Jürgen Kuhlmann

Der Würfel des Heils


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Im Gespräch mit der Tradition

Welche innergöttlichen Beziehungen machen das absolute Leben aus? Die überkommene Antwort heißt: solche des Erkennens und Liebens. Der Vater erkennt den Sohn, der Heilige Geist ist das göttliche Liebesgeschenk. Daß der Sohn vom Vater ausgeht, ist gemeinsame Lehre der großen Kirchen; beim Heiligen Geist trennen sich die Verständniswege; nach den Griechen geht er allein vom Vater aus, nach den Lateinern (Griechen-Dekret des Konzils von Florenz, D 691) vom Vater und Sohn gemeinsam "als von einem Prinzip". Die lateinische Theologie unterscheidet deshalb zwischen "proprium" (eigentümlich) und "commune" (gemeinsam): jeder Personenname (Vater, Sohn und Heiliger Geist) ist ein Proprium, Vater und Sohn zusammen sind ein Commune. Näheres siehe in den entsprechenden Traktaten, neuerdings auch bei Leonardo Boff. Zu dieser Tradition gehöre ich, schlage jedoch im folgenden Sinn ihre Erweiterung vor, dabei werden nur Linien ausgezogen, die schon ansatzweise da sind.

Drei Beziehungen von Proprium zu Commune

Jede göttliche Person bezieht sich auf die beiden anderen zusammen. Das heißt: Nicht nur der Heilige Geist bezieht sich als Proprium auf ein Commune, sondern jede innergöttliche Relation geht von einem Proprium zu einem Commune. Da es in Gott kein Größer oder Kleiner, Früher oder Später gibt, ist dies die einzige logische Sicht, jede andere stört die reine Vollkommenheit der Beziehungen.

"Person" und "Commune" austauschbar

Auch beim Commune darf man nicht an Zweiheit denken. Daß der Heilige Geist von Vater und Sohn "als von einem Prinzip" ausgeht, ist definierte Glaubenslehre; auch die Communia, die dem Vater und dem Sohn gegenüberstehen, sind jeweils nur ein Prinzip. Es scheint sogar, als dürfe unser Glaubensverständnis sich noch einen Schritt weiter wagen, hin zu einer Vermutung, die gelernten Theologen als aufregendes Abenteuer vorkommen muß; mich hat sie geradezu elektrisiert.

Die Begriffe "Person" und "Commune" lassen sich in der göttlichen Helle nicht mehr unterscheiden, beide sind absolut einfache Beziehungspole. Jede Person steht dem Commune gegenüber, in dem sie nicht enthalten ist, und hat teil an den beiden anderen Communia; jedes Commune steht der in ihm nicht enthaltenen Person gegenüber und enthält die beiden anderen Personen. Da nun aber wegen der göttlichen Einfachheit an sich keinerlei Unterschied zwischen Enthaltensein, Teilhabe und Enthalten ist, lassen die Begriffe "Person" und "Commune" sich ohne Änderung des Gehalts vertauschen. Jedes Commune enthält zwei Personen und bezieht sich auf die dritte, jede Person hat an zwei Communia teil und bezieht sich auf das dritte. Welche der beiden Dreiheiten als Personen und welche als Communia gelten, liegt mithin nicht an der Trinität in sich, sondern an den Tat-Sachen der Offenbarungs- und Theologiegeschichte. Am passendsten schiene es mir deshalb, von sechs urgöttlichen Lebenspolen zu sprechen, von denen sich je zwei so aufeinander beziehen, daß ihre Beziehung das Ganze erfüllt, in unserem Sinnbild den ganzen Raum des Würfels und das gesamte Spektrum des sichtbaren Lichts.

Die drei absoluten Beziehungen

Gott, den die christliche Tradition Vater nennt, wird bedeutet von der gelben Würfelfläche oben; ihm, dem kämpfenden und herrschenden Geschichtsgott, steht (unten/violett) das Commune von Sohn und (weiblicher) Ruach gegenüber; offenbart es sich nicht in numinosen Gestalten wie Athene und Brünhilde?

