Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken

DIE TATEN DES EINFACHEN GOTTES

Eine römisch-katholische Stellungnahme zum Palamismus

Rom 1965


Inhaltsverzeichnis

III. Problemgeschichtlicher Teil

Einleitung

A) Die Tat des Schöpfers nach Thomas von Aquin

1) Das Problem: Gottes Einfachheit

2) "Relatio secundum rationem"

3) "Actio"

4) Der Weg zur "relatio subsistens"

Einleitung

Dogmatisch widersprechen sich palamitische und lateinische Theologie also nicht. Damit ist der Weg zur sachlichen Auseinandersetzung freigegeben. Wenn wir uns auf die bestehende Einheit im Glauben besinnen und uns zugleich die Glaubensausdrücke gegensätzlich scheinen, dann steht zu erwarten, daß der Palamismus gewisse Seiten des Glaubens besser ausdrückt als die westliche Theologie. Da andererseits der auszudrückende Glaube der nämliche ist, sind wohl manche Probleme auch unserer eigenen Theologie - eben die vom Palamismus besser erfaßten - bei uns noch nicht so klar gelöst wie es wünschenswert wäre. Im folgenden Teil wird diese vorerst hypothetische Vermutung an den Fakten gemessen. Der Palamismus als historische Realität bleibt dabei außer Betracht: zwar ist das Licht, das er in manche Fragen zu bringen vermag, Auswahl- und Einheitsprinzip der Untersuchung - thematisch bewegt sich die Darstellung jedoch allein im Raum der uns überkommenen Theologie, in deren Bereich ja immer schon auch die Aufgabe fällt, die eigenen Grundlagen kritisch zu prüfen. Da alle Theologie nur den gleichen und ganzen Glauben ausdrückt, muß jede Aufnahme fremden Einflusses zugleich eine Weiterentwicklung von innen heraus sein, welche (an sich und theoretisch!) auch ohne fremde Hilfe "hätte möglich sein müssen". In unserer eigenen Theologiegeschichte nach verborgenen Ansätzen zu forschen, die jedem Lateiner die palamitische Lösung als willkommene Antwort auf die eigenen ungeklärten Fragen empfehlen können: das ist die Methode dieses Teiles. Solche Forschung ist zugestandenermaßen nicht ganz vorurteilslos: wer jedoch überzeugt wäre, es sei bei uns alles schon zum Besten bestellt, und darum manches Problem gar nicht zu Gesicht bekäme - sollte ein solcher wirklich weniger befangen sein? Doch lassen wir das Vorverständnis getrost in dem ihm eigenen schaffen; um das Verständnis geht es ja in der Theologie. Dieser Teil behandelt in zwei Kapiteln die Schöpfungstat und die Vergöttlichung des Geschöpfes. Die Grundauffassung der Schöpfung hat sich seit Thomas so gut wie nicht verändert; darum ist das erste Kapitel eine Frage an ihn. Im Gegensatz dazu hat der Begriff "Übernatur" seither eine reiche Geschichte gehabt; deshalb wird das zweite Kapitel auch die neueste Theologie einbeziehen müssen.

A) DIE TAT DES SCHÖPFERS NACH THOMAS VON AQUIN

1) Das Problem: Gottes Einfachheit

Für Thomas ist die absolute Einfachheit Gottes die erste Antwort auf die Frage: wie ist Gott? genauer: wie ist Gott nicht? Nachdem die ersten beiden Quaestionen der Summa über die Natur der Theologie und Gottes Dasein gehandelt haben, entfaltet die dritte die göttliche Einfachheit. Die drei wichtigsten Zusammensetzungen im geschöpflichen Bereich sind allesamt von Gott auszuschließen:

a) (a.3) Die erste ist die zwischen abstrakt gefaßter, vielen gemeinsamer Natur und dem in ihr seienden Einzelnen. "Menschheit" bedeutet alles, was zur Definition des Menschen gehört, "dieser" Mensch fügt dazu das Individuelle. Weil wir vom einfachen Gott aber nur nach Weise des uns Zugänglichen sprechen können, sagen wir einmal - um Seine Wirklichkeit auszudrücken - konkret "Gott", benennen Ihn andererseits, Seiner reinen Vollkommenheit halber, mit abstrakten Ausdrücken: "das Leben". In Wahrheit ist jedoch Gott und Sein Wesen völlig dasselbe.

b) (a.4) Während das Geschöpf das Sein nicht durch sich, sondern von Gott hat und also in gewissem Sinn, als das Empfangende, von seinem eigenen Sein unterschieden ist, ist Gott in höchster Einfachheit selber Sein Sein.

c) (a.6) Endlich gibt es bei allen Geschöpfen die Verbindung von Substanz und Akzidens; selbst die Engel haben, bei aller wesenhaften Einfachheit, noch viele solche Bestimmungen, darunter vor allem das Tun: "Impossibile est quod actio angeli, vel cuiuscumque alterius creaturae, sit eius substantia. (S.Th.I q54 a1 c) In Gott aber gibt es keine Akzidentien, nichts kann Ihm zu-fallen, sonst gäbe es im reinen Akt Potenz.

Damit ist die Einfachheit, die Gott in Sich selber ist, mächtig herausgestellt. Keine der Zersplitterungen, denen wir in der Welt begegnen, findet sich in Ihm, Er ist unendlich gesammelte Fülle (*1).

Von diesen drei Weisen der Einfachheit können wir zwei auf sich beruhen lassen. Der Unterschied von abstrakt und konkret hat mit der Frage nach Gottes Taten nichts zu tun; nur konkrete Täter tun konkrete Taten. Auch der Unterschied von Esse und Essenz beschäftigt uns nicht; er drückt ja die Abhängigkeit des Geschöpfes von etwas ihm Vorgeordneten aus: Gott aber ist nichts vorgeordnet, am allerwenigsten Seine Taten an uns.

Um so mehr geht uns die dritte Differenz an. Hier liegt in der Tat das Problem. Denn aus dem Grundsatz, daß Gott keine Akzidentien hat, sondern ist, was immer Er tut und hat - aus ihm leitet sich jene unendliche Reihe von Identifizierungen ab (Wesen = Erkennen = Wollen = Tun = Sein), die den Gott der Philosophen manchen Christen so verdächtig machen. Alles ist eins, jedes Denken über Gott ist ein gewaltiger Einschmelzprozeß; was immer dir an Vollkommenheit in den Sinn kommt, wird sogleich in seiner Fülle als mit dem göttlichen Wesen identisch erkannt: nichts besteht in dieser Glut, was nicht in Lauterkeit sie selber wäre.

Zu den Akzidentien gehört auch die Relation. Ist nun in Gott alles Sein Wesen, wie steht es mit Seinen Beziehungen zu uns? Kann man im Ernst sagen, sie seien mit Seinem Wesen identisch? Das hieße uns doch wohl zu wichtig nehmen! Dann bleibt aber nur mehr ein Ausweg, und Thomas ist ihn, wie es scheint, entschlossen gegangen: es gibt sie in Wirklichkeit überhaupt nicht. Wir reden zwar von ihnen, wissen aber zugleich, daß wir von etwas Unwirklichem reden:

"Manifestum est, quod creaturae realiter referuntur ad ipsum Deum; sed in Deo non est aliqua realis relatio eius ad creaturas, sed secundum rationem tantum, inquantum creaturae referuntur ad ipsum." (S.Th. I q13 a7)

Weder Schöpfung noch Menschwerdung bringen für Gott eine wirkliche Beziehung zu etwas Endlichem mit sich (*2). Auch vor schockierender Rede scheut er nicht zurück: Jesu Sohnschaft zu Maria ist für Jesus keineswegs etwa eine wirkliche Beziehung, sondern allein ein "respectus rationis"! (*3) Darf man sich wundern, wenn einfache Christen im Namen ihres Glaubens an ein nicht nur wirkliches, sondern sogar herzliches Verhältnis Jesu zu Seiner Mutter hier widersprechen und Thomas vorwerfen, er habe den kalten Gott der Philosophen "mitten im Heiligtum als Götzenbild" aufgestellt?(*4) Sollte der hl.Thomas jener.mächtigen Bewegung, dem häretischen Aristotelismus, als dessen Verfechter er so sehr geschmäht und der doch vor allem dank seiner in der Kirche überwunden worden ist: sollte er ihm in einem der zentralsten Punkte doch verhaftet geblieben sein? Hätte Palamas auch gegen den Lehrer der römischen Kirche mit seinem Proteste wider den "großen Abgrund" zwischen Gott und Schöpfung recht?(*5) Die Frage ist ernst und wir wollen uns die Antwort nicht leicht machen.

Zunächst sei klar ausgesprochen: die Züge des Gottesbildes, die Thomas uns bisher gezeichnet hat, sind hoffentlich auch christlich, sicher aber aristotelisch. Der Gott des Aristoteles ist der Unbewegliche, der sich selber denkt und keinerlei Beziehung zur Welt hat, sie weder kennt noch will noch anders denn als angestrebtes Ziel bewegt.

"Das erste, was nach A. eine übersinnliche Erklärung verlangt, ist die Tatsache der Bewegung. Mit vielen anderen Denkern teilt er die Annahme, daß die Bewegung nicht einfach als ein Ur-Zug des Alls angenommen werden kann, sondern entweder erklärt, oder als illusorischer Schein hingestellt werden muß. Die Eleaten und, weniger entschieden, Platon, hatten die letztere Alternative gewählt. Des A. kennzeichnende philosophische Tugend, die Treue zum Gegebenen, machte ihm das unmöglich; er mußte die Wirklichkeit der Bewegung zugeben. Doch konnte er sie nicht als erklärungsunbedürftig ansehen. Darum versuchte er sie auf Grund von etwas anderem zu erklären, was ihr selber nicht unterstand. Ausschließlich als erster Beweger ist Gott für sein System notwendig. Freilich gelingt es A, nicht, etwa die Bewegung zu erklären; wir stehen immer noch vor der Frage, wie eine nicht-physikalische Sehnsuchts-Tätigkeit räumliche Bewegung hervorrufen kann."(*6)

Nach der berühmten Formel "bewegt Gott als Geliebtes": weil alles nach Ihm als seinem letzten, unerreichbaren Ziel verlangt, darum bewegt es sich. Eine Wirkursächlichkeit, im scholastischen Sinn von der Zielursächlichkeit unterschieden, kommt Gott in Bezug auf die Welt nicht zu (7). Erst recht ist von Schöpfung keine Rede - so wenig, daß der Mangel schon wieder sein Gutes hat: er hat die Schöpfung nie geleugnet! (8) Wenn Gott aber schon in die Welt nicht eingreift, kennt Er sie wenigstens? Nein: "Es gibt Dinge, die man besser nicht sieht als sieht." (9)

Man hat versuchen wollen, des A. Auffassung des göttlichen Wissens dadurch erträglicher zu machen, daß es, umgekehrt wie das gewöhnliche Wissen, direkt auf sich selbst geht und nebenher auf die Welt ... Alle Dinge außer Gott verdanken Gott ihr ganzes Sein, so daß Gottes Selbsterkenntnis zugleich ein Wissen um alles andere sein muß. Das ist eine mögliche und fruchtbare Denkbahn; es ist aber nicht die, an welche A. sich tatsächlich hielt." (*10)

Schon vom rein philosophischen Standpunkt aus ergibt sich:

