Jürgen Kuhlmann

Kleines CREDO für Zeitgenossen


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Credo

Der ehrwürdige Text wurde (bis auf das eine Wort Filioque) im Jahr 381 vom ersten Konzil von Konstantinopel feierlich verabschiedet, indem es das Credo des Konzils von Nikaia (325) erweiterte.

Credo in - Ich glaube an

Ich glaube: Dies ist das Vorzeichen und die Anfangsklammer um den ganzen Text, das letzte Wort "Amen" ist die Schlußklammer. Wie in der Mathematik bekommt auch hier der Inhalt der Klammer nur durch das Vorzeichen seinen Wert.

Credo heißt nicht: Ich weiß. Alles, was ich jetzt sagen werde, ist nicht menschliches Wissen, stammt nicht aus irdischem Erfahren und Nachdenken, ist darum auch nicht objektiv verifizier- und andemonstrierbar.

Credo heißt auch nicht: Ich meine halt so, ähnlich wie du alles mögliche "deinst", und auf beides kommt es im Grunde nicht an.

Credo heißt auch nicht: Das Folgende ist meine exklusiv wahre und für alle gleichermaßen gültige Ideologie - wehe du nimmst sie nicht an, dann wartet auf dich der Scheiterhaufen, heute mindestens meine tiefgefühlte Verachtung.

Sondern Credo heißt: Was ich jetzt sagen werde, ist meine Antwort auf die mir - als Christ - zuteil gewordene Selbstoffenbarung des SINNes der Welt. Daß er sich dir anders zeigt, streite ich nicht ab. Wenn du mir das versicherst, laßt uns ein andermal über unsere gegensätzlichen Horizonte sprechen; vielleicht gibt es ja einen uns beiden zugänglichen Punkt, von dem aus sie verschmelzen? Jetzt aber höre meinen Glauben. Damit du ihn besser hörst, sing ihn mit - ohne ihm deshalb selbst zustimmen zu müssen; sei unbesorgt, ich vereinnahme dich nicht. Wenn Du mein Credo mitsingst, ist dies nur eine besonders intensive Weise deines freundlichen Zuhörens; ähnlich wie wenn ein Gast beim Tischdecken hilft, ohne daß er für die Qualität des Geschirrs und der Speisen einstehen muß.

an: Das Wörtlein in (= an) steht nicht zufällig da. Es drückt die Beziehung der glaubenden Person zu dem aus, an den sie glaubt. Es gehört noch zur Klammer, nicht zu deren Inhalt. Alle folgenden Sätze werden innerhalb dieser Beziehung gesprochen, gehen insofern keinen anderen etwas an. Wohl enthält das Credo ein öffentliches Bekenntnis, so wie die Kathedrale weithin sichtbar dasteht. Sein Sinn zeigt sich aber nur innen; auch ihre bunten Fenster leuchten nur dem, der eintritt, sei es auch als Gast, der seine andere Herkunft in ihr durchaus beibehält.

unum Deum - den einen Gott

Den einen Gott: Es gibt ja doch nur den einen! Oder glauben z.B. Muslime an einen anderen Gott, Allah genannt? Nun, auch arabische Christen glauben an Allah, auch deutsche Muslime an Gott. Ist der Gott des Korans aber nicht doch ein anderer als der Vater Jesu Christi? Bei der Begrüßung zu einer ökumenischen Gebetsfeier im November 1991 brachte ein protestantischer Theologe es fertig, in Bezug auf Juden und Muslime vom "Glauben an einen anderen Gott" zu sprechen und darauf beim privaten Gespräch nachher auch ausdrücklich zu bestehen. Manche der anwesenden Gläubigen waren schwer schockiert, z.B. ein mir befreundeter Bahai. Ich zunächst auch - bis ich einsah, daß ja Menschen, die von verschiedenen Seiten aus durch eine bunt bemalte Glaskugel hindurch dieselbe Glühlampe erblicken, durchaus nicht das gleiche Licht schauen! Auf deutsch läßt diese Wahrheit sich leicht sagen: wir glauben an denselben, keineswegs aber an den gleichen Gott. Wer für beide Begriffe nur ein Wort (z.B. "the same") hat, tut sich schwerer. Ebenso ergeht es uns jedoch beim Gegensatz (zu beiden Begriffen): "anderer". Mithin ist "ein anderer Gott" derart mißverständlich, daß wir auf solche Redeweise verzichten sollten.