Ich vermute, daß die von C.G.Jung beschriebenen Archetypen sich letztlich auf die trinitarischen Pole zurückführen lassen. Weil der Mensch zum innergöttlichen Leben berufen ist, darum sind dessen ewige Polaritäten seiner Seele eingeschrieben, schon bevor sie von vielerlei empirischen Nuancen näher ausgestaltet werden.

Im Indien der Brahmanen hat sich jener erste und letzte Urgrund dem Menschengeist kundgetan, das übergeschlechtliche SELBST, das mit keiner der drei Personen der christlichen Trinität identisch ist, wohl aber mit dem "Commune" (das keine Zweiheit ist - advaita!) von Vater und Heiligem Geist (rechts/grün), welches dem bejahten Sinn des Ganzen (=Logos links/rot) als ihn bejahendes Ur-Ja voraufgeht. - Und ist nicht auch der Gott Dionysos, Symbol des unendlich wonnigen Einheitsrausches, so etwas wie die Offenbarung eines trinitarischen Commune: des göttlichen Lustprinzips? "Geh ein in die Freude deines Herrn," verspricht Jesus, diese Freude ist nicht nur die (essentielle) Seligkeit des göttlichen Wesens, sondern auch der (notionale) Wonnerausch (vorn/orange) des "Spirators" (so heißt in der Scholastik das Commune von Vater und Sohn) in der berückenden Liebeshuld der Göttin, die vom geheimnisvoll tiefblauen Hintergrund bedeutet wird.

Harmonie von Distanz und Identität

Weil der bunte Würfel die drei irreduktiblen absoluten Dimensionen in einem Sinn-Bild auseinander- und zusammenhält, deshalb ist ein von ihm geprägtes Bewußtsein leichter in der Lage, das trinitarische Stereo-Denken durchzuhalten und nicht doch früher oder später wieder mono zu argumentieren. So hat es mich 1963 gestört, daß in Hegels "Phänomenologie" zuletzt nicht mehr von Liebe, nur vom Selbst die Rede ist. Umgekehrt stoße ich 1992 auf E.Jüngels Kritik an Hegel: Er habe die grundlegende Heilswahrheit, "daß Gott in Jesus Christus Mensch wurde, um Gott und Mensch für immer definitiv zu unterscheiden ... gerade nicht zur Geltung gebracht, sondern in sein Gegenteil verkehrt. ... Demgegenüber käme es darauf an, im Gekreuzigten den menschlichen Gott zu erkennen, der darin gleichermaßen göttlich und menschlich ist, daß er dem Menschen verwehrt, Gott zu werden, und ihn dazu befreit, Mensch und nichts als Mensch zu sein." [Gott als Geheimnis der Welt, Tüingen 1978,124 f.] 1966 hatte ein Kommunionknabe in Naila "Gott sein" als letzten Punkt auf seinem Wunschzettel stehen. Wird er also enttäuscht? Nein! Jüngel denkt entlang der Höhe die Distanz ich/DU, Hegel entlang der Breite die Identität ich/SELBST (und Giordano Bruno entlang der Tiefe die Harmonie ich/EINS). Jedes trinitarische Prinzip begründet eine - keines allein die Theologie!

Die tiefste Wahrheit des Feminismus

Im Namen der weiblichen Würde protestiert frau: Mit welchem Recht wird immer der Vater zum Urgrund, zum urgöttlichen Pol erklärt? Die Religionsgeschichte zeigt das Gegenteil; am Anfang steht die undifferenzierte mütterliche Einheit des Ganzen. Nicht einmal von der patriarchalischen Bibel konnte sie ganz verschwiegen werden. "Göttliche Gischt brütete über den Wassern" (Gen 1,2), damit fängt alles an. Der erste Satz ("Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde") beschreibt kein Ereignis, ist vielmehr die Überschrift zum ganzen Bericht! Das Erste ist also die Eins-Dimension als eine Art Urschoß: Finsternis, Feuchte, brütende weibliche Lebendigkeit. Erst dann sprach Gott: Es werde Licht.

