Jürgen Kuhlmann

Das Abendmahl:
Wandlung der Welt


Anlaß: Fronleichnam, Kommunion-Katechese für Erwachsene
Botschaft: Das Abendmahl bedeutet und bewirkt dem Glau-
ben die Wandlung der rätselhaften Substanz der Welt zum
eindeutigen, von Gott verbürgten Heilssymbol.
Themen: Jesu letztes Freundschaftsmahl - Streit der
Konfessionen - "Transsubstantiation" ? - Polarität der
Standpunkte - Was heißt Substanz? - Substanz der Welt:
das große Rätsel - im Sakrament zum großen JA gewandelt
- Versöhnung der Standpunkte - seid Brot für die Welt!
Ziel: Der Hörer ahnt, wie auch beim Eucharistieverständnis
alle Christen Glieder des einen Herren-Leibes sind.


Heute erinnern wir uns, wie Jesus am Abend vor seiner Hinrichtung zum letzten Mal mit seinen Freunden gegessen hat. In welch seltsamer Stimmung, gemischt aus Freundschaft und Angst, ist jene kleine Gemeinschaft beisammen gesessen, als sie die geheimnisvollen Worte hörte: "Das ist mein Leib für euch, das tut zu meinem Gedächtnis!" Damals haben die Jünger wahrscheinlich noch nicht verstanden, was Jesus meinte. Nach der Auferstehung aber fing die junge Kirche bald an, das Abendmahl zu feiern, nicht wesentlich anders, als wir es heute tun, und zwar in allen Konfessionen ganz ähnlich.

Traurig ist freilich, was im Lauf der Kirchengeschichte aus diesem Vermächtnis Jesu wurde: eingesetzt zum Zeichen der Einheit einer verschworenen Freundesgruppe, ist das Abendmahl zum Zankapfel zwischen Christen geworden. Was geschieht mit dem Brot, wenn in der Liturgie die Worte "Das ist mein Leib!" erklingen? Über diese Frage hat man sich Jahrhunderte lang nicht nur Gedanken gemacht - das war gut und richtig, der Schöpfer hat uns den Verstand nicht nur zum Rechnen und Planen gegeben, sondern auch zum Nachsinnen über den Glauben. Man hat sich aber auch in gegenseitige Rechthaberei verbissen, und das war übel. Die katholische Partei bestand darauf: Weil Christus die Wahrheit sagt, deshalb geschieht eine Wesens-Verwandlung. Wo zuvor Brot war, ist nachher eben nicht mehr Brot, sondern buchstäblich der Leib Christi; vom Brot bleibt nur der äußere Anschein. Das sei Unsinn, empört sich die extreme Gegenpartei, christlicher Glaube habe doch nichts mit Zauberei, mit magischem Hokuspokus zu tun! Dieses lustige Wort ist übrigens nichts weiter als eine Nachäffung der lateinischen Wandlungsformel "hoc est corpus meum". Den einen das Heiligste, den anderen ein böser Witz - schon daran spüren wir, wie tief der geistige Abgrund war, mit wie ingrimmiger Wut man einander verletzte.

Und heute? Heute nimmt mancher Katholik mit gemischten Gefühlen an der Fronleichnamsprozession teil. Vielleicht ist seine Frau reformiert und lehnt die Verehrung eines Stückchens Brot innerlich ab; denn für sie ist das Brot nicht Christi Leib, sondern bedeutet ihn bloß. Oder eine Frau ist mit einem Lebensmittelchemiker verheiratet, der nur mit Mühe, das spürt sie, die Frage unterdrückt, wieso dies Brot auf einmal kein Brot mehr sein soll. - Ich stelle mir vor, wie beide Ehepaare jetzt hier unter den Zuhörern sitzen. Kann der christliche Prediger die Botschaft so erläutern, daß der katholische und der reformierte Glaube und zugleich die Wissenschaft gewahrt bleibt? Wenn das gelingt, dann hat der dogmatische Streit sein Ziel erreicht. Denn wo es Menschen um die Wahrheit des Ganzen geht, da haben ihre Widersprüche ja stets den Sinn, das wunderbare Wahrheitsmobile auszubalancieren, in welchem jede klare Überzeugung ein notwendiger Pol ist, sozusagen einer der Fische des kunstvollen Mobile; das ganze Gefüge können wir nur miteinander ausdrücken, keiner für sich allein. Oder hält jemand Gottes Wahrheit für einen Klotz, den eine Partei ganz packt, während die andere mit leeren Geisteshänden dasteht? So ergeht es zwar Affen, wenn sie um eine Nuß raufen; doch wollen wir hoffen, daß wir Menschen dann, wenn unser Thema eine Gotteswahrheit ist, über das sture Besitzdenken unserer Ahnen allmählich hinauswachsen.

Von "Transsubstantiation" spricht das katholische Dogma: ein Katholik muß also glauben, daß bei der Wandlung die Substanz des Brotes verwandelt wird. Sein Wesen ändert sich. Wo vorher Brot war, da ist hinerher der Leib Christi, vor dem der Katholik andächtig sein Knie beugt. Dies ist auch mein Glaube - und trotzdem gebe ich dem Wissenschaftler ebenso recht wie den Reformierten, für die das Brot Christi Leib "bedeutet". Wie geht das zu?

