Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken
ID QUOD UND ID QUO
Der theologische Grundansatz des Gilbert Porreta und seine Bedeutung für die Entwicklung der Theologie
Das Schicksal Gilberts und seines Werkes ist einerseits bezeichnend für die Zeit, in der er lebte, muß aber dennoch auch innerhalb der Frühscholastik ein außerordentliches genannt werden. So reich das zwölfte Jahrhundert an bedeutenden Theologen war, so wenig unmittelbaren Einfluß hatte ihr spekulatives Werk auf spätere Zeiten: die großen Synthesen der Hochscholastik nahmen fast alles Interesse der Nachfahren für sich in Beschlag. Die einzige Ausnahme, der Lombarde, bestätigt die Regel; denn nicht, was der Magister einstmals gelehrt hatte, sondern was seine großen Kommentatoren anläßlich seiner Lehre vortrugen, ließ noch Jahrhunderte zu den "Sentenzen" greifen.So sehr aber das allmähliche Versinken der Frühscholastik im allgemeinen verständlich ist, so einzigartig erscheint der jähe Absturz eines Mannes wie Gilbert. Führen wir uns kurz sein Leben vor Augen (1).
Geboren gegen 1060, kam er zum Studium nach Chartres, wo er den berühmten Magister Bernhard hörte. "Die Schule von Chartres hatte unter den bekannten Studienzentren Frankreichs ihr eigenes, unverkennbares Gepräge. Wohl in keiner anderen Schule des 12.Jahrhunderts wehte ein so universaler Geist wie in Chartres. Das Studium der heidnischen antiken Autoren, vor allem Platons, erfuhr hier eine liebevolle Pflege.(2) Der Weg der weiteren Ausbildung führte Gilbert zu dem sicher nicht weniger als Bernhard von Chartres berühmten Brüderpaar Anselm und Radulf von Laon. Eine Fülle von Zeugnissen, die von einer außergewöhnlichen Hochschätzung künden, sind uns aus zeitgenössischer Feder über die beiden Brüder überliefert. Die allgemein anerkannte Stärke der Schule von Laon lag in ihrer eingehenden Beschäftigung mit der Exegese der Glaubensquellen, besonders der hl.Schrift"(3).
1124 treffen wir Gilbert als Kanoniker in Chartres, wo er als angesehener Professor wirkte und auch mehrmals Kanzler der Universität war. Nach kurzer Vorlesungstätigkeit zu Paris wurde er dann 1142 Bischof von Poitiers, Wie sein großer Vorgänger, der hl.Hilarius, "hatte sich auch Gilbert mit der Leidenschaft des spekulativ hoch begabten Theologen dem tiefsten Geheimnis des Glaubens, der Trinität, zugewandt. Seine Spekulationen über das Trinitäts- und Inkarnationsmysterium legte Gilbert in seinen Kommentaren zu den "Opuscula Sacra" des Boethius nieder. Auch als Bischof griff Gilbert sein Lieblingsthema wiederholt in Predigten auf; bei etlichen seiner Zuhörer erregte er damit nivht nur Verwunderung, sondern sogar den Verdacht der Häresie."(4) Zwei seiner Archidiakone begaben sich, ihn beim Papst anzuklagen, nach Italien und gewannen auch den einflußreichen Abt Bernhard von Clairvaux für ihre Sache. Eugen III. wies beide Parteien an, sich zum Osterfest."47 in Paris, wohin er ohnehin kommen wollte, bei ihm einzufinden. Dort wurde Gilbert dann mehrere Tage lang verhört; doch "die Verhandlungen zeigten trotz ihrer Dauer kein klares Ergebnis. Als Gilbert aufgefordert wurde, seinen Kommentar zu dem Boethiustraktat 'de Trinitate' herbeizubringen, erklärte er, das Buch habe er hier zu Paris nicht zur Hand. Gilberts Ankläger gaben sich aber mit dieser Versicherung nicht zufrieden; sie versuchten, ein Exemplar des Kommentars unter Gilberts Studenten aufzutreiben"(5). Doch fand man nur einige Auszüge des Werkes, die keine Verurteilung ermöglichten. Die Zeugenaussagen über seine Lehre widersprachen einander. Deshalb "verzichtete der Papst darauf, eine Entscheidung zu erzwingen. Stattdessen gab Eugen III. die Weisung, daß Gilbert ihm den Trinitätskommentar zu einer sorgfältigen Prüfung zustellen sollte. Auf dem nächsten Konzil zu Reims werde dann über die Sache weiter verhandelt werden"(6).
Dieser neue Prozeß begann kurz nach dem Passionssonntag."48. Aus Rücksieht auf des Bischofs Ehre löste der Papst das eigentliche Konzil auf, ehe man die Sätze Gilberts besprach; das minderte jedoch in keiner Weise die Bedeutsamkeit dieser Verhandlungen: "Der 'Fall Gilbert' muß in der damaligen wissenschaftlichen Welt ein ungeheures Aufsehen erregt haben. Alles, was Rang und Namen hatte, war nach Reims geeilt. Gewiß, der nichtfranzösische Episkopat kehrte zum großen Teil nach dem offiziellen Abschluß des Konzils in seine Sprengel zurück; aber außer dem Papst und dem Kardinalskollegium wohnten doch fast alle bedeutenden Persönlichkeiten des damaligen Frankreichs dem Prozeß bei"(7).
Den Verlauf der Verhandlungen kurz zu schildern ist bei der verwickelten Quellenlage unmöglich(8). Es kam jedenfalls zu schweren Zusammenstößen; selbst ein Schisma zwischen den Kardinälen (die zu Gilbert hielten) und der gallikanischen Kirche lag in der Luft. Endlich gelang aber doch eine Einigung: "Der Entscheid Eugens III. wies die gilbertschen Spekulationen in die Schranken der Rechtgläubigkeit. Gilbert selber stimmte dem Entscheid des Papstes zu; ob er jedoch selber diesen Entscheid als seiner Lehre zuwiderlaufend beurteilte, bleibt zweifelhaft. Jedenfalls hielt er es nicht für nötig, eine Änderung in seinen schriftlichen Darstellungen über die Trinität vorzunehmen (9). Gilbert entging einer Verurteilung durch die Kirche, kehrte erhobenen Hauptes, wenn auch nicht als Sieger auf der ganzen Linie, in seine Diözese zurück und söhnte sich mit seinen beiden Archidiakonen wieder aus"(10). Sechs Jahre darauf ist er gestorben.
"Die Beurteilung Gilberts durch seine Zeitgenossen geht wie bei nur wenigen mittelalterlichen Theologen außerordentlich weit auseinander. Nur in einem Punkt treffen sich die widersprüchlichen Meinungen über den Bischof von Poitiers: Er war ein Mann von einer außergewöhnlichen Gelehrsamkeit. Aber in der Bewertung dieser Gelehrsamkeit setzen schon die Widersprüche ein. Für seine Gegner war der Bischof der Rationalist, der die allem Menschenvorwwitz unzugänglichen Tiefen der Gottheit durchleuchten wollte ... Die Freunde und Schüler Gilberts haben den Bischof von Poitiers als einen "zweiten Boethius" gefeiert; nach ihrer Meinung überragte der Bischof alle Zeitgenossen in allen Wissenschaften und verdiente einen klangvolleren Namen als selbst Plato. Für seine Bewunderer war Gilbert das gleichrangige Du der Weisheit und aus ihm schien sogar gleichsam 'die Quelle der Philosophie' zu fließen" (11). Solchen Übertreibungen werden wir uns heute nicht mehr anschließen; immerhin nennt N.Häring, der das 12. Jahrhundert gut kennt, Gilbert dessen tiefsten Denker.(12)
Und dieser Mann war bereits bloße hundert Jahre später so sehr versunken, daß Thomas von Aquin, der doch unermeßlich viel las, offenbar nie ein Werk Gilberts studiert hat (13) - und bei dieser Verschollenheit blieb es. Erst die heutige wissenschaftliche Durchforschung der Frühscholastik brachte mit vielen anderen Gestalten zusammen auch Gilbert wiederum zur genaueren Kenntnis der Fachleute. Mittlerweile sind, wie der Verlauf seines Lebens, so auch die Grundlinien seines Denkens eindringend und ausführlich dargestellt worden (14) und jedermann zugänglich, der die Arbeit des Begriffs nicht scheut.
Was seine Biographie erwarten läßt, bestätigt dann dem, der sich auf es einläßt, sein Werk: Gilbert Porreta ist kein "Frühscholastiker" unter anderen. Sein hauptinteresse gilt nicht der Versöhnung von Autoritäten untereinander von Fall zu Fall; kennt er gleich die Tradition besser als irgendeiner sonst (15), so ist er doch überzeugt, daß die Theologie, um gleichzeitig wissenschaftlich und dem Zugriff einer alles auflösenden Dialektik entzogen zu sein, unbedingt einer eigenen Methode mit einsichtigen und festen Regeln bedarf. "Er war der Auffassung, daß der Übergang von den'Artes liberales' zum Studium der Theologie eine organische Weiterführung darstellen muß, in der die Regeln und Gesetze der Grammatik, Logik und Philosophie nicht an den Nagel gehängt, sondern streng festgehalten werden. Allerdings bestand er darauf, daß ihre Übertragung auf das theologische Gebiet so stattfinden muß, daß man dem Gegenstand der Theologie gerecht bleibt. Die Anwendung vor allem der sprachlogischen Prinzipien muß, wie er sich meist ausdrückt, 'proportioniert', mit anderen Worten: analog sein"(16).
Betrachten wir nun das System Gilberts im einzelnen.
"Nach Priscianus, dem damals führenden lateinischen Grammatiker, drückt jedes nomen, (d.h. sowohl Ding- wie Eigenschaftswort) ein Zweifaches aus: die Wortsubstanz und die Wortsqualität. In der Logik oder Dialektik wurde diese Regel begrifflich weiter erläutert und vertieft und dann in der Philosophie in die neuplatonische Formenlehre eingebaut, in die sie sich vorzüglich einzufügen schien. In der Wortsubstanz sah man die durch das Wort ausgedrückte konkrete, d.h. aus Materie und Form zusammengesetzte Wesenheit und in der Wortsqualität die Form oder Formalursache, die diese konkrete Wirklichkeit näher bestimmt"(17).
Das klingt uns zunächst fremd. Wollen wir Gilberts Denken erfassen, so is es unumgänglich, daß wir erst einmal mit dem geistigen Raum vertraut werden, der ihn als eine Selbstverständlichkeit umgab, der aber nicht der unsere ist Das ist keine einfache Aufgabe, wie schon allein die Tatsache bezeugt, daß die Fachleute sich lange Zeit nicht einig werden konnten, als was denn nun, bezüglich des Universalienproblems, Gilberts Lehre eigentlich anzusprechen sei. Ist sie übertriebener Realismus (Clerval) oder Nominalismua (Dempf) oder gemäßigter Realismus (wie die Mehrzahl der heutigen Forscher annimmt)? (18) So wichtig diese Frage ist, so wenig dürfen wir uns darauf verlassen, daß ohne weiteres mit diesen Systemnamen auch sogleich die geistige Wirklichkeit, die sie meinen, klar vor uns und in uns zu leben beginnt. Wir wollen uns darum, ehe wir uns Gilberts Theologie zuwenden, einen gewissen Umweg nicht verdrießen lassen.
Gilbert schrieb einmal an Bernhard von Chartres: "Was ich bin, verdanke ich nach Gott Dir" (19). Derselbe Bernhard wird von Johannes von Salesbury (20) als "perfectissimus inter Platonicos saeculi nostri" bezeichnet und uns als ein Mann geschildert, welcher, wie auch seine Anhänger, Plato und Aristoteles miteinander zu versöhnen sich mühte (21). Der Platonismus der Schule von Chartres war also das geistige Klima, in dem Gilberts philosophische Grundansichten erwuchsen. Gilbert selbst hat sie in seinen uns überkommenen Schriften nie thematisch entfaltet; wohl finden sich in seine theologischen Traktate immer wieder Ausführungen über das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen eingestreut: dem Zweck dieser Schriften entsprechend steht die rein sprachlogische Fragestellung (aus welchen Gründen muß der Theologe hier gerade so und nicht anders sprechen?) derart im Vordergrund, daß ein bloßes Blicken auf diese Texte, welches nicht ausdrücklich auf den ontologischen Grund aller Logik achtete, in Gefahr geriete, jene Wirklichkeit, von der allein die alles beherrschende Unterscheidung von id quod und id quo sich ursprünglich herleitet, nicht als solche zu erkennen.
Betrachten wir deshalb die Zusammenfassung, welche in überlegter Kürze Johannes von Salesbury von der Lehre seines Meisters gibt:
"Universalitatem formis attribuit et in earum conformitate laborat. Est autem forma nativa originalis exemplum, et quae non in mente Dei consistit, sed rebus creatis inhaeret. Haec Graeco eloquio dicitur eidos, habens se ad ideam ut exemplum ad exemplar; sensibilis quidem in re sensibili, sed mente concipitur insensibilis; singularis quoque in singulis, sed in omnibus universalis"(22).
Versuchen wir den Satz wörtlich (und entsprechend eckig) zu übersetzen: "Er schreibt die Allgemeinheit den Naturformen (23) zu und müht sich an ihrer Gemeinförmigkeit. Es ist aber die Naturform des Urbildes Abbild und besteht nicht im Geiste Gottes, sondern durchzieht die geschaffenen Dinge; auf griechiech heißt sie eidos und verhält sich zur Idee wie das Abbild zum Vorbild: sie ist sinnlich im Sinnending, wird aber vom Verstand als unsinnlich erfaßt; sie ist einzeln in den Einzelnen und in allen allgemein."