Der (eher männlich gestimmte) Gegensatz Subjekt/Objekt offenbart sich also als nachträglich zur Ur-Einheit. Nur dank der Offenbarung wissen wir aber etwas vom inneren göttlichen Leben. Deshalb muß, wenn überhaupt eine Reihenfolge, dann diese in der Dreieinigkeit gelten: Erst die ungeschiedene Ruach und dann, als Differenzierung der Ur-Einheit, der Gegensatz von Subjekt und Objekt, d.h. Vater und Sohn. Nicht der Vater ist also der Urgrund, vielmehr der Heilige Geist, der aber kein Er ist, sondern die urgöttliche Sie, unsere Göttin vor dem Gegensatz von Himmel und Erde, Ihr sei Lob und Dank.

Da hilft kein männisches Sträuben, die Dame hat recht. Mit einer Ausnahme: Der Schluß vom "Früher für uns" auf das "Früher an sich" stimmt nicht. Mithin gibt es keinen Grund, aus patriarchalischer Enge in matriarchalische Beschränktheit zurückzusinken. Einzig wahr ist der Schritt vorwärts zur vollen Gleichberechtigung. Zwischen den innergöttlichen Relationen gibt es keinerlei Früher und Später, Ursprünglich und Abkünftig, Größer oder Kleiner, nur innerhalb ihrer müssen wir allerdings - sollen unsere Wörter nicht allen Sinn verlieren - an solchen Gegensätzen festhalten.

Um diese vorerst wohl dunkle Unterscheidung zu erläutern, hier eine wahre Geschichte vom Herbst 1987. Aus Anlaß des silbernen Priesterjubiläums sind wir, acht an der Zahl, zu Exerzitien in den Vatikan gekommen. Ein Höhepunkt ist die (deutsche) Frühmesse mit dem Papst in dessen Privatkapelle, außer unserer Gruppe ist noch ein brasilianischer Bischof mit seiner Schweizer Herkunftsfamilie dabei. Er und meine Mitbrüder konzelebrieren, ich darf die Lesung vortragen. Zu meiner Überraschung (präpariert war die Jonasgeschichte) wird das Buch vom Zeremoniär bei Phil 3,7-14 aufgeschlagen. Einem Romanautor könnte man einen solchen Effekt als kitschig ankreiden. Auch das ist Kirche.

Nach der Messe spreche ich den Brasilianer an, stelle mich als Boff-Übersetzer vor und frage, ob auch er die Theologie der Befreiung unterstütze. Aber nein! Ein militanter Wortführer der Gegenseite steht vor mir. Schnell sind wir beim Kern des Konflikts: der Perichorese. Boff betont die Gleichewigkeit der göttlichen Personen. "Trinitarisch ist die 'Ursache'(der Vater) nicht früher als die 'Wirkungen' (Sohn und Heiliger Geist)" (166). Hier, sagt der Bischof, können wir ihm nicht mehr zustimmen. Natürlich ist der Vater irgendwie früher, sonst hat dies Wort keinen Sinn. Die gesamte Tradition ist sich einig, daß der Vater der Urgrund ist, nicht nur ungeworden, sondern ungezeugt. Keineswegs nur aus gesellschaftspolitischen Gründen also, um ihre Macht zu erhalten, sei die konservative Fraktion gegen Boffs These, sondern einfach aus gesunder Theologie. Natürlich habe die auch äußere Auswirkungen: Gott ist der Herr und hat etwas von seiner Autorität an Menschen delegiert. Aber darum gehe es jetzt ja nicht. Ich bin mit dem Bischof einig: hier, an diesem scheinbar weltfremden Punkt trinitarischer Spekulation, scheiden sich derzeit die Geister. Klärende Antwort fällt mir keine ein.

