Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken
DIE TATEN DES EINFACHEN GOTTES
Eine römisch-katholische Stellungnahme zum Palamismus
Rom 1965
Inhaltsverzeichnis
IV. Systematischer Teil
D) Vergleich der entwickelten Kategorien mit der Existentialtheologie
Dieser Versuch wäre über Gebühr unvollständig, wenn wir eine theologische Sprache, die schon vielen Christen geistige Heimat ist, ganz ausklammerten. Was hilft es, Gottes Wesen und seine Taten, Natur und Übernatur sauber abzugrenzen, wenn weiten Kreisen gläubiger Menschen "Gottes Wesen", "übernatürliche Erhebung" oder auch "Vergöttlichung" als Begriffswerkzeuge durchaus unbrauchbar erscheinen?
Auch hier muß das Thema eingegrenzt werden; unser Autor soll allein Rudolf Bultmann sein und unser Ziel keineslfalls, den Reichtum seines Denkens in eine Synthese einzufangen. Vielmehr soll einem heutigen Leser ein Schlüssel geboten werden, der sowohl ins realtheologische ("objektivierende") wie ins existentialtheologische ("aktualistische") Schloß paßt und den Anhängern der einen Richtung den Zugang zu den Schätzen der anderen vielleicht etwas erleichtern kann. Da die Diskussion kaum mehr überschaubar und unser Thema ja nicht Bultmann ist, sondern das Verhältnis von Thomismus und Palamismus jetzt im Lichte der allgemeinen Problematik gesehen werden soll, für die - neben anderen - der Name Bultmann repräsentativ ist, deshalb darf eine einleitende Darstellung der Differenz äußerst kurz und der eigene Beitrag zur Diskussion rein konstruktiv gehalten sein.
1) Eschatologische Existenz statt Übernatur?
Das existentiale Denken bezeichnet B als eine Wissenschaft, "die ohne die Existenz zum welthaften Sein zu objektivieren, von der Existenz redet."(KM II 187) Immer wieder tauchen die Beispiele existentieller Geschehen auf: Liebe, Verzeihen, die Mutter weiß vor jeder Reflexion um ihr Muttersein, der Freund schenkt sich selber, während der Angestellte ein Werk verrichtet. Kurz: der Mensch ist zutiefst nicht ein umrissenes Vorfindliches, sondern ist Sein-Können und darum auf die Begegnung innerlich angewiesen. Dieses unmittelbar Gelebte kommt in der existentialen Rede zu Wort. Weil Gottes Offenbarung nicht von Sachen, sondern vom Eigentlichsten des Menschen spricht, darum muß die Theologie nicht objektiv, sondern existential reden.
Deshalb macht Bultmann jeder Theologie, die von einem "Ansich" Gottes spricht, einen schweren Vorwurf:
"Die entmythologisierende Interpretation will aber ja gerade durch die Kritik die eigentliche Intention der biblischen Schriften zur Geltung bringen. Sie sieht, daß wir vom Jenseits der Welt, von Gott, nicht reden können, wie das Jenseits, wie Gott "an sich" ist, weil dadurch das Jenseits, weil Gott, zu einem diesseitig-weltlichen :Phänomen objektiviert werden würde."(KM II 184)
Wenn ich nämlich zB über Gottes Allmacht nachdenke, so ist dieser Gedanke, der mich als geistig vollzogener anbetend auf die Knie zwänge, in Wahrheit überhaupt nicht gedacht, sobald ich ihn nur "an sich" verstehen möchte, mich selbst also irrtümlich aus der Allmacht heraus ihr gegenüberstelle - und das in dem Augenblick, da ich über sie nachzudenken vorgebe!
Also bewegt sich die ganze objektive Theologie auf verdächtigen Geleisen:
"Die Menschlichkeit Jesu gehört zu seiner Göttlichkeit; das ist der Anstoß, daß die Offenbarung nur im konkreten Geschehen da ist und daß ihre Göttlichkiet unausweisbar ist. So wenig als die sogenannte 'Gottheit' als eine physis interpretiert werden darf, so wenig natürlich die Menschheit." (GV II 258f)
Auch existentiell (persönlich betroffen) oder existential (solche Erfahrung zusammenhängend verstehend) kann der Mensch freilich nicht ohne weiteres den wirklichen Gott kennen: erst im existentiell vollzogenen Glauben an die (uns Heutige im christlichen Kerygma treffende) Offenbarung Gottes erkennt der Mensch Gott und sich selbst in Wahrheit. Mitten in der Welt ist dieser Glaube Befreiung von der Welt, mitten in der Zeit ihr Ende: Für Jesus wird "der Mensch entweltlicht durch den ihn direkt treffenden Anspruch Gottes, der ihn aus jeder Sicherheit herausreißt und ihn vor das Ende stellt. Und Gott ist entweltlicht, indem sein Handeln als eschatologisches Handeln verstanden wird: er holt den Menschen aus den weltlichen Bindungen heraus und stellt ihn direkt vor seine Augen. Die Entgeschichtlichung oder Entweltlichung Gottes wie des Menschen ist also dialektisch zu verstehen; gerade der jenseits der Weltgeschichte stehende Gott begegnet dem Menschen in seiner je eigenen Geschichte, im Alltag, in dessen Gabe und Forderung; der entgeschichtlichte, d.h. entsicherte Mensch ist auf die konkrete Begegnung mit dem Nächsten gewiesen, in der er echt geschichtlich wird." (ThNT 26)
Es ist Hasenhüttl zuzustimmen, wenn er in Bultmanns "eschatologischer Existenz" genau die katholische "Übernatürlichkeit" wiederfindet.(42). Beide Begriffe beziehen sich auf die nämliche, im Glauben erfahrene Wirklichkeit. Während deren Andersheit gegenüber allem Welthaften aber in der objektiven Sprache durch im letzten räumliche Bilder ausgedrückt wird (die Übernatur ist so weit über der Natur wie über der Erde der Himmel), wird existential vom "Ende der Geschichte" gesprochen, genau besehen also zur Beschreibung einer zwar erfahrbaren, aber nicht mehr angemessen sagbaren Wirklichkeit ein Vergleich aus einer anderen, der zeitlichen Welterfahrung genommen: wie etwa für einen Eingekerkerten die Stunde der Freiheit schlägt, so schenkt die gnadenhafte Befreiung von der Welt uns "die Freude darüber, daß uns ihre Fragen und Sorgen im Innersten nichts mehr anhaben können, weil wir nicht mehr zu ihr gehören."(MP 172)
So lächerlich mancher Astronauten Einwand gegen das Übernatürliche ist, so wenig hätte das Eschaton erfaßt, wem die forttickende Uhr dagegen spräche. Nur dem Glaubensvollzug ist die Glaubenssprache verständlich; darin sind Bultmann und die katholische Theologie einer Ansicht. Jener meint, "daß keine Existentialanalyse durchgeführt werden kann, so, daß sie ganz abgelöst von dem Existenzverständnis, von dem her sie gewonnen ist, in Geltung sein und angewandt werden könnte." (KM " 193)
Dasselbe schreibt in objektiver Sprache Garrigou-Lagrange:
"Diese Verständlichkeit der Geheimnisse ist übernatürlich und kann also formell nicht erreicht werden außer mit dem eingegossenen Glaubenslicht, wodurch unser Verstand erhoben wird und die Begriffe sowie das Wort 'ist' der dogmatischen Aussage erleuchtet werden."(43)
Die Verwiesenheit auf den gottgeschenkten inneren Vollzug ist also beiden Sprachen gleich wesentlich. Jeder Christ wird auch zugeben, daß er konkret zum rechten Verständnis beider ausreicht. Denn die Verfasser des NT verstanden, was sie niederschrieben: dort finden sich aber sowohl objektive wie existentiale Aussagen. Mit dieser Auskunft ist allerdings noch nichts über die eigentliche Frage entschieden: Kann der Glaube, der sich in jeder Sprache gesagt finden kann, sich auch in einer allein ganz sagen? Diesem Problem wenden wir uns jetzt zu.
