Jürgen Kuhlmann

Filioque?

West- und Ostkirche sagen nur gemeinsam die Wahrheit

"Filioque" heißt: "und dem Sohn". Was damit gemeint ist, soll ein Abschnitt einer Voltaire-Satire zeigen. Nach der Eroberung von Barcelona durch britische Truppen kommt es dort zu einem Gespräch zwischen Don Inigo y Medroso y Papalamiendo, einem Gelehrten aus Salamanca, und einem frommen Anglikaner. Der Spanier fragt: "Denken Sie, daß es nur drei Personen in Gott gibt, oder daß es drei Götter in einer Person gibt? Geht die zweite Person von der ersten aus und die dritte von den beiden anderen, oder von der zweiten intrinsecus, oder nur von der ersten? Hat der Sohn alle Attribute des Vaters außer der Vaterschaft? Und kommt diese dritte Person durch Infusion oder durch Identifikation oder durch Spiration?" - Der Anglikaner antwortet: "Das Evangelium behandelt diese Frage nicht und nie schrieb der heilige Paulus den Namen Trinität." [i] Voltaires Spott ist verständlich. Doch "die schlechtsten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen."

Es geht beim "Filioque" um die Frage, ob der Heilige Geist vom Vater allein ausgeht oder vom Vater und dem Sohn. Kirchenchor-Sänger kennen das umstrittene Wort aus dem Credo - obwohl es in dessen Konzilsfassung von 381 nicht steht. Der Zusatz trat in Spanien auf und setzte sich im Abendland langsam durch. Karl der Große ließ ihn in Aachen singen, Papst Leo III. war zwar mit der Lehre einverstanden, mißbilligte aber die Einfügung des Wortes und ließ in St. Peter zwei Platten des Credotextes ohne "filioque" anbringen. Wahrscheinlich auf Bitten Kaiser Heinrichs II. (um 1013) wurde der Zusatz dann aber auch in Rom eingeführt und verschärfte die Ost/West-Kirchenspaltung. Das Konzil von Florenz (1438-39) diskutierte 22 Sitzungen lang vergeblich über das Problem!

Eines fällt auf: Sowohl in den anderthalb Spalten des Lexikons für Theologie und Kirche [ii] von 1960 als auf 17 Seiten der hochgelehrten Darstellung des katholischen Professors Scheeben [iii] von 1875 und schließlich auch in der gründlichen Dissertation (1989) von Maria-Helene Gamillscheg [iv] sucht man vergebens nach dem winzigsten Anzeichen eines inneren, für Christen existentiell bedeutsamen Sinnes des kirchentrennenden Disputs. Anscheinend ist dieser Frage mit den bisherigen Denkstrukturen nicht beizukommen. Die Nuß ist seit Jahrhunderten glattgeschliffen; um an den Kern zu gelangen, braucht es den Hammer, mag dessen Schlag zuerst auch beide Parteien entsetzen. Das Ergebnis beschert uns ein heute dringend notwendiges Vitamin.

Warum ist es wichtig, daß der heilige Geist entsprechend der griechischen Lehre nicht vom Sohn ausgeht? Es macht einen Unterschied, ob das Prinzip Harmonie (des göttlichen EINS) erst nach dem Prinzip Spannung gilt, als Versöhnung von ICH und DU, oder mit diesem gleich ursprünglich dem Urgrund entstammt. Oder ob gar - dritte Sicht - umgekehrt der Sohn auch von IHR, der Heiligen Geist-Liebe, ausgeht. Diese innergöttliche Dimension ist allerdings dem ganzen männischen Kirchenapparat unheimlich. Außer in gnostischen Kreisen wußte die alte Kirche nichts von innergöttlicher Mutterschaft. "Filius a Patre Spirituque" würde bedeuten: Die Harmonie besteht auch als Ursprung vor aller Spannung, nicht erst als ihre Überwindung zum Schluß.

Mit welchem Recht wird immer der Vater zum Urgrund, zum urgöttlichen Pol erklärt? Die Religionsgeschichte zeigt das Gegenteil; am Anfang steht die undifferenzierte mütterliche Einheit des Ganzen. Nicht einmal die patriarchalische Bibel konnte sie ganz verschweigen. "Göttliche Gischt brütete über den Wassern" (Gen 1,2), damit fängt alles an. Der erste Satz ("Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde") beschreibt noch kein Ereignis, ist vielmehr die Überschrift zum ganzen Bericht. Das Erste nach dem nichtigen Chaos ist die göttliche Eins-Dimension als Urschoß: Finsternis, Feuchte, brütende weibliche Lebendigkeit. Erst dann sprach Gott: Es werde Licht.

