Jürgen Kuhlmann
GESCHÖPFLICHE ANFRAGE
Liebeslied an die Ewige Freundin
Melodie
Wer Gott sich anvertrauet, der hat "den schönsten Schatz geliebt", singt die evangelische Christenheit mit Paul Gerhardt seit 1653. Was Geschöpf sein heißt, erfassen wir am Beispiel der Schöpfungen unseres eigenen Geistes. Aus den vielen Tätigkeiten schöpferischer Menschen greift jede Strophe eine bestimmte heraus.
Sag mir, SCHATZ, welches Lied willst du singen? Soll ich moll oder dur dir ertönen?
Laß mich leise verwehn oder dröhnen:
deiner Freude gehör' ich allein!
LIED: Zuerst fühle ich mich als IHR Lied. In Ihr "lebe ich, bewege ich mich und bin ich". Vergäße Sie einen Augenblick, mich zu singen, so wäre, was ich bin, sogleich im Nichts verschwunden.
Sag mir, SCHATZ, welches Bild willst du malen? Offenbar doch den Wunsch deiner Augen!
Alle Farben möcht' ich in mich saugen -
du bestimme den Inhalt und Stil!
BILD: Zuerst ist der Mensch ein leeres Blatt, am Ende ein fertiges Bild. Die Leinwand, die ich bin, ist unersättlich: am liebsten möchte sie überall mit sämtlichen Farben erfüllt sein. Das aber gibt kein Bild. Selbst eine schwarze Fläche mit einem einzigen Stern darin wäre schöner als der totale Klecks. Mache ich deshalb aus der Not des Pluralismus die Tugend vielfacher Buntheit, bereit, alle von Ihr auferlegte Einseitigkeit jeweils entschlossen zu tragen, um dann - wenn die Malerin einige Schritte zurücktritt und in Ihr auch ich nicht mehr auf jeweilige Punkte mich konzentriere, sondern "sehe, daß alles gut ist" (Gen 1,31) - zusammen mit den vielen anderen Bildern Ihrer Phantasie die ewige Schönheit zu sein.
Sag mir, SCHATZ, welches Mahl willst du kochen? Nimm nicht Rücksicht auf schwache Gefühle:
schäl und schneide, erhitz oder kühle.
Jemand wartet. Enttäusche ihn nicht.
MAHL: Was ich bin, bin ich auch für andere. Je besser ich ihnen schmecke und bekomme, um so besser bin ich in mir selbst; denn der Sinn des Puddings liegt im Essen. Für fremden Hunger zurechtgemacht zu werden, das tut zuweilen weh: dann ist es mir gar nicht recht, wenn die Köchin mich rücksichtslos verwendet. Aber ich sehe ein: es geht nicht anders. Jemand wartet: in all seinen geringsten Geschwistern wartet der eine Selbe: das Kind Gottes in den vielen, die es sind.
Sag mir, SCHATZ, welchen Tanz willst du tanzen? Endlos zieh'n wir durch selige Weiten,
göttlich strahlt dann der Staub unsrer Zeiten.
Du bist Alles. Und ich - bin dabei!
TANZ: Vorzustellen ist eine Solotänzerin, die einen einmaligen Tanz erschafft, indem sie ganz in ihn eingeht. Mein Leben sei ein solcher Tanz, in welchem die göttliche Liebe sich selbst ausdrücken will. Insofern bin ich nicht Ihr Gegenüber, sondern - als Ihr Werk - etwas an Ihr selbst. Viele Tänze tanzt sie, einer davon bin ich. Stellen wir uns nun vor, wie dieser Tanz durch ihren Willen gewissermaßen zu einem echten Gegenüber sich verdichtet, wie der Tanz zum Tänzer wird, mit dem sie tanzt: dann ist der Sinn der Strophe verwandelt: jetzt ist es ein Paar, das tanzt, sie und er. - So vergöttlicht, ist das Geschöpf nicht mehr bloß Werk, sondern hat teil an der göttlichen Würde und Wirklichkeit, ist aus einem Es zum Du für Gott geworden, und zum Wir mit ihm. So grenzenlos ist andererseits diese Gemeinschaft, daß man ebensogut von Einheit sprechen kann. Der Tänzer ist, bei aller echten Partnerschaft, doch nichts Fremdes neben seiner Tänzerin, sondern ein Leib mit ihr, nur in ihr zugleich auch zu ihr: der Tänzer wird wieder zum Tanz, der aber jetzt nicht mehr bloß Werk an ihr ist, das sie auch lassen könnte, sondern ihr eigenes Leben selbst.
Sag mir, SCHATZ, welches Spiel willst du spielen: von den alten eins oder ein neues?
Regeln flimmern. Doch meine ich treu es.
Wir gewinnen einander zuletzt!
SPIEL: An sich ernst sind nur Tod und Liebe, und dank der Liebe letztlich auch der Tod nicht mehr. Alles übrige ist Spiel. In welches soll ich all meinen Ernst legen? Ein Wurf, der beim Handball zum Siegestor führt, bringt dem Fußballer einen scharfen Pfiff ein. Welche Regel gilt im Spiel meines Lebens, heute und morgen? Einige Spiele sind den Christen altvertraut, vor anderen scheuen sie zurück, seien es Leb- oder Sprachspiele. In der frühen Kirche durften Schauspieler nach der Taufe ihren Beruf nicht weiterführen. Wie wird die Kirche in tausend Jahren über diese und jene unserer heutigen Engheiten denken? Regeln flimmern. Doch keine Angst: der Schiedsrichter ist nicht weniger fair als wir Spieler sein sollen. Und Verlierer, so wollen wir hoffen, gibt es keinen. Die mit mir zusammen mich spielt, ist zugleich Siegespreis und Siegerin. Wir gewinnen einander zuletzt.
Allerheiligen 1975
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