Jürgen Kuhlmann

Kleines CREDO für Zeitgenossen


6


Et in Spiritum Sanctum Dominum et vivificantem
Und an den Heiligen Geist der Herr ist und lebendig macht

Den Heiligen Geist ahnen wir nur, wenn wir uns in seine Gleichnisse so einfühlen, daß wir dabei selber - mindestens ein wenig - in jenen Schwung geraten, von jener unendlichen Vibration gepackt werden, die der Heilige Geist ist: die innergöttliche Spannung zwischen Vater und Sohn. Wer sie statisch verstehen wollte, der ist wie jemand, der den elektrischen Strom begreifen will, indem er - statt Licht oder Kaffee zu machen - nachdenklich auf eine Steckdose starrt.

Die verschiedensten dynamischen Vergleiche werden von den Verfassern der Bibel gebraucht, um den Heiligen Geist zu beschreiben: Atem, Sturm, Feuerzungen. Unsere deutsche Sprache ist zwar später zur Blüte gelangt als Hebräisch, Griechisch oder Latein, sie ist aber nicht geringer. Sollte uns nicht auch das Wort "Geist" zu einer anregenden Vorstellung der dritten göttlichen Person verhelfen können? Nehmen wir es in seiner heutigen Blässe, dann taugt es freilich wenig, ja führt sogar auf Abwege. Geist bedeutet die Denkkraft - unendliches Denken ist den Personen aber gemeinsam. Und ein Geist im Sinn von Gespenst ist der Heilige Geist gerade nicht, auch wenn viele Nichtsahnende seinen Namen auf diese Art mißverstehen.

Wo kommt es aber her, welche sinnliche Wurzel steckt im Wort "Geist"? Stellen Sie sich vor, Sie stehen bei Sturm an einer felsigen Küste. Was spritzt da wild und schäumend hoch? Die Gischt. Und "Gäscht" war ein altdeutsches Wort für Wein- oder Bierschaum. Sagt ein Schwabe "Geischt", dann ist er also dem kräftigen Ursprung dieses Wortes näher als das Hochdeutsche. Anders als Hebräer, Griechen und Römer haben wir Germanen für das göttliche Lebensprinzip kein luftiges Wehen als Grundvorstellung, sondern eher das Brausen einer mit Luft vermischten Flüssigkeit. Wenn es im Schöpfungsbericht heißt: Gottes Gischt schwebte über dem Wasser, dann zeigt die deutsche Wendung hier, scheint mir, sogar noch schöner als der Urtext (Hauch, Wind), wie das Göttliche sich zum inneren Lebensprinzip der Schöpfung macht. Als Gischt sind Wasser und Wind eines!

Ich kenne keine Stelle in der Heiligen Schrift, wo der Gärschaum des Winzers oder Brauers als Gleichnis des Gottesgeistes verwendet würde. Doch hat Jesus selbst Gottes Heilswirken einmal mit einem Gärprozeß verglichen, nämlich im Gleichnis vom Sauerteig; tatsächlich heißt noch in der Lutherzeit auch die Backhefe "Gischt" [Grimm 7564 1a]. Ich wähle die Lukasfassung (13,20 f): "Womit soll ich das Reich Gottes vergleichen? Es ist wie bei einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Meßbecher Mehl steckte, bis es ganz gesäuert war." Jesus sucht nach Worten für seine Heilserfahrung, dabei fällt ihm die Beziehung von Mehl und Sauerteig ein. Im Sauerteig steckt eine lebendige Kraft; wenn sie das Mehl ergreift, wird aus ihm neuer Sauerteig. Jesus sieht in diesem Vorgang das Kommen des Gottesreiches angedeutet, also ist jene Lebenskraft, die den Sauerteig schon erfüllt und dem Mehl noch fehlt, nichts anderes als die Heilsenergie des Heiligen Geistes. Ja, das Gute wirkt keineswegs immer auf feurige, stürmische Weise; auch unscheinbar, ohne alles Aufsehen, tut es sein Werk. Das mag uns gewöhnlichen Menschen, die nie auf dem Bildschirm auftreten, ein tröstlicher Ansporn sein. Wer achtet schon auf ein Stückchen Sauerteig? Und doch kann der Bäcker, wenn er keinen hat, seinen Laden schließen.