Tags darauf besuche ich einen klugen Dogmatik-Professor und lege ihm die Frage vor. Auch er meint, wenn "Vater" in der Theologie überhaupt einen Sinn haben solle, müsse er irgendwie auch vor dem Sohn gedacht werden, nicht zeitlich, aber doch logisch. Das feministische Problem wischt er scherzhaft beiseite; in seiner ungarischen Muttersprache gebe es nicht "jene indogermanische Kuriosität", daß alle Wörter ein Geschlecht haben müssen. Für sein Volk sei Gott weder männlich noch weiblich noch sächlich, sondern ebenso übergeschlechtlich wie seit jeher für eine gesunde Theologie. - Bekümmert frage ich mich: Ist meine Theologie tatsächlich so ungesund?

Ich glaube, nein. Nicht das Fieberthermometer ist bei 40° krank. Wir sollten unterscheiden: den Gegensatz zwischen den jeweiligen Polen einer Relation (= je zwei gegenüberliegenden Würfelflächen) und den Unterschied zwischen den verschiedenen Relationen (= Würfeldimensionen). Jede Relation hat ihre logische Richtung.

Verbleiben wir (auf gut patriarchalische Weise abstrahierend, aber nicht lügend) allein in der Senkrechten der DU-Religion, dann stimmt die Wahrheit des Bischofs und des Dogmatikers: Der Vater ist logisch vor dem Sohn. Deshalb gibt es auch Autorität und rechtmäßige Herrschaft, kein vernünftiger Befreiungstheologe will das Tohuwabohu des ursprünglichen Chaos. Der Heilige Geist geht vom Vater aus (als Liebe zum Sohn) und auch vom Sohn (als dessen Gegenliebe zurück zum Vater).

Halten wir uns hingegen ( in der Richtung von vorne nach hinten) innerhalb des Eins (afrikanisch, Tao-chinesisch, Zen-japanisch, feministisch oder sonstwie getönt), dann hat die weiblich bergende Huld den Vorrang, während Vater und Kind gemeinsam ihr logisch nachgeordnet sind. Hier gehen Vater und Sohn also vom Heiligen Geist aus. Für die Wahrheit dieses erweiterten Ansatzes spricht, daß er sich im Geschlechterkampf neutral verhält. Jedes Geschlecht ist einmal vorrangig, einmal nachgeordnet und einmal (beim Selbst) unwesentlich. Ist solch wechselseitiger Hervorgang aber nicht unmöglich? Wie kann eine Person einer anderen das Sein geben, von der sie zugleich ausgeht? Bei unbezüglichem Sein wäre das ein Widerspruch, beim Bezogensein kennen sogar wir Geschöpfe solche Reziprozität: Braut und Bräutigam gehen, als solche, auseinander hervor.

Zwischen den drei verschiedenen Relationen hingegen gibt es auch logisch keinerlei Früher oder Später. Zwar beruht ihr Unterschied auf den jeweiligen Gegensätzen einer jeden; dank wechselseitiger Priorität auf den verschiedenen Achsen balanciert das Ganze sich jedoch so wunderbar aus, daß jede Rede von Rang und Wert, Ursprung und Ziel hier schlicht unsinnig wird, wenn sie gegen eine Person sich kehrt. Wahr ist sie für jede. Will frau (oder man) gern die Urmutter als erstes und letztes Prinzip sehen: nichts spricht dagegen, SIE ist es. Zieht ein Materialist die handfeste Realität als erste und letzte Wahrheit vor, warum nicht? Der Christ glaubt Jesus Christus, das Herz der Geschichte, als ersten und letzten (Offb 1,17); als Ziel des bejahenden Urgrundes ist das ewige Bejahtsein, menschlich gesprochen, ja tatsächlich erster Anstoß und letztes Ergebnis des Ja. In diesem Sinn gab der brasilianische Christ Gustavo Corçao sogar Feuerbach recht: Der Mensch ist, was er ißt? Gewiß, mindestens der Christ bei der heiligen Kommunion.