Hier wird also eine viergliedrige "Kette" des Seins beschrieben. Zuoberst steht Gott selbst. Sodann kommen, in Seinem Geist, die Ideen als Ur- und Vorbilder. Ihre Nachbilder sind die Naturformen in den Dingen; diese selbst stellen die letzte Stufe dar. Das Vorstellungsmodell für dieses Verständnis ist offenbar das menschliche Schaffen (24). Versuchen wir, wenn nun im Folgenden, um des Johannes Zeugnis zu erhärten, einige Texte Gilberts selbst gebracht werden, diese Denkweise in uns lebendig zu halten: nur dann werden wir hinter den geschliffenen Formeln den lebendigen Geist spüren. In der Auswahl der Zeugnisse ist Vollständigkeit weder der Darstellung dem Systems noch der Belege angestrebt (vgl. Anm.18); nicht um die Einzelheiten von Gilberts Philosophie geht es uns hier ja, sondern um ihre Anwendung in seiner Theologie: dazu aber bedarf es freilich eines gründlichen Verständnisses des Unterschieds von id quod und id quo.
Die Grundaussage steht bei Boethius. Der Kern desjenigen Werkleins, das im Mittelalter "de hebdomadibus" hieß, sind die folgenden lapidaren Regeln, die einen ungeheuren Einfluß auf die Scholastik hatten:
Diversum est esse et id quod est; ipsum enim esse nondum est; at vero quod est, accepta essendi forma, est atque consistit.
Quod est, participare aliquo potest; sed ipsum esse, nullo modo aliquo participat; fit enim participatio, cum aliquid iam est; est autem aliquid, cum esse susceperit. Id quod est habere aliquid praeterquam quod ipsum est potest; ipsum vero esse nihil aliud praeter se habet admixtum.
Diversum est, tantum esse aliquid, et esse aliquid in eo quod est: illic enim accidens, hic substantia significatur.
Omne quod est participat eo quod est esse, ut sit; alio vero participat, ut aliquid sit: ac per hoc, id quod est, participat eo quod est esse, ut sit; est vero, ut participet alio quolibet.
Omne simplex, esse suum, et id quod est, unum habet.
Omni composito aliud est esse, aliud ipsum est. (1311 BC)
"Verschieden ist das Sein und das was ist." Was bedeutet dieser Satz bei Boethius? (25) Für Thomas meint er damit den realen Unterschied von Esse und Essenz im Geschöpf. Heinrich von Gent erwidert darauf trocken: "Ad auctoritates Boethii nihil est dicendum nisi quod exponantur ..." Olivi schreibt: "dicendum quod Boethius per esse intelligit formam substantialem, per quod est vero intelligit materiam." Auch die modernen Boethius-Forscher sind sich nicht ganz einig: "Vom Dasein ist an all diesen Orten keine Rede. Boethius vernachlässigt die Existenz" (Brosch 1931). V.Schurr (1935) kommt, was andere Aussagen betrifft, zu einem abgewogeneren Ergebnis; was den fraglichen Text angeht, so handle es sich hier mindestens unmittelbar nicht um den Unterschied, den Thomas dort zu finden glsubte. Mir scheint, der Text des Boethius sei auf ganz verschiedene Verständnisse hin offen; darum haben alle Ausleger, welche von einer späteren und anders gearteten Fragestellung aus in Betreff seines Litteralsinnes eine kategorische Antwort geben, in etwa eine anachronistische Exegese betrieben. Für jetzt wollen wir sehen, wie Gilbert den Satz verstand. Seine Exegese dieser Stelle selbst (1318 A-C) ist zu verwickelt und synthetisch, als daß wir mit ihr beginnen könnten.
"Naturalium omnium (ideoque omnium personarum, quae ex naturis aliquid sunt) secundum philosophos naturae sunt esse. Omne vero esse, eo quod est, naturaliter prius est." (I,1,1,258;1359A)
Allen Dingen, darum auch allen Personen, die aus ihren Naturen etwas sind, sind gemäß den Philosophen die Naturen das Sein. Jedes Sein ist aber von Natur aus früher als das, was ist. Mit diesem Satz dürften wir den Quellpunkt des Systems gefunden haben. Früher als das einzelne Ding, id quod est, ist sein Sein, seine Natur, die konkret in ihm verwirklichte Idee, "aus" welcher es ist, ohne deren Ursächlichkeit (formaler, aber darum nicht minder realer Art) es nicht sein könnte. Dies ist also die erste Bedeutung des Wortes "Sein" bei Gilbert: die im Seienden verwirklichte, ihm aber ontologisch vorgeordnete Natur.
"Verbi gratia: corpus est aliquid i.e. est corpus et coloratum et lineatum. Sed quo sit corpus, quo coloratum, quo lineatum, dividendum est. Et est quidem corporalitate corpus, colore coloratum, linea lineatum. Sed ad.h.uc dividendum est, quibus haec rationum locis contineantur. Et dicimus quod non corporalitas colorem aut lineam sed color et linea corporalitatem sequuntur. Non enim haec corporalitatis, sed horum corporalitas causa est. Qua ratione illa corporis est esse, haec vero in eodem corpore illi adsunt. Ideo primum illa, deinde quod eâ corpus est, vera ratione est horum substantia: haec vero primum corporalitatis et per eam corporis accidentia. His enim vere substat et corporalitas, cui adsunt, et corpus, cui insunt." (T I 6 11,67;283B) Die Körperlichkeit ist das Sein des Körpers, die Akzidentien sind in demselben Körper bei ihr. Ein doppeltes id quo gibt es also: das substantielle, welches das Sein gibt, und das akzidentelle. Beide stehen "beieinander" gewissermaßen dem id quod gegenüber, welches durch das Sein ist und durch das Akzidens so oder so beschaffen ist.
"OMNE QUOD EST, scilicet omne subsistens, PARTICIPAT EO QUOD EST eius ESSE, non quidem ut eo sit aliquid, sed ad hoc tantum, UT eo SIT. Cum eodem vero idem subsistens quodam ALIO PARTICIPAT UT EO SIT ALIQUID. Sed illa participatio, qua eo quod est esse participat, naturâ prior est, altera vero posterior." (H 11,192;1320B)
Alles, was ist, hat Teil an dem, was sein Sein ist: nicht damit es dadurch etwas sei, sondern nur darum, daß es dadurch sei. Mit ihm zusammen aber hat dasselbe Seiende auch an einem anderen teil, um dadurch etwas zu sein. Jene Teilhabe jedoch, durch die es an dem, was das Sein ist, teilhat, ist von Natur früher, die andere aber später (26). Zuerst muß etwas also durch sein Sein sein, dann kann es auch durch verschieddne Akzidenzien etwas sein. "Teilhabe" aber wird das Verhältnis zu beiden "Naturen" genannt, zur substantiellen wie zur akzidentellen; sind doch beide Abbilder göttlicher Ideen und somit dem einzelnen Seienden vorgeordnet. Auch die "Weiße" als solche hat Gott zuerst erdacht, "bevor" Er sie - freilich als Akzidens und insofern nachträglich - zum bestehenden Ding hinzu ihm einfügte.
Nun erhebt sich aber eine Schwierigkeit und wir begegnen zum ersten Mal der Größe Gilberts. Boethius hatte geschrieben:
"Trium namque rerum vel quotlibet tum genere tum specie tum numero diversitas constat: quoties enim idem dicitur, toties diversum etiam praedicatur. Idem vero dicitur tribus modis: aut genere - ut idem homo quod equus, quia his idem genus, ut animal - vel specie - ut idem Cato quod Cicero, quia eadem species ut homo - vel numero, ut Tullius et Cicero, quia unus est numero. Quare diversum etiam vel genere vel specie vel numero dicitur; sed numero differentiam accidentium varietas facit: nam tres homines neque genere neque specie sed suis accidentibus distant." (1249 CD)
Die Behauptung, die numerische Verschiedenheit rühre von der Verschiedenheit der Akzidentien her, hatte ihren guten Sinn in der heidnischen Philosophie, die ja bekanntlich von Schöpfung nichts wußte: Soweit der Verstand zwischen den Dingen noch Unterschiede verstehen kann, sind sie, sei es verschiedener Ideen Abbilder und also in gewissem Sinn verschiedene Wirklichkeiten (Platonismus), sei es verschiedener Formen Wirklichkeit und somit verschiedene Seiende (Aristotelismus). Darum ist der letzte Unterschied, welcher den Denkenden angeht, der Art-Unterschied: die einzelnen Exemplare einer Art aber, die durch und durch gleich zu verstehen sind - drei Katzen etwa - sind, als Einzelne, philosophisch unerheblich und unterscheiden sich nur mehr durch ihre Akzidentien, letztlich also (denn auch diese können gleich wenigstens vorgestellt werden) nur mehr durch ein einziges unter ihnen, den Ort. In diesem Sinne fährt jedenfalls Boethius fort:
"Nam si vel animo cuncta ab his accidentia separemus, tamen locus cunctis diversus est, quem unum fingere nullo modo possumus: duo enim corpora unum locum non obtinebunt, qui est accidens. Atque ideo sunt numero plures, quoniam accidentibus plures fiunt." (1249D)
An dieser Lehre des Boethius entzündete sich innerhalb der Schule von Chartres zwischen Gilbert und seinen Gegnern eine harte philosophische Kontroverse. Thierry, Bernhards jüngerer Bruder - er war auf dem Reimser Konzil ebenfalls dabei (27) - schreibt in seinem Boethius-Kommentar "Librum hunc" mit deutlicher Spitze gegen Gilbert:
"Accidentibus personas mutabilium differre contingit. Quoniam enim humanitatis personae accidentibus distant, plures homines esse concedimus, licet una natura, una et eadem humanitas sit in omnibus. Nemo ergo Platonem cum Socrate unum esse concludat hominem, licet Socratis et Platonis unam eandemque concesserimus humanitatem. Immo taceat in sua sopitus inscitia, qui ex diversitate accidentium, non naturae, hominum provenire pluralitatem ignorat" (28).
Sehr klar formuliert Thierry denselben Grundsatz in einem späteren Werk:
"Aliud principium est, quod ex accidentibus, non in accidentibus, sit numerus in substantiis" (29).
Die nämliche Lehre verficht gegen Gilbert, und in nicht minder starken Tönen, auch Thierrys Schüler Clarenbaldus von Arras:
"Socrates, Plato et Cicero eadem humanitate sunt homines et tamen, cum Socrates sit homo et Plato sit homo et Cicero sit homo, procul dubio tres sunt homines. Nec mirum, quia, licet eadem humanitate sint homines, propter accidentium tamen varietatem subintrat inter eos hominum pluralitas ... Quoniam famosi doctores quidam singulos homines singularibus humanitatibus homines esse disseminaverunt, operae pretium duximus ostendere unam et eandem humanitatem esse, qua singuli homines sunt homines. Quod hoc modo liquebit: Omnis species specialissima suorum omnium individuorum totum esse substantiale est ... Respondemus: a saeculo non esse auditum, quod individua alicui rei esse substantiale conferant... Nulla igitur singularis humanitas Socrati, Platoni vel Ciceroni hominis esse confert" (30).
Hiergegen nun wehrt Gilbert sich. "Den Gedanken des Boethius, daß die Individuation auf Akzidentien beruht, hat Gilbert tatsächlich in einer Weise interpretiert, die einer Ablehnung gleichkommt" (31). Folgendermaßen "erläutert" er den Gedanken seines Autors:
"Non enim similiter esset homo Cato sicut Cicero nisi subsistentiae quibus uterque aliquid est, essent etiam numero diversae. Earumque numeralis diversitas eos numero facit esse diversos.
Hanc autem in naturalibus naturalem - non modo subsistentium verum etiam subsistentiarum - diversitatem, eorum quae adsunt subsistentiis illis in eisdem subsistentibus accidentium dissimilitudo non quidem facit, sed probat. Et tamen, quia numeralis diversitatis accidentium aliquorum dissimilitudo semper est comes, hoc iunctissimae proprietatis consortio pro eo quod debuit dicere 'probat' dicit 'facit', cum seeutus adiungit: SED eam, quae est IN NUMERO, DIFFERENTIAM dissimilium ACCIDENTIUM VARIETAS FACIT." (T I 1 10f,44;1264AB)
Das will sagen: Damit Cato wie Cicero wirklich jeder für sich ein Mensch sein kann, muß beider Sein, wodurch sie sind (subsistentiae) ebenfalls voneinander numerisch verschieden sein. Nur die Verschiedenheit des Seins (earumque) kann die Seienden (eos) voneinander wirklich verschieden sein lassen. Diese numerische Verschiedenheit des Seins, nicht bloß der (unwesentlichen) Seienden, kann natürlich von der Verschiedenheit der Akzidentien nicht bewirkt, sondern nur aufgezeigt werden. Wahrnehmbar wird die numerische (bei Menschen: persönliche) Verschiedenheit freilich allein durch die Akzidentien; denn diese Verschiedenheit als solche besteht ja nicht mehr in irgendeiner verständlich erfaßbaren "Unähnlichkeit", sondern ist eine unauflösbare Urtatsache (32).
"Quamvis enim corpus et spiritus diversi generis sint, in hoc tamen sunt eiusdem rationis, quod utraque his, quae praedicantur, supposita sunt. Ipsa vero impossibile est praedicari. Numquam enim id, quod est, praedicatur; sed esse et quod illi adest, praedicabile est: et sine tropo non nisi de eo quod est. (I 4 12,300;1381A)
Damit ist eine strenge Sprachregel aufgestellt; daß Gilbert von ihr auch in der Theologie nicht abgehen wollte, hat ihm seine Prozesse eingetragen. Auch ihr Ursprung liegt in der antiken Philosophie; Boethius drückt sie (33) folgendermaßen aus: "Omne individuum, quoniam particulare est, de subiecto non praedicatur." Innerhalb des Systems des Boethius, wo das Einzelne, wie wir sahen, in keiner Weise mehr substantiell verständlich ist, wo vielmehr die spezielle Form (z.B. humanitas) nur mehr durch verschiedene Akzidentiengruppierungen zum Individuum vereinzelt wird: dort hat die Lehre, ein Einzelnes werde nie ausgesagt, einen einleuchtenden Sinn: jede Aussage, die ich über etwas mache, will ja irgendwie mein Verständnis des Gegenstandes dieser Aussage erweitern: das Einzelne als solches aber ist nicht mehr verständlich, kann nur mehr erfahren und einfach als Tatsache angenommen, wenn auch freilich durch seine Akzidentiengruppierung hinreichend umschrieben werden. Jedes der ausgesagten Akzidentien (rothaarig, lang usw) ist seinerseits wieder an sich allgemein und kann vielen zukommen, sodaß das Einzelne als solches zwar im Satzgegenstand angezielt wird, in keiner Aussage aber enthalten ist. Individuum non praedicatur.
