Jürgen Kuhlmann

Heißt Frohbotschaft auch
GAY MESSAGE ?

Oder: Warum ein traditionell denkender Christ
Homosexuelle nicht diskriminieren soll

[Für Walter, in Freundschaft]

Fast zerrissen werden die Kirchen derzeit vom Problem Homosexualität, am schlimmsten die anglikanische. Weil ein US-amerikanisches Bistum einen geschiedenen und offen praktizierenden Schwulen zum Bischof einsetzte, drohen afrikanische Erzbischöfe, die Gemeinschaft mit dieser unbiblisch lasterhaften Schwesterkirche abzubrechen. Bei den Katholiken scheint in der Theorie noch alles klar; doch sind viele Bischöfe bekümmert wegen einer gewissen rosa Atmosphäre in Priesterseminaren. Da die Zölibatsverpflichtung Schwule nicht trifft, scheint ihr Anteil überproportional zu wachsen und hat begonnen, das Klima zu prägen, was anderen den Aufenthalt verleidet.

Wie wird die Kirche insgesamt sich verhalten? Vermutlich wird sie - wie lange? - bei ihrem Contra! bleiben. Nicht in erster Linie wegen des angeblich biblischen Veto - alttestamentliche Verbote als solche gelten in der Kirche nicht mehr, die schweren Vorwürfe im Römerbrief (1,26 f) richten sich gegen das Treiben in antiken Lasterhöhlen; an eine treue Verbindung gleichfühlender Erwachsener, die nur miteinander so leben wollen, wie sie nun einmal sind, hat der Apostel nicht gedacht. Der eigentliche Grund, warum die Kirche homosexuelles Verhalten aus dem Katalog ihrer Lebensformen ausschließt, scheint mir ein symbolischer. Rosa stört des Gänseblümchens Weiß.

Die Aufgabe der Kirche ist es, das Zeichen für Gottes Heil zu sein. Es besteht in unserer menschlichen Teilhabe an der drei-einen Liebesgemeinschaft im einen göttlichen Bewußtsein. Sie wird zwar auch von einer gleichgeschlechtlichen Freundschaft abgebildet: in Form der Zweier-Analogie DU-ICH-WIR. Was einem solchen Paar fehlt, ist aber die Dreier-Analogie des anderen Zeichens Familie, wo das Kind (ICH) als Leibesfrucht in IHR beginnt, dann, geboren, zu DIR (Mutter/Vater) hin lächelt, bis es dank der durchlebten Spannung zwischen Geborgenheit im EINS der Liebe und Gefordertheit von DIR dem bestimmenden Anderen allmählich zum SELBST reift, das sich im Seiltanz des Herzens zwischen den Sinnpolen Urvertrauen, Gehorsam und Selbstgewißheit mehr oder minder vollkommen bewegt. Das zu können ist seelische Gesundheit, sie zu bedeuten ist die Kirche da.

Weil einem Schwulen- oder Lesben-Paar solche klare Dreipoligkeit abgeht, deshalb steht es außerhalb des vollen Heilszeichens, das die christliche Kirche sein soll - da anderseits eine gelingende homosexuelle Beziehung als leuchtendes Ineinander von DU, ICH und WIR durchaus ein gültiges trinitarisches Heilszeichen ist, deshalb kann nicht nur der einzelne Christ sondern auch die Kirche selbst mit Gemeinschaften ohne Homo-Tabu - mögen sie sich Kirchen nennen oder sonstwie - durchaus ökumenisch-geschwisterlichen Umgang pflegen, ohne den mindesten Hauch von Diskriminierung. Biblisch gesprochen: Der Weg vom verlorenen Sohn (der bereuen und bekennen muß, ehe die Familie ihn wieder ans Herz zieht) zum getrennten Bruder (dessen zu meiner widersprüchliche Gewissensentscheidung ich auch öffentlich achte) - dieser Weg sollte nicht mehr, wie bislang - denken wir an die Beziehung von Katholiken zu Luther und den Seinen - Jahrhunderte dauern, sondern in einem Moment geschehen.

