Jürgen Kuhlmann

Religion eint - Politik scheidet?

Kurzer Bericht über eine Trialogtagung


Seit sieben Jahren veranstaltet die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit »Trialogtagungen« für »Juden - Christen - Muslime in einer Welt«; die sechste fand vom 13. bis 15. Dezember 1999 im Maternushaus zu Köln statt.

Johann Baptist Metz zog eine ergreifende Summe seines Lebenswerkes. An Gott zu glauben verlangt, sich von dem üblichen starken zu einem schwachen, verletzlichen, leidempfindlichen Gott zu bekehren. »Jesu erster Blick galt nicht der Sünde der anderen sondern dem Leid der anderen« (Mt 25). Alle großen Religionen sind um eine Mystik des Leids konzentriert. Gegen die Globalisierung mit ihrer Gewalt der Logik des reinen Marktes braucht es politisch engagierte Compassion. Fremdes Leid ist wahrzunehmen und gerade nicht mit dem Hinweis auf den leidenden Gott zu beantworten: denn so wäre die Leidensfrage gelöst, das darf sie nicht sein! Wahre Mystik sieht wachen Auges das fremde Leid, nur in der Autorität der Leidenden offenbart sich, für alle Menschen (deshalb weist allein dieser Blick einen Ausweg aus der Gotteskrise), die Autorität eines richtenden Gottes.

Esther Seidel (London) erläuterte das jüdische Einheitsideal: »Wir Juden sind uns darin einig, daß wir nach innen uneinig sind, aber nach außen hin als Einheit erscheinen wollen. Denn wir bekennen uns alle zum Judentum.« Die Reformjuden glauben nicht, daß Gott ihrem Volk das Land Israel für immer gegeben habe: »Jener Völkermord war nicht Gottes Wille.«

Nach zwei Rückblicken ins oströmische (Sonja Güntner Ginzel) und osmanische Reich (Hayrettin Aydin: Im Balkan gibt es noch Christen, in Spanien kaum mehr Juden und Muslime) stellte Axel Aiyyub Köhler das islamische Staatsverständnis dar, als derart ideal, daß sich über die Frage, ob ein Moslem den Islam aufkündigen dürfe, ein Streit entspann, mit dem Ergebnis (aus muslimischem Mund!): »Es gibt keinen islamischen Staat.«

Sodann gab (kopftuchlos) Faride Akashe-Böhme einen lebendigen Einblick in »Politik und Religion bei den Schiiten«. Sie sind vom Bewußtsein geprägt, die kleinere, unterlegene Fraktion zu sein; das führt zu Leidensmystik (anders als im Sinne von Metz, die fremdes Leid wahrnimmt) und aufruhrbereiter Kritik. Entscheidungen sind fehlbar, »ein Toter kann nicht mehr reden«. Z.B. verbot Chomeini (den wichtigen Export-Artikel) Kaviar, weil der Stör schuppenlos-unrein sei; neuerdings entdeckte die Wissenschaft mikroskopisch kleine Schuppen, so daß jene Fatwa zurückgenommen, Kaviar wieder erlaubt wurde.

Zuletzt sprach Elsayed Elshahed, Professor an der Al-Azhar-Universität und Berater des Islamministers in Kairo; er hat lange in Deutschland studiert und geforscht. Einen ebenso aufgeklärten wie selbstbewußt-traditionellen Moslem zu erleben hat einen Teilnehmer offenbar derart überfordert, daß er sich in der letzten Tagungsstunde zu harten Beschimpfungen hinreißen ließ. Gegen sie nahm ein murrender Saal den Gast in Schutz. Wer ernsthaft von den drei Religionen sprechen will, müsse den Koran als »Drittes Testament« anerkennen (das scheint logisch; doch wurde in der Diskussion darauf hingewiesen, daß bei Glaubensfragen jede Logik innerhalb einer existentiellen Perspektive gilt. Außerhalb soll sie die anderen zwar nachdenklich machen, kann aber ihren Verstand nicht zwingen). Christen, die Mohammed als Propheten gelten lassen, seien »Muslime auf dem christlichen Weg« (warum wurde es dabei manchen mulmig? Ist das nicht dasselbe wie Karl Rahners anonymes Christentum? Wechselseitige Inklusivität scheint mir das einzig mögliche Modell jeder Ökumene). »Die historisch bedingte Reihenfolge soll keinen Vorzug einer dieser drei Religionen gegenüber den anderen darstellen ... Gegenseitige Ergänzung tritt an die Stelle des Anspruchs auf alleinigen Wahrheitsbesitz.« Zahlreiche Koran-Zitate zeigten: In seiner Wurzel ist der Islam ökumenisch gesinnt.

»Der Hauptfeind des Dialogs sind die Massenmedien« - um so wichtiger sind solche Begegnungen; langsam zwar, doch hoffentlich auf die Dauer wirksam bekehren sie die Religions-Institutionen zum wahren Gott des Friedens: »ER ist nur mein Gott, wenn ER auch dein Gott sein kann« (Metz).

Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/trialog.htm

Zurück zur Leitseite von Jürgen Kuhlmann

Siehe auch des Verfassers Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

Kommentare bitte an Jürgen Kuhlmann