Da nun diese ursprüngliche Begründung der Sprachregel in Gilberts System fortfällt - er verteidigt ja bewußt die subsistentia singularis als quo est und d.h. Prädikat! (34) - was bedeutet sie dann bei ihm ? Kann ein solcher Mann sich bis zur Anklage auf Häresie für eine bloß mehr grammatikalische, rein pragmatische "Sprachgebrauchsanweisung" einsetzen, welcher er selbst allen metaphysischen Boden, den sie im Rahmen eines früheren Systems gehabt hatte, eben dadurch entzog, daß er dieses entscheidend vertiefte ? Das ist nicht anzunehmen. Weil sich alle diese Umschichtungen, Gilbert selbst - er hielt sich für einen treuen Kommentator des Boethius (35) - höchstwahrscheinlich unbewußt, in der Tiefe dessen, was er eigentlich meinte, vollzogen und in seinen Schriften keinen thematischen Ausdruck gefunden haben, darum können wir den Sinn seiner Methode nur aus ihrer Anwendung erkennen.(36) Was bedeutet der Unterschied zwischen id quod und id quo in der Theologie ?
Seine Gesamtauffassung über das Trinitätsgeheimnis hat Gilbert einmal in einen einzigen Satz geballt; er soll uns zum Ausgangspunkt dienen:
"Non enim Pater et Filius et Spiritus sanctus sunt homo-hypostaseon sed homo-usion: videlicet non unius subsistentis vel essentis sed unius subsistentiae vel essentiae. Quod autem dico 'non unius subsistentis vel essentis' non ideo dico quod velim intelligi illos tres unum subsistentem vel essentem non esse (nam vere sunt unus subsistens vel essens una, qua sunt, usia) sed quod numquam de aliquo illorum ea, quae de alio, praedicatur personalis proprietas." (T I 4 9,64;1280C)
Dieser Satz hat vier Teile. Eines wird eigentlich behauptet, ein anderes ausgeschlossen, ein drittes ausdrücklich eingeräumt und ein viertes nebenbei bemerkt.
1) Dreifaches quod, einfaches quo. "Pater et Filius et Spiritus sanctus sunt unius subsistentiae vel essentiae." Drei Personen sind in, gemäß einer einzigen Natur. Spricht Gilbert über die Dreifaltigkeit, so ist dies sein eigentliches Anliegen.
"... trium praedictorum i.e. Patris et Filii et Spiritus sancti una singularem ac simplicem essentiam, qua unusquisque illorum est id, quod est, theologicis rationibus demonstraturus ..." (T I 1 13,45;1265A)
"In theologicis vero certum est quod et Pater alius est a Filio et a Spiritu sancto et Filius a Patre alius et a Spiritu sancto et Spiritus sanctus a Patre et a Filio alius: et quod unusquisque horum trium est illa singulari et simplici et individua et sola usia i.e. essentia hoc quod est." (T I 10 20,82;1295BC)
Das Vorstellungsmodell für diese Auffassung ist zweifellos die Mehrheit verschiedener menschlicher Personen in einer (freilich nur speziellen und nicht, wie bei Gott, singulären) Wesenheit. (40)
2) Einfaches quod, einfaches quo. "Vere sunt unus subsistens vel essens una, qua sunt, usia." Das dreifache id quod beim Denken der Dreieinigkeit schließt also keineswegs aus, daß in anderer Sicht auch der eine Gott id quod oder besser is qui ist: das göttliche Wesen ist in sich subsistent. Sprechen wir von Gott, ohne auf die Personverschiedenheiten einzugehen, so bleibt zwar der Unterschied von quod und quo als uns notwendige Redeweise bestehen, wird aber, als in Gott selbst gelegen, von Gilbert ausdrücklich geleugnet:
"Unde etiam usus loquendi est, ut de Deo dicatur non modo 'Deus est' verum etiam 'Deus est ipsa essentia'. Recte utique. Si enim de aliquo, qui non modo sapiens sed etiam coloratus et magnus et multa huiusmodi est, ex sapientiae prae ceteris abundantia dicitur: 'tu quantus quantus es, totus sapientia es' (tamquam nihil aliud sit quod sibi esse conferat nisi sola sapientia) multo proprius Deus, cui diversa non conferunt, ut sit, dicitur ipsa essentia: et aliis nominibus idem ut 'Deus est ipsa divinitas sua, ipsa sua sapientia, ipsa sua fortitudo' et hiusmodi alia."(T I 3 5,51;1270A)
Allerdings heißt,"multo proprius" noch nicht "proprie"; doch wird dieser Unterschied nur im Interesse eines klaren Srrechens gemacht, nicht um im einen Gott irgend einen realen Unterschied zwischen quod und quo einzuführen Besonders deutlich ist ein Satz aus einem Schriftkommentar: "Dicendum ergo quod Deus Pater est sapiens ea quae ipse est sua sapientia."(41) Korrektes theologisches Sprechen wird daran festhalten, daß der Vater durch Seine Weisheit weise ist (ea), gleichzeitig aber betonen, daß diese Weisheit Ihm nicht, wie uns, als etwas Reicheres, Verschiedenes und nur Teilgehabtes vorgeordnet ist, sondern daß Er sie ganz und gar selber Ist (quae).
Aus all dem erhellt, daß der erste Vorwurf, welcher Gilbert beim Reimser Konzil gemacht wurde, so, wie er in der Anklageschrift des Bernhardkreises formuliert war, durchaus an seiner wahren Auffassung vorbeizielte. Wir lesen da (42):
"Assertiones Gilberti Porretani Pictaviensis Episcopi:
1) Quod Divina natura, quae Divinitas dicitur, Deus non sit, sed forma qua Deus est, quemadmodum humanitas homo non est, sed forma qua est homo."
Wir haben gesehen, wie haltlos diese Anklage ist. Denn gerade der Grund, der die spezifische Menschheit vom Einzelnen verschieden sein läßt, ihr ihn überbordender Wirklichkeitsreichtum: dieser Grund fällt beim Verhältnis Gottes zur Gottheit fort. Gilbert selbst unterscheidet zwischen der Identität von quod und quo bei Gott und ihrer Unterschiedenheit beim Menschen:
"Ipse enim solus, quicquid est - iuxta huiusmodi nominum diversitatem ex unius muneris eius (quod est Spiritus sanctus) usu diverso nostrorum - vere est in eo quod est et ipsum quod est. Quicumque vero diverso praedicti muneris usu vel potens vel sapiens vel huiusmodi emt, est quidem hoc qualitercumque in eo quod est, sed nullo modo est ipsum quod est. Pluribus enim est et pluribus aliquid est. Ipse vero eodem, quo est, aliquid est. Et est vere in eo quod est et est vere id quod est." (H 12,193;1320D)
Was Gott ist, ist also sowohl in dem, der ist (die Gottheit, als Form gefaßt, in Gott) als auch eben jenes, welches ist (Gott selbst, in dem diese Form ist). Diese beiden sind völlig umfangsgleich. Genau umgekehrt ist es bei uns Menschen: da ist Macht und Weisheit (und, können wir hinzufügen, auch die substanzielle Menschheit selbst als spezielle Form - wie die Gegner sie ja verstanden) auf die verschiedensten Weisen zwar in jenem, welches ist (als id quo im id quod), nicht aber selber jenes, welches ist (sondern ihm als Teilgehabtes vorgeordnet). Obwohl die solcherart ausgesagte Umfangsgleichheit von quod und quo in Gott allerdings keine restlose begriffliche Identifizierung bedeuten kann (dem steht das Menschwerdungsgleichnis entgegen; denn Gott wird Mensch, nicht aber die Gottheit zur Menschheit): den Unterschied, den man Gilbert vorwarf, hatte er nie gelehrt.
Deshalb war er durchaus im Recht, wenn er sich von der einzigen Lehrentscheidung, welche nach der heutigen Forschung zu Reims erlassen worden ist (43), gar nicht betroffen fühlte. Otto von Freising berichtet:
"De primo tantum Romanus Pontifex diffinivit, ne aliqua ratio in theologia inter naturam et personam divideret, neve Deus divina essentia diceretur ex sensu ablativi tantum, sed etiam nominativi." (MGSS XX,384)
Was den ersten Teil dieses Entscheids anlangt, so konnte der Papst offenbar nur einen krassen Unterschied von der Art, wie Gilberts Gegner ihn ihm zum Vorwurf machten, ausschließen wollen: jegliche Unterscheidung konnte er nicht wohl leugnen; denn beide Grunddogmen der Kirche basieren auf einer Entgegensetzung von Natur und Person. Bezüglich des zweiten Teiles haben wir bei Gilbert selber gelesen, wie er Gott nicht nur durch sein Wesen, sondern auch dieses selbst sein läßt.
3) Einfaches quod, dreifaches quo. "Pater et Filius et Spiritus sanctus non sunt unius subsistentis vel essentis." Was Gilbert mit diesem Genetiv meint, erklärt er selber im Satz zuvor:
"NON VERO est IPSE, scilicet non est his subjecta nominibus hypostasis una i.e. subsistens unus et solus una et solitaria proprietate, qui et Pater et Filius et Spiritus sanctus sit diversa ratione."(T I 4 9,64;1280C)
Er wendet sich also gegen jenes Dreifaltigkeitsverständnis, welches verschiedene Seinsweisen einer einzigen Substanz als Analogie heranzieht. Er nennt solche Lehren, weil sie ihm der Wahrheit der drei Personen nicht gerecht zu werden scheinen, glattweg "Sabellianismus" und verschont dabei auch die ehrwürdigste abendländische Spekulation, die augustinische psychologische Analogie, durchaus nicht - wenngleich er ihren Urheber verschweigt:
"... Sabelliani. Qui (cum audiunt unius substantiae tres esse personas et propter eam, quae ex illarum proprietatibus est, diversitatem aut aequalitatem aut cooperationem aut coaeternitatem aut processionem ostendendam in ductas similitudines legunt: scilicet vel unius animae mentem, notitiam, amorem, vel unius mentis memoriam, intelligentiam, voluntatem, vel unius radii splendorem et calorem vel huiusmodi alias) putant quod sicut unus solus est radius (de quo dicuntur calor et splendor) aut una sola est mens (de qua et memoria et intelligentia et voluntas) aut una sola anima (de qua et mens et notitia et amor) ita quoque unus solus subsistens sit, qui, cum sit natura Deus, idem ipse personalibus proprietatibus sit et Pater et Filius et Spiritus sanctus ... Quos hic ipse error patenter ostendit omnino nescire huius nominis, quod est 'substantia', multiplicem in naturalibus usum: videlicet non modo id quod est, verum etiam id quo est hoc nomine nuncupari et prorsus ignorare, qua ratione dicatur 'personalis' quaecumque sic appellatur alicuius proprietas."(T I 4 4f,63;1279CD)
Der Irrtum aller dieser "Sabellianer" liegt also darin, von der Dreifaltigkeit sprechend Gott den Einen als eine Person, is qui, und die Personen als dessen quibus est, d.h. als naturhafte Modifikationen einer Person, zu verstehen. Nach Gilbert darf ich eine Person immer nur als id quod fassen; muß eine Substanz als irgendwie verschieden zu ihr in Beziehung gesetzt werden, dann muß sie zum id quo werden - was auch ohne weiteres angängig ist, da die Substanz ja sowohl quod als auch quo sein kann. Daß er diesen Sabellianismus wegen seines Unverständnisses dessen, was eine Person ist, ablehnt, sagt er noch deutlicher gleich zu Beginn seines Kommentars:
"Noetus vero atque discipulus eius Sabellius, Praxeas etiam et Hermogenes et Priscillianus illum unum, quem solum putat Arius esse Deum, ex eiusdem extra proprium genus rationis phantasia solum similiter asserunt esse Deum. Sed in hoc ab Ario differunt, quod solum illum unum putant esse et Patrem et Filium et Spiritum sanctum: contra illam, quae nullum rerum genus excipit, rationem quae est: 'diversarum personarum diversa propria uni convenire non posse'." (Gilberti Prologus 5,35f;1256CD)
Der Sinn ist der: Sobald ich das Wesen als ein quod fasse (welchem, durch verschiedene quibus, verschiedenes zukommen kann), dann kann ich die persönlichen Eigentümlichkeiten nicht anders denn als solche quibus verstehen, gemäß denen der eine, von dem ich spreche, ist. Damit ist aber die Wahrheit von persönlichen Eigentümlichkeiten preisgegeben; denn was verschiedene Personen zu solchen macht, kann unmöglich zusammen einem einzigen zukommen.