Es handelt sich um eine Frage des rechten Rhythmus. Vor einer Entscheidung muß die Kirche um ihres Zeugnisses für das volle Heil willen von einer wesenhaft unfruchtbaren Ehe abraten - wie ja auch vor der Amputation eines vielleicht noch heilbaren Beines. Es leichtfertig abzuhacken, weil Einbeinige doch auch vollwertige Menschen sind, kann nicht im Sinn unseres Schöpfers sein, ist auch nicht im Sinn der Einbeinigen. Träte die Kirche dem Anspruch der Schwulen und Lesben auf volle Gleichwertigkeit nicht entgegen, geriete möglicherweise manch junger Mensch auf eine allzu verengte Lebensbahn. Als Vater von Fünfen bin ich dem kirchlichen Homo-Tabu dankbar bei der Erinnerung an jenen glühenden Sommertag, als bei Rom zwei lachende Seminaristen erhitzt durch einen Weinberg streiften und ich eine unbegreiflich zauberhafte Anziehung spürte, ohne zu wissen, wozu. Die uns beiden eingepflanzte Scheu ließ neugieriges Ausprobieren nicht zu. Die Wissenschaft ist sich nicht einig, mit wieviel Prozent Wahrscheinlichkeit meine Kinder ihre Existenz auch diesem damals wirksamen Tabu verdanken; aus dieser Ungewißheit schöpfe ich meine Überzeugung: Weil die Institution Kirche es zu jeder Zeit auch mit Menschen zu tun hat, die sich existentiell in solch ungeklärter Schwebe befinden, deshalb darf sie es um des vollen Lebens der Vielen willen bei ihrem Veto belassen. Bevor der jüngere Sohn fortging, hatte sein Bruder, der ihn zurückhalten wollte, nicht nur unrecht. Anders, als er danach des Verlorenen Heimkehr nicht mitfeiern wollte. Da stürzte er selbst in eine noch tiefere Verlorenheit.

Wandeln wir Jesu Gleichnis fürs jetzige Thema ab. Nicht als Bettler kommt der Verlorene zurück, sondern in mäßigem Wohlstand, begrüßt Mutter und Vater, und sagt zum Bruder: Schön, Lieber, daß ich dich wiedersehe. Aber in mein altes Zimmer neben deinem ziehe ich nicht mehr ein. Die Regeln, die unter diesem Dach gelten, können nicht meine sein. Der verlorene Sohn bin ich nicht mehr, laßt mich als getrennten Bruder in einiger Entfernung von eurem Hof mein anderes Dasein leben. Zu den Festen laden wir einander ein. Gell, ich g'hör zu uns der Großfamilie, auch wenn ich zu eurer Kleinfamilie in beiderseitigem Einvernehmen nicht gehören kann. Let's agree to disagree. Einverstanden?

Wiese der Ältere dieses Angebot zurück, hätte er dafür nur schlechte Gründe. Ähnlich könnte der Papst am Dienstag gegen die Schwulen wettern und bei der Mittwochs-Audienz einem schwulen Oberbürgermeister mit ungeheuchelter Freundlichkeit die Hand reichen. Da er für dessen Lebensform jetzt keinerlei Verantwortung trägt, gilt nicht mehr das Vorher-Prinzip "Nein!" sondern die Nachher-Regel "deine Sache". Sollten unbekehrte ältere Geschwister den Händedruck als "Aufweichung klarer Werte" anprangern, müßte man ihnen zu bedenken geben: Jesus hat seine Liebesbotschaft gegen jeglichen Ausschluß mit dem Tod besiegelt, Gott selbst bestätigte sie durch die Auferstehung, der Heilige Geist hat sie der Kirche als Lebensprinzip eingestiftet - seither ist Diskriminierung die eigentliche Sünde. Gutgemeinte Vorschriften packen sie nur schwer (der Buchstabe macht es nicht), doch ist die unvergebbare Sünde wider den Heiligen Geist (Mt 12,32) das Allergefährlichste, worein ein Christ sich verstricken kann.

Weil der GEIST nie WORT werden kann (wie Wilhelm Klein uns oft beschwor), deshalb greift der befreiende Funke von oben zwar energisch auf Erden ein, nie so jedoch, daß er als Ding neben Dingen feststellbar oder gegen bloß dingliche Faktoren eindeutig abgrenzbar wäre. Mag die Frage des kirchlichen Umgangs mit Homosexualität sich einigermaßen klären lassen - was folgt daraus für den Umgang mit Homosexuellen? Gewiß wird nicht so bald ein katholischer Bischof mit seinem Lebenspartner vor Kameras treten und Bischof bleiben; was ist aber mit dem Pfarrer irgendwo, dessen beste Freunde in der Gemeinde seine verbotene Beziehung kennen und durch Stillschweigen achten? Darf der Bischof, dem dies zu Ohren kommt, gleichfalls die Augen schließen? Warum soll Schwulen nicht recht sein, was Tausenden ihrer heimlich mit Frauen verbundenen Mitbrüder billig ist? Gänseblümchen sollen weiß sein, auch Rosa ist in Gottes Garten eine Farbe - welches Prinzip gilt? Bereitet sich gar eine Mutation vor, die zu hübschen Gänseblümchen mit rosa Tupfern führt?