"Der Gottesbegriff, wie er im 12. Buch dargestellt wird, ist sicherlich ein ungenügender. Wie A. Gott auffaßt, hat Er ein Wissen, das kein Wissen um die Welt ist, und einen Einfluß auf die Welt, der nicht aus Seinem inneren, bewußten Leben erfließt, wie die Tat beim Menschen aus seinem Bewußtsein fließt - ja, dieser Einfluß kann kaum eine Tätigkeit genannt werden, da es ein solcher Einfluß ist, wie eine Person ihn unbewußt auf eine andere, oder sogar eine Statue auf ihren Bewunderer haben kann." (*11)

Somit fehlt erst recht das Wichtigste, die Liebe:

"Wenn ein großer Abstand entsteht an Tugend, Laster, Reichtum oder sonst etwas, dann sind sie nicht mehr Freunde, wollen es aber auch nicht. Am deutlichsten ist das bei den Göttern; denn am meisten sind sie an allen Gütern überlegen. Auch bei den Königen ist es klar; denn auch mit denen verlangt nicht Freund zu sein, wer weit zurücksteht, ebensowenig den Besten oder Weisesten jene, die nichts wert sind. Freilich gibt es dabei keine genaue Grenze, bis wie weit sie noch Freunde sind: denn auch wo viel verloren wird, bleibts noch dabei; ist der Abstand aber groß - wie bei Gott - dann nicht mehr." (*12)

Nicht nur Aristoteles, sondern überhaupt die griechische Philosophie unterscheidet sich radikal von der christlichen:

"In der griechischen Mystik hat die Liebe zu Gott nicht ihr Gegenüber: eine Liebe Gottes zum Menschen. Mehr noch: eine solche Liebe ist wesentlich unmöglich ... Wenn Gott reiner Akt ist, bedenken wir es, so kann dieses Denken nicht, ohne abzufallen, sich zu etwas anderem als es selbst erniedrigen. Gott denkt nicht an den Menschen. Ebensowenig an die Welt. Zweifellos ist die Bewegung der Welt ewiges Verlangen nach dem Ziel. Was liegt aber diesem Ziel daran, ob die Himmelskugel ihren Lauf vollführe oder nicht? Die Welt ist ohne Gott gewesen und Gott kümmert sich nicht darum, daß sie sich dreht. Wenn Gott endlich das EINE ist, ja dann ist Er womöglich noch entfernter von Welt und Mensch. Kennte Es die Menschen, machte Es sich zu Liebe, dann würde Plotins Eines sich zerstören. Welche Gestalt man Ihm auch gibt, immer hat man nur einen Gipfel in Eis und Schnee. Wir möchten Ihn erreichen. Nie aber wird der Berg es leiden, daß eine menschliche Spur seine Reine verletze." "Die wesentliche Neuheit der christlichen Metaphysik ist die gewesen, unsere Vorstellung von Gott aus der Ordnung der Finalität in die Ordnung der Effizienz zu übertragen. Gott wird die Wirkursache des Seins, des Seins in seiner Gänze - und der letzte Grund dieser Schöpfung ist ein Grund der Liebe." (*13)

Gleichzeitig eine Art Entschuldigung des griechischen Denkens und ein Hinweis auf ein vielleicht noch tieferes:

"Vermöchten wir, der göttlichen Worte beraubt, diese zu erfinden? Tatsächlich konnte weder die griechische noch die indische Mystik sie schmieden. Der Schwung, welcher sie die Naturreligion übersteigen ließ, hat sie nicht bis zu jener sieghaften Gewißheit getragen, wo der Mensch, seines Gottes sicher, sich am göttlichen Werke beteiligt. Dank vieler Glücksumstände zusammen glaubt der griechische Weise manchmal, bei flüchtigen Blitzen, sich dem Lichte zu nahen: zu seltene Augenblicke, der Nacht geraubt. Und die Weisheit Indiens hat, wie jeder weiß, nur das eine erreicht, die Sehnsucht auszulöschen. Das heißt unsere höchsten Gefühle leugnen. Man stellt unsere Unfähigkeit fest, das Sein zu gewinnen, und Indien gibt die Suche auf. Darf man noch von Mystik sprechen? Vielleicht ist dies Versagen dem Menschen angeboren? Er verlangt, die Quelle wiederzufinden, Er kann sie, er allein, nicht entspringen lassen. Man steigt zu Gott nicht hinan außer Er steigt hernieder."(*14)

Und eben über das Ergebnis dieser gebenedeiten Herabkunft, über die Einheit von Gott und Mensch in Jesus, über sie heißt es in dem Lehrbuch der katholischen Dogmatik, geschrieben von einem Mann, der - wie behauptet worden - vielleicht öfter als die Bibel Aristoteles zitiert: "Dicendum quod haec unio non est in Deo realiter, sed solum secundum rationem tantum. (S.Th. III q2 a7 ad1) Das ist die eine Seite. Doch wäre Thomas kein Kirchenlehrer geworden, gäbe es nicht auch die andere!

Er stand der griechischen Philosophie, und auch seinem Aristoteles, keineswegs so naiv gegenüber, wie man vielerorts meint. Recht gut wußte er z.B., daß der Schöpfungsgedanke von den Alten tatsächlich nicht erreicht worden ist (*15). Hatte somit die Offenbarung auch eine neue philosophische Erkenntnis gebracht, so wollte Thomas diese doch nicht von der Philosophie ausschließen, sah sie vielmehr als notwendige Folgerung schon in den Prinzipien der größten antiken Denker enthalten.

Es bedarf keines Beweises, daß Thomas die göttlichen Taten, von denen der Glaube weiß, rückhaltlos behauptet. Wichtiger ist, daß er sie auch zu erklären versteht. Das 82. Kapitel des 1.Buches der "Summe wider die Heiden" bringt vier Einwände gegen die Möglichkeit der göttlichen Freiheit und die Antworten auf sie. Der erste Einwand besagt kurz (690): Wenn Gottes Wille frei ist, hat er mehrere Möglichkeiten, ist also in Potenz und nicht das göttliche Wesen.

In der Antwort (694-6) wird der Schöpfer mit einem Künstler verglichen. "Mehrere Möglichkeiten haben" kann eine Schwäche sein: wenn einer seine eigene Vollkommenheit noch nicht erreicht hat und deshalb schwankt, ein Zweifelnder etwa. Es kann aber auch eine Vollkommenheit sein; denken wir an einen Künstler, der sich für ein bestimmtes Werk nach freiem Belieben verschiedener Werkzeuge bediesen kann. Das ist nicht Zeichen der Schwäche, vielmehr der höchsten Kraft: weil seine Kunst beide Werkzeuge überragt, deshalb ist er auf keines angewiesen und hat mehrere Möglichkeiten. "Sic autem est in divina voluntate respectu aliorum a Se."

Der zweite Einwand (691) schließt aus der Freiheit auf eine Veränderlichkeit in Gottes Wollen; die Antwort bemerkt (697), es gebe in Gott keinen Schritt vom Wollenkönnen zum tatsächlichen Wollen; vielmehr will Gott immer, was immer Er will: das Gewollte braucht darum aber nicht notwendig zu sein.

Ein dritter Einwand (692) unterscheidet zwischen natürlich und unnatürlich; unnatürlich und gewaltsam ist nichts in Gott, also natürlich, also notwendig. Die Antwort (700) stellt mit grandioser Selbstverständlichkeit zwischen natürlich und gewaltsam das Freiwillige hinein.

Der letzte Einwand meint: was mehrere Möglichkeiten hat, kann entweder keine wählen oder wird von etwas anderem zu einer bestimmt. Die Antwort (699) läßt den göttlichen Willen vom Verstand, der ja mit ihm identisch und also nichts Äußeres ist, determiniert werden; der göttliche Verstand erkennt jedoch nur sich selbst als notwendig, alles andere als nicht notwendige Bilder seiner selbst. So will auch der Wille sich selbst notwendig, alles andere aber frei. Das menschliche Wollen sei ein gutes Beispiel!

Diese Lehre stammt aus der Bibel und ist um eine Welt von aller griechischen Philosophie getrennt. Wir haben aber kein Recht, sie im Werk von Thomas weniger ernst zu nehmen als die andere Seite. So frei Gottes Wollen ist, so genau Sein Erkennen. Es irren alle die, welche Gott die Dinge nur als Seiende kennen lassen. Bloß allgemein kennen heißt unvollkommen kennen: Gott kennt die Dinge einzeln und sogar ihre Unterschiede voneinander. Denn jegliches Ding hat als besonderes an Gottes Wesen Anteil und wird als solches in diesem Wesen miterkannt. (S.Th. I q14 a6 c) Den Glauben an die Wirklichkeit der Menschwerdung endlich drückt kaum ein Gebet schöner aus als das "Adoro Te" (*16). Gott will also frei die Welt, erkennt deutlich in ihr alles Einzelne und wird endlich sogar, aus Liebe, ein Stück von ihr. Ist das Aristotelismus?

Nun könnte man einwenden: All dies sagt Thomas als gläubiger Mensch und Mann der Kirche, nicht aber als verstehender Theologe; der Schwung seines Denkens, seine persönliche Anstrengung, führt nicht eigentlich zu diesen Themen hin, sondern von ihnen weg und ist, genau besehen, mit ihnen nicht vereinbar.

Genau das Gegenteil ist wahr. Thomas hatte nicht nur gegen die ewig Gestrigen zu kämpfen, die alle heidnische Philosophie verwarfen, sondern auch wider die ewig Vorgestrigen, die damals aus Treue zur alten Philosophie den Schöpfungsgedanken bewußt ablehnten. Aristoteles hatte die Schöpfung nicht eigentlich geleugnet, sondern das Sein der Welt als ganzer unerklärt gelassen. Die Neuplatoniker hingegen wollten durchaus die Welt erklären und kamen dann zu ihrer Lehre von deren notwendigem und vielfach vermitteltem Ausfluß aus Gott:

"Asserunt quidem omnia essendi originem trahere a primo et summo rerum principio, quem dicimus Deum; non tamen immediate, sed ordine quodam ... Sic per ordinem usque ad ultima corporum hunc processum a primo principio determinant."(*17)

Hier stehen wir vor einer reinen Wesensphilosophie. Eines ergibt sich logisch aus dem anderen, alles ist klar; von der "intelligentia prima" bis herab zum letzten Sandkorn kommt alles mit einsichtiger Notwendigkeit zustande, und Gott selbst ist der goldenen Kette erstes Glied. Das einzige, was nicht erklärt wird und allerdings jedem Essentialisten ein Greuel ist, das ist die winzigste oder auch die gewaltigste freie Tat. Sie durchbricht jene einheitliche Verständlichkeit, setzt einen unableitbaren und doch nicht selbstnotwendigen Anfang; geschehen, trägt sie ihren Sinn in sich; doch daß sie geschieht, kann kein Verstand begreifen. Thomas sieht, worum es geht:

"Destruit autem rationem boni in particularibus effectibus naturae vel artis, si quis perfectionem effectus non attribuat intentioni agentis, cum eadem sit ratio boni et finis ... inconveniens est ut bonum universi non proveniat ex intentione universalis agentis, sed quadam necessitate ordinis rerum." (*18) Das Gute in den Dingen ist gerade dies, daß Gott sie beabsichtigt, und zwar so, wie sie im einzelnen sind. Daß Gottes Absicht die Dinge schafft, das gibt ihnen jene Tiefe, die ein meisterliches Kunstwerk freien Schaffens über eine zufällig-notwendige Ansammlung hinausrückt. Wie der Künstler so das Werk:

"Während der Gott eines Plotin ein vollkommenes Sein war und sogar die Güte selbst, konnte man doch von ihm nicht sagen, daß er ein selbständiges und unabhängiges Sein sei; denn er konnte Sein Wesen nicht als Güte aufrecht erhalten, wenn nicht die berühmte homerische goldene Kette des Alls, bis hinab zur begrenzenden Formlosigkeit der Materie, als ein ewiger Nachbar an seiner Güte teilhatte. Hier war Güte ohne Selbständigkeit und darum Güte ohne Wahl. Hier war nicht so sehr ein notwendiges Sein als ein genötigtes."(*19)

Gottes Notwendigkeit stand hier zur Freiheit im Gegensatz, weil die Notwendigkeit nicht in sich selber, sondern, essentialistisch, als Funktion der Welt begriffen wurde. Nicht primär Gott in sich war notwendig, sondern alles und darum auch er. Thomas der Christ rückt Gott als den allein Notwendigen unendlich über jeden Wesenszusammenhang mit der Welt hinaus und gibt dann der Welt, dem Kunstwerk dieses Gottes, das sich der Güte einer solchen Freiheit verdankt, überhaupt erst ihre wahre Würde.

