Jürgen Kuhlmann

Kleines CREDO für Zeitgenossen


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Et unam, sanctam, catholicam et apostolicam Ecclesiam
und die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche

Kat-holisch: Allgemein, das Ganze umspannend. Vgl. Holographie, Holismus. Hoffen wir auf ein Neues Pfingsten, so daß die Römischen kat-holischer werden und die Protestanten evangelischer.

Kirche: Über sie ließe sich viel sagen. Hier nur ein Hinweis: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen" (Mt 16,18), so steht es mit riesigen goldenen Lettern in der Peterskuppel zu Rom geschrieben. Und es stimmt. Es stimmt aber auch das andere Wort Jesu, gleich darauf (16,23) demselben Petrus gesagt (und auch jetzt ist er nicht bloß als jene Person angesprochen, sondern in seinem Amt als religiöse Autorität der Christenheit, d.h. als Urbild nicht nur des Papstes, sondern jedes Amtsträgers): "Zurück, Satan, du bist mir ein Ärgernis" [wörtlich: Skandalon = Stolperstein]. Grundstein der Gemeinde Christi und Stolperstein für die Gläubigen: genau diese unaufhebbare Spannung bestimmt die Kirche zwischen Christus ihrem Haupt und uns ihren Gliedern. Solange sie nicht ausdrücklich benannt und in ihrer Zweideutigkeit durchschaut wird, gibt es kein erwachsenes Christentum, nur den fruchtlosen Widerstreit zwischen naiv-kindischer Kirchenhörigkeit und jugendlich-rebellischem Kirchenprotest.

Vor einem Mißverständnis müsssen wir uns hüten: daß wir uns aus der Gott mißbrauchenden Kirche selbst davonstehlen, indem wir diese Seinsweise auf die sog. Amtskirche abwälzen. Solche Feigheit liegt zwar nahe; denn die religiöse Autorität tritt am greifbarsten dort auf, wo sie sich amtlich-offiziell ausdrückt, in den Äußerungen des Papstes, sowie der Bischöfe und Pfarrer aller Konfessionen. Sie sind jedoch nur die sichtbare Spitze des Eisbergs; zu seiner Masse gehört jeder Christ, der sich als Empfänger und Übermittler göttlicher Weisungen versteht. Hat nicht mancher schon den moslemischen Nachbarn oder die leichtlebige Verwandte hochmütig bemitleidet und nur sich selbst in der entscheidenden Wahrheit gewußt?

Vorsicht Splitter! Manchmal, wenn ich jemanden über die Kirche jammern höre, fällt mir ein "surrealistischer" Witz aus den Fünfzigern ein: Wie ein Mann im Café ein Glas Tee bestellt, den Tee über die Schulter schüttet und das Glas aufißt. Bis auf den Henkel, den legt er auf den Aschenbecher. Zahlt, geht. Ein Gast sieht entsetzt zu und fragt den Kellner: Verstehen Sie das? Nein, mein Herr, antwortet der, ich verstehe es auch nicht. Wo doch der Henkel das Beste ist!

Natürlich braucht der Wein der christlichen Heilsbotschaft Gefäße, sonst kann keiner ihn trinken. Ohne Faß, Flasche oder Glas kein Wein. Und natürlich sollen die Gefäße möglichst sauber sein. Wessen Glas dreckig ist, helfe mit, es zu spülen, oder suche ein reineres. Auf jeden Fall trinke sie oder er den Wein. Esse aber, um Himmels willen, nicht das Glas auf! Dazu ist es nicht da. Wem im Mund Splitter knirschen und aus den Lippen Blut rinnt, hat das Glas mißverstanden.

Die Kirche, an die der Christ glaubt, sie gehört zum Wein und bestimmt dessen Geschmack: es ist die stärkende, tröstliche Heilsgemeinschaft durch Jahrhunderte und über Völker hin, die sich offenbart, wo zwei oder drei in Jesu Namen beisammen sind. Der Kirchen-Apparat jedoch ist die Kirche nicht, ihn hat sie bloß; nicht an ihn glaubt der Christ, sondern durch ihn oder trotz seiner, er ist "nicht zum Verzehr bestimmt", wie es leider nur auf Orangenschalen heißt (die eh' kaum wer ißt) und nicht auf unverdaubaren Verlautbarungen "der Kirche" ...