Gilbert hat aber doch klar erkannt, daß bei seinem eigenen Verständnis, welches er dem verbreiteten augustinischen einigermaßen kühn als allein richtig entgegensetzt, umgekehrt die singuläre Einheit des einen Wesens nicht mehr zu fassen ist. Was veranlaßt ihn also, von zwei ungenügenden Auffassungen die eine häretisch und die andere einzig wahr zu nennen ? Die Antwort hat er nicht ausdrücklich gegeben; sie ist jedoch aus seiner Grundauffassung der ganzen Theologie leicht zu erschließen. Holen wir etwas weiter aus.(44)
Es gibt zwei absolut verschiedene Seinsbereiche: Gott und die Welt der Geschöpfe. Gott ist all-gesammelte und über alles erhabene Einfachheit, das Geschöpf ist wurzelhaft vereinzelt, besondert und von anderen unterschieden. Gott ist darum "essentia", weil Er allein eigentlich ist; das Geschöpf hingegen ist ein durch sein Sein selber (subsistentia) radikal vereinzeltes "subsistens", es unter-steht mannigfachen Bestimmungen, welche es, nachdem es bereits von allen anderen verschieden ist, auch in sich selber noch auseinanderspalten. Gott ist einer, das Geschöpf ist nicht eines. Deshalb kennzeichnet es das natürliche Wissen, daß es um vieles kreist, während das Besondere der "rationes theologicae" die absolute Einheit und Einfachheit ist. Dies ist, kurz gesagt, der Kern von Gilberts theologischer Erkenntnislehre. Da uns nun der Glaube dennoch von drei Personen in Gott Kunde gibt, muß der Theologe irgendwie versuchen, sie als göttliche und doch verschiedene Personen zu verstehen. Hier aber ist unseres Verstandes Grenze: denn das Göttliche ist das Eine, welches jegliche Vielheit ausschließt. Deshalb ist, so seltsam es auf den ersten Blick erscheint, die Theologie die richtige, welche mit Hilfe der analog, "proportioniert" angewandten rationes naturales die Dreiheit als Personenmehrheit, als dreifaches id quod so ernst nimmt wie es nur möglich ist; denn die in dieser Auffassung nicht mehr vollziehbare Einheit des Wesens ist ja das Grundprinzip aller Theologie überhaupt und korrigiert von daher ohne weiteres den Vergleich aus der zerspaltenen Welt der Geschöpfe. Die "Sabellianer" umgekehrt, welche dieser Einheit auch in ihrem Verständnis den Vorzug vor der nur mehr als modal erfaßbaren Dreiheit geben - sie haben keinerlei Möglichkeit, diese Verkürzung einer fundamentalen.Glaubenswahrheit von woanders her wettzumachen: im Gegenteil drängt die gesamte Wucht des theologischen Grundprinzips bei ihnen in Richtung der Häresie. - Man wird dieser Konzeption Gilberts eine gewisse Bewunderung nicht versagen können und auch zugeben müssen, daß sie dem tatsächlichen Vorstellen der meisten Gläubigen mehr entspricht als die in allen Lehrbüchern entwickelte psychologische Analogie. Dennoch stimmt es mehr als nachdenklich, wenn hier eine so ehrwürdige Weise des Trinitätsverständnisses rundweg abgelehnt wird. Dagegen wandten sich scharf auch seine Gegner zu Reims, wenn sie im zweiten Punkt ihrer Anklage Gilbert vorwarfen, er habe auch gesagt:
"Quod cum Pater et Filius et Spiritus sanctus unum esse dicuntur, non nisi una divinitate esse intelligantur nec converti possit, ut unus Deus vel una substantia vel unum aliquid, Pater et Filius et Spiritus sanctus esse dicatur." Diesmal haben die Gegner nicht übertrieben; wir erkennen in ihrer Formulierung leicht Gilberts Behauptung wieder: "Sabelliani ... illum unum (Deum) putant esse et Patrem et Filium et Spiritum sanctum." Man sieht, hier geht es nicht mehr um bloße Sprachlogik, sondern darum, einen breiten Strom christlicher Lehrtradition gewaltsam zum Versiegen zu bringen - und hat Gilberts Arbeit auch sehr zum tieferen Verständnis des Mysteriums beigetragen, so wird man, alles in allem, hier doch seinen Gegnern recht geben müssen, mindestens insofern sie sich gegen Gilberts Einseitigkeit verwahrten.
4) Dreifaches quod, dreifaches quo. "Numquam de aliquo illorum ea, quae de alio, praedicatur personalis proprietas." Darüber handelt der dritte Punkt der Anklage. Gilbert habe auch gesagt: "Quod tres personae tribus unitatibus sint tria, et distinctae proprietatibus tribus, quae non sunt ipsae personae, sed sunt tres aeternae, et ab invicem (et) a Divina substantia in numero differentes."
Nun kennen wir natürlich Gilberts mündliche Lehre nicht. Es ist immerhin denkbar, daß er sich im Eifer, sein System allseitig auszubauen, zu Behauptungen verleiten ließ, die minder einfühlsame Hörer dann in dem grobsachlichen Sinn mißverstanden, welchen diese Gilbert unterschobene Formel zum Ausdruck bringt. Denn für uns, daran hält er fest, besteht eine nicht zu schließende Kluft zwischen id quod und id quo: "Hic diligenter est attendendum, quod subsistens cum subsistentia vel accidentibus nullo prorsus genere seu ratione convenit." (I 1 3,258;1359C)
"Esse vero et id, quod est, nec eiusdem generis nec eiusdem sunt rationis; et idcirco illorum coniunctio compositio esse non potest." (I 4 13,300;1381B) Aus diesen Sätzen, die den Ton ganz auf den verschiedenen Gesichtspunkt legen, unter dem uns quod und quo erscheinen, ersieht man schon die Unangemessenheit des ihm vorgeworfenen Satzes. Da der Glaube uns drei Personen lehrt, müssen wir auch fragen, wodurch sie drei sind. Doch ist dieses dreifache quo von allen Grundbegriffen Gilberts der am schwersten zu.verstehende und bleibt auch bei ihm selbst äußerst dunkel, "gewissermaßen nebelhaft" (Schmidt 158). In dieser Unsicherheit hatte Gilbert freilich große Vorgänger. Wollen wir ihn verstehen, so müssen wir, wenigstens in den gröbsten Umrissen, untersuchen, wie sich die Frage nach den Personen in der lateinischen Theologie entwickelt hat.
Nachdem alle irgendwie subordinationistischen Versuche vom Nicaenum ausgeschlossen worden sind, steht Augustin ratlos vor der Frage: quid tres ? "Quemadmodum hoc illi est esse quod Deum esse, quod magnum, quod bonum esse, ita hoc illi est esse quod personam esse. Cur ergo haec tria non simul unam personam dicimus, sicut unam essentiam et unum Deum, sed tres dicimus personas cum tres Deos aut tres essentias non dicamus ? nisi quia volumus vel unum aliquod vocabulum servire huic significationi qua intelligitur Trinitas, ne omnino taceremus interrogati, quid tres, cum tres esse fateremur." (45) (De Trinitate VII,6,11; PL 42,943)
Vergessen wir nicht: der Hauptbeitrag Augustins zur Trinitätslehre ist die psychologische Analogie - und sie wird von Gilbert darum abgelehnt werden, weil sie die Personhaftigkeit der Drei nicht ernst genug nehme. Doch finden sich bei Augustin auch diejenigen Überlegungen im Ansatz, die Boethius und Gilbert weiter ausbauen werden: "Accidens autem non solet dici, nisi quod aliqua mutatione eius rei cui accidit amitti potest ... Nihil itaque accidens in Deo, quia nihil mutabile aut amissibile ... nec tamen omne quod dicitur secundum substantiam dicitur.... (In den Geschöpfen ist alles, was nicht substantiell ist, akzidentell, weil veränderlich) ... in Deo autem nihil quidem secundum accidens dicitur, quia nihil in eo mutabile est; nec tamen omne quod dicitur, secundum substantiam dicitur. dicitur enim ad aliquid, sicut Pater ad Filium et Filius ad Patrem, quod non est accidens: quia et ille semper Pater et ille semper Filius ... non secundum substantiam dicuntur, sed secundum relativum; quod tamen relativum non est accidens, quia non est mutabile." (46)
Die Kategorien, die Augustin hier anwendet (Substanz, Akzidens, Relation) gehören zu den aristotelischen und waren in der Antike auch außerhalb des eigentlichen Aristotelismus gemeinsames Handwerkszeug aller Gebildeten. Gelegentliche Versuche, andere Kategoriensysteme einzuführen (Stoa, Plotin), fanden keinen breiteren Anklang. Daß Augustin diese Begriffe nicht streng aristotelisch versteht, zeigt seine Definition von "Akzidens" zur Genüge; denn nicht die Veränderlichkeit als solche, sondern das In-Sein in einem anderen macht im Aristotelismus das Wesen eines Akzidens aus. Was "secundum relativum" ausgesagt wird, ist also weder substantiell noch akzidentell aufzufassen: damit ist Augustin zwar der Lösung des Rätsels "quid tres?" um einen bedeutenden Schritt, nämlich den Begriff 'Relation' näher gekommen (von der Frage, wie er zu ihm gekommen sei, sehen wir ab), doch hat er seinen Nachfahren die Frage hinterlassen: wie können wir etwas denken, was weder substantiell noch akzidentell ist und dennoch wirklich, ja, von göttlicher Wirklichkeit ?
Boethius schließt zunächst die Vielheit von Menschen in der einen Menschheit als Beispiel für die Dreifaltigkeit aus: denn bei den Menschen machen die Akzidentien die Vielheit; in Gott gibt es aber keine Akzidentien, also auch keine Zahl:
"Nulla igitur in eo diversitas, nulla ex diversitate pluralitas, nulla ex accidentibus multitudo, atque idcirco nec numerus." (T I,c.2,1251A)
Dabei kann es jedoch nicht bleiben:
"Pater vero ac Filius et Spiritus sanctus, idem equidem est, non vero ipse. In qua re paulisper considerandum est. Requirentibus enim, 'ipse est Pater qui Filius?''minime!' inquiunt. Rursus: 'idem alter qui alter?' negatur. Non est igitur inter eos in omni re indifferentia. Quare subintrat numerus, quem ex subiectorum diversitate confici superius explanatum est." (c.3,1251D)
"Die Zahl schleicht sich ein". Man spürt am Ausdruck, wie die klassische Philosophie der nicht allein reinen, sondern bloßen Einheit sich der Offenbarung nur unwillig ergibt. Sodann zählt Boethius die Kategorien des Aristoteles auf und untersucht, inwieweit sie von Gott gebraucht werden dürfen. Substanz, Qualität und Quantität können in gewisser Weise angewandt werden; freilich erreichen sie Gott nicht eigentlich und überdies müssen beide Akzidentien hier auf substantielle Weise genommen werden, doch kann man von Gott immerhin sagen, daß Er Gott, weise und groß ist.
"Haec praedicamenta talia sunt, ut, in quo sunt, ipsum esse faciant quod dicitur; divise quidem in caeteris, in Deo vero coniuncte atque copulate ... Reliqua vero neque de Deo neque de caeteris praedicantur." (c.4;1252B,D)
Diese Aussage überrascht. Wieso werden die restlichen Kategorien auch von den Geschöpfen nicht ausgesagt ? Boethius erklärt sich, indem er die einzelnen durchgeht und zeigt, daß sie das Ding jeweils nicht in sich selbst betreffen, vielmehr nur äußerliche Umstände, die man zwar aussagen kann, und auch in Wahrheit - nicht aber eigentlich von ihnen, ihr Sein betreffend: was sage ich schon über einen Menschen selbst, wenn ich von ihm feststelle, er sei auf dem Marktplatz? Dieser Hinblick auf etwas, was ihm äußerlich ist, betrifft ihn nicht in seinem Sein. So kommt Boethius zum Schluß:
"Jamne patet, quae differentia sit praedicationum? quod aliae quidem quasi rem monstrant, aliae vero quasi circumstantias rei; quodque illa quidem ita praedicantur, ut esse aliquid rem ostendant: illa vero, ut non esse, sed potius extrinsecus aliquid quodam modo affigant." (c.4;1253C) Die Relationen nun sind der äußerste und reinste Fall solcher Außen-Aussage:
"Age nunc de relativis speculemur, pro quibus omne quod dictum est sumpsimus ad disputationem. Maxime enim haec non videntur secundum se facere praedicationem, quae perspicue ex alieno adventu constare perspiciuntur."(c.5;1253D)
Darauf bringt er als Beispiele die Verhältnisse Herr/Sklave sowie rechts/links und zeigt, daß sich beide Male, vor allem aber beim zweiten Fall, klar ersehen läßt, daß das Verhältnis gar nichts am Wesen ändert: allein dadurch, daß einer links neben mich tritt, werde ich ohne jede Veränderung rechts und umgekehrt. Damit aber hat er den gesuchten Vergleichspunkt für das Dreifaltigkeitsgeheimnis:
"Rursus ego sinister accedo, item fit ille dexter, non quod ita sit per se dexter velut albus ac longus, sed quod me accedente fit dexter atque id, quod est, a me et ex me est, minime vero ex sese. Quare quae secundum rei alicuius in eo, quod ipsa est, proprietatem non faciunt praedicationem, nihil alternare vel mutare queunt, nullamque omnino variare essentiam. Quocirca si Pater ac Filius ad aliquid dicuntur, nihilque aliud, ut dictum est, differunt, nisi sola relatione, - relatio vero non praedicatur ad id de quo praedicatur, quasi ipsa sit, et secundum rem de qua dicitur pon faciet alteritatem rerum, de qua dicitur, sed, si dici potest, quo quidem modo id quod vix intelligi potuit, interpretatum est, personarum. (c.5;1254BC)
Er zeigt dann noch, wie eine Relation keineswegs immer Verschiedenheit der Substanz verlangt: so kann dasselbe dem, was dasselbe ist, dasselbe sein.
"Ita igitur substantia continet unitatem, relatio multiplicat trinitatem." (c.6;1255A)
Gilbert nun geht, was diese Frage anlangt, in seinem Kommentar kaum über das hinaus, was Boethius bereits ausdrücklich gesagt hat. Innerhalb seines Systems kann er einen fundamentalen Widerspruch nicht überwinden:
Einerseits muß er, um seiner Vorlage zu entsprechen, sowie der Hauptlinie seiner Dreifaltigkeitstheologie wegen (drei quod, ein quo) leugnen, daß die Relation ein quo ist:
"MAXIME ENIM HAEC i.e. relativa NON VIDENTUR FACERE PRAEDICATIONEM SECUNDUM SE. Id est: nullo eorum sic praedicatur relatio ut id, de quo praedicatur, ea esse aliquid intelligatur, quippe QUAE PERSPICUE EX ALIENO ADVENTU CONSTARE PERSPICIUNTUR." (T I 10 2,78;1291D).