Der Stern des hellenistisch-arabischen Essentialismus war zu Thomas' Zeiten noch keineswegs verblichen. Noch Wilhelm von Occam ist so sehr von ihr beeindruckt, daß er die Freiheit Gottes nur aus dem Glauben, nicht aber für die Vernunft gewiß sein läßt. Er meint, der Ungläubige könne jedes vorgebrachte Argument widerlegen (*20). So unrecht werden wir ihm darin heute nicht geben, wissen wir doch, daß die Schöpfungslehre dem Denker eine geistige Bekehrung vom Essentialismus zum Seinsdenken abverlangt; wer sie nicht vollzieht, kann in der Schöpfung keinen Sinn erblicken. Daß das alles begründende Tat-Sein weder von unten her ("et ipsum esse angeli est praeter eius essentiam vel naturam" - Quodl.2,2,2) noch von oben her (Deus agit in creaturis non per necessitatem naturae, sed per arbitrium voluntatis" - CG II 23) denkerisch begriffen werden kann, vielmehr dankbar ergriffen werden will, als Bruch jeden autarken Systems: das, und nichts anderes, ist der christlichen Philosophie letzter Schluß. Kein (vielfach geknickter oder dialektisch verschlungener, doch nie abreißender) Wesensstrahl führt von Gott zu uns oder von uns zu Ihm, sondern wir sind, weil Er es will: zu begreifen gibt es da nichts. Nur weil wahr, ist die Schöpfungsphilosophie auch vernünftig; dem ungläubigen Verstand bleibt sie Torheit.

Weit entfernt davon, den Schöpfungsglauben nur passiv übernommen zu haben, hat Thomas ihn also, gegen eine starke Strömung des Geistes seiner Zeit, zu wahren und dabei philosophisch ungeheuer zu vertiefen gewußt.

Dennoch will uns ein Zweifel nicht verlassen. Hat Thomas nicht vielleicht den Emanatismus so gründlich überwunden, daß dabei Gott, wie ehedem bei Aristoteles, ganz von der Welt getrennt worden ist? Was Gottes Freiheit heißt, ist wohl Seine Unabhängigkeit: nimmt sie ihm aber bei Thomas nicht die Freiheit, zur Welt in ein wirkliches Verhältnis zu kommen? Gottes Freiheit würde zerstört sowohl von der notwendigen Beziehung wie von der notwendigen Unbezogenheit: hat Thomas das katholische Denken vom einen Joch so gewaltsam befreit, daß es unter das andere geraten ist?

Gottes Freiheit und Gottes Einfachheit: beides hat Thomas nicht nur nebenbei, sondern mit vollem Einsatz gelehrt. Beides scheint sich aber zu widersprechen, darin hat Aristoteles recht gesehen. Was liegt dem EINFACHEN am Vielen? Wie kann ein Geist, der sich jeder Kleinigkeit annimmt, einfach genannt werden? Wir haben es hier mit einem Geheimnis und erst dann mit einem Problem zu tun. Thomas ist nicht dabei stehen geblieben, beide Seiten in sich zu behaupten und zu erklären. Er hat auch nach ihrem Verhältnis zueinander gefragt und hat, accft das Problem des Ausgleichs beider Wahrheitspole sich stellte, mit stets derselben unschuldigen Formel geantwortet: "relatio non realis, sed rationis tantum".

Was verbirgt sich hinter ihr?

2) "Relatio secundum rationem"

Wenn wir von Gott sprechen wollen (das muß der Glaube, seit Gott gesprochen hat), müssen wir es in weltlicher Sprache tun:

"Omnia autem quae dicuntur de Deo et creaturis, dicuntur de Deo secundum aliquem respectum ad creaturas, vel e contrario, sicut patet per omnes opiniones positas de expositione divinorum nominum." (Pot q7 a7 c)

Doch gilt es ebenso, die Unangemessenheit aller unserer Aussagen zu bedenken:

" Ens non dicitur univoce de substantia et accidente, propter hoc quod substantia est ens tamquam per se habens esse, accidens vero tamquam cuius esse est inesse. Ex quo patet quod diversa habitudo ad esse impedit univocam praedicationem entis. Deus autem alio modo se habet ad esse quam aliqua alia creatura; nam ipse est suum esse, quod nulli Alii creaturae competit. Unde nullo modo univoce de Deo et creatura dicitur, et per consequens nec aliquid aliorum praedicabilium."(Pot q7 a7 c)

Wem dieser methodische Grundton nicht bei jeder Aussage von Thomas mitklänge, der verstünde keine. Wir können von Gott nur so sprechen, daß wir Begriffe dieser Welt analog auf Ihn anwenden, immer freilich im Bewußtsein, daß sie Gott auf unerkennbar andere Weise zukommen.

Wollen wir darum verstehen, was "relatio secundum rationem" in der Theologie heißt, dann müssen wir diese für eine Weile verlassen und uns aufs Studium der Kategorienlehre verlegen.(*21) "Ratio" ist für Thomas ein Schlüsselbegriff:

"Diligenter explicetur, quia ex hoc pendet totus intellectus eorum, quae in I. Libro dicuntur, quatuor oportet videre: Primo quid sit ratio ... (1 Sent d2 a3)

Es folge eine aufs Äußerste überraschende Analogie zu unserem Problem:

Ens dicitur dupliciter: Uno modo secundum quod significat naturam decem generum; et sic neque malum neque aliqua privatio est ens neque aliquid. Alio modo secundum quod respondetur ad quaestionem an est; et sic malum est, sicut et caecitas est ... Malum quidem est in rebus, sed ut privatio, non autem ut aliquid reale; sed in ratione est ut aliquid intellectum: et ideo potest dici, quod malum est ens rationis et non rei, quia in intellectu est aliquid, non autem in re ..." (De Malo q1 a1 ad 19 & 20)

"Sein" heißt demnach zweierlei. Einmal bedeutet es die Natur der zehn Arten. Damit sind die Kategorien des Aristoteles gemeint, die Substanz und die neun Akzidentien, zu denen auch die Relation gehört. Was unterscheidet diese Weise, zu sein, von der zweiten? Zunächst könnte man an einen handfesten "Objektivismus" denken:

"Nihil quod est ens tantum in anima, in genere determinato collocatur." (I Sent d26 q2 a1 c) "In nullo enim praedicamento ponitur aliquid nisi res extra animam existens (Pot q7 a9 c)

Wird hier nicht einfach das, was jeder Mensch "wirklich" nennt, einer bloß subjektiven Einbildung gegenübergestellt? Sicherlich nicht, das zeigen die Beispiele. Für den gesunden Menschenverstand ist Blindheit eine schreckliche Wirklichkeit. Für Thomas fällt sie aber nicht unter die zehn Kategorien und ist nicht im eigentlichen Sinne "aliquid reale". Stehen wir vor einer Vergewaltigung der Wirklichkeit seitens eines zu engen Schemas? Keineswegs. Was aber will der Unterschied beider Bedeutungen von "Sein" dann besagen? Ein Paralleltext bringt die Lösung:

"Esse dupliciter dicitur ... Uno modo secundum quod est copula verbalis ... et sis esse attribuitur omni ei de quo potest propositio formari, sive sit ens sive privatio entis; dicimus enim caecitatem esse. Alio modo dicitur actus entis inquantum est ens, idest quo denominatur aliquid ens actu in rerum natura." (Quodl.9 q2 a2)

Wenn sich Thomas auch beständig auf Aristoteles beruft, so ist diese Lehre doch sein eigenes Werk (*22). Wirklich im eigentlichen Sinne ist nur, was positiv am Sein teilhat, wofür der Schöpfer verantwortlich ist:

"Actus peccati et est ens et est actus; et ex utroque habet quod sit a Deo. Omne enim ens, quocumque modo sit, oportet quod derivetur a primo ente, ut patet per Dionysium ..." (S.Th. I-II q79 a2)

Diese Wirklichkeit gliedern wollen die Kategorien; was nicht im Sinn von "Geschöpf der Schöpfergüte" ein Seiendes ist, fällt nicht unter sie. Nicht solcherart Geschöpf Gottes zu sein kommt vor allem zwei Gruppen anders gearteter "Wirklichkeiten" zu: den "Geschöpfen des Menschen" (sie sind entia rationis im heutigen, engeren Sinn: Einbildungen von Verstand oder Phantasie) und dem, was irgendwie in der Welt durchaus "wirklich" ist, aber als schlechte Unordnung nicht auf den Schöpfer zurückzuführen ist: Blindheit, erst recht Sünde, überhaupt jegliche Privation. Über beide "entia rationis" im Sinn von Thomas kann und muß man aber wahre Sätze sagen: Jonas war wahrhaft im Bauch des Untiers und Helen Keller war wahrhaft blind und taub.

Thomas stellt also tatsächlich, ohne es ausdrücklich zu sagen (vielleicht ohne je auf den Gedanken zu kommen, daß er genau dies tue), eine neue analoge Gestuftheit des Seins ans Licht: Es gibt das im eigentlichen Sinn Wirkliche und dann gibt es, auf unvergleichlich niedrigere Weise, aber doch nicht schlechthin nur nichts, auch die entia rationis. Dabei kann das Wort "Sein" entweder als analog auf all diese Seinsweisen anzuwendender Allgemeinstbegriff verwandt werden ("ens" dupliciter dicitur) oder im engeren Sinn von "Real-Sein". So gesprochen sind die entia rationis nicht - ihre echte Behauptbarkeit zeigt aber deutlich, daß sie auf ihre Weise eben doch sind. Das Wort "Seinsweisen" stammt von Thomas selbst und bezeichnet die verschiedenen Kategorien (*23); tatsächlich läuft aber auch die Unterscheidung zwischen "realiter" und "secundum rationem tantum" auf verschiedene "modi praedicandi hinaus, deutet also auf eine weit fundamentalere Analogie des Seins hin als sie zwischen den Kategorien des Weltseins waltet. Wir sahen oben (S.171), wie Thomas die größte aller Analogien verschiedener Seinsweisen, die Gott und Welt trennende, mit der zwischen den Kategorien Substanz und Akzidens vergleicht: ähnlich nun sind "ens reale" und "ens rationis verschiedene Seinsweisen, nicht aber ist das eine, und das andere schlicht und nur nichts. Zu den so verstandenen "entia rationis gehört auch die "relatio rationis tantum. Das geht klar aus dem Beweisgang desjenigen Artikels hervor, wo Thomas unser Problem am ausführlichsten behandelt: Pot q7 a10. Das 'corpus' beginnt wie folgt:

"Respondeo. Dicendum quod relationes, quae dicuntur de Deo ad creaturam, non sunt realiter in ipso. Ad cuius evidentiam sciendum est, quod cum relatio realis consistat in ordine unius rei ad rem aliam, ut dictum est; in illis tantum mutua realis relatio invenitur in quibus ex utraque parte est eadem ratio ordinis unius ad alterum."