Wer ist der Heilige Geist? Wir kennen die Gleichnisse der Bibel: den belebenden Atem, der unsere Herzen stets mit neuer Energie erfüllt; den frischen Wind, der durch die Straßen braust und sie von allem Dreck reinigt; die Feuerzungen, die jeden Beschenkten anders und doch alle miteinander eins sein lassen; die Taube, in der Antike Symbol für die Göttin der Liebe. Diese Bilder prägen das christliche Bewußtsein seit Jahrtausenden, trotzdem fällt vielen Christen zum Heiligen Geist nichts anderes als ein großes Fragezeichen ein. Kann es sein, daß jene Gleichnisse sich verbraucht haben, weil die Christenheit reifer geworden ist - nicht geistlich, gewiß nicht, aber doch geistig? Braucht es neue Bilder für die alte Wahrheit? Ich meine, ja. Ein Knabe liebt heiß seine Pippi-Langstrumpf-Bücher; der junge Mann schaut sie nicht mehr an, sondern studiert mit noch heißeren Wangen allerlei Handbücher, um endlich zwischen Computer und Drucker Einverständnis zu schaffen.

Wie könnte ich ihm den Heiligen Geist erklären? Sehr einfach: Der Heilige Geist ist jenes mächtige, ja göttlich-allmächtige Programm, das die widersprüchlichsten irdischen Programme miteinander kompatibel macht, so daß ihr Gegensatz nicht das übliche Chaos ergibt, sondern überraschenden Reichtum und neue, nie geahnte Klarheit. Wo Mann und Frau, Türke und Deutscher, Vater und Sohn, Sekretär und Chefin einander plötzlich verstehen, so daß jede Seite ihr Lebensprogramm als von der anderen anerkannt und zugleich bereichert erfährt: da ist der Heilige Geist am Werk.

"Seele der Kirche" wird der Heilige Geist auch genannt, weil Er - wie die Seele im gesunden Leib - alle lebendigen Organe zugleich unterscheidet und verbindet. Beides ist wichtig, auf beides müssen wir gleichermaßen achten, nur so sind wir dem Heiligen Geist gehorsam und wahrhaft ökumenisch. Wollten alle Organe gleich sein, wie sollte der Leib dann sehen, hören oder verdauen? Religions- oder Konfessionsmischmasch wäre ein unsinniges Vorhaben. Jedes Organ des menschheitlichen Sinnleibes soll seiner besonderen Berufung treu sein. Nicht zum eigenen Ruhm aber, erst recht nicht getrennt von den übrigen Organen. Kein Nebeneinander isolierter Zellkulturen will der Schöpfer - die gar noch übereinander herfallen, sich gegenseitig vertilgen! Sondern wie Auge, Ohr und Magen nur mitsammen gesund sind, so auch in der Kirche die Konfessionen, und die Religionen auf Erden.

Für jedes Organ gibt es eine Zeit, da die Tür zu den anderen geschlossen ist, damit das Eigenleben sich friedlich vollziehen kann. Und eine andere Zeit gibt es, da ist die Tür offen und das gemeinsame eine Leben flutet ungehemmt durch alle Einzelvollzüge hindurch. "Ich bin die Tür," sagt Christus (Joh 10,7). Eine Tür kann offen oder zu sein, solche Abwechslung macht ihr Wesen aus. Um so besser ist eine Tür, je leichter sie sich öffnen und schließen läßt, je weniger sie sich dabei wehrt und in den Angeln quietscht. Neu verstehe ich, warum wir bei der Firmung mit heiligem Öl gesalbt werden, und sehe den himmlischen Vater, wie er mit dem Heiligen Geist die Angeln unserer Seelentür einölt, so daß uns die notwendige Abwechslung zwischen eingegrenzter Sonderberufung und ökumenischer "Aufgeschlossenheit" möglichst reibungslos gelingt.