Diese Kategorien wendet er dann wie Boethius auf die Dreifaltigkeit an:
"Et dicit (B.) qualiter Pater ac Filius et Spiritus sanctus, qui sine numero unum sunt, sint etiam numero plures. Quasi: Quandoquidem nulla illorum, quae non praedicantur de re in eo quod ipsa sit, id, de quo praedicantur, alternare possunt, QUOCIRCA, SI PATER AC FILIUS DICUNTUR AD ALIQUID (ut utique vere dicuntur) NIHILQUE ALIUD i.e. nullo naturae praedicamento (ut dictum est) DIFFERUNT NISI SOLA RELATIONE qua et ad Filium Pater et ad Patrem Filius dicitur, RELATIO VERO NON PRAEDICATUR AD ID, DE QUO PRAEDICATUR, QUASI id IPSA relatione SIT ET de re, DE QUA DICITUR, nequaquam praedicatur ea praedicatione quae vooatur 'praedicatio SECUNDUM REM' quia id, de quo praedicatur, vel esse vel aliquid esse ea non potest, manifestum est quod relatio NON FACIET illam ALTERITATEM, quae dicitur RERUM i. e. illam quam ea faciunt, quae secundum rem praedicari dicuntur, et quorum quolibet id, de quo praedicatur, aliquid est: SED potius, SI DICI POTEST, faciet alteritatem quae dicitur PERSONARUM."(T I 10 9,80;1293C)
Vorher hatte es bereits einmal geheißen:
"AD ALIQUID VERO i.e. relatio NON OMNINO i.e. nequaquam sicut id, quo Deus est, POTEST de ipso PRAEDICARI." (T I 6 10,67;1283A)
An anderer.Stelle spricht er jedoch, getreu seiner Sprachlogik, ausdrücklich von den Proprietäten, durch welche die Personen verschieden sind:
"Quidam vero alii, recte intelligentes Patrem et Filium et Spiritum sanctum diversis proprietatibus diversas numero esse personas ..." (T I, Gilberti Prologus,7,36;1257A)
"ATQUE HAEC TRINITAS est i.e. hi tres, quibusdam proprietatibus a se invicem diversi, sunt singulariter et simpliciter UNUS DEUS."
(T I 3 41,61;1278B) Zurecht bemerkt Schmidt:
"Während sonst aber ein quo est immer zur Erklärung des quod est dient, können die "Relationen" kaum als Erklärungen der drei "Personen" bezeichnet werden. Der eine Ausdruck besagt genau, was der andere besagt. Gilbert hat trotz seiner Unterscheidung von quo est und quod est hier keinen Vorsprung vor denen bekommen, für die beide Begriffe das gleiche sagen. Die Relationen ... bleiben in dem so eingeteilten Unternehmen unfaßbar, gewissermaßen nebelhaft. Gilbert hat sie denn auch in seinem Kommentar als die quo est der Verschiedenheit der göttlichen Personen mehr nur erwähnt, als daß er das mit ihnen aufgegebene Problem hätte lösen kennen. Wenn man es so wie Gilbert macht, dann erklären die Relationen nichts, lassen sich also auch nicht im Erklärungsschema unterbringen" (S.158f).
Das ganze Bemühen, das, was die Personen sind, in Begriffe zu fassen, endet erfolglos; Gilbert selbst kann seine Theorie nicht mehr verstehen: Wie können die Relationen einerseits nichts sein wodurch die göttlichen Personen sind, andererseits sogar "Sachen" sein (Boethius sagte nur erst "aliquid")? Und zwar Sachen, die einerseits nur äußerlich angebracht sind, andererseits aber doch so wenig akzidentell aufzufassen sind, daß sie die Verschiedenheit der Personen nicht nur, wie unsere äußerlichen Bestimmungen, erweisen, sondern wahrhaft begründen ?
"Sic igitur theologica cum naturalibus in parte rationis illius i.e. personalitatis, a cuius plenitudine naturalibus hoc nomen inditum est, convenire intelliguntur et in parte differre. In quo maxime illud est attendendum quod naturales personae his quibus unaquaeque aliquid est, prius a se invicem sunt aliae, ut de his per haec a se aliis deinde huiusmodi extrinsecus affixa praedicamenta dicantur: quorum oppositione etsi non sint alia, recte tamen (eorum, quibus sunt, oppositione)probantur esse alia. Theologicae vero personae, quoniam eius, quo sunt, singularitate unum sunt et simplicitate id quod sunt, essentiarum oppositione a se invicem aliae esse non possunt. Sed harum (quae dictae sunt) extrinsecus affixarum rerum oppositione a se invicem aliae et probantur et sunt. Ideoque nomen et numerum personarum in theologicis et tam ineffabile verbis quam incomprehensibile ratione secretum auctor admirans: ALTERITATEM illam, qua Pater et Filius et Spiritus sanctus a se invicem alii sunt, appellaturus 'PERSONARUM' recte praemisitt SI DICI POTEST et QUOD VIX INTELLIGI POTUIT." (T I 10 23,83;1295Df)
Das kling fast schon mythisch und wir können bei aller Hochachtung vor Gilbert durchaus verstehen, wie seine Gegner sich gegen solche "von Ewigkeit her Gott äußerlich angehefteten Dinge" mit all der Leidenschaft, von der uns berichtet wird, in ihrem Anti-Credo wandten:
"Credimus et confitemur solum Deum Patrem Filium & Spiritum sanctum aeternum esse, nec aliquas omnino res, sive relationes, sive proprietates, sive singularitates vel unitates dicantur, vel alia huiusmodi, adesse Deo, quae sint ab aeterno & non sint Deus." (Msi 21,713B)
Ebenso ist begreiflich, wie spätere Porretaner ohne die weise Mäßigung ihres Meisters zu simpleren und vollkommen unhaltbaren Formulierungen gelangen konnten. So erläutert (47) Sosias (allerdings ein Laie!) folgendermaßen Gilberts Lehre:
"Nam in naturalibus substantialia faciunt esse rem et accidentalia probant. At in theologicis accidentalia faciunt res esse et probant. Unde Plato vel Petrus est homo humanitate. Sed probatur esse homo accidentali lineamentorum effigie. Pater autem paternitate Pater et ita persona in Trinitate ..."
Kein Zweifel, daß die Spekulation mit solchen Formeln auf ein totes Gleis geraten war.Freilich hatten Gilberts Gegner über die bloße Ablehnung seiner Ausdrücke hinaus auch nichts besseres anzubieten. Thierry z.B. zieht sich ganz auf die augustinische Position zurück bzw sieht ein, daß sie keinerlei Erklärung ist, und verstummt vor dem Geheimnis:
"Quid ergo dicendum ? Quod Deo quidem substantialis est Filii productio, nec tamen de Deo substantialiter praedicatur. Nihil enim substantialiter praedicari potest, nisi quod per se et absolute praedicabitur. Sed Patris productio ad aliam refertur personam. Pater namque respectu filli pater dicitur. 'Pater' ergo non per se, sed alterius personae respectu de Deo praedicabitur. Non ergo substantialiter ... Si quis ergo quaesierit, an Deo substantialis sit paternitas et consimilia, nec concedendum esse hoc nec negandum putamus, ne forte vel ipsa negatio falsitatis periculum incurrat, vel concessio propter novitatem verborum intellectum in aliquo pravum constituat." (48)
Ähnlich begnügt Clarembaldus sich damit, zwar mit Boethius die Person "extra rem" auszusagen; doch sei (das geht wohl gegen Gilbert) für Gott nichts "extrinsecus". Damit ist aber ja der Widerspruch nicht behoben, sondern nur klar ausgedrückt:
"Cum vero relatio non praedicatur ad id, de quo praedicatur, hoc est, cum relatio non ostendat rem esse, quod dicitur, quasi ipsa relatione res sit ipsa, de qua praedicatur; cumque non secundum rem, sed extra rem sit concreta relationis praedicatio, manifestum tamen est, quod propter hoc nullo modo divinitatis substantia potest variari, sed per personas tantum ipsas relationibus differri ... Deus nil accepit extrinsecus, ut nomen patris acciperet, quoniam substantialis, hoc est coaeterna Patri est Filii productio, quia, ex quo Pater est, hoc est, ab aeterno, Filium genuit (49).
Petrus Lombardus, welcher auf dem Reimser Konzil ebenfalls zugegen war, scheut sich, kommt er auf Gilberts Lehre zu sprechen, durchaus nicht, die stärksten Ausdrücke zu gebrauchen. "Haereticorum improbitas, instinctu diabolicae fraudulentiae excitata ..."(50) "quidam perversi sensus homines" (51). Daraus wird man schließen dürfen, daß entweder Gilbert selbst oder seine Anhänger, gerade weil das Konzil nicht wider sie ausgefallen war, auch nachher ihre Ansichten weiterhin verfochten haben. Was Petrus selbst zur Lösung beizutragen hat, ist wenig genug; auf die gewichtigen Schwierigkeiten des jetzigen Bischofs von Poitiers wird mit den Worten seines heiligen Vorgängers Hilarius geantwortet, man könne hierüber nichts wissen.
Zunächst identifiziert er die Proprietäten mit den Personen und sodann beides mit dem göttlichen Wesen, ohne vorderhand zwischen beiden Identifizirungen einen Unterschied zu machen:
"Fateamur ergo, et proprietates esse in tribus personis, et ipsas esse personas atque divinam essentiam." (52)
Nach dem Autoritätenbeweis für diese Behauptungen läßt er die Porretaner zunächst ihren Einwand gegen die erste Identifizierung bringen: 'Wenn die Proprietäten die Personen sind, so werden die Personen nicht durch sie bestimmt!' Dagegen sagt Petrus, daß die Personen sich auch durch sich selbst unterscheiden. Denn Hieronymus sagt: "Substantia unum sunt, sed personis ac nominibus distinguuntur." Darauf wenden die Gegner sich wider die zweite Behauptung und argumentieren: "Wenn die Proprietäten das göttliche Wesen sind, so gibt es zwischen den Personen, da sie im Wesen eines sind, auch durch die Proprietäten keinen Unterschied." Jetzt muß Hilarius selber antworten:
"Immensum est quod exigitur et incomprehensibile; extra significantiam sermonis est, extra sensus intentionem; non enuntiatur, non attingitur, non tenetur ... Forma fidei certa est; non ergo aliquid addendum est, sed modus constituendus audaciae; quidquid ultra quaeritur, non intelligitur." (53)
Etwas weiter trägt die Lehre des orientalischen Vaters:
"Paternitas et filiatio non ita esse omnino dicuntur in divina essentia sicut in ipsis hypostasibus, in quibus ita sunt, quod eas determinant, ut ait Johannes Damascenus (54): Characteristica idiomata sunt, i.e. determinativae proprietates hypostaseos, et non naturae; etenim hypostasim determinant et non naturam."
Wagt es aber einer, noch weiter zu fragen, so wisse er, daß er Unmögliches will:
"Sed forte quaeres: cum hae proprietates non possint esse in personis, quin eas determinent, quomodo in essentia divina esse possunt, ita ut non eam determinent?
Respondeo tibi et hic cum Hilario (55): "Ego nescio, non requiro, et consolabor me tamen. Archangeli nesciunt, Angeli non audierunt, saecula non tenent, Propheta non sensit, Apostolus non interrogavit, Filius ipse non edidit. Cesset ergo dolor quaerelarum ..."
Solches demütiges Nichtwissen hindert aber weder den Lombarden noch seine Schüler daran, diejenigen bitter zu befehden, die es auf anderen Wegen erreichen. Etwa gegen 1170 lesen wir bei Peter von Poitiers:
"Quidam igitur, de suo sensu gloriantes, quod de proprietatibus legitur, ad modos loquendi referunt. Non enim volunt intelligere proprietates esse aliquid vel aliqua in personis vel essentia, sed diversis modis auctores loquuntur de personis, ut diversis modis astruant plures esse personas ... Infinitae nobis occurrunt auctoritates, quas in medium deducere non gravaret nisi lectores vel auditores taederet. Rationibus etiam idipsum ostendi potest: ... Item, hoc nomen 'paternitas' nomen substantivum est; alicui vel nulli convenit; si alicui convenit, ergo aliquid est paternitas; non potest aliud reperiri quod sit paternitas Patris nisi Pater, quia si aliud est paternitas Patris, cum illud sit in Patre, iam aliquid esset in Patre quod non esset Pater. Si dicat quod nulli convenit hoc nomen 'paternitas', ergo nil est paternitas; ergo nihil est Pater - sicut si nihil est albedo, ergo nihil est album ... Multa alia contra eos possent induci. Sed quia non sunt audiendi, non etiam sunt digni qui super hoc sint impugnandi."(56)
J.Schneider, der die Trinitätstheologie in der Schule des Lombarden untersucht hat, kommt hinsichtlich der Proprietäten zu folgendem Ergebnis:
"In einem Rückblick zeigt sich, daß die Theologen unserer Schule ihre Thesen hauptsächlich in der Auseinandersetzung mit Gilbert Porreta finden: die Proprietäten sind "etwas", nicht nur ein "relative dici"; sie sind "in" den Personen und "im" Wesen und mit beiden identisch, nicht "extrinsecus affixae". Sie haben von Gilbert aber auch gelernt: Auch für sie ist das Verhältnis Person-Proprietät das eines Individuums zu einer dieses konstituierenden Form, wobei ein begrifflicher Unterschied besteht. Weiterhin ist das Verhältnis der Proprietät zum Wesen anders als das zur Person: das Wesen wird nicht durch die Person bestimmt. Es liegt also auch hier ein begrifflicher Unterschied vor. Gegen Gilbert wird festgestellt: das Wesen ist mit den Personen und deren Eigentümlichkeiten identisch. In der Ablehnung der Folgerung: also zeugt das Wesen den Sohn, treffen sich die Auffassungen wieder,. Es werden so die gleichen Distinktionen logisch angenommen, die man Gilber als ontologische unterstellt." (57)
Nunmehr erst, in Kenntnis solcher Aporien und, man muß schon sagen, Feindschaften (non sunt audiendi ... ) vermögen wir recht die ruhige Klarheit zu würdigen, welche die Hochscholastik, indem sie beiden Parteien ihr genaues,Recht abmaß, in unsere Frag gebracht hat. Der folgende Artikel aus der Summe des Hl.Thomas enthält die Lösung:
"Utrum relatio in Deo sit idem quod sua essentia?