Das ist entscheidend. Die von Thomas zugrunde gelegte Definition einer wirklichen Relation läßt sich so ausdrücken: Eine wirkliche Relation liegt nur dann vor, wenn das Relationsziel mindestens ebenso wirklich ist wie der Relationsträger. Sobald "wirkliches Verhältnis" so definiert wird, ist die Frage natürlich gelöst, ob es in Gott ein wirkliches Verhältnis zu uns gebe!

Die Bedingung der "eadem ratio", der gleichen Wirklichkeitsdichte, ist z.B. erfüllt bei den quantitativen Relationen; ebenso führen die mannigfachen Wirkeinflüsse der Dinge aufeinander zu Wechselverhältnissen (Beil/Holz; Mutter/Kind). Wo immer dem Tätigen durch seine Tat zugleich in sich selbst etwas widerfährt, da liegt eine Wechselbeziehung vor.

Es folgen Beispiele einseitiger Verhältnisse:

Quaedam vero sunt ad quae quidem alia ordinantur, et non e converso, quia sunt omnino extrinseca ab illo genere actionum vel virtutum quas consequitur talis ordo."

Dafür bringt er fünf Beispiele: Das Wissen verhält sich zum Wißbaren, aber nicht umgekehrt; denn das Ding wird in sich gar nicht davon berührt, ob jemand es weiß oder nicht. Ebenso ist es bei der sinnlichen Wahrnehmung: wohl wirkt das Gesehene physisch auf das Auge ein; damit sieht man aber noch nicht: (für die Kerze macht es keinen Unterschied, ob der Sehnerv des erleuchteten Auges gesund ist). Ein Mensch steht rechts von einer Säule: nur für das differenzierte Lebewesen bedeutet das eine wirkliche Relation, nicht für die Säule. Das Geld ist von den Preisen unabhängig, diese aber auf es bezogen; ähnlich hat zwar ein Bild eine wirkliche Beziehung zum Dargestellten, dieser aber nicht zu seinem Bild.

Selbstverständlich hat Gott in diesem Sinn keine wirklichen Beziehungen zu Seinem geschaffenen Bild; denn

"sua actio est sua substantia, et quidquid in ea est, est omnino extra genus esse creati, per quod creatura refertur ad Deum."

Diese Lehre hat nichts Dunkles oder Abstoßendes an sich; sie ist hell wie der Tag. Wie kommt Thomas aber zu dieser Definition von "relatio realis? Warum das Grundwort "Relation" derart einengen, daß das "Urbild-Sein" für den Gemalten keine Wirklichkeit ist statt bloß eine analog mindere?

Zwei Versuche, der Relation innerhalb des aristotelischen Kategorienschemas einen Platz anzuweisen, waren Thomas bekannt.Der eine findet sich bei Boethius (*24). Nach der Substanz kommen die zwei inneren Akzidentien Qualität und Quantität (die beide eigentlich vom Ding ausgesagt werden), sodann die sechs letzten Kategorien (die alle das Ding von etwas Äußerem her benennen); die Relation, das reine "Von-außen-her", steht ganz am Schluß, als äußerstes der äußeren Akzidentien.

Genau wie Boethius hielt es auch sein Kommentator Gilbert Porreta. Darum ist es von besonderer Ironie, daß ausgerechnet unter seinem Namen jenes Werk umlief, das im 13. Jahrhundert fast als Ergänzung der aristotelischen Kategorienschrift galt: der "Liber sex principiorum". Die Relation wird hier, neben Qualität und Quantität, dadurch zu den inneren Akzidentien gerechnet, daß sie vor den übrigen erwähnt wird, von denen es dann heißt: "aliae veniunt extrinsecus (*25).

Thomas kannte beide Auffassungen (*26) und entscheidet sich klar, gegen Boethius, für die zweite: An beiden Stellen, wo er die Kategorien abhandelt (*27), zählt er die Relation zu den inneren Akzidentien. So gekünstelt nun manchem Philosophen diese Einteilung vielleicht scheint, so sehr ist sie theologisch gefordert: wie könnte Gottes innerstes Leben Ihm äußerlich sein? Wenn Vater und Sohn Gott selber und doch aufeinander bezogen sind, dann muß die Relation ihrem Sein nach zu den inneren Akzidentien gehören (denn nur diese identifizieren sich bei der Übertragung auf Gott mit dem Wesen selbst) und nur ihrem Sinn nach auf etwas anderes gehen.

Diese Unterscheidung von Sein und Sinn, esse und ratio, ist hochbedeutsam:

"In relatione - sicut in omnibus accidentibus - est duo considerare, sc. esse suum, secundum quod in subiecto fundatur, secundum quod ponit aliquid in ipso, prout est accidens; et rationen suam, secundum quam ad aliud refertur, ex qua in genere determinato collocatur." (I Sent d26 q2 al)

"Cum relatio sit accidens in creaturis, esse suum est inesse; unde esse suum non est ad aliud so habere. Sed esse huius secundum quod ad aliquid, est ad aliud se habere." (Pot q8 a2 ad12)

Beide Male geht es um den Ausgleich der porretanischen Wahrheit (die Relation ist keine innere Kategotie, sondern "ad aliquid") mit der anderen: die Personen sind in Gott, ja Gott selber. Was Thomas meint, ist beide Male dasselbe. Bemerkenswert ist aber der Wechsel im Sprachgebrauch. Man sieht deutlich, wie er sich nicht recht festlegen kann darauf, was "esse" nun eigentlich heiße. Im ersten Text ist "esse" klar der "ratio" gegenübergentellt: "sein" kann eigentlich nur Absolutes, in sich 'Ruhendes, d.h. die Substanz und alles andere, sofern es als ihre Bestimmung zu ihr gehört, Auch die Relationen sind, sofern sie den Dingen wirklich zukommen. Was aber ihr eigentliches Sein als Relation ausmacht, "secundum quod ad aliud refertur", da kann man nicht mehr von "Sein" sprechen, sondern das ist die "ratio", das, was jeder versteht, der eine Relation versteht, jenes zum andern hin Sich-Strecken. Die Substanz ist gewissermaßen als ein fester Punkt, die inneren Akzidentien bilden einen Kreis, der um diesen Punkt herum von ihm ausgeht, nur als seine Bestimmung Sinn hat und im Extremfall (wenn der Punkt unendlich und der Kreis einfach ist) mit ihm zusammenfällt. Die Relation dagegen wäre einem Pfeil zu vergleichen, der zwar im Punkt gründet (das ist ihr Sein als Akzidens), aber nie zu ihm zurückkehrt, sondern zu einem anderen Punkt weiterweist. Selbst wenn beide Punkte zusammenfallen, bleibt dennoch die Relation ein gleichfalle unendlich einfacher Pfeil, schafft sich gewissermaßen in einfachen Seinspunkt zwei mit Ihm identische, aber voneinander unterschiedene Relationspunkte: die Personen.

Man sieht: "Esse" und "ratio" in diesem Sinn sind aufeinander unrückführbar; man sieht aber auch, wie "ratio" hier gar nichts mit "bloß logisch" zu tun hat, sondern einfach ein erster Notbehelf ist, um in eine statische, physizistische Philosophie die christliche Hochschätzung der Beziehung einzubauen. Im anderen Text wird noch deutlicher, daß es hier tatsächlich um zwei grundverschiedene "Seinsweisen" geht, diesmal aber nicht "vertikal" zueinander (wie bei Gott/Welt, Substanz/Akzidens, ens reale/ens rationis), sondern gleichrangig neben- und ineinander.

Aufgrund des Dreifaltigkeitsdogmas also mußte der Begriff der Relation so gefaßt werden, daß ihr "esse ad" ("ratio") denselben Seinsrang hat wie ihr "inesse" ("esse"). Wo dies der Fall ist, da erstreckt sich das Sein auch auf die Relation und macht sie zur realen: wie jemand, nicht minder ernsthaft denn Mensch, auch Vater wirklich ist.

Wo hingegen die "ratio" der Relation, aufgrund eines unvergleichlich minder wirklichen Gegenübers, einen niedrigeren Seinsrang einnimmt als das Ding, dem sie zugehört, da kann dessen "esse" die Relation nicht mit seiner eigenen Wirklichkeitsdichte verwirklichen: Urbild eines gemalten Abbildes zu sein bedeutet für einen Menschen in diesem Sinn keine Wirklichkeit, der "ratio" fehlt das Sein des Relationssubjektes und wir haben eine "relatio non realis, sed rationis tantum". Das meint Thomas mit diesem rätselhaften Begriff, und man kann ihm kaum mangelnde Deutlichkeit vorwerfen. Allein vor diesem Hintergrund läßt sich ein Satz wie der folgende anders denn als Sophisterei verstehen: "Nihil enim prohibet aliquod habere respectum ad alterum, absque hoc quod realiter insit ei relatio." (Comp.Theol. I c.212)(*27)

Wie konnte es nun kommen, daß diese Lehre derart mißverstanden wurde? Wie ist es möglich, daß man bei einer relativ gründlichen Einführung in die Scholastik heutzutage nur immer erfährt, Gott habe eigentlich kein Verhältnis zu Seinen Geschöpfen, wenngleich unser Verstand nicht davon ablassen kann, eines in Ihn hineinzudenken? Warum wird nicht erklärt, was diese Lehre eigentlich meint: daß sie im Grunde nur ein innergöttliches Verhältnis Gottes zu uns als Endlichen ausschließt, an sich aber durchaus Raum ließe für ein weniger erhabenes, mit dem wir uns ja gewiß begnügten?

Mir scheint, die Schuld liegt nicht nur bei den Nachfahren des Meisters. Thomas selbst ist in dieser Frage nicht zu voller Klarheit gelangt. Sein Schwanken zwischen "esse ad" und "ratio", ebenso sein Abwechseln zwischen dem richtigen "secundum rationem tantum" (ratio als esse ad verstanden) und dem mißverständlichen, ja eher schon irreleitenden "in ratione tantum" (hier kann "ratio" doch nur Vernunft heißen) - all das zeigt: was er eigentlich meinte, blieb ihm noch zu sehr im Unbestimmten stecken. Das ist auch wohl verständlich. Denn was nützt schließlich der herausgearbeitete Begriff der "relatio rationis tantum" in der Theologie? Wenn diese "ratio" nicht nur ein Gemächt unserer "ratio", sondern irgendwie (sei es noch so analog und dürftig) eine Wirklichkeit Gottes selber sein soll, dann muß sein Verhältnis zu uns auch irgend ein Insein in Gott haben. Worin sollte das aber bestehen?!

