Jürgen Kuhlmann

Ewiges Leben Tag um Tag neu

Kirchenkritischer Ausblick

"Als letzter Feind wird der Tod zunichte werden ... Dann wird sich auch der Sohn dem Vater unterstellen, der ihm alles unterworfen hat, damit dann Gott Alles in allem ist" (1 Kor 15,26 ff). In der Zeit ist vieles vorbei und wird schließlich alles vergangen sein, in der Ewigkeit vergeht nichts, was je heute gewesen, keine Pflanze, kein Tier, kein Mensch, überhaupt nichts. Deshalb beweisen alle klugen Einwände nichts gegen die Hoffnung der Christen. Sie würden nur stimmen, wenn wir eine Zeit nach der Zeit dächten. Es braucht keinen scharfen Schnitt zwischen Tier, Vormensch und Mensch. Adams Mutter ist bei ihm, egal auf welche Entwicklungsstufe unsere Definition die beiden setzen mag. Da meine Seele das selbstbewußte Einheitsprinzip meines Leibes ist, kann sie natürlich nicht ohne ihn bestehen, muß das auch nicht. "In meinem Fleisch werde ich Gott schauen," las das gläubige Mittelalter [Ijob 19,26 nach der lat. Vulgata - im Original steht anscheinend das Gegenteil: "ohne mein Fleisch"; recht verstanden stimmt beides, alles ist zweideutig.] In diesem meinem zeitlichen Fleisch zwischen Zeugung und Tod, denn dieser bin ich. Eine lebendige Schwingung sind meine Tage, kein totes Währen; als Tag um Tag neue Selbstgestaltung werde ich aufbewahrt, nicht als zeitlose Substanz. Und keine Jenseitsillusion entwerte uns das rasche Jetzt, sondern angstlos wollen wir uns seinem Flug überlassen, weil er nicht nichtig ist, sondern ewig.

Wir sahen: nur in Gegensätzen läßt die Hoffnung sich ausdrücken. Es kommt nichts nachher, es kommt Alles nachher, es gibt kein Nachher, wir dürfen Gott schauen, niemand kann Gott schauen - solche und ähnliche Sätze sind wahr oder falsch. je nachdem wie sie verstanden werden. Wahrer als das isolierte Jetzt (es kommt nichts nachher) oder das erträumte Dann (das Eigentliche kommt erst) ist die ausgehaltene Spannung von Jetzt und Dann; noch wahrer wäre die - selten aufblitzende - Einsicht, daß zwischen Jetzt und DANN gar kein Gegensatz besteht: weder ist der Kreis ohne die Kugel noch die Kugel ohne ihre Kreise. Doch ist für unser animalisches, zeitverstricktes Empfinden der Widerspruch unüberbrückbar, ähnlich wie der Gegensatz von Mann und Frau dank des Begriffes "Mensch" zwar für das Verständnis, nicht aber für die Vorstellung überwunden ist. Einen geschlechtslosen Menschen kann niemand sich vorstellen.

Von hier aus läßt eine gewisse Einseitigkeit der kirchlichen Verkündigung sich scheinbar begreifen. Man könnte meinen: Das Jetzt sorgt für sich selbst. Die pralle Gegenwart drängt sich uns wuchtig auf. Anders die Wahrheit des Dann. Sie ist nur geistig erfaßbar; weil der Mensch ein Sinnenwesen ist, braucht jeder geistige Inhalt aber etwas Sinnliches als Basis. Somt bestünde die Aufgabe der Kirche darin, den Dann-Pol möglichst massiv und unverrückbar zu befestigen.

Doch so einseitig können die Kirchen den sie bedrängenden Gegensatz zwischen "Jesuanern für das Jetzt" und "Christen für das Dann" nicht entschärfen. Das Evangelium bewältigt ihn anders, in göttlicher Einfachheit: "Dann wird der König zu denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, Verfluchte ... was ihr einern dieser Geringsten (damals, d.h. jetzt!) nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan." Die Wahrheit der Christen ist, daß es zu dieser Rede kommt; die Wahrheit der Jesuaner ist, was dabei zur Sprache kommt. Jeder Augenblick ist ewig bedeutsam. Nie wirst du einen Menschen treffen, der dich nicht absolut angeht.