2) Eschatologische Existenz und Übernatur
Die These heiße: Die christliche Theologie kann den Glauben nur dadurch ganz ausdrücken (sodaß er den Gläubigen zur Weisheit, den Ungläubigen zum Ärgernis wird), daß sie in einem und untrennbar existential und objektiv redet. Jede theologische Aussage enthält darum beide Momente. Zunächst sind die Begriffe zu klären. Existential ist ein Ausdruck dann, wenn er zu seinem Inhalt die Existenz hat, dh das, worum es dem geschichtlichen Menschen in seinem Sein geht.Vom existentiellen Satz unterscheidet er sich dadurch, daß er eine existentielle Situation weder schafft noch verändert, sondern lediglich auslegt. Beide können aber allein aus dem Existenzvollzug erwachsen und nur in seinem Licht verstanden werden.
Objektiv ist ein Ausdruck dann, wenn er an sich ohne existentielle Beteiligung des Menschen adäquat gedacht, gesagt und verstanden werden kann.
In den beiden Sprechweisen kommen grundverschiedene, wenngleich konkret nie trennbare Haltungen zu Wort. Der existentielle Vollzug hat immer irgendeinen objektiven Inhalt, und alles Tun an Objekten geschieht stets als existentiell gelebtes Leben. Den Unterschied mag ein Beispiel erläutern:
"Sieht der Bräutigam in die Augen seiner Braut, so wird er in ihnen den Ausdruck ihrer Liebe finden, sie werden ihm ein gegenseitiges Verstehen mitteilen, sie werden ihn ansprechen dazu hin, sich selbst ihr zu schenken. Sollte es nun sein, daß ihre Augen krank werden, und gesetzt, er wäre selbst Arzt, so würde er ihre Augen als Objekt seiner Heilkunst sehen. Er wird seine Liebe bei dieser Betrachtung gleichsam zurückstellen, sie ist nicht mehr wesentlich für die Behandlung, auch wenn diese ganz von der Liebe getragen ist."(44)
Trotz dieses Ineinanders der Haltungen sind nun außerhalb der Theologie existentialer und objektiver Ausdruck vollkommen trennbar. In einem Lehrbuch der Augenheilkunde steht vielleicht kein einziger existentialer Satz; und sagt er zu ihr "ich liebe dich" (existentiell) oder denkt er bei sich: "eine echte Liebe hört nie auf" (existential), so braucht es zum Verständnis dieser Sätze keinerlei objektive Kenntnisse, wohl aber die existentielle Erfahrung.
Beide Weisen haben zum Inhalt aber nicht die Wirklichkeit, die der Glaube meint und die Theologie ausdrücken soll; vielmehr kommt jetzt (massiv objektivierend ausgedrückt) eine "dritte Dimension" hinzu: das, worum es dem geschichtlichen Menschen letztlich und absolut geht. Die Existentialtheologie hat nun leichtes Spiel mit dem Beweis, daß, dieses auszudrücken, eine nur objektivierende Theologie nicht hinreicht. Sie gelangt höchstens zu einer "religiösen Weltanschauung": wie die Einzelwissenschaften ihren Erfahrungsbereich überschaubar und verfügbar machen, so scheint eine solche Theologie "das Ganze in den Griff zu bekommen". Für einen Gottesgelehrten, der sich so verstünde, gäbe es zwar noch "unerforschliche Höhen der Geheimnisse" (wie ja auch noch nicht alle Meeresmuscheln katalogisiert sind), aber er hätte doch im Gesamt der unfehlbaren Grundlehren einen Rahmen zur Verfügung, aus dessen Festigkeit er seines Lebens beruhigte Sicherheit bezöge. Auf die Frage nach dem gnädigen Gott wüßte er mehrere Denzinger-Zitate. Weil und insofern in all diesem Wissen die Existenz selbst von vorneherein überhaupt nie in Frage steht, wäre diese Theologie nicht Auslegung der christlichen Offenbarung (die ja die Antwort Gottes auf die Frage des Menschen ist), sondern heidnischer Götzendienst: wie die Heiden ihre selbstgeschnitzten Bilder verehrten, so lebt unser Pseudo-Theologe von den Gemächten seiner Sytemkunst - auch wo er noch die Sprache der Offenbarung verwendet. Bei den Propheten mag er nachlesen, was der lebendige Gott von solcher Frömmigkeit hält. Kurz: eine objektivierende Theologie redet von Gott so, als gehörte Er dieser Welt an (denn nur unter dieser Voraussetzung kann eine Welt-anschauung über ihn zu verfügen meinen), ist also der christlichen Glaubenserfahrung in keiner Weise angemessen.
Die Verwendung existentialer Kategorien kann zweifach geschehen: nur inhaltlich oder auch formal. Diese Unterscheidung erscheint mir wesentlich. Inhaltlich existential und formal objektiv redet man dann, wenn man existentielle Begegnungen unter Menschen zum analogen Verständnis der Gottesbegegnung heranzieht. Gott liebt uns; wir müssen Ihn um Verzeihung bitten; Er will nicht ein äußeres Werk von uns, sondern unsere Liebe.
Der Vorteil dieser Sprache gegenüber der bloß objektiven liegt darin, daß der Mensch aus der beruhigten Welt-anschauung auf sich selbst zurückgeworfen wird und zu merken beginnt, worum es gehen könnte. Zugleich ist aber auch die größere Gefahr nicht zu verkennen: gerade weil die Existenz mit ins Verständnis eintritt, kann der Verstehende meinen, mit dem was er sage sei nun auch schon alles gesagt; wer zB Zorn und Liebe eines Vaters existentiell erfahren hat, der weiß, was den Ausschlag gibt; und wer gar selbst Vater ist, der weiß, wer und was Gott ist. Damit ist aber nur an die Stelle des unpersönlich-kosmologischen Mythus der viel gefährlichere psychologische getreten; über einen als existentielles Gegenüber erlebten Gott letztlich doch verfügen, das ist schlimmer als einen leblosen Götzen anbeten. Formal-objektiv ist dies Sprechen darum, weil man Gott auch dann objektiviert, wenn man ihn zwar nicht zu einem Seienden, aber doch zu einem innerweltlich existentiell Begegnenden macht. Nicht in der Welt begegnet Gott eigentlich, sondern der Welt. Auch die nur inhaltlich existentiale Theologie entspricht also der christlichen Glaubenserfahrung nicht.
Formal-existential endlich ist die Theologie dann, wenn sie die absolute Betroffenheit der Existenz in ihrer unverwechselbaren Einmaligkeit - auch aller existentiellen Vorläufigkeit gegenüber - nicht länger auf irgendwelche innerweltlichen Vergleiche hin einebnet, sondern als solche ausdrücklich zur Sprache bringt. Die Glaubenserfahrung ist nicht ein Erlebnis unter anderen, sondern das Ereignis. Wie soll das aber ausgedrückt werden? Auch die ungläubige Welt kann übertreibend von dem Ereignis sprechen. Wie kann sich der Glaube von ihr absetzen? Wenn er es nicht kann, ist das Ärgernis dahin!
Die Antwort ist der Begriff "eschatologische Existenz". Dieser Ausdruck weist jeden, der verstehend hört, weg von den Dingen und existentiellen Erlebnissen dieser Welt und hin auf das Eigentlichste seiner Existenz. Formal ist diese Rede also existential. Was besagt sie aber inhaltlich?
Die Antwort kann nur heißen: Gar nichts Bestimmtes. Denn jeder bestimmte Inhalt würde wieder irgendetwas Innerweltliches anderem gegenübersetzen, also nicht das jetzt zu meinende Letzt-Einfache bedeuten. Nichts Bestimmtes heißt aber nicht: Nichts. Vielmehr ist der Inhalt der "eschatologischen Existenz" entweder absolute Negation oder absolute Position.
