Jürgen Kuhlmann

Kommt etwas nachher?

Eine unmögliche Wette?

Wetten wir, um eine Flasche Himmelssekt? Was auftrumpfend klingen sollte, kommt kleinlaut heraus; schon während ich den Vorschlag mache, merke ich, wie unfair er ist. Hätte nämlich sie recht, daß nach dem Tod nichts kommt, dann könnten wir nie wissen, daß sie die Wette gewann - eine Wette aber, die nur einer gewinnen kann, ist nicht ehrlich.

Das Problem läßt mich nicht los. Ich spüre: Es darf nicht sein, daß bei dieser entscheidenden Frage bloß der Fromme recht hat. Wehe euch ihr Reichen, warnt Jesus - welcher Reichtum wäre aber größer als in der Frage aller Fragen allein die Wahrheit zu haben? Es mag verrückt klingen, aber mich entsetzt der Gedanke, meine freundliche Gegnerin müßte DANN mit ihrer Sektflasche ankommen und demütig zugeben, im Gegensatz zu mir habe sie sich geirrt. Das darf nicht sein. So einseitig soll es bei uns nicht zugehen im Ewigen Leben. Wenn christliches Stereo-Denken irgendwo verlangt ist, dann hier. Rechts hofft mein Osterglaube auf Erfüllung ohne Ende. Und was ist die Wahrheit des linken Kanals?

"Laßt euch nicht verführen! Es gibt keine Wiederkehr ... Ihr sterbt mit allen Tieren und es kommt nichts nachher." Kann ein Christ Bert Brechts Trompetensignal so verstehen, daß es irgendwie stimmt? Ich meine: ja. Es kommt deshalb nichts nachher, weil es genau genommen überhaupt kein Nachher für uns geben kann! Was ist der Mensch? Ein Lebewesen zwischen Zeugung und Tod. Meine begrenzte Lebenszeit gehört zu meiner Definition, vor und nach ihr gibt es viel, nicht aber dieses Individuum, das ich bin.

Ich gleiche einem Klaviertrio der drei geistlichen Instrumente EINS, DU und ICH, es vollzieht sich in den vier Sätzen Kindheit, Jugend, Reife und Alter. Vor der ersten Note des Stücks und nach der letzten ist es nicht, mit dem Schlußakkord verklingt seine Musik "und es kommt nichts nachher". Daraus folgt aber keineswegs, es gebe diese Musik bloß während der jetzigen Probe und nie im Konzert. Vielmehr wird jeder Ton unserer Lebenslieder DANN im Ganzen klingen, wenn zwar kein anderes Etwas nachher kommt, so gesehen demnach nichts, wohl aber Alles.

"Ja" (2 Kor 1,20): Während die Sänger in den Stimmproben je nur eine Melodie verwirklicht haben, vernehmen sie bei der Aufführung die Fülle des Konzerts und merken, wie ihre in sich oft so simple, zuweilen scheinbar unsinnige Melodie im Wunder des Gesamtklangs JETZT plötzlich stimmt. Merke: Generalprobe gibt es keine. Nach dem Üben deiner Melodie schläfst du ein - und erwachst mitten im rauschenden Konzert, beim all-entscheidenden BLICK zu deinem Einsatz. Darum laß dich während der Probe lieber nicht von einer Nach-meinem-Lied-Wahnidee ablenken. Die brächte dich nur aus dem Takt. Und wäre auch falsch. Denn dein Lied bist du, sonst nichts. Jetzt und in Ewigkeit, zusammen mit allen.

Oktober 1996

[In diesem Buch wird die Frage ausführlicher behandelt.]


Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/wette.htm

Zurück zur Leitseite von Jürgen Kuhlmann

Siehe auch des Verfassers alten und neuen Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

sowie seinen neuen (seit Ende 2000) Internet-Auftritt Stereo-Denken
samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

Schriftenverzeichnis

Kommentare bitte an Jürgen Kuhlmann