Ad cuius evidentiam, considerandum est quod in quolibet novem generum accidentis est duo considerare. Quorum unum est esse quod competit unicuique ipsorum secundum quod est accidens. Et hoc communiter in omnibus est inesse subjecto: accidentis enim esse est inesse. Aliud quod potest considerari in unoquoque, est propria ratio uniuscuiusque illorum generum. Et in aliis quidem generibus a relatione, utpote quantitate et qualitate, etiam propria ratio generis accipitur secundum comparationem ad subjectum: nam quantitas dicitur mensura substantiae, qualitas vero dispositio substantiae. Sed ratio propria relationis non accipitur secundum comparationem ad illud in quo est sed secundum comparationem ad aliquid extra.
Si igitur consideremus, etiam in rebus creatis, relationes secundum id quo relationes sunt, sic inveniuntur assistentes esse, non intrinsecus affixae; quasi significantes respectum quodammodo contingentem ipsam rem relatam, prout ab ea tendit in alterum. Si vero consideretur relatio secundum quod est accidens, sic est inhaerens subjecto, et habens esse accidentale in ipso. Sed Gilbertus Porretanus consideravit relationem primo modo tantum.
Quidquid autem in rebus creatis habet esse accidentale, secundum quod transfertur in Deum, habet esse substantiale: nihil enim est in Deo, ut accidens in subiecto, sed quidquid est in Deo, est eius essentia. Sic igitur ex ea parte, qua relatio in rebus creatis habet esse accidentale in subiecto, relatio realiter existens in Deo habet esse essentiae divinae, idem omnino ei existens. In hoc vero, quod ad aliquid dicitur, non significatur aliqua habitudo ad essentiam, sed magis ad suum oppositum. Et sic manifestum est, quod relatio realiter existens in Deo est idem essentiae secundum rem; et non differt nisi secundum intelligentiae rationem, prout in relatione importatur respectus ad suum oppositum, qui non importatur in nomine essentiae. Patet ergo quod in Deo non est aliud esse relationis et esse essentiae, sed unum et idem." (Ia, q 28 a 2)
Thomas unterscheidet also in userem Begriff 'Akzidens' zweierlei: Sein Sein, welches in der Beziehung zur Substanz besteht, sowie seinen Sinn, die ratio, die es zu dem macht, was es in sich selbst, als Akzidens, ist. Sodann wendet er diesen Unterschied auf die göttlichen Relationen an und zeigt, wie ihre Beziehung zur Substanz die vollkommene Identität ist, wie jedoch ihr eigener Sinn, ihr Sein als Relationen, in der Beziehung zu einander als eben dadurch real verschiedenen besteht. Das Zauberwort, welches den langen Streit schlichtet und auf die Frage Augustins: quid tres? einigermaßen befriedigend antwortet, heißt also "relatio subsistens".(58) Seitdem hat es, bis in die neueste Zeit hinein, innerhalb der katholischen Trinitätstheologie keinerlei Häresieklagen mehr gegeben.
Diese ganze Entwicklung über Gilbert hinaus wurde jeoch nur darum hier kurz angedeutet, um seine eigene Ansicht von daher in ein besseres Licht zu setzen. Auf die fundamentale Bedeutung des Schrittes zur "relatio subsistens" werden wir noch ausführlich zu sprechen kommen. Kehren wir jetzt zu Gilbert zurück; was der Unterschied quo/quod in seiner Trinitätslehre bedeutet, haben wir gesehen. Wie nun verwendet er ihn zur Erklärung der Inkarnation ?
"QUAM ENIM MAGNUM EST hoc QUAMQUE NOVUM! Quasi: Nihil tam novum tamque magnum est quam magnum est atque novum id QUOD SEMEL NEC ULLO ALIO SAECULO POSSIT EVENIRE, UT scilicet NATURA EIUS QUI EST SOLUS DEUS CONVENIRET compositione CUM HUMANA natura, QUAE ERAT AB EO DIVERSISSIMA; ATQUE ITA EX DISTANTIBUS NATURIS FIERET COPULATIONE UNA PERSONA. Diligenter attende quod ait: 'fieret copulatione una persona'. Et non intelligas quod naturarum copulatione fieret persona, sed quod 'fieret copulatione una'. Non enim, quod erat, factus est Christus sed quod non erat. Erat autem Deus et Filius Dei et persona et unus: sed sine diversarum naturarum copulatione. Si quis ergo quaerat: Christus quid factus est? nemo respondebit quod ipse sit factus Deus vel quod sit factus Filius Dei vel quod sit factus persona vel quod sit factus unus; sed.quod sit factus diversarum naturarum copulatione unus. Quid unus? Unum totum, unum compositum, et huiusmodi. Et haec est mirabilis novitas ...
Quod omni genere omnique ratione diversa aliquod unum componerent, nulla umquam nascentium consuetudo habuit: quod tamen in ea persona quae Christue vocatur factum est, in qua divinae essentiae coniuncta est humana subsistentia, quae ab ea non modo omni genere, verum etiam omni ratione intelligitur esse diversa: illa enim est essentia, ista est subsistentia; illa sine principio, haec ex principio; illa Creator est, ista creatura aliquid est. Unde harum in Christo facta coniunctio novitas est." (1 4 40-42,308f;1386AB)
Vergleichen wir Kommentar und Grundtext, so wird die Verfeinerung ersichtlich, die Gilbert bringt. Boethius stellt sich Christus als eine Person vor, welche, eben als die Person des Gottmenschen, erst aus der Vereinigung beider Naturen zu einem Konkreten resultiert; hatte er nicht wenige Zeilen zuvor gegen Nestorius ein wohl äußerst krasses, aber doch nach seiner Meinung mindestens in etwa zutreffendes Beispiel gebraucht?
"Nihil igitur unum secundum Nestorium Christus est, ac per hoc omnino nihil: quod enim non est unum, nec esse omnino potest; esse enim atque unum convertitur; et quodcumque est, unum est: etiam ea quae ex pluribus coniunguntur, ut acervus, chorus, unum tamen sunt. Sed esse Christum manifeste et veraciter confitemur: unum igitur esse dicimus Christum." (I c.4;1346A)
Wie also mehrere Steine einen Haufen bilden, so können auch verschiedene Naturen zu einer Person zusammentreten, die natürlich auf weit geheimnisvollere Weise eine sein wird, deren Einheit aber doch irgendwie aus der Vereinigung der beiden Naturen sich ergibt. Die Begriffe "Natur" und "Person" sind hier nicht als eine Spannungseinheit verschieden-dimensionierter konkreter Wirklichkeitspole gesehen, die nur zusammen und einer durch den anderen denkbar sind; vielmehr erklärt uns Boethius ausdrücklich, wie er den Unterschied zwischen Natur und Person gefaßt wissen will:
"Hoc interim constet, quod inter naturam personamque differre praediximus: quoniam Natura est cuiuslibet substantiae specificata proprietas; Persona vero, rationabilis naturae individua substantia." (I c.4;1345C)
Man sieht, wie keineswegs die Logik seiner Theologie, sondern einzig sein gesunder Glaube den Boethius vor christologischen Häresien bewahrt hat. Ebenfalls wird deutlich, wie es bei diesen Begriffen notwendig zu den unauflöslichen Widersprüchen des 12. und 13. Jahrhunderts kommen mußte.(59) Gewiß wird Boethius bald (c-7;1351C) betonen, daß beide Naturen unvermischt sie selber bleiben, und sicherlich hat er keinen Augenblick daran gezweifelt, daß Christus auch "vor" der Menschwerdung bereits eine Person war - und durchaus keine andere denn als Gottmensch: doch hat dieser sein Glaube in seiner Theologie keinen klaren Ausdruck finden können; dort spricht er davon, wie es aus zwei Naturen zu einer Person kommt: "una persona fit Christi." (c.7;1351D)
Für Gilbert verhalten sich Person und Natur nicht wie konkrete und spezifische Substanz, sondern wie is qui und id quo:
"Non ita potest accipi, cum dicitur hominis Deique coniunctio in Christo facta: scilicet ut is qui homo est et is qui Deus est intelligantur in Christo esse coniuncti; sed tantum divina essentia et humana subsistentia, i.e. divinitas et humanitas. ... NOMEN QUIPPE IPSUM quod est Christus UNUM QUIDDAM SIGNIFICAT, i.e. ipsum, qui dicitur Christus, et ex multis collectam proprietatem qua dicitur Christus." (I 4 27f,304;1383C)
Jetzt erhält die Regel "numquam id, quod est, praedicatur" ein gewaltiges theologisches Relief. Weil die Person das unaussagbare id quod als solches bedeutet, darum sind solche Aussagen wie: "zwei Naturen sind eine Person" oder "zwei Naturen werden eine Person" nicht eigentlich falsch, aber sinnlos: wer so spricht, zeigt nur, daß er noch nicht begriffen hat, was eine Person ist. "Eine Person": das ist nicht etwas, kein Umstand, den man von etwas anderem aussagen könnte - wovon denn auch ? Vielmehr ist die Person es, die ist und von der man das Verschiedenste aussagen kann. Die Person ist gewissermaßen die Urtatsache, das einfach hinzunehmende Zentrum eines oder mehrerer Kreise, der Punkt, der ist und auf den alle Aussagen sich beziehen. Wohl kann man, bei geschaffenen Personen, sagen: die Person wird. Dann steckt die Aussage aber in dem Wort "wird". Nicht jedoch kann man von irgendeinem X sagen: X wird-eine-Person. ("Person" immer im Sinn von Gilberts "id quo" genommen). Die Person solcherart streng als id quod zu fassen und dieses ausdrücklich von jedem id quo zu unterscheiden verlangt von dem Verstand, der diese Tat nachvollziehen will, eine gewisse Anstrengung und stets neues Bemühen; denn das "essentialistische Mißverständnis", welches die Person eines von vielem sein läßt, was man sein kann, anstatt des letzten Punktes in diesem "man", auf den sich jedes "was" bezieht - es ist um so viel bequemer! (60)
Um klarzustellen, was er meint, schreckt Gilbert auch vor anstößigen Ausdrücken nicht zurück:
"In eo (Christo) namque nihil est, quod sit homo, quod ei, qui in illo Deus sit, intelligatur coniunctum. Sed ipse Christus, qui Deus est, etiam homo est; qui nulla ratione sibi potest coniungi." (1 4 23,303;1383A)
Sein streng durchgehaltener Grundsatz, daß von der Natur nichts ausgesagt wird, was die Person betrifft, veranlaßte den 4.Punkt der Anklage zu Reims:
"Quod divina natura non sit incarnata."
Demgegenüber bestand die Gegenpartei darauf:
"Credimus et confitemur, ipsam Divinitatem, sive substantiam Divinam sive naturam Divinam dicas, incarnatam esse, sed in Filio." (Msi 21,713B)
Was von diesem Gegensatz zu halten sei, wird uns noch beschäftigen; fürs erste wird er nur verzeichnet.
Wir fassen zusammen: Wo die beiden christlichen Grunddogmen von Natur und Person sprechen, setzt Gilbert zu ihrer Erklärung sein Begriffspaar quo/quod. Darin, so scheint mir, besteht seine nicht leicht zu überschätzende Bedeutung für die Theologiegeschichte. Wie das Dogma selbst, löst er damit weder Gottes Einheit auf noch geht es ihm um bloße Sprachlogik (diese als pragmatische Übereinkunft aufgefaßt). Vielmehr hat er einen Gedanken in die Entwicklung der Theologie gebracht, der seitdem aus ihr nicht mehr fortzudenken ist und noch weit mehr zu versprechen scheint als er bisher gehalten hat. Was leistet dieser Gedanke ?
Erstens verknüpft er, als verschiedene Begriffe miteinander und durcheinander denkbar, zwei Ausdrücke, welche die alte Kirche - mit einer gewissen Willkür und Zufälligkeit - mittels verschiedener Namen eines ursprünglich einzigen Begriffes (der konkreten Substanz) als dogmatische Grundkategorien geschaffen hat, ohne sie in eine verständliche Beziehung zueinander zu bringen (abgesehen natürlich von jenem Grundverständnis, welches dem Glauben als solchem und vor jeder Theologie wesentlich ist).
Zweitens übertrifft Gilberts Leistung alle bisherigen Versuche der lateinischen Theologie, Natur und Person ins Verhältnis zu setzen, dadurch, daß er die konkrete Substanz als solche zu einem Begriffspaar auseinanderspreizt. (Wir haben ja gesehen, wie quo und quod beide konkret und substantiell sind.) Vor ihm konnte nur immer entweder die Substanz einem Akzidens gegenübergestellt werden (substantia/relatio) oder aber die spezifische der konkreten Substanz. Beide Denkmodelle sind aber natürlich auf die Dogmen nicht eigentlich anwendbar. Fügte man als Selbstverständlichkeit bei, daß es in Gott natürlich keine Akzidentien gebe bzw. Christi Menschheit ebenfalls konkret sei, so erfolgte diese Klärung nicht harmonisch, sondern gewaltsam von außen her und nahm alle Intelligibilität wieder fort, die das Schema versprochen hatte. So fand man sich in ausweglosen Engpässen vor, aus denen zwar der Glaube leicht heraus, über die die westliche Theologie aber vor Gilberts Distinktion nicht hinweg gelangte.
