastrophen ankündigen, als ob die Welt vor ihrem Ende stünde."

Nein, das Fenster ist aufgestoßen, der kaiserliche Staub vom Petrusthron fortgeblasen worden. Nicht mehr wie vor einem mächtigen Herrscher ducken die meisten Katholiken sich vor dem Papst in Rom. Man hört ihn an, wägt seine Gründe, folgt aber zuletzt dem eigenen Gewissen, ganz wie es seit Jahrhunderten jedes katholische Kind aus seinem Katechismus gelernt hat. Je enger und ängstlicher die römischen Instanzen werden, um so freier, kat-holischer fühlen und betragen sich über den Erdkreis hin die Gläubigen. Wohl werden von Rom freimütige Professoren ab- und unwillkommene Bischöfe eingesetzt - sollte dies aber etwa ein Trick des Heiligen Geistes sein, um die Herzen der Christen vom äußeren Betrieb der Kirche weg und auf ihren göttlichen Geist zu richten, der das Heil aller Menschen und die Freiheit eines jeden liebt? Freilich: Wer sind wir, daß wir so etwas wissen könnten! Niemand weiß es. Es mit solcher Kraft für möglich zu halten aber, daß wir alle pessimistische Kümmernis ausbalancieren und Gegenwart wie Zukunft unserer Kirche in sorglosem Vertrauen Gott überlassen, der nach jeder Winterszeit seine Schneeglöckchen den eisigsten Frost besiegen läßt: das dürfte schon im Sinn von Johannes XXIII. sein.

Ob und wann ein Papst Johannes XXIV. in seine Spuren treten wird, auch das bleibt uns verborgen. Es ist auch nicht entscheidend. "Jeder Tag und jeder Monat gehört dem Herrn. Deshalb sind alle gleich schön" [Tagebuch, 1. Februar 1939]. Auch alle Epochen der Kirche gehören dem Herrn und bieten uns die Chance, Ihm näher zu kommen und so der Kirche voran zu helfen. Denn "wir weilen nicht hier auf Erden, um ein Museum zu hüten, sondern um einen blühenden Lebensgarten zu bestellen, dem eine glorreiche Zukunft verheißen wurde."


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samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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