Mancher braucht freilich Ballaststoffe. Wer andere weiß, nehme einen tiefen Heilsschluck, erfülle sich mit der allumfassenden Liebe Gottes und lasse das Glas getrost stehen. Wozu es zornig zerschmettern? Auch in den kommenden Jahrtausenden wollen die Menschen noch trinken.

Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum
Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden

Aus einer ungehaltenen Taufpredigt: Wie die Eltern mir sagten, sehen sie überhaupt nicht ein, wozu die Taufe nötig sein soll. Sie können sich nicht vorstellen, daß ihr Neugeborenes schon in irgendeinem Erbsünden-Sumpf steckt, aus dem es durch einen Ritus errettet werden müßte. Sie halten dieses Dogma für unverständlich, schlimmer: für sehr verständlich, nämlich für den Trick einer machtbewußten kirchlichen Bürokratie. Der Vater hat seinen Verdacht ehrlich geäußert: wo kein Dreck, da keine Seife, sage der Werbeleiter der Seifenfabrik; also müsse man den Leuten klar machen, daß sie schmutzig sind, dann stimme die Kasse. Ebenso, meint er, macht es die Kirche; aus Höllenangst bringen die Menschen in jeder Generation wieder ihre Kinder zur Taufe, sogar wer für sich nicht an die Erbsünde glaubt, will für sein Kind nichts riskieren. Sollte die Wahrscheinlichkeit, daß die Kirche recht hat, auch nur 1% betragen, wäre der Weg zur Taufe doch vernünftig, denn schaden kann sie auf keinen Fall, zudem bedeutet sie ein nettes Familienfest, und die Großmutter ist beruhigt. Deshalb, liebe Gemeinde, sind wir hier versammelt. Scheint Ihnen dieser Grund zu schwach?

Dann stimmen viele in der Kirche Ihnen zu. Tatsächlich sind die Eltern ja auch schon in zwei anderen Pfarreien mit ihrem Taufwunsch abgewiesen worden (was gegen die Seifentheorie spricht). Dort wurde ihnen gesagt: Die Taufe ist das Sakrament des Glaubens; wo aber weder das Kind glaubt (weil es zu klein ist) noch die Eltern (weil sie von der Kirche nichts halten), dort darf die Taufe nicht gespendet werden; ein solcher Ritus wäre Lüge; denn die Worte würden einen Glauben ausdrücken, der in Wirklichkeit gar icht da ist.

Auf diese Absagen haben die Eltern empört reagiert: schließlich zahlen sie regelmäßig Kirchensteuer. In dieser Stimmung kamen sie zu mir: erstens sei die Taufe ein kirchlicher Mißbrauch, zweitens ihre Verweigerung aber erst recht. Wer darin einen Widerspruch sieht, dem gebe ich zu bedenken, daß unser Herz nicht von Logik allein regiert wird, sondern in einer widersprüchlichen Welt sich zurechtfinden muß. Jemandem erst einzureden, sein Kind sei krank, ihm dann aber die schon bezahlte Arznei zu verweigern, das ist nicht korrekt gehandelt. Weil ich den Eltern darin recht geben mußte, auch deshalb, liebe Gemeinde, sind wir hier versammelt.

Soviel zur Vorgeschichte und Klärung der Situation. Dies ist der Hintergrund der Frage, auf die ich eine Antwort versuchen will: Was geschieht, wenn das so selig schlummernde Kind hier getauft wird? Warum ist der Ritus, zu dem wir zusammengekommen sind, auch für solche Menschen sinnvoll, die den Glauben der Kirche nicht in allen Stücken teilen?