Gottes Wesen kann es nicht sein; denn Es ist nicht auf die Geschöpfe bezogen; auch ergäbe dies eine "relatio realis" im eigentlichen Sinn. Gibt es also dann doch Akzidentien in Gott? Das verträgt sich aber nicht mit Seiner Einfachheit. Weiter kann man fragen: Die Unterschiede der Geschöpfe untereinander sind doch eine absolute, keine nur relative Vielheit. Stellte also Gottes Erkennen und Wollen ihrer als einzelner eine besondere Wirklichkeit in Gott dar, die es ohne Schöpfung nicht gäbe, dann hätte er in sich nicht nur eine relative, sondern eine absolute Vielheit. Beweist nicht Thomas das Fehlen eines wirklichen Verhältnisses gerade auch mit diesem Argument?(*27)

Zusammenfassung: Bei der Relation wie bei jedem Akzidens wird zwischen "esse" und "ratio" unterschieden, das "esse" ist das Insein der Relation in der Substanz, die "ratio" ist ihr Sinn als Gegenüber. Beide sind auf einander unrückführbar. Eine "relatio realis" (et secundum rationem!) liegt dann vor, wenn beide bezogenen Dinge einer Ordnung, demselben Seinsrang angehören. Eine "relatio secundum rationem tantum" ist dann auszusagen, wenn die Relation zwar eine "ratio" hat, eine so schwache aber, daß sie nicht mit der Dichte der Substanz selbst "wirklich" genannt werden darf. In diesem Fall, sagt Thomas, hat das Ding zwar einen Bezug, aber es ist kein wirkliches Verhältnis in ihm. In der Theologie stehen zwei Wahrheiten unausgeglichen nebeneinander: die "ratio relationis" Gottes zu uns ist nicht ein bloßes Einbildsel unserer Vernunft, sondern wir müssen so sprechen; sie ist aber andererseita weder Gottes Wesen noch ein Akzidens in Ihm. Nur in dieses Dilemma hinein führt uns der Begriff "relatio" Bringt uns eine andere Kategorie vielleicht weiter?

3) "Actio"

Mit Hilfe welchen Grundmodells vermögen wir Gottes "Handeln nach außen" zu erfassen? Ist es eine "operatio immanens" oder eine "actio transiens"? Thomas läßt uns ziemlich ratlos, wenn er in dieser Frage zwar jeweils dem Philosophen, nicht aber sich selber treu bleibt:

"Est autem duplex rei operatio, ut Philosophus tradit, in IX Metaphysicae: una quidem quae in ipso operante manet est ipsius operantis perfectio, ut sentire, intelligere et velle; alia vero quae in exteriorem rem transit, quae est perfectio facti quod per ipsam constituitur, ut calefacere, secare et aedificare. - Utraque autem dictarum operationum competit Deo: prima quidem in eo quod intelligit, vult, gaudet et amat; alia vero in eo quod res in esse producit, et eas conservat et regit." (CG II,853 é 854)

"Secundum Philosophum, in IX Metaph., duplex est actio: Una quae manet in agente et est perfectio ipsius, ut videre; alia quae transit in exteriora et est perfectio facti, sicut comburere in igne. Divina autem actio non potest esse de genere illarum actionum quae non sunt in agente: cum sua actio sit sua substantia, ut supra ostensum est. Oportet igitur quod sit de genere illarum actionum quae sunt in agente et sunt quasi perfectio illius." (CG II,23,993)

Thomas war gewiß ein Systematiker, aber jedes System hat seine Randunschärfen! Eine gleichermaßen elegante wie nichtssagende Lösung der Schwierigkeit läge in der Distinktion "formaliter immanens, virtualiter transiens": nichtssagend darum, weil sie nichts anderes besagt als das Problem selbst. Wie kann die Schöpfungstat zugleich innere Wirklichkeit Gottes sein (denn außerhalb Seiner gibt es nur das Nichts) und dennoch Sein Wirken nach außen? (*29)

Abermals geht es uns nicht um eine breite Darstellung all dessen, was Thomas über operatio und actio zu sagen hat. (*30) Jene bietet keine Schwierigkeiten. Die "innebleibende Tat" ist das Bei-Sich-Sein, die Lichtheit von Selbsterkenntnis und Selbstbejahung, auch wenn sie (wie bei der Sinnlichkeit) durch das Außen vermittelt ist. Rein ist diese Kategorie nur auf Gott anwendbar; denn wir Menschen sind bei uns nur so, daß wir immer auch beim Äußeren sind: keine geistige Tat ohne Hilfe der Sinnlichkeit.

Schwer aber ist die "übergehende Tat" zu verstehen. Da scheint es, als könnten wir die ungeheuer einfache Wahrheit, die Thomas wohl "gemeint" hat, nur erreichen, indem wir aus vielen Elementen ein Mosaik zusammensetzen, das er selbst nicht mehr als Ganzes erblickt hat.

Der empirische Ursprung des Begriffs ist nicht dunkel: stellen wir uns einen Glühherd vor, der langsam einen Kessel Wassers erhitzt - und versenken wir uns dann in die Reflexionen des Aristoteles, denen Thomas kaum etwas hinzufügt: Es geht um das Rätsel der Bewegung, d.h. Veränderung. Heißt Tun selber verändert werden oder nicht?

"Das Problem ist klar: denn die Bewegung ist, im Bewegten; sie ist nämlich dessen Wirklichkeit und vom Beweger. Und des Bewegers Wirklichkeit ist keine andere; denn sie muß beiden Wirklichkeit sein. Beweger ist (etwas) nämlich durch das Können, bewegend aber durch das Tun. Es ist aber eben Verwirklichung des Bewegten, und so ist ähnlich beider Wirklichkeit eine, wie derselbe Abstand von eins zu zwei und von zwei zu eins, sowie das Hinauf und das Hinunter. Denn diese sind zwar eines, ihr Begriff aber ist nicht einer.

Das hat jedoch eine logische Schwierigkeit: denn vielleicht ist es nötig, daß des Handelnden und des Leidenden je eine andere Wirklichkeit ist; das eine ist ja Tun, das andere Erleiden; Werk und Ziel aber ist des einen die Wirkung, des anderen das Bewirktsein. Da nun beide Bewegungen sind: wenn sie verschieden sind, in welchem sind sie dann? Denn entweder sind beide im Erleidenden und Bewegten, oder das Tun ist im Handelnden, das Erleiden aber.im Erleidenden (muß man aber auch es Tun nennen, so geschieht es aequivok). Ist es nun aber so, dann wird die Bewegung im Bewegenden sein (denn dasselbe gilt für das Bewegende wie für das Bewegte), so daß entweder jedes Bewegende bewegt wird, oder aber ein Bewegung Habendes nicht bewegt wird.

Sind hingegen beide im Bewegten und Erleidenden (und d.h. sowohl Tun wie Er1eiden, sowohl die Lehre wie das Lernen, die doch zwei sind, im Lernenden): so wird erstens die Wirklichkeit eines jeden nicht in jedem bestehen; sodann ist es absurd, daß zwei Bewegungen zugleich bewegt werden: denn welches werden die zwei Bewegungen des einen, und hin zu einer Form, sein? Aber das ist unmöglich.

Sondern eines wird die Wirklichkeit sein. - Aber es ist absurd, daß zweier Artverschiedener eine und dieselbe Wirklichkkit ist. Und wenn Lehre und "Lerne" dasselbe sind, sowie Tat und Erleidung, dann ist auch Lehren und.Lernen dasselbe sowie Tun und Leiden - so daß der Lehrende lernen muß und der Handelnde erleiden.

Oder aber es ist weder, daß die Wirklichkeit des einen im anderen sei, absurd (denn die Lehre ist die Wirklichkeit des Lehrers, wohl aber in jemand, und nicht abgeschnitten, sondern des einen im anderen) noch hindert etwas, daß eine (/Wirklichkeit)/ zweien dieselbe sei - nicht daß das Wesen dasselbe wäre, sondern wie das der Möglichkeit nach Seiende auf das Wirkende hin besteht. (?)

Es ist auch nicht nötig, daß der Lehrende lerne, auch nicht, wenn Tun und Erleiden dasselbe ist - ist ja doch ihr Wesensbegriff nicht einer (wie bei Kleid und Gewand), sondern wie der Weg von Theben nach Athen oder von Athen nach Theben, wie schon gesagt. Denn nicht ist alles dasselbe den irgendwie Selbigen, sondern nur denen das Wesen dasselbe ist. Auch wenn aber Lehrung und Lernung dasselbe ist, so doch nicht Lehren und Lernen; wie auch, wenn zwei Entfernte nur einen Abstand haben, und doch nicht das Abstehen von dort nach hier und von hier nach dort ein und dasselbe ist.

Überhaupt aber ist zu sagen, weder ist das Lehren dem Lernen noch das Tun dem Erleiden eigentlich dasselbe, sondern das, dem diese inne sind: die Bewegung. Denn die Wirklichkeit "des einen im andern" sein oder "des andern vom einen her" sind verschiedene Begriffe."(*31)

Die einzige wirkliche Schwierigkeit liegt in der Frage: ist die Tat im Handelnden, und wie ist sie in ihm? Wieder ließen sich zwei Serien von Thomastexten anführen; die einen leugnen, daß die übergehende Tat im Handelnden sei, die anderen behaupten es (*32). So kam, was nicht ausbleiben konnte: die Thomisten hatten einen weiteren unerschöpflichen Streitborn. Alle sind sich darin einig, daß zum Akzidens "Tat" (welches, logisch gesprochen, auf jeden Fall in dem Handelnden ist, d.h. von ihm ausgesagt werden kann: Tat als Akzidens) die wirkliche Veränderung im Leidenden gehört sowie eine Relation des Tätigen zum Leidenden. Erschöpft sich aber damit der Sinn der Kategorie "actio" oder besagt sie im Handelnden noch etwas über die bloße Relation hinaus, eben das Tun als solches, als eigene Wirklichkeit?

Bereits bei der Kontroverse Ferrara - Cajetan springt der entscheidende Punkt heraus:

Ferrariensis: "Circa hanc difficultatem, variae sunt opiniones in doctrina S.Thomae. Quidam enim tenent propter ea quae adduximus, actionem esse in agente, si essentialiter sumatur; alii vero ipsam esse in patiente. Primam opinionem ego Scoticam potius quam Thomisticam puto; ideo secundam sectando probabo, quantum ad absolutum per actionem importatum, actionem esse in patiente, et hoc de mente S.Thomae, commentatoris, et ipsiue Aristotelis ... actio praedicamentalis nihil dicit existens in agente quod sit de ratione ipsius; cum actio inquantum actio praedicamentalis nihil dicat praeter motum et relationem ... licet dicat aliquid aliud inquantum accidens." (In CG II,1)

Cajetanus: "Ad hoc dicendum mihi videtur quod, apud S.Thomam, actio transiens, praeter motum et relationem, dicit aliquid subjective in agente ... ex parte actionis non solum motus et relatio significatur, sed ly ab significat prius ipsam essentiam actionis, operationem sc. in agente propter perficiendum aliud. Sed quoniam propriis vocabulis caremus, nominibus relationum, sc. praepositionibus ab et in utimur ad occulta significanda, ut saepe contingit."(In Im,25,1;4.6)

Die Auffassungen widersprechen sich ins Angesicht, an sich und auch für ihre Verfechter. Beide unterscheiden mit Thomas auch hier zwischen "esse" und "ratio" (= essentia); daß in der Welt jede Handlung ein Akzidens und als solches im Tätigen ist, nehmen ebenfalls beide an. Der Streitpunkt liegt darin, ob auch der Sinn der Handlung nach außen, daß was sie zu diesem besonderen genus von Akzidens macht, die Tat als Tat, eine Wirklichkeit des Tätigen selber sei oder aber darin aufgehe, die Veränderung des Hervorgebrachten, die Wirkung also, zusammen mit der Relation des Tätigen auf diese Wirkung, zu sein.