Der negative Sinn kann so umschrieben werden: Das eschatologische Ereignis ist das Ende aller Geschichte. "Alles Menschliche wird an seine Grenze geführt und so bekommt die Existenzfrage des Menschen als Frage ihre letzte Radikalität ... über alle innerweltliche Geschichtlichkeit ist das Todesurteil gesprochen."(45) Hier ist die alte negative Theologie aus den Fesseln der bloß objektiven Erkenntnistheorie befreit und nicht mehr als besonderer (freilich einmaliger) Fall objektiver Unkenntnis, sondern als negativer Ausdruck der eigentlichen, eschatologischen Erfahrung verstanden worden. Hier wird nicht mehr gesagt, daß man nichts wisse, sondern man weiß, daß alles an sein Ende gekommen ist. Alles irgendwie Erlebbare, objektiver oder geschichtlicher Art ist nicht mehr wichtig, gilt für uns nicht mehr. Vergangenheit und Gegenwart der gewöhnlichen Zeiterfahrung werden Träger eines tieferen Sinnes: Alles, was der Welt ist und je sein wird, ist dem Glauben bereits gewesen, ist abgetan, zur schattenhaften Vergangenheit geworden. Dieser Punkt, von dem aus alles Wirkliche als trauriges Vorbei erscheint. er ist des Glaubens Gegenwart. Sie ist aber in dieser Sicht nur als Ende der Vergangenheit kenntlich; von Zukunft kann, wenn alles vorbei ist, logischerweise keine Rede sein. Wer dieser Erfahrung nicht entflieht, der weiß genau, daß es aus ihr keine Rettung gibt, die vom letztgültigen Schrecken irgendetwas zurücknähme. Nichts in mir entgeht dem Ende, keine Schlauheit besteht vor dem Nein. Was tot ist, lebt nicht; eschatologische Existenz aber heißt: Restloser Tod.
Es ist deshalb gegen alle Logik des Verstandes, wenn die Glaubenserfahrung nun gleichzeitig auch das Gegenteil enthält: die eschatologische Existenz ist das ewige Leben, die Fülle, das unbedingte Ja. Auch in dieser positiven Form über trifft die formal-existentiale Theologie ihre objektiven Entsprechungen durchaus: nicht mehr freut die Freude sich über und auf allerlei apokalyptische Wunschgespinste - dann wäre sie wiederum eine bestimmte Weltanschauung - sondern alles steht noch zu erwarten, ist noch für uns aufgehoben. Alles irgendwie Erlebbare, Objektives wie Geschichtliches, ist noch nicht das Eigentliche, noch nicht wichtig. Gegenwart und Zukunft der gewöhnlichen Zeiterfahrung werden Träger eines tieferen Sinnes: alles, was der , Welt ist und je schon gewesen ist, wird vom Glauben erst noch erwartet, ist erfüllte, leuchtende Zukunft. Dieser Punkt, von dem aus alles Wirkliche als freudvoll Nahendes erscheint, er ist des Glaubens Gegenwart. sie ist aber in dieser Sicht nur als Anfang der Zukunft kenntlich: von Vergangenheit kann logischerweise keine Rede sein. Denn wenn alles erst anfängt, dann ist noch nichts da oder gar schon vorbei. Wem diese Erfahrung geschenkt wird, der weiß genau, daß sie nicht enttäuscht werden kann, denn das letzte Glück hat nichts zu fürchten. Nichts in mir ist, weil angefangen, bereits vertan; kein Versagen kommt an gegen das Ja. Was ungeboren ist, stirbt nicht; eschatologische [besser: protologische] Existenz aber heißt: ewige Geburt.
Ist die eschatologische Existenz somit auch für den nur logischen Verstand ein unbegreifliches Paradox, so ist sie das doch nicht für die spekulative Vernunft. Denn diese vermag, aufgrund der Analogie zur gewöhnlichen Zeiterfahrung, durchaus auch im eigentlichen, tiefen Sinn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen zu denken: Einerseits ist alles bereits vergangen, andererseits steht alles noch aus; überdies ist die (existential) vergangene Welt ebensowenig (zeitlich) vorbei wie die (existential) zukünftige Eigentlichkeit (zeitlich) noch nicht ist: Absolute Vergangenheit und Zukunft sind Momente der zugleich existentiellen und zeitlichen Gegenwart.
Ist diese Theologie nun aber die Sprache des Glaubens? Keineswegs. Denn sie ist nichts weiter als eine tiefe dialektische Philosophie (für die zB Indien gewiß keiner Mission bedarf!); Wörter wie "Gott" und "Christus" haben in ihr nicht nur tatsächlich, sondern grundsätzlich keinen Platz.
Das ist leicht einzusehen. Die christliche Erfahrung enthält, vielleicht als ihr Herz, Gottes Liebe zu mir. Lieben aber kann mich nur ein anderer. Während nun das formal-objektive Denken Gott als Anderen kennt (vermittels kosmologischer oder psychologischer Hilfsvorstellungen), vermag ein formal-existentiales Denken das nicht; denn obgleich der andere als anderer ein Existential ist,(46) gehört er doch zu den Existentialien, die bei der vom Glauben verlangten Absolutsetzung der Existenz zu nichts verblassen. Ein noch nicht Lebender hat ebenso wenig existentiell andere wie ein nicht mehr Lebender, alle Existentialien teilen das Schicksal der Existenz; diese wird aber eschatologisch nur mehr als nicht-mehr oder noch-nicht bestimmt. Wer das Nicht-mehr, seinen Tod, geistig vorwegnimmt, für den sind die anderen keine anderen mehr, sondern nur Seiende, die für das objektivierende Wissen auch dann noch vorhanden sind, wenn er selbst es nicht mehr ist; ebenso weiß jeder, daß seine Eltern ein Jahr vor seiner Geburt schon vorhanden waren; andere aber waren sie ihm damals nicht. Darum: Sofern "Gott" rein existential, dh als Korrelat zur Existenz verstanden werden soll, fällt er zusammen mit ihr (die von ihm ja nicht auch, sondern total betroffen wird) entweder in das Nicht-mehr der Vergangenheit (als vom Selbst in sich hinein assimilierte Weltpotenz) oder das Noch-nicht der Zukunft (als Selbst-Ideal, Übermesch) oder endlich in die spekulative Einheit beider (ewige Gegenwart des absoluten Wissens). Gott als ewig-anderer aber läßt sich formal-existential nicht denken.
Der Christ findet sich also, will er der Welt seinen Glauben verkündigen, in einer erstaunlichen Lage: wie immer er sich auch ausdrückt, hat die Welt die Möglichkeit, den Sinn seiner Worte, ohne sie in ihrem mitteilbaren Sinngehalt zu verfälschen, dennoch, anders als er sie meint, als bloßes Weltwissen zu verstehen. Dabei aber kann es nicht, wie es doch sein müßte, zur Entscheidung zwischen Glaube und Unglaube kommen, sondern höchstens zu Verständnis oder Mißverständnis. Der Gläubige wird verstehen; der noch nicht Glaubende aber - so scheint es - kann das Gesagte als diese oder jene philosophische Weltanschauung annehmen oder ablehnen, ohne je vor dem absoluten Ärgernis zu stehen.
Deshalb muß jede theologische Aussage objektiv und existential sein. Denn beide Sprachen sind auf verschiedene Weisen zweideutig; das bloß philosophische Mißverständnis der einen muß daran scheitern, daß der Glaube auch an der anderen unbeirrbar festhält. Würde nur formal-objektiv gesprochen, so käme die Absolutheit der Erfahrung, ihre schlechthinnige Abgesetztheit gegen alles Weltliche, nicht zur Sprache: die Verkündigung könnte als Weltanschauung aufgefaßt werden und wäre ohne Kraft, den Menschen an die.Grenze zu zwingen. Zwar will man, der Glaubenserfahrung Ausdruck verleihend, vom ganz anderen zu allem Welthaften sprechen: das Ergebnis ist aber stets nur ein noch phantastischerer Überbau, eine noch ungeheuerlichere Verwandlung - und eben nichts ganz anderes.