Patrem omnipotentem - den Vater, den Allmächtigen

"Der Gottesbegriff nach Auschwitz" war das Thema einer unvergeßlichen Rede, die Hans Jonas im Juli 1984 beim Katholikentag in München hielt. Als Jude - seine Mutter ist dort ermordet worden - hat er vor den Christen seinen Glauben bekannt, den Glauben eines alten Mannes aus einem alten Volk. In diesem Glauben hat der Begriff "Gottes Allmacht" keinen Platz mehr. Jonas ist überzeugt, daß Allmacht erstens in sich widersprüchlich und zweitens nach Auschwitz nicht mehr haltbar ist. Deshalb müssen wir uns von der althergebrachten Lehre absoluter göttlicher Macht verabschieden:

Allmacht widerspricht sich selbst. Denn totale Macht bedeutet Macht, die durch nichts begrenzt ist, nicht einmal durch die Existenz von etwas Anderem überhaupt. Die bloße Existenz von etwas Anderem würde schon eine Begrenzung darstellen, und die eine Macht müßte dies Andere vernichten, um ihre Absolutheit zu bewahren. Absolute Macht hat keinen Gegenstand, auf den sie wirken könnte. Als gegenstandslose Macht aber ist sie machtlose Macht, die sich selbst aufhebt. Macht ist ein Verhältnisbegriff und erfordert ein mehrpoliges Verhältnis. Macht, die keinem Widerstand begegnet, ist dasselbe wie überhaupt keine Macht. Macht kommt zur Ausübung nur im Verhältnis zu etwas, das selber Macht hat. Sie besteht in der Fähigkeit, etwas zu überwinden. Macht muß geteilt sein, damit es überhaupt Macht gibt.

Drei Attribute Gottes - absolute Güte, absolute Macht und Verstehbarkeit - stehen in einem solchen Verhältnis, daß jede Verbindung von zweien das dritte aussschließt. Welches muß weichen? Das Wollen des Guten ist untrennbar von unserem Gottesbild. Die Verstehbarkeit kann eingeschränkt, darf aber nicht total verneint werden; nicht alles, aber etwas von seinen Absichten und seinem Wesen hat Gott uns kundgetan. Nach Auschwitz müssen wir entschiedener als je zuvor behaupten, daß eine allmächtige Gottheit entweder nicht allgütig oder in ihrem Weltregiment total unverständlich wäre. Also muß das - in sich unsinnige - Attribut Allmacht weichen.

Das ist von unwiderleglicher Wahrheit. Was also denken? Hat das Wort "Allmächtiger", wie die Glaubenszeugnisse es meinen, vielleicht einen anderen Sinn, der von Jonas' Kritik nicht getroffen wird? So ist es, und an diesen ursprünglichen Sinn müssen wir uns erinnern, wenn wir das Credo aufrichtig beten wollen.

Was heißt "Allmacht" aber dann? Ein Blick auf den griechischen Credo-Text weist die Richtung. Bei "Pantokrator" bietet sich als Übersetzung eher "Allherrscher" an. Gegen diesen Begriff ist nichts einzuwenden. Unpolare All-Macht ist unsinnig; ein Herrscher über alle läßt sich denken: Gute Herrscher sorgen für ihr Volk, schlechte für Bauch und Tresor, Gottes Interesse ist allein das Ganze. Schwache Herrscher lassen die Zügel schleifen, sind den Unteren unerreichbar, so daß ihr Reich in Unrecht versinkt; starke Herrscher strafen arrogante Büttel, neigen dem Flehen des Geschundenen ihr Ohr und schaffen ihm Recht.

Was wir im Credo feierlich rezitieren, war ursprünglich ein Schrei, der Aufschrei des versklavten, gemarterten Einzelnen zu seinem Gott hoch über all den Mächten böser Willkür, vom Pausehof bis zum SS-Staat. Das ist der Sinn des jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens an den Allherrscher, die offizielle Übersetzung des Gloria-Textes drückt ihn besser aus. Gott ist Liebe, kann uns darum nur als freie Geschöpfe wollen. Deshalb darf seine Herrschaft erst zuletzt unsere Taten richten, nicht von vornherein alles allein bestimmen. Griffe er in jedes böse Geschehen unmittelbar ein, dann wäre die Welt kein Ort der Freiheit, sondern ein Marionettentheater. So hat Gott die Welt nicht gewollt.