Sophia

Egal in welcher Grundstimmung (du, ich oder eins) jemand sich gerade befindet, kann er dabei eine von zwei Richtungen akzentuieren: entweder richtet er sich (vom Einen her) zum Vielen hin aus oder umgekehrt (vom Vielen her) zum Einen hin. Altehrwürdiges Symbol ist des Ochsenkarrens Rad mit Speichen und Nabe. Der Speichen sind viele, eine steckt im Schlamm, auf der anderen ruht sich kurz ein Schmetterling aus, die dritte streift eine Blume. Die Nabe dagegen ist nicht viel, sondern einfach oder "keinfach", eben ihrer Leerheit, Nichtsheit, "unbe-ding-ten no-thing-ness" (L. Frambach) verdankt der Wagen seine Brauchbarkeit, lehrt Laotse (Tao te king, 11).

Wenn wir von allen Binnendifferenzierungen absehen, liegt hier der wesentliche Unterschied zwischen westlichem und östlichem, asiatischem Denken. Dem Westen gilt das Bunte, die Vielheit als das eigentliche Sein; wirklich ist ihm das Reale in seiner unreduzierbaren Härte und Besonderheit. Die Einheit ist Idee, Abstraktion, Utopie oder Wahn - was es gibt, ist das Viele. Dem Osten hingegen gilt das Eine als das eigentliche Sein, während das Viele bloß wahnhaft, vorgegaukelt, eingebildet und geistig zu überwinden ist. Der Westen vergißt über den Speichen die Nabe und hat schließlich bloß mehr Kleinholz in Händen, der Osten ist versucht, das Nichts der Nabe mehr und mehr die Speichen verschlingen zu lassen, bis mit dem Rad auch die Nabe weg ist.

Die Speichen bedeuten uns, die Vielen. Jene innerste Achse, um die allein das Weltenrad sich dreht, ist ein Sinnbild des dreieinigen Gottes selbst. Wer ist die Nabe, die mit ihrer reinen Empfänglichkeit das göttliche Zentrum umschließt und an deren einzigartiger Beziehung zu ihm wir teilhaben?

Kraft und in seiner Phantasie etwas schaffen, was es ohne sie und außer ihr nicht gibt: auch das ist eine - Gottes würdige - reine Vollkommenheit, auch wenn das Geschaffene notwendigerweise endlich, vielfach und unvollkommen ist. Aus der Wirklichkeit folgt die Möglichkeit. Es gibt uns Geschöpfe, also kann Gott schaffen, also ist Schaffen göttlich, also kann der eine Gott sich auf die Vielheit der Geschöpfe beziehen. Sind diese nur Vielheit? Hat wirklich jede Kreatur ähnliche Kreaturen neben sich? Ist jede bloß ein Geschöpf, das auch weggedacht werden kann? So ist es nicht. Eine gibt es, die steht dem Schöpfergott mit ewiger Notwendigkeit gegenüber. Wer? Sie die Möglichkeit, geschaffen zu werden. Ohne sie kann Gott nicht sein, schaffen können, das muß er. Und sie hat keine ähnliche Kreatur neben sich, denn sie umfaßt alles Schaffbare. Weil der Schöpfer uns, in ihr, tatsächlich erschaffen hat, deshalb können wir fragen: wie heißt sie?

Sie ist zwar nicht göttlich, wird eben durch ihren Gegensatz zu den göttlichen Personen bestimmt, ist aber auch nicht bloß eines der vielen Geschöpfe, sondern die Schaffbarkeit sowie - dank dem göttlichen Schöpfungs- und Heilsratschluß - auch die reine Schöpfung und Vergöttlichtheit in Person, als solche nie gefallen, vor jeglicher Sünde bewahrt, sonst wäre Gottes Schöpfung je gescheitert, das war sie nie. Einer ihrer Namen ist deshalb: die unbefleckte Empfängnis, so hat sie sich den Kindern in Lourdes vorgestellt. In Ihr, dem "lichten Haus" (Augustinus) mit Gottes vielen Wohnungen, sind wir, die Vielen, geschaffen und zur Vergöttlichung bestimmt. Als Mittlerin aller Gnaden ist sie mit den göttlichen Beziehungspolen erfüllt worden und gibt uns daran Anteil.