Denn zwar läßt sich die welthafte Natur als ein großes Ganzes zusammenfassen und dann darüber noch einmal eine Übernatur affirmieren; zwar kann man alles natürliche Sein als von bestimmter Qualität denken und die Vergöttlichtheit als das dazu ganz andere behaupten: dennoch wird es aufgrund der Randlosigkeit unserer Vorstellungskraft immer möglich sein, auch das behauptete ganz Andere als bloß objektiv mißzuverstehen und in einem noch weiteren Rahmen dennoch wieder unterzubringen, ohne den Schritt zur Anerkenntnis dessen zu tun, daß dieses "ganz Andere" nichts anderes als die eigene absolut fragliche und absolut dem Glauben geschenkte Existenz ist. Jedesmal wird die Welt meinen, das habe sie immer schon gewußt, und dann entweder an der objektiven Oberfläche stecken bleiben oder jenen "nach dem Bild des Menschen geschaffenen Gott" existential hinwegdeuten.
Dieses Mißverständnis fällt aber dann fort, wenn die objektive Theologie existential interpretiert wird. Existentialtheologie kann man nicht, ohne ihren klaren Sinn zu verfälschen, als oberflächliches Gerede oder Utopie mißverstehen; wo nur mehr, sei es auch unter vielen Metaphern, von der Existenz selbst gesprochen wird, da weiß der Mensch, daß es ums Ganze geht.
Sobald freilich die Existentialtheologie die Alleinherrschaft beanspruchte, wäre das Mißverständnis wieder da: denn ums Ganze geht es auch dem philosophischen Existentialismus. Eine richtige Theologie wird also stets nur existentiale Interpretation objektiver Sätze sein können: das objektive Moment verbürgt die Abgrenzung vom immanenten Existentialismus, das existentiale die von der Mythologie. Das Ineinander zweier verschiedener zweideutiger Sprechweisen macht die Glaubenssprache auf eine Weise eindeutig, die jedem weltlichen Verständnis den Boden entzieht, sodaß die Theologie dem Ungläubigen zum Ärgernis, dem Glaubenden zur Weisheit werden kann.
Genau besehen, unterscheiden sich darum alte und neue Theologie allein durch verschiedene Akzentuierung innerhalb des nämlichen fundamentalen Schemas. Bultmann ersetzt zuerst das objektiv-welthaft-historisch Vorfindliche durch das existentiell geschichtlich zu Vollziehende, auch dieses dann durch das rein eschatologische Ereignis (das die Existenz ganz in den Tod und ins Leben führt) und kehrt von dort zurück zum existentiellen Sprechen des christlichen Kerygmas, das stets verwiesen bleibt auf das historische Faktum des Kreuzes Christi.
Seine Formel, daß im Christusereignis Gottes eschatologisches Handeln unsere Existenz begründet, enthält klar beide Momente: "Gottes Handeln" ist ein unverlierbarer "mythologischer Rest", der aber durch seinen Bezug auf unsere eschatologische Existenz jedem oberflächlichen Mißverständnis verschlossen wird; diese umgekehrt kann nur darum nicht zur Philosophie werden, weil in der Tiefe, wo ihr Begriff gilt, kein ungläubiger Philosoph mehr Gottes Handeln als auf sie nicht zurückführbares Gegengewicht ernst zu nehmen vermag. Bultmanns Theologie wahrt deshalb das entscheidende Geheimnis.(47)
Unrecht hat die neue Theologie jedoch, insofern sie die alte (als Auslegung des Glaubens) schlechthin verwirft. Denn jene weist, als Ganzes betrachtet, dieselbe Struktur auf: entfalten die Scholastiker in ihren Büchern das objektive Moment, so wird es doch in geistlicher Rede und Predigt mystisch, dh existential interpretiert. Wer freilich die Summen nicht in der Kirche oder doch wenigstens als Christ - sondern kühl als Historiker liest, dem verdirbt das objektive Moment zur Begriffsmythologie. Die Schuld dafür liegt aber nicht bei den Alten. Dessenungeachtet ist die neue Theologie ein echter Fortschritt, insofern Ernst und Freude der Frömmigkeit mit der strengen Wissenschaft inniger verschmolzen sind, sobald die existentiale Interpretation nicht mehr nur der zufälligen Andacht des Einzelnen, sondern der Wissenschaft übertragen wird.
3) Göttlicher, christlicher, kirchlicher Glaube
Wie kann aber eine Verknüpfung falscher Philosophien plötzlich eine wahre Theologie ergeben? - Nun, falsch sind diese Philosophien alle nicht schlechthin, sondern nur, sofern sie als die Antwort auf die Frage des Menschen auftreten.
Jede Weltanschauung, die Gott als den, von dem alles abhängt, in ein objektiv gültiges System mit aufnimmt, ist richtig: denn Gott ist - als Grund des Alls und zu ihm zugleich ein Anderer - natürlicherweise erkennbar. Diese Philosophie ist aber, weil sie die Existenz verschweigt, nicht die Antwort auf die Lebensfrage des Menschen - und darum falsch, sobald sie sich als solche aufspielt. Ebenso ist eine Philosophie, welche nur mehr zur Existenz ein totales Nein oder Ja oder beides sagt, nicht falsch: denn das Absolute ist letzter Tod und volles Leben meiner selbst. Weil diese Auskunft aber meine Geschöpflichkeit vergißt, ist auch sie nicht die Antwort.
Eine Philosophie aber, die das Unmögliche schafft und das objektive mit dem existentialen Moment verschmilzt: sie ist keine bloße Philosophie mehr, sondern schon Theologie, dh Auslegung der göttlichen Offenbarung. Denn nur, weil Gott sich uns tatsächlich erschließen will, darum ist eine solche Lehre wahr.
Die bloße Weltanschauung sieht von der Existenz ab, hält sich an das natürlicherweise von Gott Erkennbare und weiß mithin nichts von Offenbarung. Die bloße Identitätsphilosophie sieht vom Schöpfergott ab, trennt das ihr bewußte Ziel der Vergöttlichung von seiner Herkunft los und weiß somit ebenfalls nichts von Offenbarung.
Die Wahrheit ist allein die Offenbarung, deren einer Ausdruck sich gegen Objektivismus und Existentialismus richtet: Weil Gottes eigentliche Tat nichts anderes als innerer Ursprung meiner Existenz ist, darum ist Lüge jede Weltanschauung, die von Gott so redet, daß ich selbst dem Thema als Zuschauer äußerlich bleiben kann. Und weil meine Existenz nichts anderes als Gottes Tat ist, darum ist Lüge jede Immanenzphilosophie, die von mir so redet als wäre ich von selbst, was ich als begnadigtes Geschöpf Gottes bin.
Wo immer eine Lehre diese Spannung enthält, daß Gott als das Jenseits zu aller Welt doch des Menschen Eigentlichstes sein will, da haben wir es mit insofern wahrer Theologie zu tun, mit einem richtigen Ausdruck der "fides divina", des tiefen Glaubens an die "göttliche Offenbarung".
Ohne wesentlich zu irren, ist der "göttliche Glaube" möglich nur als Erwartung oder Bekenntnis des "christlichen Glaubens". Denn wenn Gott nicht nur zu mir unendlich anderer Schöpfer, sondern mit Seinem eigenen Innen mein innerstes Leben und doch, dabei, zu mir ein anderer sein will, dann bedeutet dies meine Erhebung zu einer in etwa gleichrangigen Beziehung zu Ihm. Daraus folgt: eine Aussage, welche ja die existentielle Tiefe mit Hilfe innerweltlicher Vergleiche auszudrücken genötigt ist, muß diesen sich offenbarenden Gott zu einem innerweltlich Anderen erklären; nur so kann Sein Gegenüber zu mir in einem und demselben Bereich verständlich ausgesagt werden.