Sie allein gibt freilich noch keinerlei Antwort auf die Frage, wie sich in der Dreifaltigkeit die verschiedenen Personen und beim Gottmenschen die verschiedenen Naturen jeweils zueinander verhalten. In diesen Fragen bedeutet Gilberts Lehre, wie es scheint, keinen unmittelbaren Fortschtitt über seine Vorgänger hinaus. Wohl aber hat er, und er allein bis heute, zur Mitte seines Denkens ein analog in gleicher Weise auf beide Dogmen anwendbares Begriffsschema, ohne welches diese weiteren Fragen nicht ausgewogen zu beantworten sein dürften, in welchem sie aber auch, als freilich sehr verschiedene Ausfaltungen einer Struktur, fest miteinander verbunden sind. Dieser Umstand könnte entscheidend sein, wenn wir mit Hilfe von Gilberts Unterscheidung im Lichte der relativ abgeschlossenen Entwicklung der Trinitätslehre unsere noch bedeutend unvollkommenere Auffassung der göttlichen Taten - deren höchste und Ziel die Menschwerdung darstellt - zu klären versuchen werden.
Auf die objektive Darstellung der tatsächlichen Lehrentwicklung soll jetzt eine persönliche Würdigung folgen, die sich freilich nur als Versuch weiß und nur mehr sachlich, nicht streng historisch auf ihre Richtigkeit geprüft werden kann. Denn das Große an einem umkämpften und von den Besten seiner Zeit angegriffenen Großen kann unmöglich vor allem in dem sich finden, was klar auszudrücken ihm gegeben war. Machen wir es darum nun wie Gilbert selbst "seinem" Boethius gegenüber:
"Cum duo sint videntium genera (unum scilicet auctorum, qui sententiam propriam ferunt, alterum lectorum, qui referunt alienam) eumque lectorum alii sint recitatores, qui eadem auctorum verba et ex ipsorum causis eisdem pronuntiant, alii interpretes, qui obscure ab auctoribus dicta notioribus verbis declarant, nos (in genere lectorum non recitatorum, sed interpretum officio facientes) verborum transpositiones in ordinem, schemata in consequentiam, novitates in regulam (addentes singulorum causas) reducimus." (T I, Praef. 3,33 - fehlt bei Migne)
Es geht also im Folgenden keineswegs von der Geschichte losgelöst um die "Sache selbst", sondern sehr wohl um diese Sache eben insofern Gilberts Denken sie uns erhellt; unser Ziel ist aber jetzt nicht mehr, das explizit Gedachte und niedergelegte kritisch und objektiv nachprüfbar vor uns zu entfalten, sondern darum geht es, in eigener Verantwortung die Wurzeln dieses Denkens aufzuspüren und zu bewerten.
Bedenken wir zunächst, daß weder Boethius noch Gilbert einen klaren Unterschied zwischen realer und verstandesmäßiger Unterscheidung machten. Aus Gilberts Werken haben wir gesehen, daß er tatsächlich den Unterschied von quo und quod als realen in Gott leugnet, als verstandesmäßigen aber festhält. Das Zerwürfnis zwischen ihm und seinen Gegnern beruhte weitgehend darauf, daß diese Distinktion zweier verschiedener Distinktionen noch nicht erarbeitet war.
Innerhalb der nur verstandesmäßigen Unterscheidungen gibt es wiederum zwei wesentlich verschiedene Gruppen. Hören wir aus der Summa des hl.Thomas einen Einwand und seine Lösung:
"2. Praeterea, sicut paternitas et filiatio secundum nominis rationem distinguuntur ab essentia divina, ita et bonitas et potentia. Sed propter huiusmodi rationis distinctionem non est aliqua realis distinctio bonitatic et potentiae divinae. Ergo neque paternitatis et filiationis.
Ad secundum dicendum. quod potentia et bonitas non important in suis rationibus aliquam oppositionem: unde non est similis ratio." (Ia 28 4)
Sowohl die persönlichen wie die wesenhaften Attribute sind mit dem Wesen real identisch und verstandesmäßig von ihm unterschieden. Der Unterschied zwischen Wesen und Person ist jedoch durchaus anderer Art als der zwischen Wesen und wesenhaftem Attribut: dieser beruht allein auf der Schwäche unseres Verstandes, der die ununterschiedene Fülle nicht in einen Blick fassen kann, jener hingegen tut not ob des realen Unterschieds zwischen Person und Person. Weil die Wirklichkeit der einen Person von der Wirklichkeit der anderen relativ verschieden ist, darum muß für uns beider Begriff von dem des gemeinsamen Wesens unterschieden sein.(61) Sosehr unser Verstand also auch aus seiner Natur heraus dort Unterschiede machen muß, wo in Wirklichkeit keine sind, so sehr ist er sich doch wiederum dieser Unzulänglichkeit bewußt und bestimmt genau ihre Grade. Weil zwischen Person und Person ein unendlich wirklicher Unterschied besteht, deshalb ist die Unterscheidung zwischen Wesen und Person (quo und quod) nicht rein unser Werk, sondern hat ein Fundament in der bedachten Wirklichkeit. Nicht dort zwar findet sich der Unterschied, wo unsere Rede ihn hinverlegen muß (zwischen Person und Wesen), doch zwingt mich ein echter Unterschied anderswo zu diesem notionalen, so sehr ich die reale Identität zu rühmen habe. Wer eine von beiden unterläßt, fällt in die Irrlehre. Gilbert hat beides getan, doch nicht voll reflex, sonst hätte er auch das spätere Wort "distinctio rationis cum fundamento in re" gefunden. Ihr Wesen liegt also darin, daß sie an einer Stelle angesetzt wird, wo in Wirklichkeit kein Unterschied ist, um einen anderen, wirklichen Unterschied gedanklich fassen zu können.
Nach diesen Vorüberlegungen sind wir imstande, für Gilberts Unterschied quo/quod eine dreifache Wurzel zu erkennen: 1) Die gnoseologische Wurzel. Unser Verstand kann immer nur etwas von etwas aussagen, das "quo est hoc" vom "quod est eo".
2) Die ontologische Wurzel: Die Mensch-heit (im Sinne des Platonismus: als eine wirk-liche und dann in vielen verwirklichte Idee), durch die ich Mensch bin und ich, der ich es durch sie bin, wir sind real verschieden; denn ich bin eben nicht der Mensch, sondern nur ein Mensch.
3) Die theologische Wurzel: Eine jede göttliche Person ist für uns von der Gottheit, durch die sie ist, begrifflich zu unterscheiden, weil wir sonst ihre reale Verschiedenheit voneinander nicht aussagen können. Ebenso gehört sowohl die Gottheit als die von ihr verschiedene Menschheit als zwei verschiedene quibus dem einen quod der Person Christi an.
Die gnoseologische Wurzel nun hat keinerlei Verlängerung in Gottes Wirklichkeit hinein. Denn selbst bei Aussagen über Endliches wird durch das setzende Urteil der Unterschied zwischen Subjekt und Praedikat als solchen gerade aufgehoben: "Petrus ist dieser Mensch" - hier bedeutet das "ist" gerade, daß Petrus und dieser Mensch nicht verschieden, sondern dasselbe sind. Um wieviel mehr bedeutet die logische Trennung, die all unsere Aussagen begleitet, dann keinen realen Unterschied, wenn diese die göttliche Wirklichkeit meinen. Von hier aus dürfte sich das Problem des dreifachen quo est leicht auflösen: zwischen den Personen selbst und dem, was sie zu unterschiednen macht, unterscheidet der Verstand allein auf Grund seiner eigenen Natur, ohne jeglichen Anhaltspunkt in der Sache selbst. Darum tat der Theologe Gilbert gut daran, eine Distinktion "nebelhaft" zu lassen, die ausschließlich den Logiker angeht. (62)
Tiefer reicht die ontologische Wurzel - nicht zwar insofern, als jeder Mensch nur eine begrenzte Verwirklichung der einen Menschheit ist: denn jede göttliche Person ist der ganze Gott. Wohl aber insofern, als die menschliche Personverschiedenheit ja nicht nur, zum Zeichen der Endlichkeit, ein gleichgültiges Nebeneinander bedeutet, sondern ebenfalls (denken wir an eine Familie) innerhalb einer (freilich nicht singulären, sondern nur spezifischen) Natur ein reiches Relationengefüge ist. Jetzt wird der "transzendentale Wert" von Gilberts Schema (drei quod, ein quo) sichtbar: quod heißt Person, während das quo jener Raum ist, in den sie sich mit anderen teilen kann. Keine menschliche Beziehung ohne die Zusammengehörigkeit in der einen Natur, jener geheimnisreichen, spezifisch-ideell wie genetisch-real einen Menschheit.
Diese ganze Bedeutsamkeit der ontologischen Wurzel als Philosophie der Theologie blieb aber im Denken Gilberts selbst noch implizit; er kam zu keiner positiven Bewertung der Vielheit. Bei seinem Bestehen auf der subsistentia singularis gegen Thierry, welche de iure eine Aufwertung der Besonderheit (als Fundament der Relation) bedeutet, stand für ihn de facto die andere Seite der Wahrheit im Vordergrund. Er machte dadurch ganz und gar mit der Zerstreutheit und Vereinzeltheit der Kreaturen ernst: diese sind bis in ihr tiefstes Sein hinein viele und nicht eins, Gott dagegen ist nur eins und so sehr, daß die vom Glauben gelehrte Vielheit von uns so gut wie nicht gedacht werden kann; die psychologische Analogie ist Sabellianismus - denn zu denken wären drei Personen, nicht aber drei Befindlichkeiten einer einzigen. Die Einheit dreier Menschen in der einen Menschheit aber versagt, als Erklärung, ebenfalls, kann nur als schwaches Bild "ex rationibus naturalium" genommen werden.
Die gnoseologische Wurzel für sich allein verdient also nicht den Einsatz, den wir an Gilbert sehen, die ontologische war für sein Denken nicht bestimmend. Vor allem war er Theologe.
Für den Theologen nun liegt nicht in seiner Brauchbarkeit zur Trinitätserklärung der höchste Wert des Begriffspaares quo/quod. Das erweist sich schon allein an der Tatsache, daß es hier auf doppelte Weise eingesetzt werden kann. Entweder man sieht - wenn wir zur Verständnishilfe einmal ein Bild heranziehen dürfen - wie es Gilbert tut, die drei Personen als drei unausgedehnte, aufeinander bezogene Punkte an, welche gemeinsam einen einzigen unendlichen Kreis als Natur besitzen. Dann sind drei quod gemäß einem quo. Oder aber man erkennt, daß dieser unendliche Kreis viel eher ein einfachster unendlich intensiver Punkt ist denn eine, und sei es als unendlich vorgestellte, Fläche: dann können die drei Personen drei aufeinander bezogene "Wie" sein, in denen dieser Punkt ist: Blick, Licht und Glut - drei quo eines quod. Beide Anschauungen haben ihre Wahrheit und ihre Geschichte. Daß ein und dasselbe Begriffspaar jedoch beide Male genau umgekehrt eingesetzt werden kann, beweist klar, daß es, in sich allein genommen, selber keine Analogie darstellt. Es gibt die Familienanalogie und es gibt die psychologische Analogie, beide ergänzen einander und der Verstand ahnt auch in etwa den unendlichen Grenzpunkt, wo sie ineins fallen; das eigentliche Begriffspaar, welches sich in beiden Analogien gleichsinnig durchhält und insofern dieses Geheimnis "erklärt", ist jedoch nicht quo/quod, sondern substantia (in se) / relatio (ad aliud). In ein anschauliches Verhältnis zueinander gelangen diese beiden Begriffe allerdings nur, wenn sie einander (so oder anders) als quo/quod gegenübergestellt werden. Ohne Gilberts Terminologie geht es also nicht, doch ist sie, trinitarisch, sekundär (63).
Ganz anders steht es beim Inkarnationsmysterium. Denn hier lehrt das Dogma, daß die Menschheit keine Person, also kein quod ist, sowie daß göttliche und menschliche Natur nicht zu einer verschmelzen, also zwei quo sind. Hier gibt es darum keine Wahl; zwei quod besagte Nestorianismus und ein quo wäre der Irrtum des Eutyches. Hier erhebt sich darum Gilberts Unterscheidung zu ihrem eigentlichen Rang.
Weil die Mesnchwerdung in Wahrheit Gottes Tat ist, Gott selber betrifft, ohne doch die göttliche Natur in die Veränderlichkeit dieser Welt hereinzuziehen, darum muß ich, auch abgesehen von der Trinität und anders als dort, in Gott selbst id quod und id quo unterscheiden: Gott als (in diesem, einem seit Gilbert, wie es scheint, wieder vergessenen und recht ungebräuchlichen Sinn!) "Person" hat ein wirkliches Verhältnis zur Schöpfung, Gottes "Natur" oder Gott als Natur hingegen nicht. "Person/Natur" ist hier auch als innergöttliche Distinktion von Chalkedon, nicht von Nikaia her zu verstehen. Verschmelze ich dann beide Dogmen zu einer theologischen Aussage, so ergibt sich, je nachdem ich in der Trinitätserklärung Gilbert oder Augustin folge (was die Verteilung von quo und quod angeht), je eine grundverschiedene Christologie.