Katholische wie orthodoxe Lehre sind beide wahr und wichtig, falsch ist nur ihr - weltlich unvermeidbarer - Streit. Die göttliche Liebeseinheit geht als Liebe des Vaters zum Sohn diesem mütterlich vorauf (also: Filioque? Nein!) und als Gegenliebe des Sohnes zum Vater zurück (also: Filioque? Ja!), beide Lieben sind eine: die göttliche Person der Heiligen "Ruach" (zum selben Stamm gehört das hebräische Wort für Mutterschoß). Nicht nur Jesus hatte, sprach er vom Heiligen Geist, eine weibliche Idee; auch wir dürfen damit ernstmachen, daß Gottes Kind - in seiner Ewigkeit und in uns - sich einer unendlich zart liebenden Mutter verdankt.

"Heiliger Geist wird über dich kommen,
und Kraft des Höchsten dich überschatten."

Gabriels Verkündigung an Maria (Lk 1,35) gilt als Parallelismus, als poetisch doppelte Formulierung desselben Gedankens, wie sie den Psalmen-Stil kennzeichnet. Es ist aber auch eine andere Deutung möglich. Ob Lukas Juden- oder Heidenchrist war, steht nicht fest; auf jeden Fall lebte er in einer von jüdischem Geist mitbestimmten Umgebung. Ein Bild wie "Leda und der Schwan", die heidnische Idee der Herabkunft eines männlichen Gottes auf eine Erdenfrau, lag ihm und seinen ersten Lesern fern. Lassen wir das griechische Pneuma für unser Gefühl, statt als den deutschen Geist, lieber als die hebräische Ruach auftreten, dann leuchtet der Doppelvers in überzeugend tiefsinniger Symbolik: Die göttliche Mutterschaft senkt sich in Maria ein und empfängt in ihr das Kind des Allerhöchsten - wie im Himmel so auf Erden.

Wie konnte es aber geschehen, daß die gesamte Tradition den Hervorgang des WORTes aus der LIEBE übersehen hat? Ein Grund waren vermutlich die widerlichen Orgien um die altheidnische Große Mutter;[v] in solchem Umfeld mußten Christen die Idee einer Göttin Liebe verwerfen - heute nicht mehr. Ein weiterer Grund dürfte das statische Weltbild gewesen sein. Von Evolution, schöpferischer Dynamik wußte man nichts. Bezeichnend ist ein Text von Suarez (+ 1619): "Liebe ist nur so zu verstehen, daß sie der Einsicht folgt, wie überhaupt das Streben dem Sein folgt und nicht die Natur eines Dinges begründet, sondern zum schon begründeten hinzukommt. So auch bei Gott." [vi] Wäre damals schon von Werdedrang und erkenntnisleitendem Interesse gesprochen worden, hätte man leichter auch im Absoluten die Liebe als Prinzip des Wortes anerkannt.

Seit 1961[vii] bin ich überzeugt, daß sich uns drei innergöttliche Polaritäten zeigen: je eine "Person" bezieht sich auf die ungeschiedene Einheit der beiden anderen. Der Begriff Ausgang = Hervorgang darf ja wegen der unendlichen göttlichen Einfachheit in keiner Weise kausal oder zeithaft verstanden werden, als wäre die hervorgehende Person zeitlich oder logisch später als ihr Ursprung. Vielmehr sind bei jeder innergöttlichen Relation beide Pole gleich notwendig und ewig. Trotzdem können wir weiterhin von Hervorgang sprechen: weil wir auf diese Weise im Absoluten die Urgründe unserer Beziehungen ahnen können, bei denen ja tatsächlich der eine Pol aus dem anderen wahrhaft hervorgeht. Nur gilt kein Rückschluß vom Zeithaften aufs Ewige, deshalb ist der Begriff "Wechselseitiger Hervorgang", so unsinnig er (grob verstanden) auf Erden erscheint, für gläubiges Gott-Denken kein Widerspruch. Feiner verstanden, stimmt er auch auf Erden; als Vater geht ein Mann von seinem Kind aus. Beim Spüren des schwangeren Bauches, erst recht dann beim Anblick des Köpfchens im Kreißsaal wußte ich: o Gott, ich bin Vater!