Sofern das ohne ausdrückliche Offenbarung Gottes geschähe und dennoch als innerweltlich bedeutsam ernst genommen würde, erfüllte solches Tun genau die Definition des Götzendienstes. Wird es nicht ernst genommen, dieser "innerweltlich zu uns andere Gott" vielmehr als bloßes notwendiges Als-ob, als Symbol für die in der Tiefe der Existenz ja als wirklich erfahrene Andersheit Gottes bei Einheit mit Ihm verstanden, dann liegt kein Götzendienst vor, sondern eine durchklärte Hochreligion.
Dennoch ist diese "Theologie des Als-ob" mangelhaft. Denn einerseits will sie nichts als Auslegung der Offenbarungstat Gottes sein, andererseits kann sie den Inhalt der.tiefen Offenbarung nicht anders als mit Hilfe einer als falsch durchschauten Annahme ausdrücken.
Dieser Widerspruch ist nun zwar an der Theologie als einer Tat fehlbarer Menschen noch erträglich, nicht aber an Gottes Offenbarung, ohne die es auch die Tiefenwahrheit der Als-obTheologie nicht gäbe. Der sich erschließende Gott kann sich uns nicht als Anderer verständlich machen, wenn Er für uns nicht auch innerweltlich ein anderer wird. Er kann uns nicht sagen heißen, was nicht stimmt. Jede außerchristliche Religion kommt also (auf sehr unterschiedliche Weisen) mit der christlichen darin überein, daß das existentiell Absolute dem Gläubigen als ein Anderer vorgestellt wird; wahr sind sie alle nur darum, weil das existentiell Absolute innerweltlich ein Anderer ist und als solcher natürlich einen bestimmten Namen hat.
Wer seiner sich rühmt und die Verherrlichung Christi als die eigene Auferstehung glaubt, der ist ein Christ. Er kann mit Recht feststellen, daß alles weitere Historische, das leere Grab eingeschlossen, als Motiv des Glaubens gleichgültig ist: selig, die nicht sehen und doch glauben. Sofern die Theologie deshalb Aussagen über die letzte Eigentlichkeit der Existenz (= die strikt übernatürliche Selbstmitteilung Gottes) macht und das von Gott selbst geoffenbarte objektive Moment dabei das Christusereignis ist, insofern genügt tatsächlich, wie Bultmann will, das reine Daß des Lebens und Sterbens Jesu. Wer immer sein Leben und Denken auf diesen Grund baut, darf sich als christlichen Theologen und die Gemeinschaft derer, die es mit ihm tun, als christliche Gemeinde bezeichnen.
Für Maria und die Apostel aber, sowie dank ihrer Überlieferung für die Kirche, war Jesus kein reines Daß. Als Gott uns in der Welt gegenübertrat, tat er es nicht nur als im abstraktesten Sinn ein Anderer, sondern als dieser bestimmte Mensch aus Fleisch und Blut. Für die Kirche ist er darum nicht nur, wie für die christliche Existentialtheologie, nur ganz unbestimmtes Prädikat des schon zuvor bekannten Subjekts in der Aussage: "Gott (das existentiell Absolute) ist Jesus", sondern für sie gilt auch umgekehrt: "Jesus (dieser erfahrene, unverwechselbare Mensch) ist Gott." Deshalb kommt für den kirchlichen Glauben zum reinen Daß auch das Wie geschichtlicher Vermittlung.
Wie ist also das Verhältnis des christlichen Glaubens zum "Christus dem Fleische nach" zu bestimmen? Wird mit Recht (wie häufig von Paulus) der Ton darauf gelegt, daß Gottes eschatologische Tat das Ende aller Geschichte ist, dann gilt das natürlich auch für Gottes eigene welthafte Geschichte, die zum reinen Daß-Punkt zusammenschrumpft. Jenseits dieses Endes gibt es objektiv nichts mehr zu sagen; denn alles Faßbare ist abgetan; nur der reine Glaube weiß um das eigentliche, neue Leben, dessen ungreifbarer bloßer Anfang Gottes Heilstat ist. Kann der Glaube dies auch nicht ohne (es verobjektivierende) Vergleiche ausdrücken, so wird er diesen doch keinen von der totalen Krise unangefochtenen Eigenwert lassen; all ihren Sinn schöpfen sie vielmehr aus der reinen Erfahrung: als Symbol für Predigt und Frömmigkeit hat das leere Grab noch seinen Sinn, die Tatsache aber ist ganz und gar unerheblich. Vorgänger Bultmanns sind hier die großen Mystiker aller Jahrhunderte, die ebenfalls (und nicht ohne Spannungen mit der institutionellen Kirche) die Reinheit ihrer Erfahrung gegen eine zu flach aufgefaßte objektive Religion wahrten.
Wenn wir Bultmann in all dem vorbehaltlos zustimmen, dann wird es vielleicht leichter sein, mit seiner Schule über das "Auch des Nicht-Letztlichen" ins Gespräch zu kommen. Denn in die totale Krise gerät alles Nicht-Letztliche allein insofern, als es von der Welt zum Letzten erklärt wird. Innerhalb des Endlichen gibt es keine totale Krise, sondern den Reichtum der geschichtlichen Wirklichkeit und die nie ganz durchforschte Welt der historischen und natürlichen Objekte. Diese letztere unterscheidet Bultmann sorgfältig vom Eschaton und gesteht ihr ein relatives Eigendasein zu. Die geschichtliche Wirklichkeit aber kann er, gemäß seiner eigenen Auffassung, natürlich nur insoweit verstehen wie sie sich ihm existentiell erschließt; hier muß darum a priori mit der Möglichkeit einer minder treffenden Interpretation gerechnet werden. Was soll die Kirche von einem Mann halten, der Jesu Geburt aus der Jungfrau, seine Wunder und den sichtbaren Triumph des leeren Grabes nicht nur als Existentialtheologe für unerheblich hält (das tat Paulus auch), sondern dazu als moderner Mensch verwerfen zu sollen meint? Weil die Kirche nicht nur die nachträgliche Summe der Einzelnen ist, die sich vom christlichen Daß getroffen wissen, sondern jene Gemeinschaft, die seit den Jüngern des Galiläers bis heute eine nie unterbrochene historische und geschichtliche Gemeinschaft ist, deshalb ist eine Theologie des nicht nur reinen, sondern bloßen Daß falsch und unkirchlich.
Auf Luther mußte Bultmann folgen, und wer als evangelischer Christ gegen Bultmann aufsteht, der hat sich, scheint mir, bereits vom protestantischen Formalprinzip gelöst. Denn entweder erwächst der Ausdruck des Glaubens allein aus der inneren Erfahrung des Einzelnen, den die Gnade zur Anerkenntnis des reinen Daß geführt hat: insofern kann man Christ auch dann sein, wenn all das, was nicht notwendig, nur tatsächlich mit und um Jeaus geschah, bezweifelt oder sogar (wenngleich ehrlicherweise nur als völlig unwahrscheinlich) geleugnet'wird.
Oder aber man ist Christ als Glied einer existentiellen Gemeinschaft, der Gott ebenfalls im reinen Daß begegnet, dazu aber "auch" noch eine auf das Letzte unrückführbare andere Erfahrung schenkt: die Berufung zur Kirche als dem endlichen Werke Jesu hier auf Erden, Ihm nicht minder teuer als uns die unseren.
Dieser konfessionelle Gegensatz spaltet nicht die Kirche, sondern trennt die Christen. Damit soll nicht im mindesten behauptet sein, Bultmann und die Seinen seien "kirchenlose Christen"! Nicht um Personen geht es, sondern um Prinzipien. Unbestreitbar scheint aber, daß sein "bloßes Daß" eine in sich verständliche und folgerichtige Auffassung des Christentums ist (und für viele vielleicht die tatsächlich einzig annehmbare), was man von den Anschauungen seiner evangelischen Gegner nicht sagen kann.