[Wie aber? SIE, die gleichrangig göttliche Person der Heiligen Liebe, bloß Öl in seiner, des Vaters Hand? Ist es doch nichts mit der Gleichberechtigung? Ach, das ist alles viel schwieriger - und zugleich schöner, einfacher. "Theologia symbolica non est argumentativa," weiß Thomas von Aquin (+ 1274): Symbole wollen innerlich verkostet sein, aber Schlüsse darf man aus ihnen nicht ziehen, sonst ließe sich alles "beweisen". Um aber den falschen Eindruck auszugleichen, betrachten wir die Mutter, die ihrem schlafenden Kind - weil sie nicht da sein wird - den Wecker richtet: das Symbol für einen harten, unbedingten, eben männlichen Willen, während das sanfte Öl die bergende, wohltuende weibliche Liebe bedeutet.
Die Urbilder weiblich und männlich liegen seit Jahrtausenden fest; erst wenn einmal alle Kinder statt geboren aus Retorten entkorkt und anschließend künstlich abgefüllt freilich nicht mehr gestillt würden: erst dann wäre das Urbild der Madonna gestorben. Weiblich und männlich sind wesenhaft, bis in göttliche Tiefen, bedeutungsvolle Gegensätze, aber beide Dimensionen sollen in jedem Mann und jeder Frau möglichst vollkommen verwirklicht sein. Wo eine Frau (als Chefin oder Hausfrau) Herrin ist, da stellt sie eben den männlichen Willen dar, und um des Gleichgewichts willen sollte jemand anders - Mann oder Frau, egal - sich mütterlich-bergend verhalten. Erhellend ist die story aus Reader's Digest, wie die Mutter im kostbaren neuen Gartentisch einen Sägeschnitt bemerkt und zu den Söhnen sagt: Wartet nur, bis euer Vater heimkommt! - O, Daddy weiß es schon! - So? Und was hat er gesagt? - Wartet nur, bis eure Mutter das sieht!]

Auch eine Büroklammer erinnert mich neuerdings an den Heiligen Geist. Als am Reißverschluß des Anorak der Zuggriff ab war, ging der Verschluß zwar immer weiter zu, aber nicht wieder auf. Von einer kundigen Dame erfuhr ich, daß in ihm eine Sperre steckt, die beim Öffnen vom Zuggriff entriegelt wird. Eine Büroklammer tue es auch. Sie tats, und seither freue ich mich bei jeder Heimkunft, wie leicht Verschlossenheit sich überwinden läßt, wo der Heilige Geist am Wirken ist.

Was ist der Heilige Geist? Das letzte Gleichnis ist so alt wie die Menschheit, nur das Wort ist neu. Was eine Stereoanlage ist, hätte vor fünfzig Jahren kaum jemand gewußt. Natürlich haben Menschen und Tiere immer schon Stereo gehört: wenn rechts ein Vöglein zwitscherte und links die Kuh brummte, fand der Hirtenbub sich auch mit geschlossenen Augen in seinem Raum zurecht. Jeder Klang war Raumklang, das fiel aber, weil selbstverständlich, niemandem auf. Erst als Grammophon und Radio mit anfangs bloß einem Mikrophon ihren künstlichen Monoklang erzeugten, gewöhnten die Ohren sich an einen ort- und beziehungslosen Klangbrei, worin alle möglichen Gegensätze ineinander verrührt waren. Beim Konzert wurde die grelle Dissonanz, beim Hörspiel der wüste Konflikt dadurch noch wüster und greller, daß beide widersprüchlichen Stimmen nicht - wie in der Wirklichkeit - von verschiedenen Punkten aus sich aufeinander bezogen, vielmehr scheinbar am selben Ort einander gegenseitig aufhoben. Aus dem Stereo-Zebra war gewissermaßen der nichtssagende Mono-Esel geworden. Diese technische Entwicklung fand zur selben Zeit statt, die geistig von fanatischen Ideologien bestimmt war; ihr Symbol ist der Volksempfänger in Deutschland oder Rußland, dem Marschmusik und aufpeitschende Reden entquollen, beides gleich klotzhaft, mono, öde. Daß Schönheit und Wahrheit auf dem Prinzip Polarität beruhen, um diese entscheidende Dimension wurde der Hörer betrogen.

Dann kam, die Älteren erinnern sich gut, das Klangwunder Stereo. Plötzlich war nicht nur Gildas und Rigolettos Stimme zu hören, sondern auch ihre Beziehung fand im klaren räumlichen Auseinander ihr Symbol. Haben beide recht? Ja; denn sie steht hier, er dort; daß die Welt von verschiedenen Bergen aus anders erscheint, soviel sieht jeder ein.

Inzwischen haben wir uns an der Stereo-Effekt so gewöhnt, daß die technische Kunst zur zweiten Natur geworden ist und kaum mehr auffällt. Damit Sie das Gleichnis in seiner Wucht erleben, empfehle ich Ihnen deshalb, einmal mit dem Kopfhörer Ihre Lieblingsmusik zu hören, und zwar zunächst mono. Achten Sie darauf, wie flach es klingt. Da ist keine Spannung. Enteweder decken die starken Klänge die schwächeren zu oder alles vermischt sich zum unschönen Brei. Schalten Sie dann auf Stereo. Was jetzt anders ist als eben: genau dieses Plus ist das Gleichnis für das Werk des Heiligen Geistes.

