Jürgen Kuhlmann
WIR
Ich: "Die Deutschen sind nun einmal so." Er: "Die Deutschen? Bist du keiner? Wieso schließt du dich aus? Sag: wir Deutsche. Keiner stehle sich weg aus seinem Volk!" Markige Worte, zum Glück bin ich lernfähig und stelle meine Redeweise um. Ein paar Tage später:
Ich: "Wir Christen sind überzeugt ..." Sie: "Wir Christen? Wenn ich das schon höre! Wir Chrrristen! Meint ihr, ihr seid was Besseres? Ihr am wenigsten." Folgt die bekannte Leier, warum die Leute in die Kirche rennen.
Weder "die" noch "wir" ist erlaubt - muß ich verstummen? Mir fällt ein, was ich einmal gelesen habe: In der Sprache eines Stammes im Himalaya gebe es drei Wörter für unser "Wir": eines, wenn man alle Anwesenden einschließt, ein anderes, wenn die eine Gruppe sich von der anderen abgrenzt, ein drittes für ein Paar mit sich allein. Anscheinend haben "wir Deutsche" keinen Grund, auf unsere geistvolle Sprache besonders stolz zu sein. Jene Bergmenschen denken weitaus genauer, wo es ums Wichtigste, um die menschlichen Beziehungen geht. In ihrer Sprache träten die berichteten Probleme nicht auf:
Verwende bei "wir Christen" das einschließende Gemeinsamkeits-Wir. Entweder stimmt der Partner zu: Ja, im innersten, tiefsten Sinn gehöre auch ich zu "uns Christen". Oder er antwortet: Nein, ihr Christen meint das. Dann geht die Abgrenzung aber von ihm aus und er wird nicht gekränkt sein, wenn der Partner den Ball aufnimmt und jetzt im ausschließenden Sinn "wir Christen" sagt.
Wir aber, mit unserem deutschgrob simplen Wir-Begriff, wie sollen wir reden? Vielleicht unterscheiden wir zwischen gut und schlecht. Bei Schlechtem schließe man sich demütig ein: Wir Christen neigen zum Fanatismus. Bei Gutem rede man objektiv, distanzierend: Die Deutschen können gut organisieren (eh' nicht meine Stärke).
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