Jürgen Kuhlmann

Menschlichkeit
gegen Verstockung

(aus: "Innen statt droben"
[1986], S. 45 f)

Eine fatale Faszination durch ein unmenschliches Gottesbild darf nicht mit einer simplen Täuschung im Wissenskontext verwechselt werden. "Der Gott, der ein Teufel war", um diese abgründige Spannung geht es. Erwachsenen Christen war sie immer vertraut. Wo man Gott nicht zum lieben Gott verkürzt, den christlichen Glauben nicht der Stimmung von Erstkommunionkindern anpaßt, da gehört zur Glaubenssprache auch der Ausdruck "verstockt". Wen Gott will, verstockt er wie den Pharao (Röm 9,18). Einem Verstockten zeigt das Ganze sich als Fratze. Wenn die Wirklichkeit aber so ist, wie sie sich zeigt - ist ihrer Faszination dann überhaupt zu entkommen? Wie kann Verstocktheit Schuld sein, wenn Gott selbst sie bewirkt?

"Erschienen ist uns die Güte und Menschenliebe Gottes unseres Heilandes und hat uns gerettet" (Tit 3,4). Dank Gottes Menschwerdung ist jeder unmenschliche "Gott" als Teufel entlarvt. Aus des Teufels Gewalt erlöst uns Gott nur durch Vermittlung des Menschensohnes, anwesend in jedes Menschen Kind dir gegenüber. Was wir einem dieser Geringsten tun, das tun wir unserem wahren Herrn. Dem Menschen erscheint nicht nur das Ganze, er begegnet auch seinem Mitmenschen. Lernen wir das Prinzip: Wo dein "Gott" dir die Verantwortung vor irgendeinem wirklichen Menschen verbietet, da kippt er zum Teufel um.

Das Ganze, das dir auf derart verengende Weise erscheint, ist allein deshalb nicht das wahre Ganze, sondern von der Lüge vorgespiegelt. Es ist nicht gesund, sondern krank. Seiner Faszination darfst du dich nicht überlassen. Das bedeutet freilich: Du mußt bereit sein, eine Zeitlang den Schein der Sinnlosigkeit des Ganzen auszuhalten. Denn so, wie es dir erscheint, darfst du ihm nicht glauben; anders aber erscheint es dir jetzt nicht, also fehlt der Sinn. "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen", beten wir Christen und denken uns oft fast nichts dabei. Neue Kraft strömt der Bitte zu, wenn wir sie so erläutern: Setz uns nicht dem Bann des Bösen aus; tust du es aber doch, dann stütze uns im Finstern der Sinnlosigkeit so lange, bis du uns das Ganze in neuem Lichte zeigst, so daß es uns auf eine Weise ergreift, die nicht mehr gegen dein Gebot der Liebe ist.

Die Frage, ob es einen Teufel gebe, ist also abzuweisen, weil doppelsinnig. Im Kontext des Weltwissens wäre sie korrekterweise zu verneinen, damit wäre aber so gut wie nichts gesagt. Die eigentliche Frage heißt, ob diese und jene Wirklichkeit (= Erscheinung des Ganzen) göttlich oder teuflisch sei. Entschieden wird sie gemäß den Regeln zur Unterscheidung der Geister, wie sie in allen spirituellen Traditionen von Erfahrenen entdeckt, praktiziert und gelehrt worden sind. Den überlieferten Regeln hinzu füge ich die universale Verantwortungsbereitschaft: Stell dir vor, du stehest diesem Menschen oder dieser Gruppe bei Gottes Gericht gegenüber, in Gegenwart aller, die je gelebt haben. Kannst du die Weise, wie das Ganze dir eben erschien, mit all ihren Folgen für die anderen, dann vor diesen Menschen verantworten (nicht etwa vor deinem, vielleicht ja nur eingebildeten "Gott")? Wenn ja, dann trau auf Gott, so wie er sich dir zeigt. Wenn nein, dann widersteh dem Teufel, der dich betört.


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sowie seinen neuen (seit Ende 2000) Internet-Auftritt Stereo-Denken
samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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