Bis heute ist diese fundamentale Frage im Thomismus ungelöst. Vor 40 Jahren kam es aufs neue zu einer Kontroverse, die uns weiterführen mag. (*33)

Marchal (455 f) gelangt zu drei verschiedenen Aspekten, die er alle mit Texten belegt:

"Man kann bei der Tat zunächst ihr physisches Sein, den materialen Gesichtspunkt betrachten ... In dieser Hinsicht fällt die Wirklichkeit der übergehenden Tat mit derjenigen der Bewegung und des Erleidens zusammen, gehört zum Erleidenden, dessen Akt und Vollkommenheit sie ist, und nicht zum Handelnden ... Die zweite Reihe von Texten betrachtet die Tat vom metaphysischen Gesichtspunkt aus, die Tat formal "ut actio". In dieser Hinsicht nennt Thomas sie actus secundus, den letzten Akt der aktiven Potenz. Zusammen genommen, zeigen uns beide Gesichtspunkte die Tat als irgendwie den Akt des Handelnden, aber nicht im eigentlichen Sinn als 'physisch informierenden Akt'. Einen solchen abgeleiteten Sinn legt Thomas in dem Text nahe, wo er die Tat 'actualitas virtutis' nennt ... Die Wirklichkeit Tat-Erleiden aktuiert physisch das Leidende als innewohnende Form, als eigene und innere Vollkommenheit; dieselbe Wirklichkeit kann nicht auf dieselbe Weise Akt des Tätigen sein. Wie kann sie bei ihm dann ein Akzidens begründen und eine Vollkommenheit heißen? ... Tatsächlich behauptet eine dritte Gruppe von Texten ausdrücklich, daß die Tat ein Akzidens des Tätigen ist; ... es handelt sich jedoch um die Tat als kategoriales, zugeschriebenen Akzidens: 'consideratur ut in subiecto'."

Marchals These, die er für die des hl.Thomas hält, läßt sich so zusammenfassen: Die Tat als Tat ist im Erleidenden (1. Aspekt) vom Handelnden her und somit auch dessen, aber nicht physisch informierende, sondern äußerliche Wirklichkeit (2. Aspekt), die deshalb auch mit Recht von ihm (aber eben nicht als innere Vollkommenheit, sondern von außen her) ausgesagt wird (3. Aspekt).

Über solche Lehre zeigt sich Maquart in seiner Antwort höchst erstsunt (133). Er sieht das wirkliche Insein der Tat im Tätigen, das Thomas ausdrücklich lehre, hier nicht gewahrt. Der andere übersetzte "consideratur" mit "zugeschrieben", "was ihm zu sagen erlaubte, daß es hier nicht um einen ontologisehen, sondern um einen logischen Gesichtspunkt geht."(135) Nach verwickelten Ausführungen über die suarezianischen Wurzeln einer derartigen Kategorienschwächung kommt Maquart zu dem Ergebnis, daß nach Thomas aufeinander unrückführbare Kategorien auch verschiedene Wirklchkeiten bedeuten: also ist die Tat dem Tätigen nicht nur logisch zugeschrieben, sondern wirklich etwas in ihm. Was aber? Eben der actus secundus, der sich zur aktiven Potenz als Vervollkommnung, als wirklich ihr zugehörig verhält(153).

Maquarts These läßt sich so zusammenfassen: Die Tat als Tat ist wirklich im Handelnden, wenn sie auch den Sinn hat, einen Effekt im anderen hervorzubringen, also "wesentlich" im Erleidenden ist.

Für beide waren ihre Auffassungen kontradiktorisch. Einmal zitiert Maquart den Partner und behauptet dann das glatte Gegenteil: Die Aktuierung der passiven Potenz ist das Ausüben der aktiven? Nein, sondern ihre Wirkung! (*34)

Über die Klarheit dieses Gegensatzes führen die anderen, von ihm, wie es scheint, unabhängigen Deutungsversuche der Fachleute nicht mehr hinaus. Miller steht mehr auf der Seite, die Marohal vertritt: keinerlei Vervollkommnung des Handelnden durch die Tat (*35); ebenso führt de Finance die Bedeutsamkeit der Tat für den Handelnden auf die Relation zurück (*36). Henri-Rousseau endlich weigert sich, dies schon für das Ganze zu nehmen, kommt also Maquart näher (237).

Damit sind wir wiederum am Ende einer Sackgasse angelangt. Es gibt im Raum der thomistischen Philosophie keine allgemein anerkannte Konzeption der "actio transiens" und entsprechend auch in der Theologie keinen systematisch geklärten Begriff der Taten Gottes nach außen. Die philosophische Problematik ist jedoch deutlich herausgearbeitet und es wird uns, wenn wir die palamitische Anregung aufgreifen, nicht allzu schwer sein, jene Lösung zu finden, welche Thomas wohl gerechter wird als seiner treuen Ausleger ewige Zwiste.

4) Der Weg zur "relatio subsistens"

Vielleicht kann man doch auch noch anderes aus der Geschichte lernen als daß man nie etwas aus ihr gelernt hat. Eine vom Glauben verlangte Korrektur des philosophischen Kategorienschemas kam schon einmal nur unter gewaltigen Mühen und Kämpfen zustande. Muß das immer so sein?

Wie lassen sich die drei Personen der einen Gottheit denken?

Nach dem Ausschluß aller subordinationistischen Versuche steht Augustin ratlos vor der Frage: quid tres? Ebenso wie Gott-Sein und Gut-Sein ist auch das Person-Sein bei Gott mit dem Sein identisch. Warum nennen wir Gott dennoch nicht, wie einen Gott, so auch eine Person? Nur deswegen, damit wir vor der Frage: was ist denn nun drei? nicht ganz und gar verstummen müssen! (*38)

Diese niederschmetternde Auskunft ist jedoch nicht die einzige. Früher schon hatte Augustin einen anderen Weg gezeigt. Bei den Geschöpfen ist zwar alles, was nicht substantiell ist, akzidentell, weil veränderlich. Bei Gott aber wird nichts akzidentell ausgesagt (weil es bei Ihm keine Veränderung gibt); dennoch ist nicht jede Aussage substantiell zu verstehen. Es gibt auch das Prädikat "Relation"; Vater und Sohn verhalten sich zueinander, aber nicht veränderlich, sondern ewig: also sind dies keine Akzidentien. Ebensowenig wird es aber substantiell gesagt, sondern eben relativ: diese Relation ist, weil unveränderlich, kein Akzidens (*39).

Die aristotelischen Kategorien waren zu jener Zeit auch außerhalb des eigentlichen Aristotelismus gemeinsames Handwerkszeug aller Gebildeten. Gelegentliche Versuche, andere Kategoriensysteme einzuführen (Stoa, Plotin), fanden keinen Anklang. Daß Augustin seine Begriffe nicht streng aristotelisch versteht, zeigt seine Definition von "Akzidens" zur Genüge; denn nicht die Veränderlichkeit, sondern das Insein in einem anderen macht für Aristoteles das Wesen eines Akzidens aus. - Was "secundum relativum" ausgesagt wird, ist also weder substantiell noch akzidentell aufzufassen: damit ist Augustin zwar der Lösung des Rätsels "quid tres?" um einen bedeutenden Schritt, nämlich den Begriff der Relation, näher gekommen, hat jedoch seinen Nachfahren die Frage hinterlassen: wie können wir etwas denken, was weder substantiell noch akzidentell ist und doch wirklich?

Boethius schließt zunächst die Vielheit von Menschen in der einen Menschheit als Beispiel für die Dreifaltigkeit aus: denn bei den Menschen machen die Akzidentien die Vielheit; in Gott gibt es aber keine Akzidentien, also auch keine Zahl (*40). Dabei kann es jedoch nicht bleiben. Die göttlichen Personen sind zwar dasselbe, aber nicht derselbe. Sie sind also nicht schlechthin ununterschieden. Weil es um verschiedene Subjekte geht, "schleicht die Zahl sich wieder ein"(*41). "Subintrat numerus." Man spürt am Ausdruck, wie die klassische Philosophie der nicht nur reinen, sondern bloßen Einheit sich nur unwillig dem Worte Gottes ergibt.

Sodann zählt Boethius die Kategorien auf und untersucht, inwieweit sie von Gott gebraucht werden dürfen. Substanz, Qualität und Quantität kann man in gewisser Weise anwenden; freilich erreichen sie Gott nicht eigentlich und überdies müssen beide Akzidentien hier auf substantielle Weise genommen werden, doch kann man von Gott immerhin sagen, Er sei Gott, weise und groß. Die übrigen Akzidentien aber werden weder von Gott noch von den Dingen ausgesagt (*42).

Diese Aussage überrascht. Wieso werden die restlichen Kategorien auch von den Geschöpfen nicht ausgesagt? Boethius erklärt sich, indem er die einzelnen durchgeht und zeigt, daß sie das Ding jeweils nicht in sich selbst betreffen, vielmehr nur äußere Umstände, die man zwar aussagen kann - und auch wahrheitsgemäß - nicht aber eigentlich von ihm, sein Sein betreffend: was sage ich schon über einen Menschen selbst mit der Feststellung, er sei auf dem Marktplatz? Dieser Hinblick auf etwas, was ihm äußerlich ist, betrifft ihn nicht in seinem Sein. So kommt Boethius zum Schluß: Die ersten drei Kategorien weisen auf das Ding selbst, die restlichen auf Umstände seiner; gemäß jenen ist das Ding etwas, gemäß diesen ist es nicht, sondern hat etwas äußerlich angeheftet (*43). Die Relationen sind der äußerste Fall solcher Außenaussage. Er bringt als Beispiele die Verhältnisse Herr/Sklave sowie rechts/links. Vor allem beim zweiten Fall läßt sich klar ersehen, daß das Verhältnis gar nichts am Wesen ändert: allein dadurch, daß einer links neben mich tritt, werde ich ohne jede Veränderung rechts - und umgekehrt (...) Damit hat er den gesuchten Vergleichspunkt für das Dreifaltigkeitsgeheimnis. Denn jetzt kann man in etwa verstehen, wie die persönlichen Relationen zwar zueinander sind, aber nichts am Wesen ändern.

Er zeigt dann noch, wie eine Relation keineswegs immer Verschiedenheit der Substanz verlangt: so kann dasselbe dem, was dasselbe ist, dasselbe sein: "Ita igitur substantia continet unitatem, relatio multiplicat trinitatem."(*44)

Fassen wir die Erklärung des Boethius in einen bewußt krassen Satz zusammen, so ergibt sich: Die Personen sind in Gott Relationen, d.h. nichts, was Gott innerlich zukäme; sie sind vielmehr nur äußerlich angeheftet und ändern das Wesen darum nicht, weil sie es gar nicht betreffen.

Der Streit, zu dem es über eine solche Lehre kommen mußte, brach erst viel später aus. Gilbert Porreta, der tiefste Denker des 12. Jahrhunderts (*45)und glühende Verehrer des Boethius, scheute sich nicht, dessen Begriff in all seiner unerträglichen Schärfe vor den Zeitgenossen zu vertreten. Gilbert kann nicht übersetzt, sondern muß erklärt werden. So lautet der entscheidende Abschnitt:

"Sic igitur theologica cum naturalibus in parte rationis illius i.e. personalitatis, a cuius plenitudine naturalibus hoc nomen inditum est, convenire intelligitur et in parte differre. In quo maxime illud est attendendum quod naturales personae his quibus unaquaeque aliquid est, prius a se invicem sunt aliae, ut de his per haec a se aliis deinde huiusmodi extrinsecus affixa praedicamenta dicantur: quorum oppositione etsi non sint alia, recte tamen (eorum, quibus sunt, oppositione) probantur esse alia.