Durch das Sakrament der Taufe wird der Mensch von der Erbsünde erlöst. Erbsünde, Sakrament, Erlösung: drei geheimnisvolle Worte, die den meisten Erwachsenen unverständlich sind; denn wörtlich genommen, ergeben sie ihnen keinen Sinn. Wie kann ein Neugeborenes von Adam und Eva her schon sündig sein, wie kann diese Sünde durch Besprengen mit Wasser und Aufsagen einer Formel verschwinden, Gott ist doch nicht Chef einer himmlischen Einwanderungsbehörde, der pingelig die Papiere prüfen läßt, ehe jemand zur Seligkeit zugelassen wird! So dürfen wir uns Ihn doch nicht vorstellen, das wäre Lästerung - was aber ist dann die Taufe?

Was heißt Erbsünde? Nun, der deutsche Ausdruck ist unglücklich, in anderen Sprachen heißt sie: Ursprungssünde. Dabei ist kein biologischer Ursprung gemeint, "Adam" bedeutet ja: Mensch. Diese Sünde wirkt in uns einfach schon deshalb, weil wir Menschen sind. Und zwar besteht sie in einem tiefsitzenden Selbstmißverständnis. Jesus sagt es so: "Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz" (Mt 6,21). Jeder hat irgendeinen Schatz, den er für den Sinn seines Lebens hält. Der eine ist auf seine Bildung stolz, der andere auf sein Geld, die eine hält sich für extra schön, eine andere für tüchtiger oder vornehmer als viele. Selbst wer äußerlich gar nichts Besonderes vorzuweisen hat, beurteilt sich gern nach seinen anspruchsvollen Träumen - oder erniedrigt sich, weil er erhöht werden will; mit diesem bösen Wort geißelt Nietzsche jene "bucklige Demut", die auf dem Acker der Religion leider gut gedeiht. Ach, es gehört zum Menschen, sich selbst mehr zu lieben als seinen Nächsten. Diese Grundeinstellung heißt mit Recht Sünde; das Wort kommt von "sondern", trennen. Wenn ich etwas Be-sonder-es sein will, stecke ich auch schon in der Sünde - und wer tut das nicht? Gräbt man nur tief genug in einem Herzen, stößt man auf diese Giftader. Jeder ist sich selber ver-haft-et, haust im Kerker einer Eigenliebe. Dabei wären wir doch zur Freiheit berufen, sollten wie Gottes Sonne sein, die ihr Licht in alle Richtungen verströmt.

Vielleicht denken Sie jetzt: Traurig und wahr, aber was hat das mit der Taufe zu tun? Unser Ungetaufter hier leidet an solcher Ursünde noch nicht; wir anderen finden uns zwar in diesem Bild getroffen, wir sind aber zum großen Teil getauft. Hat das Sakrament der Erlösung versagt?

Nein. Aber ein Sakrament wirkt nicht wie ein technischer Vorgang; mit Magie hat die Taufe nichts zu tun. Sakramente sind heilige Zeichen und wirken, indem sie bedeuten. Viele von Ihnen tragen einen Ehering. Er bedeutet Liebe und Treue, sammelt die Erinnerungen mancher Jahre, kann bei äußerer Trennung ein stärkendes Zeichen sein. Denken Sie an einen Gefangenen in Sibirien, der Ring verbindet ihn mit seiner weitentfernten Frau. Eines Tages wird er ihm geraubt. Fehlt jetzt die Liebe und Treue? Nein, aber um ihr Zeichen ist er ärmer geworden. Das ist zwar im Grunde nicht schlimm, trotzdem bedauert er den Verlust; denn wir Menschen sind sinnliche Wesen, auf Zeichen angewiesen.

Das Zeichen der Liebe verfehlt aber seinen Sinn, sobald es lieblos gefordert wird. Einst hatte ein Ehemann seinen Ring abgelegt, weil er beim Arbeiten störte. Die Frau zeterte, er zog ihn wieder an, aus dem Liebeszeichen war ein Unterwerfungszeichen geworden. Kurz darauf, beim Hantieren an einer Autobatterie, schmolz der Ring und verbrannte den Finger. Ähnlich widersinnig wird das Heilszeichen Taufe, wenn die Kirche es zum Machtzeichen verbiegt: ein katholischer Religionslehrer verlor seine Stelle, weil er seine Kinder den Schritt in die Kirche vollbewußt tun lassen wollte und die Kindertaufe darum ablehnte - jetzt ist er evangelisch. Sie sehen: Sogar in der Kirche wirkt sich die Ursünde weiterhin aus, führt nicht bloß zu persönlichem Versagen von uns Kirchenleuten, sondern auch zu "strukturell Bösem"; gegen beides müssen wir in der Kraft des Heiligen Geistes kämpfen.