Alles kommt darauf an, was mit "Substanz" gemeint ist. Das Wort kommt vom lateinischen sub-stare, darunter stehen. Was steht unter oder hinter oder tief in all dem, was uns umgibt? Was verbirgt sich unter der Oberfläche der Realität? Danach fragen wir Menschen, seit es uns gibt. Die Wissenschaft hat noch keine Antwort gefunden, mehr: sie vermutet, daß sie es nie wissen wird. Der tüchtige Wissenschaftler weiß eine Menge über etwas; über Alles aber, über das Ganze weiß er nichts, nicht einmal ob das All sich immerzu weiter ausdehnen oder zuletzt wieder schrumpfen wird.

Was also ist die Substanz der Realität, was "steht unter" ihrer Oberfläche? Nichts anderes als: die große Frage. Die unklärbare Vieldeutigkeit. An sich der Widerspruch, und für uns ein Dauergeschaukel zwischen Schwarz und Gold, Nein und Ja, Tod und Leben, Sinnlosigkeit und Hoffnung. Einerseits sind da diese ungeheuren Massen, glühend oder eisesstarr im toten Weltraum, anderseits unser sterblicher, aber bewußter Lebensfunke! Für viele Menschen ist solche Beschreibung der Realität auch schon ihre innerste Erklärung; ihnen offenbart sich das Ganze nur als Rätsel - erschütternd war es, als ein weitbekannter Denker mir anvertraute: Als meine liebe Frau die Sterbesakramente empfing, habe ich das leider nur als Brimborium empfinden können. Da dachte ich: auch unter uns Menschen kommt es ja vor, daß ein Blick mir nur offenbart: Du weißt nicht, wer ich dir sein will. Einen solchen Blick kann ich wissen; den sich schenkenden Blick der Liebe hingegen kann niemand wissen - er könnte Illusion, Theater sein!

Überwunden, in feste Eindeutigkeit gewandelt wird die rätselhafte Substanz der Welt allein durch den Glauben, uns durch den christlichen, denn in Jesu Namen sind wir hier versammelt. Seinem Ostersieg verdanken wir buchstäblich die "Transsubstantiation" des Seins aus der Zweideutigkeit (Wohl oder Unheil?) zum Großen JA des Heils, und sei es mitten im Tod: "Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Drangsal? Oder Angst? Oder Hetzjagd? Oder Hunger? Oder Blöße? Oder Gefahr? Oder Schwert? ... Doch in all dem obsiegen wir weit - durch den, der uns geliebt" (Röm 8,35f).

Diese Wandlung der Welt gilt im Ganzen, deshalb im Prinzip auch für jeden Teil der Welt. Ein radikal Glaubender durchschaut die finstersten Realitäten bis auf ihren lichten göttlichen Grund. Doch kennen wir unsere Schwäche. Die Antworten von Radio Eriwan lehren uns: Nicht alles wird im Alltag so heiß gegessen wie "im Prinzip" gekocht. Leider ist das auch beim Heilsglauben so. Er ist ein stets bedrohtes Pflänzchen, es soll wachsen, kann aber auch welken und schafft es in diesem Leben nie, die allseits wogende Zweideutigkeit total zu wandeln. Ein Sonnenuntergang kann einmal als tröstendes Heilszeichen erlebt werden, ein andermal als Anbruch von Kälte, Finsternis, Orientierungslosigkeit. Weil wir irdische Wesen mit endlichen Zielen bleiben, darum ist auch die zweite Erfahrung nicht falsch.

Es gibt aber Weltstücke, wo die Qual dieser Wahl zwischen tiefem Ja und alltäglichem Nein uns von Gott abgenommen wird. Das sind die Sakramente, vor allem das Abendmahl. "Das ist mein Leib," sagt durch den Mund des Priesters der Auferstandene selbst und ist dann als Person da für unser Herz, wirklich und wahrhaftig, so daß wir an seiner Gegenwart und nährenden Kraft nicht mehr zweifeln müssen, ebensowenig wie am Geschmack des Brotes in unserem Mund, das deshalb jetzt nicht mehr irgendein profanes Ding ist, sondern der anbetungswürdige Leib Christi.

Mir scheint, dieser Erklärung können alle zustimmen. Der Katholik, weil sie dem Wortlaut und Sinn des Dogmas gerecht wird. Der Reformierte; denn genau dies glaubt er: Nach der Wandlung bedeutet das Brot den Leib Christi, und zwar nicht bloß äußerlich (wie ein Verkehrsschild die Autobahn bedeutet) oder symbolisch (wie auf der Bühne ein Kuß die Liebe darstellt) sondern sakramental, das heißt gott-menschlich: das menschliche Zeichen zeigt und enthält die Wucht der göttlichen Tat. Der Wissenschaftler schließlich kann gleichfalls einverstanden sein; die empirische Struktur eines Dings wird nicht anders, wenn sein Tiefensinn sich wandelt. Ist nicht auch dem verliebten Physiker sein Ehering nach der Hochzeit irgendwie verwandelt, ebenso wie die Lippen der Braut? Ja: etwas Wesentliches hat sich geändert, das freilich von keinem Meßgerät feststellbar ist.

Jeder glaube und spreche also weiterhin, wie er es gelernt hat, nicht gegen die anderen aber, sondern mit ihnen zusammen. Kostet und seht, wie gut der Herr ist, und vertraut: Der sich uns jetzt zur Speise gibt, läßt uns dann nicht verschmachten. Deshalb brauchen wir keine Angst mehr um uns zu haben, können auch uns austeilen, wo jemand uns braucht.


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samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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