An drei trinitarische Beziehungen glaube ich:

a) In der ICH-Dimension gilt die Polarität bejahend/bejaht. Vater und Geist-Mutter bejahen ihr Kind. Mit einem Doppelblick erkennen die Eltern das neue Wesen im Babykorb an: Ja, du bist du selbst, es soll dich geben. Dieses Ja, dem Ich zunächst gegenüber, wächst mit der Zeit ins Bewußtsein des Kindes ein, wird zu seinem innersten unbedingten, unerschütterlichen Selbstvertrauen. "Ehe Abraham ward, bin ICH; den Alten ist gesagt worden - ICH aber sage euch."

b) In der DU-Dimension gilt die Polarität Wille/Gehorsam. Dies ist die überkommene patriarchalische Vorstellung Gottes als des Herrn und Vaters. SIE und ES erkennen DICH als gute Autorität an, DEIN Wille gilt. "Meine Speise ist es, den Willen meines Vaters zu tun; Vater, nicht wie ich will sondern dein Wille geschehe."

c) In der EINS-Dimension gilt die Polarität Agape/Eros: Heiliger Geist = LIEBE = Mutter schenkt sich als göttlich-zarte Huld dem Begehren von Vater und Kind.[viii] "Jesus jubelte im Heiligen Geist." Für mich ist dies die Grundwahrheit der feministischen Theologie, besser: des selbstbewußten weiblichen Glaubens. Theologien kommen und gehen, der Glaube wird sich klar und bleibt. Wie mag dieser die Kirchenstrukturen noch verändern?

Die Balance dieser drei Erfahrungen, der unbedingten Anerkennung (a: du bist immer du selbst, unser Kind), der bedingten Achtung (b: wenn du meinen guten Willen tust, bist du mir wert), der bergend-beglückenden Liebeshuld (c: komm, laß dich umarmen!), solch unbegreifliches Ineinander existentieller Widersprüche braucht es zum vollen Glück. Meint da noch jemand (mit Kant), "aus der Dreieinigkeitslehre ... läßt sich schlechterdings nichts fürs Praktische machen" [ix]?

Anmerkungen

I Histoire de Jenni ou l'Athée et le Sage (Romans et Contes, Paris 1949), p.502

II IV,126; 1960

III 1875; Schriften IV, Freiburg 1943, 363-380

IV Die Kontroverse um das Filioque. Möglichkeiten einer Problemlösung auf Grund der Forschungen und Gespräche der letzten hundert Jahre (Würzburg 1996)

V Von ihr schreibt ums Jahr 400 der heilige Augustinus: "Ich sehe sie noch wie gestern mit ihren salbentriefenden Haaren und blaß geschminkten Gesichtern, schlaff und mit weibischem Gang durch die Gassen und Gäßchen Karthagos gehen ... Die Große Mutter hat ihre Göttersöhne übertroffen, aber nicht mit der Größe ihrer Gottheit, sondern ihres Verbrechens ... Sie hat die Kastrierten sogar in die römischen Tempel hineingebracht und hat diese wilde Sitte beibehalten, um glauben zu machen, sie helfe den Kräften der römischen Männer, indem sie ihnen ihre Manneskraft nehme. Was sind neben diesem Greuel die Diebereien eines Merkur, die Geilheit einer Venus, die Hurereien und Schändungen der übrigen, die wir aus den Büchern anführen würden, wenn sie nicht Tag für Tag in den Theatern besungen und dargestellt würden ... Das Verbrechen der Göttermutter hingegen, die sich zu ihrer Anbetung Verschnittene weihen ließ, haben sich keine Dichter ausgedacht, sie haben es eher verurteilt als besungen" (Augustinus, Der Gottesstaat (VII,26), deutsch von Carl Johann Perl, Salzburg 1951, I,399 f).

VI In I. partem, Tractatus III (Lyon 1607), liber 11, cap. 5, Nr. 17

VII Der damals im Germanikum geschriebene Text findet sich jetzt im Netz. 1985 entstand ein feministisches Manifest.

VIII Wegen dieser These wäre Josef Zimmermann fast nicht Augsburger Weihbischof geworden! Ihm bleibt das Verdienst, 1941 zum ersten Mal mit katholischer Druckerlaubnis für den Heiligen Geist nicht das Wort aber den Begriff Göttin gebraucht zu haben.

IX Der Streit der Fakultäten, WW IX (Darmstadt 1971), 303


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