Jürgen Kuhlmann

[Logos oder Pneuma?]

Gutachten über das spanische Buch
»Anthony de Mello, Zeuge des Lichtes« von Maria Paz Mariño

[Vorbemerkung: Das Buch wurde damals nicht auf deutsch veröffentlicht, das tat mir leid. Unabhängig vom konkreten Fall bleiben die Linien des Konflikts stets aktuell, nicht nur in der Kirche.]

Zwei gegensätzliche Urteile vorweg:

a)     Ich verdanke dem Werk ein geistlich hochgestimmtes Wochenende, durch diese Seiten weht wie durch ein weit offenes Fenster der frische Wind ursprünglicher Mystik, der aus der Seele eine Menge – individuellen wie kollektiven – Staubes wegbläst, der sich dort angesammelt hat, und sie froher, weil heilsgewisser, und folglich auch menschenfreundlicher durchatmen läßt.

b)     Obwohl ich Meister Eckhart bisher immer hochgeschätzt habe, gewann ich bei der Lektüre mancher wilder Absätze aus der Feder dieser begeisterten Jüngerin mehr und mehr Verständnis für jene kurialen Theologen, die des Meisters Thesen (nach seinem Tode!) verdammt haben.

Den Versuch, beide Eindrücke in Harmonie zu bringen, enthält das folgende Gutachten.

Es handelt sich weder um eine Zusammenschau der publizierten Gedanken des Meisters noch um eine geistliche Biographie; Biographisches kommt so gut wie überhaupt nicht vor. Vielmehr nahm die Verfasserin (vermutlich eine Ordensfrau) im August 1986 an einem geistlichen »Schnellkurs« teil, einer Art moderner Exerzitien also, der sie derart begeisterte, daß sie eifrig mitschrieb. Wie aus diesen Notizen das vorliegende Buch wurde, beschreibt sie selbst in der Einleitung. Die 14 Kapitel des Werkleins (die aus je vier, einmal fünf Unterabschnitten bestehen), umkreisen aphoristisch das einzige Thema des Buches: Wie der Heilige Geist je jetzt gelebter Mystik immer wieder die verfestigten Strukturen aller möglichen Apparate übersteigt, zerschlägt, außer Kraft setzt.

Da ich während einiger Jahre im Germanikum einen ähnlich begnadeten Spiritual erleben durfte (Pater Wilhelm Klein lebt jetzt, 104jährig, in Münster), kann ich mich gut in die Begeisterung der Teilnehmer jenes Kurses in Barcelona einfühlen: Von den Ausläufern der spanischen Kirche der Franco-Zeit geprägt, an der gegenwärtigen kirchlichen Eiszeit leidend, werden sie von einem weltweit anerkannten geistlichen Lehrer (Jesuit, also doch wohl vertrauenswürdig!) plötzlich in seinen eigenen inneren Vulkanausbruch hineingerissen und verstehen (vielleicht zum ersten Mal), wie Jesus (den man auch als Häretiker verwarf, S. 165) auf seine Zeit gewirkt hat, welche Energie mitten in den christlichen Buchstaben schlummert, an denen sie sich schon lange derart reiben – und von denen sie trotzdem nicht loskommen.

Soviel zur Erklärung des fast schwärmerischen Einverständnisses, das jeden halbwegs offenen Leser ergreifen wird, auch meines eigenen. Gäbe es nur diesen Aspekt, würde ich zur Publikation vorbehaltlos raten, sie wäre ein gutes Werk an vielen verdorrten Seelen und bei ordentlicher Reklame vermutlich auch ein geschäftlicher Erfolg.

Es gibt allerdings die andere Seite, die den einigermaßen mündigen Leser in eine Mischung aus Zorn und Spott versetzen dürfte. Denn Schwester Maria Paz hat beim Niederschreiben ihrer Ergüsse eines vergessen: Der Hintergrund des damaligen Kurses fehlt dem Leser. Ein Blitz ist schön, wenn er die Nacht erhellt, ein Schimmel hebt sich vor farbiger Wand wunderbar ab. Wenn du aber alles ringsum weiß anstreichst und behauptest, keine andere Farbe habe irgendein Recht, dann ist das nur mehr blöd.

Beispiele: S. 18 unten wird der östliche Weise zitiert, den seine bleibende Depression nach der Erleuchtung nicht mehr stört. Ein tiefer Gedanke; und doch: wem fällt da bei uns nicht der Anti-Freud-Witz der Jahrhundertwende ein: Du warst doch wegen deiner Hosenscheißerei beim Dr. Freud, hat er dir geholfen? – Ja. – Ah! Scheißt du nimmer in die Hosen? – Doch, aber es macht mir jetzt nix mehr aus.

S. 17 wird behauptet, der Mensch schaffe sich seine Probleme selbst. S. 154 wird ehrlicherweise vom großen Problem der indischen Kirche mit Rom gesprochen. Was ich vermisse, ist die ehrliche Reflexion über diesen Widerspruch. Ihr Fehlen nimmt, sobald es bemerkt wird, beiden Seiten des Gegensatzes die Kraft. Ich vermute, daß der Meister selbst in seinen Schriften diese Arbeit durchaus geleistet hat. Verräterisch ist das Wort »klarer« S. 7 unten. Bei diesem Kurs vor spanischen Kirchenleuten hat Tony vermutlich den Pol des ordentlichen Buchstabens so intensiv gespürt, daß er sich frei seinem mystischen Contra! überlassen durfte und hat, mit dem Ergebnis umstürzender Mono-Klarheit für die Gefangene Maria Paz. Hat sie erst einmal lange genug im Freien gelebt, kriegt sie vielleicht wieder Lust auf Wände. Ein geistliches Buch soll aber von vornherein stereo klingen.