Fest steht nur: Die senkrechte Spannung zwischen Ordnung und Geist-gefunkter Ausnahme läßt sich grundsätzlich nicht waagrecht, innerhalb der Regeln irgendeiner Ordnung bewältigen. Wo dies scheinbar doch gelingt, gibt es in der Waagrechten einen - vielleicht nur winzigen - Bruch, der dann bestenfalls zu einem elastischen Zwischengewebe ausheilt. Solcher lebenswichtiger Organe ist die Kirchengeschichte voll.

Ein recht bedenkenswertes ist erst jüngst gewachsen, mag sein dank einer erstaunlichen Koinzidenz. Ein solches "zufälliges" Ineinanderstrahlen getrennter Faktoren zu einer wegweisenden Sinngestalt sollte uns (rät C.G. Jung) immer Anlaß sein, tief über seine Bedeutung nachzudenken. Nicht selten ist der Heilige Geist, die göttliche Koinzidenz in Person (weil das EINS von DU und ICH), bei solchen Begebnissen am Wirken.

Schwester Jeannine Grammick arbeitet seit Jahren als Homosexuellen-Seelsorgerin in den USA. Sie gab ihnen Exerzitien, hielt Vorträge für Eltern von Schwulen und Lesben. Im Juli 1998 saß sie im Flugzeug Rom-München neben einem Herrn, der ihr bekannt vorkam. Im Interview [mit Terry Philpot, THE TABLET 23 April 2005, 8] "Ratzinger und ich", erschienen unmittelbar nach der Papstwahl, erfahren wir: "Sie fragte, ob er Priester sei. Er war es; so erzählte sie ihm, sie sei Mitglied der Schulschwestern von Notre Dame. Er habe eine Tante in dem Orden, sagte er. ‚Ihr Name?' fragte sie. ‚Ratzinger', war seine Antwort.
Bizarrerweise war ausgerechnet der Mann neben ihr ... gerade dabei, eine Untersuchung über Schwester Jeannine und den Dienst Neuer Weg durchzuführen, ein katholisches Projekt für Schwule und Lesben. Kaum ein Jahr später erließ Kardinal Ratzinger ... einen Erlaß mit der Aufforderung, sie und ihr Mitarbeiter P. Robert Nugent sollten alle pastorale Arbeit mit Schwulen und Lesben einstellen; zuvor hatten sie sich geweigert, mit ihrem Dienst die Lehre der Kirche über Homosexualität zu bekräftigen ... Sie denkt nach: ‚Unsere Begegnung hat vielleicht den Ausgang nicht beeinflußt, aber sie beeinflußte meine Art, über den Kardinal zu denken, und sie mag die Art beeinflußt haben, wie er über mich denkt. Sie ließ mich ein menschliches Gesicht erblicken, ich sehe sein Verhalten, seine Art ... Der Unterschied ist zwischen mikro und makro. Wir sind auf derselben Seite in dem großen Bild - wir lieben die Kirche und wollen ihr Bestes. Das kleine Bild macht den Unterschied zwischen uns. Wir können über das kleine Bild nicht reden, ehe wir sehen, was wir im großen Bild gemeinsam haben.' ... Im Jahr 2000, ein Jahr nach dem Erlaß, verlangte ihr Orden, der sie bisher unterstützt hatte, Gehorsam: Sie durfte nie über Homosexualität schreiben oder sprechen, weder privat noch öffentlich je den Vatikan kritisieren, und nie über den Prozeß, der sie zum Schweigen bringen sollte, schreiben oder sprechen. ‚Ich beschloß, bei meiner eigenen Unterdrückung nicht mitzuwirken,' erwiderte sie in einer öffentlichen Erklärung ... Sie ließ sich zu den Loreto-Schwestern versetzen ... Sie hätte ihre Arbeit als Laie fortsetzen können, aber, so sagt sie: ‚Ich hatte immer diese Überzeugung, daß Gott mich im Ordensstand will ... Da bist du öffentlich mit Gott verbunden ... Der Vatikan könnte mich sogar jetzt, bei den Loretos, zum Schweigen bringen ...'"

Daß er es bis zur Papstwahl nicht getan hat: darin sehe ich in seiner apparatlichen Logik den winzigen Spalt und hoffe einen Wink des Heiligen Geistes. Verheilt der Bruch zu elastischem Gewebe? Oder wird der neue Leiter der Glaubenskongregation, bisher Bischof des Schwulenzentrums San Francisco, die Verfolgung dieser großartigen Ordensfrau weiterbetreiben? Sie selbst wehrt sich gegen jede Andeutung von Heiligkeit; die geschichtlichen Parallelen sind allerdings deutlich genug.

Juni 2006


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