Nürnberger Zeitung vom 22. November 2001 Seite 10 NZ Nr. 271 NÜRNBERG Von der Kirche wurde er entlassen, weil er aus Liebe heiratete Die zweite Karriere eines Priesters In seinem neuen Buch denkt Jürgen Kuhlmann über den möglichen Frieden "Zwischen den Stühlen sitzt man nicht bequem, aber immer richtig." Der dies sagt, ist Jürgen Kuhlmann, auf
den eigentlich ein gut gepolsterter Professorensessel gewartet hätte. Doch dann kam die Liebe dazwischen. Kuhlmann, damals Kaplan in der katholischen Pfarrei St. Elisabeth, hat geheiratet. So wurde aus dem promovierten Geistlichen
zunächst ein Arbeitsloser. Dabei hatte Kuhlmann noch Glück. Als er 1972 aus dem kirchlichen Dienst entlassen worden war, erhielt er gleichzeitig auch die so genannte Dispens. Das heißt, der heute 65Jährige wurde
nicht exkommuniziert wie nach ihm (unter dem jetzigen Papst Johannes Paul II.) viele verheiratete Priester. Als stiller Helfer erwies sich übrigens der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl.
Der praktizierende Katholik hatte dafür gesorgt, dass ehemalige Priester als Berufsberater für Abiturienten eingestellt wurden. Wie es heißt, soll zeitweise jeder fünfte Berufsberater für Abiturienten in Deutschland ein ehemaliger
Priester gewesen sein. Den Bischöfen hat das nicht geschmeckt. Angeblich haben sie bei Stingl Einspruch erhoben, Begründung: Die Bundesanstalt mache den Priestern das Ausscheiden aus der Kirche zu leicht. Jürgen
Kuhlmann, mittlerweile fünffacher Familienvater, kann darüber nur müde lächeln. Er selbst wäre gern Priester geblieben. Doch der Zölibat ist nach wie vor unverrückbares Kirchengesetz. Wie lange noch? Kuhlmann ist sich unsicher. Mit seiner Kirche hat er dennoch nie gebrochen. Er, der einst als hoffnungsvoller Kandidat am Germanicum in Rom studieren durfte, ist religiös sogar "mehrsprachig" geworden. So singt er im evangelischen
Kirchenchor in Mögeldorf mit, er verfasst Predigthilfen, die man aus dem Internet herunterladen kann, und seitdem er die Idee der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP) kennt, setzt er sich auch für den interreligiösen
Dialog ein. Seinem neuen Buch mit dem (zugegebenermaßen) schwer verdaulichen Titel "Etappen der Großen Liebesgeschichte" (Untertitel: Wie Glaube zugleich bestimmt sein und Frieden stiften kann) wünscht er
eine größere Verbreitung. Es ist, wie der Titel schon sagt, keine leichte Kost für ungeübte Leser. Doch die Aussage ist schlüssig und bestechend: Verständigung zwischen den Religionen ist danach möglich. Christen, Juden, Muslime
aber auch Gottesleugner können trotz weltanschaulicher Gegensätze in einen versöhnten Wettstreit treten ohne Verachtung, ohne Hass. Denn die großen Religionen, aber auch die Ideen des Humanismus, sind laut Kuhlmann
"Symbole in der Geschichte des einen Gottes mit der Menschheit". Jede der Religionen verwirklicht eine andere Seite der selben Beziehung. Das heißt, jede Religion kann ein Gottesbild entwickeln, aber es wäre vor diesem
Hintergrund eine Anmaßung, das Gottesbild einer anderen Religion anzuzweifeln. ki
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