Theologicae vero personae, quoniam eius, quo sunt, singularitate unum sunt et simplicitate id quod sunt, essentiarum oppositione a se invicem aliae esse non possunt. Sed harum (quae dictae sunt) extrinsecus affixarum rerum oppositione a se invicem aliae et probantur et sunt. Ideoque nomen et numerum personarum in theologicis et tam ineffabile verbis quam incomprehensibile ratione secretum auctor admirans: ALTERITATEM illam, qua Pater et Filius et Spiritus sanctus a se invicem alii sunt, appellaturus 'PERSONARUM' recte praemisit: SI DICI POTEST et QUOD VIX INTELLIGI POTUIT." (De Trinitate I 10 23,83 ed. Haring; PL 64,1295 D f)

In einem Teil des Begriffes der Personhaftigkeit stimmen Theologie und Philosophie überein, in einem anderen gehen sie auseinander. Für die Philosophie sind die Personen durch eben das (nämlich ihr Sein), wodurch jede in sich (etwas) ist, auch voneinander unterschieden; und zwar ist dieses Unterschieden-Sein in der Wurzel des eigenen Seins der Grund, warum dann auch äußerlich angeheftete Kategorien ausgesagt werden: wie z.B. die Relation: A verhält sich zu B als sein Freund. Durch die Relation sind sie nicht verschieden, werden allerdings durch sie als verschieden erwiesen.

Anders in der Theologie. Das Sein, wodurch die Personen sind (Gottes Wesen), ist einzeln und einfach, macht sie also nicht zu dreien, sondern zu einem. Sie sind also nicht durch ihr Sein verschieden, vielmehr ist es nur der Gegensatz dieser "äußerlich angehefteten Dinge" (der Relationen), welcher die göttlichen Personen zugleich verschieden sein und sich als verschieden erweisen läßt. Der Schluß des Zitates lobt zu Recht des Boethius Verstummen vor dem Geheimnis.

Die dunkle Strenge von Gilberts Denken zog die einen an, verwirrte die anderen und wieder anderen erschien sie als unerhörter Rationalismus. Einige seiner Formeln, darunter die eben erklärte Stelle, erregten einen solchen Sturm, daß auf dem Konzil zu Reims im Frühjahr 1148, im Beisein des Papstes Eugen III., über die Rechtgläubigkeit des "Porretanismus" scharf verhandelt werden mußte. Den Verlauf der Verhandlungen kurz zu schildern ist bei der verwickelten Quellenlage unmöglich. Es kam jedenfalls zu schwersten Zusammenstößen; selbst ein Schisma zwischen den Kardinälen (die zu Gilbert hielten) und der gallischen Kirche (vom hl. Bernhard angeführt) lag in der Luft. Endlich gelang aber doch eine Einigung.

"Der Entscheid Eugens III. wies die gilbertschen Spekulationen in die Schranken der Rechtgläubigkeit. Gilbert selber stimmte dem Entscheid des Papstes zu; ob er jedoch selber diesen Entscheid als seiner Lehre zuwiderlaufend beurteilte, bleibt zweifelhaft. Jedenfalls hielt er es nicht für nötig, eine Änderung in seinen schriftlichen Darstellungen über die Trinität vorzunehmen." (*46)

Man spürt die Leidenschaft des Streites bis in die Formulierungen des Anti-Credos hinein, welches - vom Bernhard-Kreis zusammengestellt - obwohl ihm kein dogmatischer Wert zukommt, doch erst im neuesten "Denzinger" nicht mehr zu finden ist. Der dritte Satz darin bekämpft jene "von Ewigkeit her Gott äußerlich angehefteten Dinge: "Credimus et confitemur solum Deum Patrem, Filium et Spiritum sanctum aeternum esse, nec aliquas omnino res, sive relationes, sive proprietates, sive singularitates vel unitates dicantur, vel alia huiusmodi, adesse Deo, quae sint ab aeterno et non sint Deus." (Mansi 21,713 B)

Spätere Porretaner konnten, ohne die weise Mäßigung ihres Meisters, nur zu simpleren und vollkommen unhaltbaren Formulierungen gelangen. So erläutert in einem Dialog Sosias (allerdings ein Laie!) folgendermaßen Gilberts Lehre (*47):

"Nam in naturalibus substantialia faciunt esse rem et accidentalia probant. At in theologicis accidentalia faciunt res esse et probant. Unde Plato vel Petrus est homo humanitate. Sed probatur esse homo accidentali lineamentorum effigie. Pater autem paternitate Pater et ita persona in Trinitate."

Das, was den Vater zum Vater macht, ein Akzidens! Kein Zweifel: mit solchen Formeln war die Spekulation am Ende. Freilich hatten Gilberts Gegner über die bloße Ablehnung seiner Ausdrücke hinaus auch nichts Besseres anzubieten. Petrus Lombardus war in Reims auch dabei gewesen und scheute sich nicht, die stärksten Ausdrücke gegen Gilbert zu brauchen. "Haereticorum improbitas, instinctu diabolicae fraudulentiae excitata ..."(*48) "quidam perversi sensus homines"(*49). Was Petrus selbst zur Lösung beiträgt, ist wenig genug: auf die bohrenden Einwände des jetzigen Bischofs von Poitiers wird mit den Worten seines heiligen Vorgängers geantwortet, man könne hierüber nichts wissen:

"Respondeo tibi et hic cum Hilario: Ego nescio, non requiro, et consolabor me tamen. Archangeli nesciunt, Angeli non audierunt, saecula non tenent, Propheta non sensit, Apostolus non interrogavit, Filius ipse non edidit. Cesset ergo dolor quaerelarum ... " (*50)

Die Demut in Ehren: warum aber die befehden, die ein anderer Weg zu ihr führt? Etwa gegen 1170 lesen wir beim Lombardenschüler Peter von Poitiers:

"Quidam igitur, de suo sensu gloriantes, quod de proprietatibus legitur, ad modos loquendi referunt. Non enim volunt intelligere proprietates esse aliquid vel aliqua in personis vel essentia." "Ergo aliquid est paternitas."(*51)

Die Fronten sind klar. Denn Gilbert hatte geschrieben:

"Relatio ... nequaquam praedicatur ea praedicatione quae vocatur praedicatio secundum rem, quia id de quo praedicatur, vel esse vel aliquid esse ea non potest."(*52)

Fassen wir die Entwicklung zusammen. Am Anfang steht eine Glaubenswahrheit (drei aufeinander bezügliche Personen in einem Wesen) einer Philosophie gegenüber, welche die Person akzidentell begründet (als Sonderfall eines allgemeinen Wesens) und in der Beziehung nur ein Akzidens sieht. Gilbert legt allen Nachdruck auf Gottes eines Wesen; gefragt, was denn dann die Relationen seien, kann er nicht leugnen, daß sie irgendwie sind, doch werden sie nach ihm nicht"secundum rem" ausgesagt, sondern sind äußerlich angeheftet. Diese Position hält sich bei den Porretanern mehrere Jahrzehnte lang, obwohl die Gegner sie als häretisch heftig angreifen. Die Wirrnis rührte daher, daß man zwar tatsächlich Substanz und Relation bereits als zwei gleichrangig-unrückführbare Kategorien verwandte, diese Tatsache aber noch nicht zum System erhoben hatte. So schwankte man zwischen der Unsubstantialität der Relation, von den Lombardianern für Unwirklichkeit erklärt, und ihrer Wirklichkeit, die für die Porretaner entweder Akzidentien in Gott oder aber Sabellianismus bedeutete, weil es eben nur eine Wirklichkeit (=Substanz) in Gott gibt. Den entscheidenden Fortschritt bringt erst die Distinktion zwischen Sinn und Sein eines Akzidens, wie wir sie bei Thomas vorgefunden haben. Damit wurde, oberflächlich betrachtet, der Begriff "Akzidens" von seiner Endlichkeit befreit und - indem man sein Sein mit dem der Substanz identisch setzte - auf Gott anwendbar gemacht. Wozu aber diese seltsame Prozedur? Warum wollte man ein bestimmtes Akzidens so unbedingt auf Gott anwenden, daß man derhalben den Begriff "Akzidens" so sehr innerlich aushöhlte, daß es - was es doch gerade nicht sein kann, nach Aristoteles - seinsmäßig mit der Substanz identisch wurde? Der Sinn dieses Verfahrens liegt tiefer. Es bedeutet nichts anderes als den letzten Schritt des Übergangs von einem Begriff der Wirklichkeit (in sich ruhendes Sein, Substanz) zu einer unaufhebbaren Zweiheit der Grundkategorien: Substanz + Relation. Denn das mit dem "Sein" der Substanz identische "Sein" des Akzidens meint nichts anderes als die gegebene und erst noch zu bedenkende An-Sich-Wirklichkeit Gottes; die verschiedenen "Sinne" von Substanz und Relation sind jene beiden völlig verschiedenen Weisen, wie wir von Gott denken müesen.(*53) Das Wesen ist Gott und die Relation ist Gott; dennoch dürfen Wesen und Relation nicht begrifflich identifiziert werden, weil sonst ein realer Unterschied, der Gott betrifft, nämlich der persönliche, nicht gedacht werden kann.

Stellen wir jetzt der tatsächlichen Entwicklung des einen Problems innerhalb der westlichen Theologie die andere gegenüber, welche der Einbau des Palamismus in unser Denken mit sich brächte. Am Anfang steht ein Glaubenssatz (Gott will, erkennt und wird sogar das Geschöpfliche) einer Philosophie gegenüber, welche in der Tat nach außen ein Akzidens erblickt, Akzidentien aber gibt es nicht in Gott. Allein und unbezogen wohnt Gott im reinen Denken Seiner selbst. Thomas legt allen Nachdruck auf Gottes einfaches Wesen; gefragt, was die actio und relatio ad extra sei, kann er nicht leugnen, daß sie irgendwie ist; doch betont er, und selbst wenn es um Gottes höchste Tat, die Menschwerdrung geht, sie werde von Gott nicht "secundum rem" ausgesagt, sondern nur secundum rationem. Diese Position hält sich bei Thomisten bis heute, obwohl die Gegner sie darob angreifen und eines gewissen Monophysismus zeihen (*54).

Wie nun die thomistisehe "relatio subsistens" (*55) Porretaner und Lombardianer versöhnen konnte, so wird, scheint mir, allein die palamitische "ungeschaffene Energie" (= actio subsistens) Thomisten und Skotisten zusammenführen. Ein theologisches Instrumentarium, welches mit nur zwei Grundgrößen arbeitet, die beide mit der Schöpfung nichts zu tun haben, ist nicht imstande, den Glauben angemessen auszudrücken. Vielmehr ist die "Tat" Gottes neben Wesen und Relation die dritte theologische Grundkategorie. Ihr "Sein" ist mit dem "Sein" der anderen beiden identisch (d.h. sie ist eine theologische Kategorie), ihr "Sinn" wird aber weder vom Wesen noch von der Relation bedeutet. Zum Schaden des Glaubensverständnisses bleibt ihr Platz darum leer, solange man mit jenen beiden allein auszukommen vermeint.

Zusammenfassung des Kapitels. Wir haben gesehen, wie Thomas, trotz seiner Betonung der unveränderlichen Einfachheit Gottes, Seine freien Taten lehrt, und nicht nur beiläufig. Wir mußten aber auch erkennen, daß die Grundbegriffe "relatio" und "actio" in der Theologie nicht klar und systematisch genug angewandt werden können, weil ihnen bereits in der Philosophie die letzte Schärfe mangelt. Das haben die Deutungsversuche der Erben nicht beheben, sondern nur offenbaren können. Eine innerlateinische, ja innerthomistische Schwierigkeit berechtigt uns also, uns in neuer Ursprünglichkeit vor das Problem der Taten Gottes gebracht zu wissen. Ungefähr die Richtung weist uns die Geschichte der "relatio subsistens".

Die anfängliche Vermutung gewisser "dunkler Punkte" in der westlichen Schöpfungstheologie hat sich bestätigt: wir blicken keineswegs von gesicherter Warte auf die Palamiten herab, sondern haben allen Anlaß, uns gern von ihnen belehren zu lassen, obwohl - oder eben weil - der Gewinn von außen nichts anderes sein kann als ein Wiederaufbrechen eigenster Quellen.