Ohne seine Gnade ist die Welt Chaos, Tohuwabohu, wüstes Durcheinander, kalt fremdes Nebeneinander, böse feindliches Gegeneinander. Wo aus Chaos Schöpfung wird, aus Durcheinander sinnvolles Zueinander, aus Gegeneinander freundliches Miteinander, aus Nebeneinander liebendes Ineinander, da wirkt der innergöttlichen Liebe belebende Spannkraft. Und zwar stützt SIE stets beide Aspekte eines jeglichen Wir: das Zusammen und das Auseinander. Einheit vollzieht Sie, aber mit größtem Respekt vor der Polarität, ohne Verschmorung der Gegensätze. Bedenken wir: Ein Kurzschluß irgendwo auf dem elektrischen Weg von beiden Mikrophonen zu beiden Ohren zerstört sofort den Stereo-Effekt. Die Signale müssen gegensätzlich und verbunden sein. Nur gegensätzlich, ergeben sie Lärm; nur verbunden, erzeugen sie Mono-Klang.

So auch im Geistigen. Ohne den Heiligen Geist herrscht der Sinnlärm des unerlösten Pluralismus oder die Sinn-Enge des unerlösten Fanatismus. Entweder alle haben recht (das heißt keiner!) oder bloß wir, meine Gruppe, haben die einzige Wahrheit. Sobald der Heilige Geist uns in sein göttliches Stereo einschaltet, blitzt die erlösende Spannung auf: Wahr ist allein der ganze, wunderbar fein gegliederte Sinn-Organismus aus unfaßbar gegensätzlichen und aufeinander angewiesenen Polaritäten.

Ja: Klingen kann jeder von uns nur auf bestimmte Weise, wie im Orchester hier die Klarinette und dort der Kontrabaß. Das ist die Teilwahrheit des Fanatismus: jeder sei seiner Sonderberufung treu, meine nicht, daß er alles sein muß. Nur alle sind wir alles. Hören aber soll jeder das ganze Konzert. Das ist die Teilwahrheit des Pluralismus. Mut zu unserer einmaligen, ganz besonderen Lebensaufgabe (und wäre es ein winziger Triangelton, der aber kommen muß, sonst stimmt die ganze riesige Sinfonie nicht!) und Freude am alles durchseelenden Ganzen, zu dem jeder gehört: jenen Mut und diese Freude schenke uns, Tag für Tag neu, Gottes Heiliger Geist.

qui ex Patre Filioque procedit.
Qui cum Patre et Filio simul adoratur et conglorificatur,
qui locutus est per prophetas

der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht.
Der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten

Filioque - und dem Sohn: Daß der Heilige Geist auch vom Sohn ausgeht, wird von der orthodoxen Ostkirche bis heute geleugnet. Diesen Zusatz fügte zuerst (675) die spanische Kirche dem Credo ein, Karl der Große setzte sich für ihn ein; Papst Leo III. mißbilligte (809) ihn jedoch und ließ in St.Peter zwei Platten des Credotextes ohne ihn anbringen. Wahrscheinlich auf Bitten Kaiser Heinrichs II. (um 1013) wurde er aber dann auch in Rom eingeführt - und verschärfte die Ost/West-Kirchenspaltung. Das Konzil von Florenz (1438-39) diskutierte 22 Sitzungen lang vergeblich über das Problem!

Eure Sorgen möcht' ich haben, seufzt da vielleicht mancher. Es macht jedoch schon einen Unterschied, ob das Prinzip Harmonie (des göttlichen EINS) erst nach dem Prinzip Spannung gilt, als Versöhnung von ICH und DU, oder mit diesem gleich ursprünglich dem Urgrund entstammt. Einander annehmen werden beide Sichten - scheint mir - wohl erst dann, wenn die - dem ganzen männischen Kirchenapparat mangelnde - dritte Sicht gleichfalls Anerkennung findet: Filius a Patre Spirituque; die Harmonie auch als Ursprung vor aller Spannung, nicht nur ihre Überwindung zum Schluß. Vorsicht aber - den meisten Theologen sträuben sich bei solch häretisch riechender Idee die rechtgläubigen Haare! Dennoch scheint das Thema mir einer ausführlicheren Erörterung wert.

