Jürgen Kuhlmann
Ökumenisches in der Krebsstation "Es soll auch wirken, wenn man nicht daran glaubt,“ so rechtfertigte ein nordischer Nobelpreisträger einem erstaunten Gast das Hufeisen über der Tür seines Sommerhäuschens. Recht überrascht war ich gestern, als mir zur Verteidigung einer spontanen Geste nur dieser Spruch einfiel, sehr christlich klingt er ja nicht.Nach der Krebs-Operation in den Händen einer freundlichen jungen Schwester, kann ich mich nicht enthalten, ihr zum Abschied nach alter Sitte ein kleines Kreuz auf die Stirn zu malen – obwohl ich weiß: Sie ist eine religionslos aufgewachsene Ostdeutsche.
Sofort sehe ich ihr erschrockenes Gesicht und wiegele ab: "Keine Sorge, der Segen wirkt auch, wenn man nicht an ihn glaubt.“ Später kommt der Zweifel. War das nicht eine schlimme Theologie? Christliches Heil kann sich doch nicht ohne Glauben ereignen! Habe ich Schwester Anja zum Aberglauben aufgefordert?
Inzwischen meine ich: Nein. Um unser gutes menschliches Einvernehmen nicht mit dem Argwohn von Vereinnahmung zu belasten, musste ich in dieser Situation den offenen Begriff "Glauben“ auf seinen negativen Sinn (= aufgedrängtes Für-Wahr-Halten) festlegen und deshalb verwerfen. Der ganz andere Sinn von Glauben (= sich als vom liebenden Ganzen angenommen Annehmen) wurde nicht durch Worte ausgedrückt, sondern von der kleinen Segensgeste symbolisiert: So wahr mein Daumen Deine Stirn berührt, so wahr sind wir beide zuinnerst von Gottes Güte gehalten. Dass du an "ihn“ scheinbar nicht glaubst, weil man dir nie SEIN Gesicht, nur allerlei Masken zeigte, hat nichts zu sagen. Dass du den echten Glauben lebst, dafür spricht die spürbare Liebe, mit der du deine Dienste an mir getan hast.
13. Mai 2010
Veröffentlicht: Kirche In (Wien) 09/2010, S. 6
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