Für den christlichen Glauben ist also konstitutiv das Daß von Jesu Leben und Sterben als Offenbarung der Heilstat Gottes sowie die Überzeugung, daß in aller existentiellen Erfahrung der Erhöhte selbst mir persönlich begegnet. Eine innerhalb des Christentums wiederum besondere Gnadenberufung Gottes ist der kirchliche Glaube: sein inhaltlicher Ausdruck erwächst nicht allein subjektiv aus der ans Daß glaubenden Existenz, sondern wird wesentlich mitbestimmt von dem geschichtlichen Wissen der Menschen, mit und vor denen Jesus sein nicht nur gewöhnliches Leben gelebt hat. Wie sie hat auch der Katholik Ihm nicht nur das Daß Seiner Sendung existentiell zu glauben, sondern auch die an sich nicht notwendigen Zeichen und Weisen der Offenbarung. Wie jedes Volk hat auch das neue Volk Gottes seine lebendige Tradition, die mehr ist als Objekt historischer Wissenschaft; nicht jedes Volk aber erfreut sich der Verheißung unfehlbarer Weitergabe dieser Tradition.
4) Ausgleich der Gegensätze
Nunmehr kommen wir wieder zum Hauptthema zurück und fragen: Was hat ein theologisches System, wo von Gottes Wesen und der Übernatur gesprochen wird, für einen Wert? Die Antwort ist klar: Es muß auch weiterhin so geredet werden. Denn ohne "Gottes Handeln" wäre die christliche Existentialtheologie bloße Philosophie; in "Gottes Handeln" ist aber "Gottes Wesen" eingeschlossen; denn Gottes Handeln wird analog von unserem her verstanden; unseres aber ist unverständlich ohne den in allen Taten sich durchhaltenden Kern der Person. Wer sagt, Gott handele, gibt auch zu, daß Er nicht zu handeln bräuchte und somit unabhängig von uns auch in sich selber wirklich ist: das aber meint die Rede von Seinem Wesen.
Ebenso muß fernerhin der Natur die Übernatur bzw. der Geschöpflichkeit die Vergöttlichtheit entgegengesetzt werden. Denn zwar ist es wahr, daß solche objektive Sprache das eigentlich Gemeinte ebenso verdeckt wie zeigt: daß nämlich das eine ganz anders ist als das andere. Trotzdem haben wir keine Wahl; denn wird nur auf die Erfahrung verwiesen, werden die beiden "Bereiche" (auch das ist ein mythischer Ausdruck; denn existential sind sie total verschieden und nicht mehr unter einen Oberbegriff zu bringen!) als Letzt-Eigentliches und historische Oberfläche (oder sonstwie) voneinander urterschieden: so drücken diese Begriffe nicht mehr die entscheidende Wahrheit aus, daß das Letzt-Eigentliche zwar in uns, aber nicht aus uns ist. Dieser Aspekt ist aber deutlich in "Übernatur" und "Vergöttlichtheit" enthalten.
Es wird also dabei bleiben müssen, daß entweder die mythische Übernatur sogleich existential als letzte Eigentlichkeit unserer Existenz interpretiert oder aber die unmittelbar analysierte letzte Eigentlichkeit auf einmal mythisch als "vom Jenseits (unserer Möglichkeiten) her geschenkt" bezeichnet wird. Weil der Sinn beide Male aus der Glaubenserfahrung stammt, nur darum sind sie zwar paradox, aber nicht unsinnig. Paradox aber müssen sie sein, sollen sie das Glaubensgeheimnis der christlichen Existenz ausdrücken.
Der Ausgleich der scholastischen mit der existentialen Denkform bedeutet deshalb keinerlei inhaltliche Veränderung der ersteren, sondern die Einsicht, daß alles innerhalb ihrer Gesagte nicht nur objektiv, sondern existentiell verstanden werden muß, um objektiv richtig erfaßt zu werden; denn das von der theologischen Aussage gemeinte Objekt ist kein neutraler Gegenstand, sondern das, was die Existenz total bestimmt.
So gedeutet, ist das geschaffene Wer nichts anderes als ich selbst - und was das heißt, kann und muß nicht weiter erklärt werden. Das endliche Was ist all das, was objektive Wissenschaft (bis hin zur Tiefenpsychologie) verstehen und Geschichtsschreibung berichten kann. Das ungeschaffene Wer ist der Gott, an den wir glauben und den wir existentiell in drei verschiedenen "Dimensionen" erfahren: als Vater "oben" (Absolutes der Religion), in Jesus selbst und seinen Gliedern uns "gegenüber" (Absolutes des Materialismus) und endlich in uns als Geist der Freiheit (Absolutes des Existentialismus). Das un-endliche Was (existential: das reine, nicht objektivierbare Daß, "actus purus"), die göttliche "Natur", an der wir teilhaben, ist jene letzte Eigentlichkeit unserer Existenz, die dank Gottes Berufung jeder Mensch unausweichlich schon ist (Teilhabe am ewigen "Du" Gottes, übernatürliches Existential), deren "zweite Etappe" Liebe heißt und unserer Freiheit anvertraut ist (Teilhabe am ewigen Wir, heiligmachende Gnade) und deren verheißene Vollendung wir alle noch erwarten (Teilhabe am ewigen Ich, Gott alles in allem).
Diese kurze Darstellung zeigt bereits, daß sich zwar bei objektiver, nicht aber bei existentialer Darstellung der Übernatur vom Dreifaltigkeitsgeheimnis abstrahieren läßt. Die früher gewonnenen objektiven Strukturen gelten gleichermaßen für die so verschiedenen Teilhaben an den drei göttlichan Personen, kommen aber zu Sinn und Leben erst, wenn einer sie je existentiell versteht.
Das Verständnis der Schöpfung als innere Vorstellung Gottes ist zwar ebenfalls ein Mythus, weil es die Existenz zu einem Schemen verblaßt und andererseits doch Gott in die Welt hineinzieht, mindestens wie einen Dichter in das Werk seiner Begeisterung. Dennoch halte ich dieses Psychologische Modell nicht nur aus den bereits angeführten "inner-objektiven" Gründen für besser als die verbreiteten gröberen Anschauungen, sondern auch darum, weil der Gedanke dieser unserer prall erlebbaren Welt als Dichtung, die ganz und gar in Gottes Phantasie verbleibt, dem gewöhnlichen Menschenverstand so unannehmbar scheint, daß hier das Geheimnis (= Paradox) bereits innerhalb des Mythus zu wirken und zum existentiellen Verständnis hin zu drängen beginnt. Wenn alles, was die Welt für das Letzte hält, nichts weiter ist als ein Gedankenspiel des Schöpfers, dann ist dessen (und dank der Gnade auch unsere!) eigentliche Wirklichkeit schon als so unfaßbar gewaltig gedacht, daß der Schritt zur Anerkenntnis der Existenz kaum ausbleiben kann. Der unsagbare qualitative Unterschied der beiden Naturen von Chalkedon, zwischem historischem Was und Daß der Existenz, endlich und göttlich: in diesem Vergleich wird er schon einem Kinde ahnbar.
Jetzt sind wir in der Lage, die noch unversöhnten Gegensätze von Thomas und Palamas zu klären.
A 1: Erfahrung oder Erwartung der Gottesschau? Barlaam hat darin recht, daß alle Menschen und darum auch die heidnischen Philosophen als ihre Sprecher in einer Richtung bereits das unübersteigbare Absolute in sich tragen: sie alle sind tatsächlich nicht nur endlich, sondern jeder ist vom Vater als Eben-Du angesprochen und kann diese seine Erfahrung, dank der er schon am im Sohn an der göttlichen Natur teilhat, auch philosophisch aussagen und zwar am passendsten in der Form der negativen Theologie, welche einsieht, daß kein Wort diese in sich selbst erfahrene Unendlichkeit (und das göttliche Ich als ihren Gegenpol) angemessen aussagen kann.