Mit welchem Recht wird immer der Vater zum Urgrund, zum urgöttlichen Pol erklärt? Die Religionsgeschichte zeigt das Gegenteil; am Anfang steht die undifferenzierte mütterliche Einheit des Ganzen. Nicht einmal von der patriarchalischen Bibel konnte sie ganz verschwiegen werden. "Göttliche Gischt brütete über den Wassern" (Gen 1,2), damit fängt alles an. Der erste Satz ("Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde") beschreibt kein Ereignis, ist vielmehr die Überschrift zum ganzen Bericht! Das Erste ist also die Eins-Dimension als eine Art Urschoß: Finsternis, Feuchte, brütende weibliche Lebendigkeit. Erst dann sprach Gott: Es werde Licht.

Der (eher männlich gestimmte) Gegensatz Subjekt/Objekt offenbart sich also als nachträglich zur Ur-Einheit. Nur dank der Offenbarung wissen wir aber etwas vom inneren göttlichen Leben. Deshalb muß, wenn überhaupt eine Reihenfolge, dann diese in der Dreieinigkeit gelten: Erst die ungeschiedene Ruach und dann, als Differenzierung der Ur-Einheit, der Gegensatz von Subjekt und Objekt, d.h. Vater und Sohn. Nicht der Vater ist also der Urgrund, vielmehr der Heilige Geist, der aber kein Er ist, sondern die urgöttliche Sie, unsere Göttin vor dem Gegensatz von Himmel und Erde, Ihr sei Lob und Dank.

An die Göttin zu glauben: das scheint freilich eine andere Religion zu sein als die, in welcher ich erzogen worden bin. Und doch! Die Erinnerung steigt mir auf an jene Monate vor Jahrzehnten, da ich - im Priesterseminar zu den Bräveren gerechnet - völlig unvermutet auf die Spur der Göttin stieß und "Mutter unser" gebetet habe, lange bevor es so etwas wie feministische Theologie gab.

1961 las an der Gregoriana der Kanadier P. Lonergan SJ den Traktat "De Deo Trino". Unvergeßlich, wie er in breit-englischem Latein zusanmenfaßte: "Es gibt also in Gott fünf Notionen, vier Relationen, drei Personen, zwei Hervorgänge, einen Gott - und kein Begreifen." Sein strenges, an Thomas und moderner Wissenschaft geschultes Denken war vielen zu abstrakt: abschätzig sprach man von Trinitätsmathematik.

Eines Sonntagnachmittags spüre ich Lust, mich in diese Ableitungen zu vertiefen. Thema sind die Hervorgänge des Sohnes aus dem Vater und des Geistes aus Vater und Sohn. Ich "rechne" P. Lonergans Beweisgänge nach - und stutze. Sie stimmen, alles ist logisch und korrekt. Nur: Es ließe sich ebenso gut und mit demselben Recht genau andersherum auch argumentieren. Kein Wunder; schließlich ist Gottes dreieiniges inneres Leben von höchster Schönheit und allseitigster Sinnfülle. Das Ergebnis allerdings verblüffte mich: Filius a Patre Spirituque. Wenn der Sohn aber nicht nur vom Vater ausgeht, sondern auch vom Heiligen Geist, was anderes ist "dieser" dann als seine und unsere göttliche Mutter?

Abenteuerliche Wochen folgten: der Weg von spielerisch-rationaler Hypothese zu herzlich verspürtem, existentiell gewagtem und kirchlich verantwortetem Glauben. Im Kolosserbrief (l,13) las ich von Christus als dem "Sohn der Liebe" Gottes, das war jetzt keine blumige Rede mehr, sondern höchst präzis gesagt: Sofern die Heilige Liebe sich vom Vater auf den Sohn richtet, geht Sie diesem vorauf und darf Mutter heißen; ihr anderer Aspekt ist die Gegenliebe vom Sohn zum Vater zurück, und beide Lieben sind eins. - Als ich P. Lonergan meinen Fund mitteilte, sprach er sich dagegen aus. Die Zeit für die Göttin war in der Öffentlichkeit der Kirche noch nicht da.

