Jürgen Kuhlmann

Untreue ?

Antwort an eine Kritikerin der Abschiedspredigt

34 Jahre danach erreichte mich aus dem Netz die folgende Anklage einer Katholikin:

"... Dabei kam ich auf Ihre Seiten. Dabei bin ich natürlich auch auf Ihre Abschiedspredigt 1972 gestoßen. Entschuldigen Sie, dass ich dazu etwas sage. Mir scheint das eine sehr schräge Geschichte, die Sie Ihren Gemeindemitgliedern damals aufgetischt haben. Ich weiß nicht, wie die Resonanz darauf war. Ich denke, dass die Treue zu dem, was man einmal begonnen, versprochen etc. hat, schon ein ganz wichtiger Faktor im Leben ist. Eine Ehefrau kann auch nicht zu ihrem Mann sagen: 'Hallo, tschüss, das war's dann. Ein anderer steht schon in den Startlöchern. Wir können ja Freunde bleiben' Der Mann muss sich wohl vera..... vorkommen. Damit kann man Leben zerbrechen! Erzählen Sie das alles mal Jugendlichen, die notwendiger Weise ein wenig Stabilität im Leben suchen und brauchen ... Ich denke, Sie täten nicht schlecht daran, Ihrer Predigt von damals eine Korrektur hinzuzufügen. Ansonsten fürchte ich, dass Sie irgendwann noch viele Menschen um Vergebung bitten müssten ... und Sie rechtfertigen Ihre 'Untreue'? Wenn nur das mal nicht 'ins Auge' geht! Gewiss, mit welchem Recht sollte ich urteilen können? Ich möchte Ihnen nur einmal einen Spiegel vorhalten."

Das Bild, das dieser Spiegel zeigt, erschreckt mich - heilsam. Einmal, weil es meine eingeschliffene Selbstgerechtigkeit erschüttert, vor allem aber deshalb, weil es vermutlich ein solches Bild von mir war, das meiner Mutter letzte Lebensjahrzehnte verbittert hat. Leider hat sie mir diesen Spiegel nie vorgehalten, und ich war nicht aufmerksam genug, ihn zu erraten und mit ihr so lange geduldig über das Zerrbild zu sprechen, bis es im Licht unserer gemeinsamen Hoffnung vielleicht doch verschwunden wäre. Nicht meinen Entschluss zur Heirat, wohl aber diese Lieblosigkeit gegen meine Mutter bereue ich jetzt und bitte sie DORT um Verzeihung.

Was sage ich solchen, die an der Abschiedspredigt ähnlich Anstoß nehmen wie die Briefschreiberin? "Rechtfertige" ich mein Verhalten? Nein. Gerechtigkeit ist für Christen kein Zustand sondern ihre Beziehung zum Herrn. Christus allein rechtfertigt mich, wenn sein Freund und Glied in seinem Blick zum Vater aufschaut, wie vor 62 Jahren Dietrich Bonhoeffer. "Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!"

Etwas anderes als Selbstrechtfertigung ist die Verantwortung vor den Mitmenschen. Ihnen schulden wir "Rechenschaft für die Hoffnung", die uns erfüllt (1 Petr 3,15). Nur in diesem Sinn meine ich (erst jetzt?) die Abschiedspredigt. Wenn jemand die objektiv unentscheidbare Frage "Untreue oder Gestaltwandel der Treue?" eigenmächtig zum Bösen hin feststellt und sich daraus ein Motiv zu eigener Untreue macht, schmerzt mich zwar solche Wirkung meines hässlichen Spiegelbildes. Und ich versuche mit diesen Zeilen die mir angeratene Korrektur. Ehrlich bereuen kann ich meinen Entschluss aber nicht, stimme vielmehr als kleines Glied Christi in den Ruf (Lk 7,23) unseres Hauptes ein: "Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt."

Februar 2007

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