Palamas hat recht damit, daß über all dieses hinaus die christliche Offenbarung und der Glaube an sie ein ganz neues absolutes Moment enthält: die leiblich unter uns und geistlich in uns geschehende rechte Antwort des ewigen Du zum Vater hin: das ewige Wir, die Teilhabe am Hl.Geist als dem innergöttlichen Frieden von Vater und Sohn. Wenn P auch auf der leiblichen Erfahrung besteht, so meint er doch nichts objektiv-Endliches: die Tiere konnten das Thaborlicht nicht sehen. Vielmehr spricht er von der Eigentlichkeit der begnadeten Existenz, sofern sie, für sich selbst, wirklich auch leiblich sich ausdrückt, weil alles Endliche, mit dem Un-endlichen geeint, dieses selbst bedeuten kann.
Du und Wir sind, als göttliche Personen, auch in uns aufeinander unrückführbar; darum sollte P auch den "natürlichen" Standpunkt anerkennen (der in Wahrheit keineswegs endlich, sondern die erste Stufe der Vergöttlichung ist). Barlaam aber müßte bekennen, daß die Philosophie noch nicht die Liebe und daß die bloße Philosophie gegenüber der Liebe und ihrer Erfahrung soviel wie absolut nichts ist.
Thomas endlich weiß, daß wir in diesem Leben Gott selbst noch nicht schauen. Der Tod ist nicht nur ein relativer Zuwachs an Licht, sondern die Schwelle zu einer ganz neuen Teilhabe am Absoluten, dh am Eigentlichen. "Du" ist auch schon der Säugling in der Wiege, "lieb sein" kann auch schon das Kind; so "ich" sagen jedoch, daß es nicht sündigen Trotz wider das Wir, sondern gereiften, liebenden Selbstand bedeutet: das kann erst der erwachsene Mensch. Die kleine Geschichte ist Abbild der großen: Die Geschichte von gerufenem Du, gerechtfertigtem Wir und seligem Ich ist eine Teilhabe am innergöttlichen Lebensprozeß und darum wahrhaft eine Geschichte des Absoluten, ein ewiges Werden. Die Worte: damals, jetzt und dann, sie bezeichnen nicht nur den Ablauf der endlichen Zeit, fallen auch nicht nur in Gottes persönlicher Ewigkeit zum ewigen Jetzt zusamen, sondern bedeuten drittens das Werden der Vergöttlichtheit: Wir Christen waren einst Finsternis, jetzt aber sind wir Licht im Herrn und dann hoffen wir, Gott zu schauen. Dieses Jetzt ist nicht mit dem "Jetzt" der Uhrzeit zu verwechseln: denn dann werden wir auch unser "jetziges" Leben im Lichte Gottes sehen, ebenso wie ein Spätbekehrter "jetzt" auch sein Treiben von "damals" von der Liebe Gottes und dem jetzig-ewigen Ja seines Herzens umgriffen hofft, so sehr er damals wirklich finsteres Nein war. Während zudem bei dieser eschatologischen Zeitlichkeit das.Früher das Später nicht enthält, bewahrt doch das Später das Früher auf: das Wir negiert nur das Nicht-Wir, nicht das Du; ebenso wird das Ich nur das jetzige Nicht-Ich aufheben, nicht aber Du und Wir.
B 1: Die Bedeutung der Gottesnamen. Begriffe, die nicht irgendeine Erfahrung erhellen, sind leer. Gehört die Erfahrung der objektiv-endlichen Ordung an, so auch der Begriff. Der rein natürliche Gottesbegriff bedeutet also nicht mehr als "letzte Ursache", er meint Gott als den Terminus der Relation kreatürlicher Abhängigkeit, also als Tätigen. Sein Wesen wird dabei, wegen der Identität mit dem schaffenden Wer, als gänzlich ungekannt noch mitgenannt, mitbedeutet aber so wenig wie das Wort Maurer über das innere Leben eines Maurers etwas sagt.
Eine nur endliche Erfahrung (wie sie eine vielleicht mögliche "natura pura" hätte) gibt es aber bei keinem Menschen. Dank der übernatürlichen Berufung ist jeder Gottes Du und weiß vor aller Reflexion zugleich mit seinem Dusein auch unmittelbar um den ihn anredenden Gott. Erst als Bezeichnung für diese übernatürliche Erfahrung bedeuten die göttlichen Namen in Wahrheit Gottes Wesen.
In nichts anderem besteht demnach die Analogie als in der ungemischten und ungetrennten Einheit zweier Univozitäten: die gleichen Wörter erhellen die endliche und die un-endliche Erfahrung, haben also einen doppelten Sinn, der trotzdem insofern einer ist, als der eine Mensch in beiden "Naturen" den einen Gott erkennt. Überdies hat allerdings alles Endliche an der Bedeutekraft des ewigen Wortes teil: ohne unmittelbare Erfahrung des Göttlichen würde das endliche Zeichen aber zu keiner wahreren Erkenntnis führen können, als etwa ein Kind von Rom hätte auf Grund einer Italienkarte, die es nicht als Zeichen begreift. Als Zeichen für Gott in sich selbst kann nur der die Welt lesen, der Gott in sich selber kennt. Hier dürfte die Wahrheit des Ontologismus liegen; sein Irrtum bestand darin, das für die analoge Erkenntnis des göttlichen Wesens geltende Gesetz auch auf die bloß natürliche Erkenntnis Gottes als des Schaffenden anzuwenden.
Thomas hat also recht mit seiner Behauptung, jeder göttliche Name werde von den Geschöpfen genommen, um das göttliche Wesen zu bedeuten. Von den Geschöpfen rührt er her, insofern alle Wörter zunächst innerweltliche Erfahrungen meinen. Gottes Wesen bedeutet er, insofern er zugleich jene Wirklichkeit jenseits inmitten des Endlichen anzielt, als die Gott sich selbst in Jedem der übernatürlich erhobenen Menschen bezeugt. Die Analogie endlich/unendlich besteht, könnte aber allein, ohne das unmittelbare Insein des Unendlichen in unserem Bewußtsein, die Wahrheit der Aussagen über Gottes Wesen nicht begründen.
Palamas andererseits hat recht damit, daß alle göttlichen Namen weder Geschaffenes noch Gottes Wesen, sondern Gott selbst in Seinen Taten meinen. Denn als endliche meinen sie nicht das Geschöpf als solches, vielmehr Gott, der in Seinem eigenen Außen das Endliche denken und in gewisser Weise sein will. Jedes Werk des Schöpfers ist zugleich Seine nicht aus Ihm herausfallende persönliche Tat; wer das Werk als Tat erkennt, begegnet Gott selbst. Als eschatologisch-übernatürliche Begriffe aber bedeuten die göttlichen Namen ebenfalls eine Tat Gottes: nämlich Seine gütige Selbstmitteilung, die inhaltlich-real zwar mit dem Wesen identisch ist, begrifflich aber von ihm unterschieden werden muß: denn das Wiesen hätte uns auch verschlossen und dann unserer Rede unbedeutbar bleiben können.
B 5: Göttliche Potenz? P hat recht damit, daß keine natürliche (endlich-objektive) Potenz das Göttliche aufnehmen kann. Nur von sich selbst wird die vergöttlichte Existenz verstanden: circulus vitalis. Freilich hat auch T die Wahrheit gesehen, wenn er den menschlichen Verstand Gott schauen läßt: nur ist, was er "intellectus" nennt, keineswegs das Erkenntnisvermögen einer hypothetischen "natura pura", sondern die geistige Tiefe des wirklichen Menschen, un-endliches Was des geschaffenen Wer und somit zwar real, aber rein hypostatisch unterschieden von Gottes Wirklichkeit (demselben Was des ungeschaffenen Wer). Nur weil der so gefaßte "Verstand" bereits der erste Schritt auf dem Wege der Vergöttlichung ist, darum kann er sich nach dem dritten sehnen und ihn in sich aufnehmen. Nach "unten" aber, hin zum Endlichen, fehlt jede Proportion: das Leibliche (im weitesten Sinn) kann das Geistige (in diesem hohen Sinn) keineswegs fassen. Werden "Verstand" bzw. "Göttliches Fühlen über allen Verstand" existential interpretiert, so wird klar, wie beide gegensätzlichen Ausdrücke dasselbe meinen: die faktische Existenztiefe in ihrer übernatürlichen,Bezogenheit auf Gott. Insofern sie dem Menschen gnadenhaft zur "zweiten Natur" geworden ist, fällt sie unter den Begriff "Verstand": er ist nicht allein die endliche Erkenntniskraft, sondern auch ihre "vereigentlichte" Mitte. Sofern die Existenz aber schon Teilhabe an Gott als Gott ist, gehört sie nie zum endlichen Wesen des Menschen und ist stets auch über dessen Verständigkeit hinaus.