Privat aber betete ich zu Ihr, auch beim Brevier: Ehre sei dem Vater und dem Sohne und der Heiligen Liebe. Das traute ich mich um so eher, als damals Weihbischof Josef Zimmermann von Augsburg eine Zeitlang im Germanikum wohnte und meine These ernstnahm. Er hatte bereits 1941 den Heiligen Geist als die schenkende Liebe von der begehrenden Liebe als ihrem Gegenpol unterschieden und gefragt:

"Jedermann weiß, daß das "männliche" und das "weibliche" Lieben zwei ganz verschiedene Arten von Liebe sind, daß beide zusammen erst die ganze Liebe ausmachen. Warum hat dies keiner theologisch-spekulativ ausgewertet? Der Mensch ist Gottes Ebenbild, nicht bloß der Mann oder bloß das Weib. Was darf es uns wundern wenn sich in Gott beide Arten der Liebe finden, ja daß gerade die Gegensätzlichkeit dieser beiden sich wunderbar ergänzenden Liebesformen personenbildend ist?" [Josef Zimmermann, Die psychologische Trinitätserklärung, als Manuskript gedruckt, Mering 194l, 22]

In einem späteren Buch klingt die These schon kräftiger: "Der Geist ist übergeschlechtlich: er kann die Wahrheit erkennen und offenbaren, kann das Gute erstreben und verschenken in gleicher Weise. Aber von der Kraft und Unabhängigkeit seines Körperlichen her fühlt sich der Mann mehr zum machtvollen Erobern und kraftvollen Festhalten gedrängt, während die Frau als Vertreterin des schönen und schwachen Geschlechtes, die von Natur aus dem Manne das Kind und dem Kinde das Leben schenkt, mehr für die Lieblichkeit des Reizes und die tröstende Hingabe geschaffen ist. Eros und Amor sind Maskulina, Agape und Caritas Feminina. Dürfen wir diese beiden polaren Tätigkeiten um das Gute, die im Menschenleben eine so große Rolle spielen, auf das innergöttliche Leben anwenden? Wir dürfen es, denn "Gott schuf den Menschen als sein Bild. Als Gottes Bild schuf er ihn. Er schuf sie als Mann und als Weib." Warum dürften wir aus diesem Satz nicht herauslesen, daß der Mensch nicht bloß als Einzelperson oder gar nur als Mann, sondern gerade in der Eigenart seiner geschlechtlichen Zweieinheit ein Abbild Gottes ist. Wir machen ja nicht den Menschen zum Maßstab Gottes, sondern suchen vom Ewigen, Unendlichen als vom Urquell und der Fülle allen Lebens her das Rätsel des Menschen zu deuten." [Josef Zimmermann, Trinität Schöpfung Übernatur, Pustet Regensburg 1949, 47]

Hier fehlt zwar das Wort "Göttin", der Begriff aber ist da, deutlich genug, in einem Buch mit Imprimatur vom 27. April 1949. Doch schlug die These keine Wellen, noch war in den Seelen die Göttin nicht erwacht. Warum war SIE im Christentum vergessen worden? Nun, ich kenne einen Jungen, der sich äußerst ungern von seiner Mutter stürmisch küssen läßt. Lieber hält er sich an den Vater, bespricht seine Abenteuerbücher mit ihm und spielt gegen ihn Schach. Mitunter blättert er freilich das Fotoalbum durch, dann versenkt sein Blick sich selig ins Bild der Mutter: es ist ja ungefährlich, küßt nicht. Hat die Geistesgeschichte im Großen sich ähnlich abgespielt? Zu Beginn wird die Menschheit von einem Gefühl kosmischer Ur-Einheit beherrscht, die jegliche Selbständigkeit unterbindet, ja grausam straft. Sobald ein freies Ich sich regt, wird es in den Strudel der Großen Einheit zurückgesaugt, von ihr verschlungen. Der Göttin jener alten Zeiten, der "Großen Mutter", wurden blutige Menschenopfer dargebracht.

Vor jenem schauerlichen Horizont begreifen wir, daß die Menschen der letzten dreitausend Jahre sich lieber an den Vatergott hielten; Er fordert Selbständigkeit in seinem Dienst, erwartet Konfliktbereitschaft und verständiges Handeln. Allerdings hat beides unsere Erde arg durcheinandergebracht, bedroht ihren Fortbestand so sehr, daß auch die patriarchalische Epoche der Menschheit in unseren Jahrzehnten zuende geht. Zum ebenso einseitigen Mutterkult sollen wir nicht zurück. Vielmehr muß jetzt, da Mann und Frau auf Erden mehr und mehr gleichberechtigt werden, auch im christlichen Glauben das Bild Gottes des Vaters zusammengedacht werden mit dem Bild der huldreichen Göttin und Mutter, der Heiligen Liebe in Person, die seit Pfingsten die Kirche beseelen will.


Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/pneuma.htm

Zurück zur Leitseite von Jürgen Kuhlmann

Weiter in der Credo-Erklärung

Siehe auch des Verfassers Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

Kommentare bitte an Jürgen Kuhlmann