Um so schwieriger scheint die Frage: Was ist denn, wenn das so ist, mit Erlösung überhaupt gemeint? Wenn die Taufe selbst zum Anlaß kirchlicher Sünde wird - wieso erlöst dann die Taufe von der Sünde? Was geschieht wirklich, wenn dieses Kind gleich getauft wird?

Ich stelle mir vor, vierzig Jahre sind vorbei. Aus unserem Säugling ist ein Manager geworden. Es hat Probleme gegeben, ein Karriereschritt war nicht ganz sauber, eines Tages steht er vor dem Spiegel und schaut weg, weil er sich schämt. Beim Mittagesssen erzählt sein Kind aus dem Religionsunterricht, wie beim Jüngsten Gericht Christus sagen wird: Geht weg von mir ins ewige Feuer; denn ich war nackt und ihr habt mich nicht bekleidet. Da ist ihm, als höre er eine Stimme: Ich habe diesen Auftrag nötiger gehabt als du, und du hast ihn mir gestohlen. Da legt er die Gabel weg.

Machen wir uns nichts vor: Hüllenlos, ohne Titel und Brieftasche vor dem ewigen Richter, sieht keiner von uns gut aus. Wenn Angst und Scham in mir aufsteigt: dann stelle ich mir meine Taufe vor und ahne, wie jenes Wasser den seelischen Dreck abwäscht. Nicht zeitlich - da wuchert die Ursünde jeden Tag neu. Aber ewig, in Gottes Augen: Weil Er nicht meine Lieblosigkeit sieht, vielmehr das Leben seines göttlichen Kindes in mir. Denn in Christi Leib werden wir hineingetauft. Auch ein irdischer Vater verabscheut ja bei der Hand seines Kindes den Schmutz nicht so sehr, wie er die Fingerchen liebt. So sollen wir uns unserer Eigensucht zwar schämen und nach Reinheit streben. Auch wenn das mißlingt, sollen wir uns aber im Innersten nicht fürchten, sondern hoffen, daß Gottes Güte unsere Bosheit überstrahlt.

Darin besteht die Erlösung. Und das bedeutet die Taufe. Nicht nur für die Getauften natürlich. Gottes Heil gilt allen. Nicht magisch (d.h. quasi technisch) oder bürokratisch wird es von der Taufe gewirkt; dann wären Ungetaufte nicht im Heil, ähnlich wie eine ausgeschaltete Lampe dunkel bleibt oder in der Tram ein Schwarzfahrer bestraft wird. Solche magische und bürokratische Auffassung ist zwar sehr verbreitet, aber grundfalsch. Gegen jenes Gottesbild, das hinter ihr droht, hat Jesus bis zum Tode gekämpft!

Erinnern Sie sich an den verlorenen Ehering in Sibirien. Nicht die Treue fehlt dem Beraubten, nur ihr Zeichen. So fehlt dem Ungetauften nicht das Heil seiner Seele, nur dessen christliches Zeichen. Das macht es nicht, aber es ist dem damit Beschenkten auch nicht nichts.

In diesem Sinne laßt uns jetzt die heilige Handlung vollziehen. Die Getauften unter Ihnen mögen ihre eigene Taufe geistlich erneuern, die Ungetauften sich freuen, daß Gott in Jesus auch ihr Bruder geworden ist. Auch der Getaufte lebt nur aus Hoffnung, auch der nicht Getaufte ist in dem Maße erlöst, wie er an den SINN des Ganzen glaubt; beiden hilft nicht ihre Bravheit oder Schlauheit, sondern allein die Liebe, die uns alle in ihr göttliches Leben hineinnehmen will.


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