Diese Botschaft schneidet ins Fleisch, ich möchte sie gern vergessen. Wir müssen den Anschein von vorhin also korrigieren: Nur das träge, egoistisch zufriedene Jetzt sorgt für sich selbst, das absolut bedeutsame JETZT der Liebe bedarf der Glaubensverkündigung ebenso nötig wie das DANN der Hoffnung.Daraus folgt: Die Spannung zwischen Jesuanern und Christen darf sich in der Kirche nie beruhigen. Nur indem sie sich aneinander reiben, bekämpfen sie miteinander ihre Neigung zur jeweiligen Ideologie.

In Jesus lebt schon Christus, aber in Christus ist Jesus auferstandenl Die Kirche ist kein Haufen von Weltverbesserern, die Kirche ist erst recht keine privilegierte Jenseitspartei. Wer sie zur triumphalistischen Elite verfälscht, denkt ebenso unkirchlich wie die anderen, die aus Jesus einen der vielen Rebellen machen. Jeder Exeget weiß, daß Ostern kein himmlisches Mirakel ist, sondern streng die Einheit von letzter Schande und ewiger Verherrlichung. Woher nehmen gewisse militante "Christen" die gottverdammte Arroganz, ihren Absturz vom Wahrheitsgrat nach rechts für kirchlicher und Gott wohlgefälliger zu halten als einen Fehltritt nach links?

Ach, nicht bloß Sünder sind wir alle, auch Pharisäer sind wir insgemein. "Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig" (2 Kor 3,6). Das schreibt Paulus zwar, der Geist kann den Buchstaben durchaus in dessen eigenem Feld noch relativieren. Den lebendigen Vollzug selbst aber kann kein Buchstabe mehr garantieren. Weder die Amtskirche mit ihren erbaulichen Blättern noch die halboffizielle Kirche von unten mit ihren Protestschriften kann das geistliche Leben institutionalisieren. Für unser Thema heißt das: den Dann-Pol erst hinstellen, gleich darauf als isolierte Realität wieder abtun und endlich mit dem Jetzt zur wahren Hoffnung ineinanderglauben, das kann die Kirche an keiner ideologisch "klaren" Front, sondern einzig in ihren mündigen Gliedern, die den minder mündigen freilich leicht als Schwachköpfe erscheinen, die nicht einmal wissen, ob sie Fisch sind oder Fleisch.

Schließen möchte ich mit einem Vorschlag, wie man das Verhältnis des einzelnen Christen zur Institution Kirche (oben wie unten!) neu sehen könnte. Traditionell sind zwei Sichten.
a) Christus ist der gute Hirt, der Christ ist das Kirchenschaf und der Kirchenfunktionär ist der Schäferhund.
b) Weil viele Hunde sich eher wie Wölfe aufführen, läuft so manches Schaf ihnen davon und will oft auch vom verborgenen Herrn solcher Räuber nichts mehr wissen. Verständlich - aber auch traurig. Denn allzu leicht wird das einsame Schaf zur Beute weit gefährlicherer Wölfe. Es gibt heutzutage schlimmere Ideologien als die kirchlichen.

Der Stereo-Christ steigt aus dieser fatalen Alternative aus. Er glaubt die eine kirchliche Botschaft immer neu mit der anderen zusammen, und beide mit der eigenen Erfahrung. Das strengt an und läßt nie eine Ideologie aufkommen, mit der man andere fertig machen kann. Doch führt es zu persönlicher Wahrheit. Sie vor Erstarrung und Verengung zu schützen ist der Wille des Auferstandenen (Joh 10,10). "Der Dieb kommt nur in der Absicht, zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten. Ich bin gekommen, damit sie Leben haben im Überfluß."


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Siehe auch des Verfassers alten und neuen Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

sowie seinen neuen (seit Ende 2000) Internet-Auftritt Stereo-Denken
samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

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