Aber auch nicht als ein Experiment, dem der Schöpfer nur kühl von außen zusähe. Nein, Gott ist erbarmende Liebe, fühlt mit uns und brennt darauf, die Freiheitstaten seiner Geschöpfe allherrscherlich zu besiegeln. Unser winzigstes Gutes läßt er zuletzt im ewigen Licht erstrahlen, jede Bosheit aber - in uns wie um uns - wird er am Ende beschämen. Was man auf Erden heute über die Nazis denkt, ist nur ein schwaches Zeichen des Abgrunds an Schande, in den jede angemaßte Macht stürzen muß.

Allerdings ist dies eine Zuversicht des Glaubens. Zu wissen gibt es hier nichts. Wie damals im KZ, wie vor bald zweitausend Jahren auf Golgotha, spricht auch heute vielerorts der Anschein gegen das Gute. Und doch! Und doch bäumt die Hoffnung mit Recht sich auf. Jesu Todesstunden am Kreuz haben bei seinem Osterdurchbruch einen Raum eröffnet, wo auch die Millionen Auschwitzstunden und alles Gräßliche überhaupt Platz finden. Kein Seinskorn geht der Allmacht verloren, nicht für immer verwirft Gott die Seinen.

"Allmächtig" heißt also nicht, daß Gott alle Macht hätte und wir gar keine, sondern es bedeutet, daß alle irdische Macht sich - in Jubel oder Schande - der göttlichen Güte zuletzt beugen wird. Beten wir darum den Beginn des Credo mit christlichem Freimut. Nicht vor einem Allmächtigen uns ducken sollen wir, sondern eben weil zuletzt die Liebe herrscht, brauchen wir uns vor keinem zu ducken.

factorem
caeli et terrae, visibilium omnium
et invisibilium -
der alles geschaffen hat,
Himmel und Erde, die sichtbare
und die unsichtbare Welt

Das nimmt den ersten Satz der Bibel auf: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Statt schuf könnte es auch schafft heißen; unsere Alltagssprache kennt keine Zeitform, die jene Gegenwart der Vergangenheit ausdrückt, die der biblische Erzähler meint. Besonders klar wird die Schwäche unserer Sprache bei Gottes abschließender Bewertung seines Werkes. Schon das Baby vernimmt ein gutes Zeichen im Kuß und Trostwort der Mutter. Wenn es nachts aufwacht und vor Schreck losweint, dann kommt die Mutter, nimmt es auf den Arm und tröstet: Nicht weinen, ist schon Alles gut. Das ist die Urform des Evangeliums. Stimmt dieser Satz? Ist wirklich alles gut? Oberflächlich gesehen: nein. Weiß die Mutter nicht, daß nebenan im Krankenhaus Menschen wimmern? Daß ein paar hundert Kilometer weiter der Bürgerkrieg eben jetzt ein Glück nach dem andern zerstört? Doch, sie weiß es und sagt trotzdem zu ihrem Kind: Ist schon Alles gut. Und hat recht, denn sie teilt die Einschätzung des Schöpfers: "Gott sah alles an, was Er gemacht hatte: Es war sehr gut" (Gen 1,31).

Dieser Satz enthält ein wunderbares Geheimnis. Im hebräischen Urtext bleibt nämlich offen, ob es um Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft geht. Das Sätzlein kann also auch heißen: Gott sieht alles an, was Er gemacht hat, es ist sehr gut. Oder: Gott wird alles ansehen, was Er gemacht haben wird, es wird sehr gut sein. Der Übersetzer steht vor einer im Grunde unlösbaren Aufgabe. Die übliche Fassung ist nicht falsch, denn es wird vom Ur-Anfang erzählt. Wahr ist aber auch: die Schöpfung ist noch nicht fertig, jeden Tag neu soll aus Chaos Sinn, aus tierischen Vorstufen reife Menschlichkeit werden. Und Gottes Ruhe nach der Schöpfung endlich, der siebte Tag ist noch gar nicht angebrochen. "Der siebte Tag werden wir selbst sein," sagt der hl.Augustinus [von Ernst Bloch zitiert]: Wenn der Schöpfer sein vollendetes Werk anblicken wird, dann sieht Er auch aus unseren Augen unsere erlöste Welt. Und das wird unser Ewiges Leben sein.


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