Dasselbe anders. Schön ist, was eine Vielheit (von Farben, Tönen, Gefühlen usw.) zur Einheit versammelt, und zwar so, daß dabei zugleich die absoluten Dimensionen ausbalanciert werden. Der all-einfache Gott in sich ist eins, wahr und gut; schön ist aber erst die bunte Schöpfung. Deshalb muß sie aber nicht nur vielfach, sondern auch eins sein. Ist sie ihrem Schöpfer so sehr gelungen, daß sie im höchsten Sinn eins ist, nämlich sogar eine Person, die folglich auch einen Namen hat?

Daß der Schöpfer Person ist, können wir als Geschöpfe nicht wissen (so wenig Rigoletto seinen Schöpfer Verdi kennt), der Christ glaubt es aber dank der Selbstoffenbarung des Schöpfers in Jesus. Ist auch die Schöpfung eine Person? Ist sie zuinnerst vom Duft eines Namens durchhaucht, ähnlich wie etwa eine Klaviersonate, die Robert Schumann für seine geliebte Clara schrieb? Mit vielen Christen bin ich überzeugt: ja.

Das folgende Gedicht schrieb Wladimir Solowjow im Mai 1886, noch in der Übersetzung ist es schön:

O Erde, Herrin mein! Schon seit der Jugend Tagen
Hab deinen süßen Atem ich gespürt,
Hab durch dein Blütenkleid dein Herz ich hören schlagen
Und habe des All-Lebens Puls berührt.

Im Mittag stieg zu mir herab des Himmels Gnade
Mit gleicher Zärtlichkeit in schimmernder Gestalt,
Ihr sandte frohen Gruß des blauen Meers Gestade,
Der Wellenklang des Stroms, der windbewegte Wald.

Von neuem will sich jetzt geheimnisvoll verbinden
Die Erdenseele mit dem Quell des Lichts.
Ein ungemeßnes Glück läßt dieser Bund mich finden
Und alles Leid der Welt zerfließt zu Nichts.


Neuerdings gibt es über die reine Schöpfung ein prächtiges Buch. (Thomas Schipflinger, Sophia - Maria. Eine ganzheitliche Vision der Schöpfung, München-Zürich 1988, mit einem Foto von P.Klein im 100. Lebensjahr. Ihm ist das großartige Werk gewidmet.)

Als Mirjam von Nazaret ist Sie eine Frau geworden und hat dem ungeschaffenen Kind seinen Schöpfungsleib bereitet, am 15.August feiert die katholische Kirche den krönenden Abschluß ihrer Vergottung.

Diese Mariologie verdanke ich einer langen kirchlichen Tradition, zuletzt gebündelt in Pater Wilhelm Klein SJ, unserem Spiritual in Rom. Im Herbst 1987 feierte er sein 75jähriges Priesterjubiläum, seit Mitte 1988 nannte er sich hundertjährig (weil der Mensch sein Dasein bei der Empfängnis beginnt, nicht bei der Geburt), am Karfreitag 1989 ist er in sein zweites Jahrhundert eingetreten. Zeitweise war die "ungefallene Schöpfung" das Hauptthema seiner Exhorten. Vom ersten Buch der Bibel (Ihr Sproß wird dir - der Schlange - den Kopf zertreten) bis zum letzten (die Frau, mit der Sonne umkleidet) sprach die ganze Heilige Schrift ihm von Maria: gegen den zerspaltenden Dia-bolos ist sie Gottes sym-bolische Energie, die geschaffene Gnade, an der Anteil hat, wer in der Gnade lebt.