B 6: Schau des Wesens? Weil P das Wesen in sich von der Tat an uns unterscheidet, darum muß Gottes Wesen uns nach ihm unzugänglich sein; ebenfalls zu Recht besteht T darauf, daß Gott den Menschen gerade zu dem Ziel erschaffen hat, Sein Wesen zu schauen. Schon innerhalb der objektiven Theologie läßt sich dieser Widerspruch auflösen: Die Tat der Vergöttlichung besteht gerade in der freien Erschließung des eigenen Wesens; Gott ist actus purus nicht nur für sich, sondern aus Gnade auch für und in uns. Existential interpretiert meint der Zugang zum göttlichen Wesen das Erlangen der vollsten Eigentlichkeit: wie in sich will Gott auch in uns Du, Wir und endlich sogar Ich sein; Grade gibt es dabei nicht, sondern nur Ja oder Nein; denn Gott in sich ist einfach, auch als unser Leben. Wo einer im Verhältnis zu jemand anders Du oder Wir ist, dort kann dieses anderen Wesen noch von der tat-sächlichen Beziehung abgesetzt werden; wo einer aber von einem anderen zu dessen "Ich" gemacht wird, da haben Tat und Wesen streng denselben Inhalt. Es ist deshalb verständlich, daß P, für den das absolute Teilhaben vor allem im Wir liegt (in der liebenden Einigung von Gott und Mensch) Wesen und Tat real unterscheidet und das Wesen unzugänglich läßt, während T, der das Absolute vor allem im Ich sieht (Die Gnade ist erst eine "inchoatio" der Glorie, nicht aber in einer bleibend göttlichen Richtung die Fülle des ewigen Lebens schon jetzt), diesen Unterschied ablehnt.
Schluß Weil der menschliche Verstand nach Palamas eine kriechende Raupe ist, darum ist für uns nicht das Ergebnis, sondern der Weg das Ganze: der Schluß soll darum nicht in einer zusammenfassenden Rückschau bestehen.
Vielmehr müssen wir uns jetzt der Frage nach dem Geheimnis stellen. Bei T liegt es darin, wie die freien Taten Gottes mit Seinem Wesen identisch sein können; bei P darin, wie der Unterschied Wesen/Tat Gottes Einfachheit unberührt läßt.
Klären wir zuerst den Begriff des Geheimnisses. Weil Inhalt aller theologischen Systeme die jeder Reflexion vorausliegende Erfahrung der glaubenden Kirche ist, darum kann keines so umfassend sein, daß man nicht alles auch noch ganz anders sagen könnte. Insofern bleibt das Geheimnis auf jeden Fall gewahrt. Weil ferner in dieser Erfahrung Züge vereint sind, welche, endlich verobjektiviert, miteinander unverträglich werden, darum gibt es in jedem System den Punkt, wo mehrere je in sich folgerichtige Gedankenlinien sich so schneiden, daß ihre Widerspruchslosigkeit nur mehr von dem angenommen werden kann, der mit dem Verfasser zusammen nicht nur aus derselben Glaubenserfahrung heraus, sondern auch mittels derselben Grund-Kategorien denkt. Diese werden nicht aus anderen Begriffen, sondern unmittelbar aus der Glaubenserfahrung geschöpft und sind somit jeder Kritik überlegen: Als Fundament des jeweiligen ausdrücklichen Glaubens haben sie - bis zu einer stets möglichen Grundlagenkrise - teil an der dem Glauben selbst eignenden Gewißheit.
Das schließt natürlich nicht aus, daß eine andere Schule, die entweder diese Begriffe nicht als Grundkategorien, sondern als abgeleitete Größen kennt, in jenem System mühelos einen Widerspruch nach dem anderen nachweisen wird: denn die begreifbare Folgerichtigkeit wird zweifellos von einer Glaubenserfahrung gesprengt, die nicht von dieser Welt ist. Bei solcher grundsätzlichen Relativität scheint jeder Fortschritt nur darin bestehen zu können, streitende Systeme dadurch zu versöhnen, daß man ihre jeweiligen Grundkategorien als mögliche Folgerungen aus noch fundamentaleren aufzeigt und mit deren Hilfe nunmehr das Geheimnis aussagt.
In diesem Sinn scheint mir ein existential interpretierter Neuporretanismus ein gutes theologisches System zu sein, weil es Thomismus und Palamismus sowie beide mit der Existentialtheologie zusammenbringt. Das Geheimnis bleibt unbegriffen, wird aber auf engstem Raum zusammengedrängt: Wie kann von einem göttlichen Wer ein endliches Was ausgesagt werden und umgekehrt von einem geschaffenen Wer ein göttliches Was, obwohl endlich und unendlich absolut keine Proportion zueinander haben und Wer und Was, sowohl in Gott als im Endlichen, real völlig identisch sind? Das zu begreifen wird niemand behaupten wollen; wird aber im Blick auf die christliche Erfahrung, die genau das zu enthalten scheint, und in Anlehnung an die Formel von Chalkedon, die solcherart in ihrem eigenen Geist erweitert wird, dieser Satz als Grundtheorem einfach hingenommen, dann ergibt sich eine verständliche Theologie, die einerseits der dogmatisch festgelegten Begrifflichkeit (Natur/Person) nahe bleibt, andererseits aber doch ungezwungen so komplexen Gebilden wie dem Thomismus und dem Palamismus gerecht zu werden vermag, dazu noch (wofern nur das "göttliche Was" mit dem "nicht objektivierbaren existentiell letzten Daß" gleichgesetzt wird) der heutigen Existentialtheologie.
Mir will scheinen, in diesen Kategorien könne ein Christ heute denken. Doch steht das Urteil allein bei der Kirche, dh zunächst bei jedem einzelnen gläubigen Leser. Mit einer Frage an ihn muß deshalb das Ganze schließen: Fand er in diesen Seiten den eigenen Glauben wieder? Wenn nein, inwiefern nicht? Für jeden Hinweis bin ich dankbar.
LDMq
San Pastore
21. Juni 1965
Anmerkungen (*41) Folgendermaßen faßt eine Protestantin ihre Würdigung der griechischen und palamitischen Theologie zusammen:
"Die ontologisch-personale Beziehung, in der hellenischen Philosophie keimhaft angelegt, wurde christlich erfüllt;
a) das personale Prinzip wurde nicht von dem ontologischen Prinzip überlagert und dadurch reduziert (Gefahr der römisch-katholischen Theologie);
b) die ontologisch-personale Beziehung wurde auch nicht durchschnitten zugunsten einer isolierten Alleingeltung des personalen Denkens (Gefahr des Neuprotestantismus und Existentialismus)." (SCHAEDER, Christianisierung 20)
(*42) Der Glaubensvollzug 302
(*43) De Revelatione I (Romae 1950) 170 f.
(*44) HASENHÜTTL, Glaubensvollzug 67
(*45) HASENHÜTTL, Glaubensvollzug 70
(*46) "Zum Sein des Daseins, um das es ihn in seinem Sein selbst geht, gehört das Mitsein mit anderen." (HEIDEGGER, Sein und Zeit 120)
(*47) Ich schließe mich deshalb durchaus den positiven Urteilen von HASENHÜTTEL und GRESHAKE an. Auch letzterer kann übrigens (S.15) den Unterschied von Philosophie und christlicher Theologie nicht anders als mittels des rein mythischen Wortes "jenseits" ausdrücken.
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