Anmerkungen

(*1) Dicht beisammen und untereinander geordnet finden sich alle drei Aspekte der göttlichen Einfachheit im folgenden Text; er beweist, daß wirklich für das strengste Denken des Thomas (und nicht nur für den Verfasser des "Schulbuches", der Summa, "Gott" und "Gottes Wesen" völlig identisch sind:

"Cuicumque potest aliquid accidere quod non sit de ratione suae naturae, in eo differt res et quod quid est, sive suppositum et natura ... In solo autem Deo non invenitur aliquod accidens praeter eius essentiam, quia suum esse est sua essentia, ut dictum est; et ideo in Deo est omnino idem suppositum et natura."(Quodl. 2 q2 a2)

(*2) "Creatio active significata significat actionem divinam, quae est eius essentia oum relatione ad creaturam. Sed relatio in Deo ad creaturam non est realis, sed secundum rationem tantum." (S.Th. I q45 a3 ad1)

"Unio relatio quaedam temporalis est: quae quidem realiter est in ipsa natura assumpta, sed est in persona assumente secundum rationem tantum." (III Sent d2 q2 a2 sol 3 ad2)

(*3) "In Christo autem non ponimus nisi unum suppositum ... aeternum, in quo nulla relatio realis ad creaturam esse potest, ut iam dictum est. Unde relinquitur quod filiatio qua Christus refertur ad matrem, est respestus rationis tantum." (Quodl. 1 q2 a1)

(*4) Man entschuldige den Ausdruck, er stammt von des Thomas Zeitgenossen Johannes Pecham, der die Dominikaner wenig mochte: "Doctrina alterius ordinis, abiectis et ex parte vilipensis Sanotorum sententiis, philosophicis dogmatibus quaei totaliter innititur, ut plena sit idolis domus Dei." (Chartul. Univ. Paris. I,627, zitiert von IVANKA)

(*5) "Da müssen wir einen anderen Gott suchen" der nicht nur Selbst-Ziel und Selbst-Wirklichkeit ist und sich durch sich selbst betrachtet, sondern der auch gut ist: denn dann wird es Ihm nicht genügen, sich nur beschaulich um sich selbst zu bewegen; nicht nur bedürfnislos ist Er dann, sondern auch übererfüllt; wenn Er aus Güte wohltun will, wird es Ihm, der nicht nur unbeweglich, sondern auch bewegt ist, nicht unmöglich sein; so wird Er in all Seinen schöpferischen und fürsorglichen Hervorgängen und Taten anwesen." (Tr 111 2 24,687)

(*6) ROSS, Aristotle CLII f.

(*7) vgl. ebd S. CXXXIV

(*8) "Si A. n'admet pas de création proprement dite, ce n'est pas, qu'il la rejette: il ne la rejette pas, paroe que pour lui, comme pour ses prédecesseurs et ses contemporains, la question ne se posait même pas." (MANSION, Dieu d'A. 24)

(*9) Met XII,9,1074 b 32

(*10) ROSS, Aristotle CXLII

(*11) ebd CXLIX

(*12) ARISTOTELES, Eth.Nic. VIII,9,1158 b f. Vgl. "Es wäre ja lächerlich, würfe jemand Gott vor, daß Seine Gegenliebe nicht so sei, wie Er geliebt werde."(Eth.Eud. VII,3,1238b)

(*13) FESTUGIÈRE, Mysticisme 99 f.

(*14) ebd 101

(*15) Mit Bezug auf zwei gegensätzliche Thomastexte kommt PEGIS (Note 168) zu dem Ergebnis: "Having true principles, Plato and Aristotle could have developed the whole philosophy of creation that St. Thomas did. They did not do so. They arrived at the idea of creation only to the extent of asserting the principles upon which creation could be based. This St.Thomas acknowledges in Pot III,5. But they did not see these principles correctly, since they never saw them in terms of the be-ing of things.- Platonic abstractionism and Aristotelian physicism are, to St.Thomas at least, clear revelations of these shortcomings. S.Th. I,44,2 is an appraisal of this fact."

(*16) Vgl. auch die folgende, sehr tiefe Aussage: "Si humana natura ab aeterno fuisset, nihilominus diceretur: Deus factus est homo." (III Sent d7 q2 a2 ad4) Das Praedicat "geworden" bezieht sich also nicht auf die endliche. Menschheit in ihrer Ordnung, sondern auf Gott als Subjekt: was man nicht von Natur aus und doch tatsächlich ist, das ist man geworden.

(*17) De substantiis separatis cap.10,101

(*18) ebd 102

(*19) PEGIS, necessity 34

(*20) "Quaestio non quaerit, utrum deus agat per intellectum et voluntatem, sed utrum libere. Sod hoc non est idem quaerere, Nam per eundem doctorem [i.e.Thomam] voluntas divina et nostra vult naturaliter deum. Et similiter, quando aliquid iudicatur ab intellectu, voluntas vult illud necessario; ergo non est idem, quaerere unum et aliud ... Ideo quod Deus sit causa libera respectu omnium, tenendum est tamquam creditum, quia non potest demonstrari per aliquam rationem ad quam non responderet unus infidelis." (In II Sent q 5, C é E)

(*21) A.KREMPEL hat in seinem monumentalen Werk "La relation" die gesamte Relationslehre des hl.Thomas erschöpfend dargestellt. Für uns am wichtigsten sind die Kapitel 14 und 22. Der Verfasser zitiert und erläutert alle Texte. Uns genüge es, die deutlichsten zu verstehen.

(*22) Während Aristoteles (Met 1017a) einfach der Reihe nach verschiedene Bedeutungen von "Sein" herzählt, bringt Thomas (896) die zweite Weise in eine philosophische Verbindung mit der dritten.

(*23) "Aliter dividitur aequivocum, analogum et univocum; aequivocum dividitur secundum res significatas; univocum secundum differentias; sed analogum dividitur secundum modos. Unde cum ens praedicetur analogice de decem generibus, dividitur in ea secundum diversos modos; unde unicuique generi debetur proprius modus praedicandi." (I Sent d22 q1 a3 ad 2)

(*24) De Trinitate c.IV; PL 64,1252 f.

(*25) PL 188,1260 AB. Albert verdeutlicht in seinem Kommentar: "Non enim plura sunt de extrinsecis accidentibus substantiae." (Tr.I c.6)

(*26) Zum Werk des Boethius hat er uns einen unvollständigen, bis zu dieser Frage nicht gelangten Kommentar hinterlassen; den "liber sex principiorum" zitiert er S.Th.I q9 a2 arg 3.

(*27) In Met. V l.9,890-2; in Phys. III l.5,322'

(*28) "Deus autem non aliter refertur ad ea quae sunt actu quam ad ea quae sunt potentia: quia non mutatur ex hoc quod aliqua producit. Non igitur refertur ad alia per relationem realiter in ipso existentem." (CG II,12,915)

(*29) Thomas behauptet eine "actio divina transiens": CG II,1; Pot q10 a1; S.Th. III q2 a8; er leugnet sie: Pot q2 a1 ad1; q3 a15; q7 a10 ad1; CG II,16;23;35. Siehe MILLER, action 153-161.

(*30) Auch diese Arbeit ist bereits geleistet. Man vgl. die Arbeiten von MILLER, deFINANCe und HENRI-ROUSSEAU.

(*31) ARISTOTELBS, Phys. III,3

(*32) Überblick siehe bei MILLER, action 209

(*33) Gemeint ist die Kontroverse MARCHAL/MAQUART. Einfache Seitenzahlen beziehen sich im folgenden auf ihre Artikel.

(*34) "'Cette réduction en acte de la puissance passive est, par le fait même, exercice actuel de la puissance active; les deux puissances se complètent naturellement au point de n'avoir qu'un seul acte.' Non, la réduction en acte de la puissance passive n'est pas l'exercice actuel de la puissance active, mais son effet."MAQUART, l'action 152

(*35) Action 163; 223

(*36) Être et Agir 258

(*37) "Mais enfin agir n'est pas être et c'est comme tel une réalité de l'opérant."on ne peut non plus l'identifier purement et simplement à cette émanation de l'effet que nous avons vu caractériser l'action-mouvement ... En disant qu'il agit nous attribuons donc à l'agent quelque chose qui n'est pas en lui, mais de lui ... Et pourtant ... l'action est un exercice du sujet agissant, il est alors 'en acte' au sens propre de l'expression. Comment? (HENRI-ROUSSEAU, Être et Agir I,503 f.)

(*38) De Trinitate VII,6,11; Pl 42,943

(*39) Ebd V,4,5;913 f

(*40) De Trinitate I cap.2; PL 64,1251A

(*41) ebd cap.3;1251D

(*42) ebd cap.4;1252D

(*43) ebd 1253C

(*44) ebd cap.6;1255A

(*45) So nennt ihn, mir scheint zu Recht, sein Herausgeber HÄRING in: Scholastik 32/1957,272.

(*46) GAMMERSBACH, Gilbert 144

(*47) MS 15/1953,284; "Dialog zwischen Eberhard und Ratius", stammend aus dem letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts, ed. HARING.

(*48) Sententiarum Liber I dist 33 cap.1; ed.1916.p.209

(*49) Ebd.. dist 34 cap.1;212

(*50) Hilarius, Trin. II,n.9;PL 10,58

(*51) Sententiae, L.I c.25 (ed.MOORE-DULONG 1943,203)

(*52) De Trinitate I 10 9,80 (ed. HARING); PL 64,1293C

(*53) Für wen ursprünglich "die Relation unter allen Kategorien am wenigsten Wirklichkeit" besaß (Arist. Met 14,1088a23), für einen treuen Aristoteliker also, war dieser Fortschritt nicht leicht. Der Theologie hat ihn der Glaube endlich aufgenötigt, die scholastische Philosophie wartet noch heute auf ihn. Solange nämlich das Geheimnis in der Substantialität eines Akzidens in Gott besteht, statt in der analog überall gültigen Polarität von Insichsein und Zum-andern-sein, so lange muß die theologische Einsicht philosophisch steril bleiben. So brachte es z.B. Heinrich von Gent zuwege, das Problem: "utrum.relatio habeat debilius esse quam cetera praedicamenta?" uneingeschränkt zu bejahen, ohne auch nur ein einziges Argument aus der Trinitätstheologie zu bringen! (Quodl.15 q5)

(*54) Es hat einen gewissen Reiz, zu beobachten, wie sich in der Christologie zwischen Thomas und Skotus wörtlich der nämliche Gegensatz wiederholt, der 100 Jahre zuvor Gilbert und den Lombardianer Petrus von Poitiers getrennt hatte (oben S.193 f): Thomas: "Anima in Christo non acquirit proprium esse humanae naturae, sed Filio Dei acquirit respectum secundum suum esse ad naturam humanam, qui tamen respectus non est aliquid secundum rem in divina persona, sed aliquid secundum rationem." (In III Sent d6 q2 a2 ad1) Skotus: "Si Verbum tantum habeat respectum novum ad naturam, et ille erit respectus rationis tantum: cum autem per respectum rationis non dicatur subiectum formaliter esse aliquid: ergo Verbum, in quantum homo, non erit formaliter aliquid: consequens est contra illud extra de hereticis "Cum Christus"; ergo ... (in III Sent d6 q1; ed HOCEDEZ 119) Er bezieht sich auf ein Verbot Alexanders III. zu sagen "quod Christus non sit aliquid secundum quod homo" (D 393).

(*55) Dieser Begriff war der Zeit Gilberts noch unbekannt.

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