Hier ein paar Sätze, mitgeschrieben bei Pater Kleins Exhorte am Vorabend des 8. Dezember 1959:

"... Im Anfang, wo aus des Elends tiefstem Grund erst die Möglichkeit der Sünde ist, da kommt das Wort der Liebe des Vaters: Es werde Licht. Und es ward Licht, und Gott sah, daß das Licht gut war, die anfängliche Schöpfung, die Urschöpfung, das Geschöpf Seiner Liebe, ohne Makel. Licht geschaffen, licht bewahrt gegen die sich erhebende Finsternis. Es schied Gott das Licht gegen die Finsternis. Das Urgericht. Die Unbefleckte liebt, der Widersacher haßt ...Am Anfang Seiner Wege, am Anfang und vor den Zeiten, in jenem erschaffenen Anfang war und ist das ewige Wort, das Wort zu Gott dem Vater, pros ton Theon im unaussprechlichen Hauch des ewigen Liebesgeistes ... Dieses ewige Wort war im Anfang in der unbefleckten Schöpfung. Alles ist durch das Schöpfer-Wort des Schöpfer-Vaters durch den Schöpfer-Geist geschaffen. Allem voran dieses erste Geschöpf Seiner Liebe. Kein Zweifel, die Immaculata ist Geschöpf, ganz Geschöpf, bis in ihr innnerstes Herz unbeflecktes Geschöpf, unbefleckte Tochter des Vaters im Sohn durch den Heiligen Geist ...

Wir stecken tief im Sumpf der Sünde und des Todes. Aber die Immaculata haben wir nicht vernichten können. Der Teufel nicht und wir erst recht nicht. Wir können auch mit dem Aufgebot der ganzen Hölle nicht zunichte machen, daß wir vom unendlich liebenden Vater geschaffen sind und daß die Liebe bleibt. Er kann gar nicht anders, als uns Maria zu lassen, da Er sie geschaffen hat. Er kann sie nicht aus der Schöpfung brechen ...

Was hat Lukas gewußt vom Immaculata-Geheimnis, als er schrieb, Lukas, der "liebe Arzt" (Kol 4,14) und treue Freund des Paulus? Der Hl. Geist hat alles gewußt; Lukas war ein armer, versuchter Mensch, wie wir alle sind, und wie Paulus und Augustinus und Bernhard und Thomas, und viele vor 1854. Vielleicht hat Lukas nie im Leben Jesus von Nazareth gesehen, vielleicht auch Maria von Nazareth nie gesehen, genauso wenig wie wir, und er hat im ersten christlichen Jahrhundert in seinem Wissen vom Geheimnis Jesu und Mariens, menschlich gesprochen, längst nicht das gehabt, was das zweite, dritte, zwölfte, zwanzigste Jahrhundert [haben wird], was da der Hl.Geist ausdrücken wird in der Kirche für jedes katholische Kind ... Im Fleisch lesen wir, was Lukas im Fleisch geschrieben hat, und wenn wir das nach dem Buchstaben, im Fleisch lesen, dann steht da vom Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis kein Wort, kein Sterbenswort, wie wir sehr bezeichnend richtig sagen. Wenn wir es aber nach dem Geist, d.h. in der Kirche lesen, dann steht das Wunder aller Wundergeschöpfe des ewigen Schöpfers vor uns, richtiger gesagt in uns, die Immaculata. Ihre Erschaffung, ihre Erhebung, ihre Vorerlösung, Ersterlösung, Ganzerlösung. Gottes Wort sprach: es werde Licht. Und es ward Licht."

Selbstverwirklicht beim mütterlichen Vater

Chesterton erzählt von dem Abenteurer, der nach langer Fahrt eine seltsame Insel entdeckt und plötzlich merkt, daß er wieder in England ist. So ähnlich komme ich mir vor. Denn der schlichten Gläubigen Glaube enthält immer schon diese Drei-Spannung und mußte dehalb zum Trinitätsdogma führen. Die Perle aller Gleichnisse, die Geschichte der Verlorenen Söhne, zeigt a) den Vater als Herrn des Hofes. Er verhält sich b) bei der Heimkehr des Jüngeren mütterlich und bejaht c) in liebender Identifizierung dessen Ich. Im Rückblick begreift der Sohn, warum der Vater ihn ziehen ließ: Weil nur in der wunderbaren Spannung EINS-DU-ICH das Heil besteht. Am Ende der Erzählung hat der Jüngere diese Stereo-Einheit erreicht, dem Älteren steht (auch in der Kirche!) die Bekehrung zu ihr noch bevor - sonst verliert er auch sein bisher gültiges Du.



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