S. 23: Wer als Marxist, Buddhist, Moslem oder Katholik denkt, denkt nicht. Es gibt im Grunde keine ignatianische oder karmelitische Spiritualität (118). Richtig: Jeder –ismus ist mono und insofern falsch. Aber auch dein Anti-ism-ismus. Auch Weiß ist nicht die einzige Farbe, Gottes Sinn-Leib enthält nicht nur freischweifende Blutkörperchen und undifferenzierte Einheitszellen, sondern gegensätzliche Organe! Wenn der Magen sich ans Nierenprogramm hält, wird mir übel.

Der Gegenpol kommt schon vor: Erkenne, was dein Ort ist (47). Es gibt auch geistige Orte, wo jemand eben doch Moslem, Katholik oder auch Atheist ist. Deshalb spielt der Kontext beim Bibelverständnis eben doch eine gewaltige Rolle (165)! Erst dann komme ich an die Botschaft, die ihn allerdings übersteigt. Es gibt Palmen und es gibt Albatrosse, der Mensch ist Mensch nur als beides. Aber auch hier: Das muß gesagt werden, andernfalls entsteht nur Scheinklarheit, die andere in Verwirrung stürzt.

S. 30: Über die Trauer, wenn der Freund fortgeht. Ist es der Mühe wert? Für Jesus schon, er hat geweint bei des Lazarus Tod.

S. 35. Abhängigkeit von anderen Personen ist schlecht. Wer jemanden am Hals hat, kann nicht gehen (39). Das ist (gute) mönchische Spiritualität, ich habe sie früher als helfende Pille gegen den Zölibat selbst erlebt, sie taugt aber nicht für Eheleute, deren Wir ebenso tief geworden ist wie ihr beiderseitiges Ich. Solch flachem Stoizimus ist z.B. Unamunos Mystik des leidenden Gottes vorzuziehen. Von Ehe brauchen Ordensleute ja auch nichts zu wissen; S. 85 ist vom Lieblingsinstrument die Rede. Das ist eine harmlos-ästhetische Kategorie, wo es doch um ein irdisches Wir als Neuschöpfung geht!

S. 44: Der indischen Mystik ist das Fleisch äußerlich, dem erlösten Christen nicht.

In uns wohnt ein erschrockenes, abgelehntes Kind (45) / Kinder haben keine Probleme (49). Diese Widersprüche, so nahe beisammen, können doch auch der Autorin nicht entgangen sein. Ist ihr Stil also Methode? Traut sie der Vernunft der Leser zu, das alles selbst zu lösen? Das mag kühn sein, klar nenne ich es nicht.

S. 66: »Die ganze Vergangenheit ist tot.« Ja. Aber auch auferstanden. Und in Gott zur lebendigen Einheit mit Gegenwart und Zukunft bestimmt. (Man vergleiche den mitgesandten Proust-Text!) Deshalb ist das Je-Jetzt eben doch nicht das einzige Kriterium. Wohl der entscheidende Punkt (ich widerspreche Tony ja nicht), an dem sich aber alle Zeiten treffen. Deshalb hat auch die Tradition ihr Recht.

S. 71. Zu lieben heißt, alle Instrumente des Konzertes hören. Sehr wahr. Aber: Nur eines kannst und sollst du sein. Gottes Sonne ist freilich weiß, in diesem Weiß stecken aber alle Farben, d.h. »Gottes vielbunte Weisheit« (Eph 3,10). Tonys Farbe war offenbar das Weiß des Gänseblümchens, das aber die anderen Blumen gelten läßt, die Autorin streicht die ganze Wiese weiß an.

S. 79. Ohne Reue vielleicht keine Sünde. Auch Meister Eckhart war in einer seiner Thesen gegen die Reue. Der Papst hielt das für verwirrend, ich auch, ohne nähere Erklärung.

S. 81. Der Rhythmus des Lebens. Genau. Ein Rhythmus besteht aber aus verschiedenen Takten. Immer wieder kommt auch der hier immer geschmähte Buchstabe zu seinem Recht.

S. 88. Nicht Befreiungstheologie sondern Befreiung von der Theologie. Ja wenn es so wäre! Aber natürlich ist auch dies eine Theologie, nämlich (so wie es im Buche steht, von Tony weiß ich nichts) ein relativ geistloser Spiritualismus, der bei bestimmten Lesern immer in Gefahr steht, in amoralischen Gnostizismus abzugleiten. Siehe etwa S. 90 den Schlenker gegen Nächstenliebe und Altruismus, oder S. 56 die lustige Geschichte des von der Ehefrau befohlenen Ehebruchs. Meine Frau hält die Story für erfunden, ein typisches Produkt zölibatärer Wunschphantasie, die von den Gefühlen einer wirklich trauernden Frau keinerlei Ahnung hat; ähnliche Histörchen kenne man auch von Religionslehrern.

Ergebnis: Ich befürworte die Veröffentlichung, rate allerdings zu einem Vorwort oder Anhang, wo auf die (letztlich trinitarisch begründete) Wichtigkeit der Relation von Hintergrund und Vordergrund ausdrücklich hingewiesen wird. Andernfalls würde das Haus Herder in dieser eh’ schon verworrenen Zeit viele Seelen noch tiefer verwirren - und den Rest Wohlwollen seitens des Heiligen Vaters noch gar verscherzen ...

Nürnberg, 22. November 1993


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