Jürgen Kuhlmann

"Einander untertan"

- wie geht das?

"Ordnet euch einander unter!" mahnt Paulus die Christen (Eph 5,21). Schlechte Logik, dachte jemand bei der Arbeit an einem italienischen Meßbüchlein. Wie soll das gehen? Entweder ich befehle oder ich gehorche. Aber doch nicht beides! So muß es heißen: "Die Unteren seien den Oberen untertan." Mit eigenen Augen habe ich das vor Jahren gelesen: "Gli inferiori siano soggetti ai superiori."

Dabei wurde allerdings nicht nur in eine andere Sprache übersetzt sondern in eine andere Denkform. Aus einer geistlichen Weisung ist eine mechanische Regel geworden. Ist die falsch? Keineswegs. Aber einseitig, unvollständig, allzuleicht irreleitend. - Muß denn aber nicht, bevor eine Person einer anderen untertan sein kann, entschieden werden: wer wem? Gewiß. Aber eben: Miteinander entschieden. Nicht so, daß von vornherein feststünde, wer die Oberen und wer die Unteren sind.

Bei einem Apparat muß das zwar so sein, sonst gäbe es weder Klarheit noch Ordnung. Nicht aber in lebendigen Beziehungen. Da spielt sich vielmehr - nicht ohne Konflikte - ein reiches Dimensionengefüge ein: hier bin ich dir untertan, dort du mir, und noch woanders gilt kein Befehl sondern allein die je aktuelle Einigung.

Man sieht, die paulinische Kurzformel drückt den komplexen Zusammenhang genauer aus als die festzurrende Auslegung. Doch hat auch diese ihren Wert, hindert ein bloß schwammiges Mißverständnis: Seid nett zueinander. Das ist nicht gemeint. Es geht sehr wohl um Unterordnung, und da muß, wenn es darauf ankommt, eine Person "Bestimmer(in)" sein. Die Entscheidung "wer wen" aber, sie liegt nicht starr fest. "Und Gott schied" (Gen 1) Tag und Nacht, Meer und Land. Solche Schöpfungstat vollzieht sich auch in unseren Beziehungen, immer ist es da je jetzt "am Anfang". Nicht als Vorgabe eines fremden Chefs aber, sondern als innerste Glut unserer eigenen Kreativität miteinander.

Der Sinn jenes Sätzleins läßt sich mithin so umschreiben: SEID mit EINANDER eins bei der Festlegung, wer in welcher Dimension dem/der anderen UNTERTAN sein soll, und haltet euch daran.

August 2001


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