Damit klärt sich uns der vierte Streitpunkt des Reimser Konzils. Otto von Freising erklärt, man habe in diesem Punkte nichts definiert, "weil Bischof Gisilbertus sich nicht sehr von den anderen unterschied, da sie behaupteten, die Natur sei Mensch geworden, allerdings im Sohn, während er behauptete, die Person des Sohnes sei Mensch geworden, jedoch nicht ohne ihre Natur."(64)
Wäre in diesen.Sätzen das Wort "Natur" christologisch zu verstehen, im Sinn von göttlicher Natur im Gegensatz zur menschlichen, so wären damals beide Parteien einträchtig Monophysiten gewesen; denn die göttliche Natur in diesem Sinne bleibt gegen die menschliche abgesetzt, ist weder Subjekt der Menschwerdung noch irgendwie von ihr beeinflußt. Vielmehr geht auch im vierten Punkt die trinitarische Auseinandersetzung weiter und "Natur" bedeutet das eine Wesen Gottes nicht gegenüber der menschlichen Natur, sondern gegenüber den drei göttlichen Personen.
Zusammen mit Gilberts Trinitätsauffassung ergibt das Dogma von Chalkedon dann die übliche christologische Formel: Der Sohn ist Mensch geworden, nicht der Vater noch der hl.Geist. Im allgemeinen faßt der Glaube, von der Menschwerdung sprechend, die göttlichen Personen als quod und ihre gemeinsame Wesenheit als (unausgedrücktes) quo. Bernhard und die Seinen jedoch bieten in ihrer (nur aus der Polemik her zu erklärenden) Formel den Keim einer Christologie, die freilich recht wenig traditionell klingt, aber dennoch unanfechtbar sein dürfte: Der eine Gott ist Mensch geworden, aber im Sohn. Das bedeutet: nicht darin, wer Mensch geworden ist, unterscheiden sich die göttlichen Personen (lies: die absolut verschiedenen Befindlichkeiten unseres einen Gottes) - denn Gott ist wahrhaft Mensch geworden, sondern durch die Weise, wie Er es geworden ist - nämlich im Sohn. Diese Auffassung vermag sich etwa als Konklusion aus den beiden Schriftworten "Deus erat in Christo mundum reconcilians sibi" (2 Cor 5,19) sowie "omnia per Ipsum (= Verbum) facta sunt" zu ergeben. Weil das Sein der Welt selber, als abhängiges, zutiefst "worthaft" ist, darum kann, wenn Gott (als is qui verstanden) ein wirkliches Verhältnis zu etwas außer Sich begründet, Er dies seinsmäßig werden nur in derjenigen "Seinsweise", die in seiner eigenen Wirklichkeit das innere Wort (als id quo) ist. Gilberts und der meisten Gläubigen Vorstellung sind drei Personen, deren eine etwas wird, was die anderen nicht werden, Bernhards Vorstellung (wenn wir seine Formel einmal ernster nehmen dürfen als er selbst es wahrscheinlich getan) wäre diejenige einer Person, welche "ich" sagt und bei diesem Wort, womit sie primär sich selber ausdrückt, auch noch einen tat-sächlichen Umstand an sich selbst (etwa ein Kleid) mitmeint, welcher den Sprechenden als solchen gar nicht bestimmt, sondern ihm nur, insofern er sich selbst Objekt ist, äußerlich aber doch wirklich zukommt.
In beiden Auffassungen ist die Menschheit bloßes id quo; beide sind auch darin eins, daß neben diesem geschaffenen quo unvermischt mit ihm ein göttliches quo zu bekennen ist. Der Unterschied beider Christologien rührt darum tatsächlich allein von der verschiedenen Trinitätsauffassung her. Für wen trinitarisch drei quod durch ein quo sind, der wird christologisch in der Person des Wortes das quod und in der einen göttlichen Natur das göttliche quo sehen. Für wen dagegen trinitarisch das quod der eine Gott ist, der bleibt auch in der Christologie dabei, daß Gott Mensch geworden ist, und sieht das göttliche quo in der Seinsweise des quo. Beide Christologien sind ebensowenig auf eine reduzierbar und ebensowenig widersprüchlich wie die zugrundeliegenden Trinitätsauffassungen.
So reizvoll es darum wäre, nun beide Systeme im einzelnen zu vergleichen, so müssen wir dennoch den Zwist zwischen Bernahard und Gilbert auf sich beruhen lassen: woran uns eigentlich liegt, ist ja diejenige Unterscheidung von quo und quod, die primär christologisch ist und im Dogma von 451 bereits impliziert ist.
Wir sahen, wie in der Trinitätsfrage die alte Unterscheidung substantia /relatio nur auf dem Wege über Gilberts quo/quod zum Begriff der relatio subsistens geführt hat, obwohl quo/quod hier an sich nur indirekt und doppelsinnig zu verwenden ist. Sollte nicht die alte Unterscheidung essentia/actio ad extra mit Hilfe der hier viel exakter passenden Distinktion quo/quod helles Licht in ein anch wie vor nicht nur geheimnisvoll dunkles, sondern auch unnötig verfinstertes Mysterium bringen können? Vergleichsweise, und nur als Ausblick ins folgende Kapitel, seien darum abschließend zwei Schemata einander gegenüber gestellt.
Am Anfang steht ein Glaubenssatz (drei Personen in einem Wesen) einer Philosophie gegenüber, welche die Person akzidentell begründet und in der Relation nur ein Akzidens sieht; Akzidentien aber gibt er nicht in Gott. Gilbert unterscheidet zwischen id quo und id quod; das id quo ist das eine göttliche Wesen; gefragt, was die drei quo seien, kann er nicht leugnen, daß sie irgendetwas sind, betont jedoch:
"Relatio ... nequaquam praedicatur ea praedicatione quae vocatur praedicatio" SEGUNDUM REM, quia id, de quo praedicatur, vel esse vel aliquid esse ea non potest." (T I 10 9,60;1293C) Diese Position hält sich bei den Porretanern mehrere Jahrzehnte lang, obwohl die Gegner sie heftig angreifen und als häretisch bezeichnen. Erst der Begriff "relatio-subsistens" klärt die Wirrnis: Mit ihm wurde anerkannt, daß sich die Wirklichkeit (auch Gottes!) nicht mit dem Begriff "in sich ruhendes Sein" (Substanz) allein fassen läßt, sondern daß auf diesen unrückführbar ein zweiter Grundbegriff, nämlich der der Relation, hinzugenommen werden muß. Sie ist zwar Gott, darf aber doch von uns nicht restlos mit dem göttlichen Wesen identifiziert werden, weil sonst ein vom Glauben gelehrter realer Unterschied, der Gott betrifft, nicht gedacht werden kann. Gilberts Unterschied von quo und quod ist also unentbehrlich, im Grunde schon vom Dogma impliziert, muß aber noch durch die genauere Erkenntnis des Verhältnisses der verschiedenen quod zueinander erläutert werden: erst als dies mit dem Begriff "relatio subsistens" gelingt, ergibt sich ein widerspruchfreies Verständnis.
Konfrontieren wir nun die tatsächliche Entwicklung des einen Dogmas mit dem Stand, welchen die des anderen in der westlichen katholischen Theologie bisher erreicht hat - und die Ähnlichkeit der Strukturen läßt sich zwar nicht mehr stringent beweisen, erscheint aber zumindest erstaunlich und beachtenswert.
Am Anfang steht ein Glaubenssatz (Gott will und erkennt und wird sogar in etwa das Geschöpfliche) einer Philosophie gegenüber, welche in der Tat nach außen ein Akzidens erblickt, Akzidentien aber gibt es nicht in Gott. Allein und unbezogen wohnt Gott im reinen Denken Seiner selbst. Thomas unterscheidet zwischen operatio immanens und actio ad extra; die operatio immanens ist das göttliche Wesen selber. Gefragt, was die actio ad extra sei, kann er nicht leugnen, daß sie irgendwie ist, betont jedoch - und selbst wo es um die höchste Tat Gottes, die Menschwerdung geht:
"Anima in Christo non acquirit proprium esse humanae naturae, sed Filio Dei acquirit respectum secundum suum esse ad naturam humanam, qui tamen respectus non est aliquid secundum rem in divina persona, sed aliquid secundum rationem." (65) Diese Position hält sich bei den Thomisten bis heute, obwohl die Gegner sie darob angreifen und eines gewissen Monophysismus zeihen.(66) Diese christologische Frage ist jedoch gewissermaßen nur ein Symptom: weit tiefer als der Streit zwischen Thomisten und Skotisten greift der Gegensatz zwischen der gesamten lateinischen und der byzantinischen palamitischen Theologie in der Frage nach den Taten Gottes.
Sollte man nicht, mindestens einmal als Gedankenexperiment, die Parallele weiterziehen? Das sähe etwa so aus: Erst der Begriff "actio subsistens" würde die Wirrnis klären. Es müßte anerkannt werden, daß sich die Wirklichkeit (auch Gottes) nicht mit dem Begriff "in sich lebendes Sein" (Wesen und innere Relationen) allein fassen läßt, sondern daß auf es unrückführbar ein anderer Begriff, eben jener der Tat nach außen, hinzugenommen werden muß. Sie ist zwar Gott, darf aber doch von uns nicht restlos mit dem göttlichen Wesen identifiziert.werden, weil sonst ein vom Glauben gelehrter realer Unterschied, der Gott betrifft (zwei Naturen) nicht gedacht werden kann. Gilberts Unterschied von id quod und id quo bleibt also unentbehrlich, ist im Grunde bereits im Dogma impliziert, muß aber durch die genauere Erkenntnis des Verhältnisses der verschiedenen quo zueinander und d.h. des einen aus ihnen als "actio subsistens" erläutert werden, soll es zu einem widerspruchsfreien Verständnis kommen.
Damit verlassen wir Gilbert Porreta. Sein Werk ist tief und was er uns gelehrt hat, werden wir nicht vergessen dürfen. Es ist aber nicht weit genug und keine lebendige Kraft. Um den entworfenen Weg tatsächlich zu gehen - wenn es ihn gibt - bedarf es anderer Führer.
LDMq Mai 1964
[Wozu das beschriebene Denkzeug aktuell taugt, zeige ich hier.]
Anmerkungen
(*1) Wir halten uns dabei an die kritische und reich belegte Gesamtdarstellung von Suitbert GAMMERSBACH-. "Gilbert von Poitiers und seine Prozesse im Urteil der Zeitgenossen", Münster 1959
(*2) ebd 12
(*3) ebd 13
(*4) ebd 16; diese Kommentare sind jeweils nach den erläuterten Boethius-Werken bei Migne, PL 64, abgedruckt. Heute liegen sie alle auch in kritischen Ausgaben vor; Nikolaus HÄRING hat sie besorgt:
(*a) Expositio in Boethii De Trinitate, I und II (T I, T II) in: Nine mediaeval Thinkers (Studies and Texts, Toronto), 1955
(*b) In Boethii De Hebdomadibus, Traditio 9 (1953), 177-211 (H)
(*c) In Boethii Contra Eutychen et Nestorium (Incarnatio),AHD 21(1954) 241-357
(*5) GAMMERSBACH 78
(*6) ebd 79
(*7) ebd 80 f
(*8) Bei GAMMERSBACH findet sich alles, was uns überhaupt überliefert ist, klar und übersichtlich dargestellt. Auf den sachlichen Inhalt der Vorwürfe kommen wir erst im folgenden theoretischen Teil zu sprechen; sie sind ohne Kenntnis von Gilberts Lehre unverständlich.
(*9) ebd 144
(*10) ebd 17
(*11) ebd 140
(*12) In der Rezension zu Schmidts Buch, Scholastik 32(1957),272
(*13) Mindestens ist dies die wahrscheinlichere Auslegung eines überraschenden Sachverhalts: An den beiden einzigen Stellen, wo Thomas Gilbert in der Summa zitiert, heißt es das eine Mal (I,28,2c): "Circa hoc dicitur Gilbertus Porretanus errasse, sed errorem suum postmodum in Remensi Concilio revocasse." Das andere Mal (I,39,6 ad 1) tadelt er ihn ob einer Ansicht, die Gilbert zwar wörtlich vertrat, nicht als eigene Erfindung jedoch, vielmehr als den zu kommentierenden Text! Wir lesen da nämlich (T II,35;97; PL 64,1309 C): "Unde et auctor recte infert dicens: QUO FIT UT NEC TRINITAS QUIDEM DE DEO SUBSTANTIALITER PRAEDICETUR." (Vgl. 1302 B, wo dieser Satz im Original des Boethius steht.)
Thomas hat also eine, seiner Ansicht nach unrichtige These des von ihm so hoch geschätzten Boethius Gilbert zur Last gelegt. Hatte er sie in Gilberts eigenem Zusammenhang gelesen, so bewies er damit einen nicht einfach zu unterstellenden Mangel an Aufrichtigkeit. Wahrscheinlicher scheint deshalb, daß er aus zweiter Hand geschöpft hat; dafür spricht auch das "dicitur" im ersten Zitat. Die kurze Beschreibung aber, die Thomas in De Veritate 21,4 von der Ansicht der "Porretani" gibt,' deutet weniger auf Gilbert als auf eine spätere Entwicklung hin (so Häring, Traditio 9(1953) 182)
(*14) Vor allem: M.B.WILLIAMS, The teaching of Gilbert Porreta on the Trinity, Romae 1951 (Anal.Greg.56)1
Nikolaus HARING, The Case of Gilbert de la Porree Bishop of Poitiers, MS 13(1951),1-40
Martin A.SCHMIDT, Gottheit und Trinität nach dem Kommentar des Gilbert Porreta zu Boethius, De Trinitate; Basel 1956
(*15) Johannes von Salesbury, Schüler und Bewunderer Gilberts, schreibt über das Konzil von Reims: "Ich erinnere mich nicht, daß sich dort jemand gerühmt hätte, etwas gelesen zu haben, was jener nicht gelesen hätte." (Historia Pontificalis, c.10; ed. CHIBNALL, 21) Auch wurden die Gegner Gilberts, welche nur auf Blättern wenige Vätertexte in Auszügen beibrachten, darob herzhaft von Gilberts Klerikern verspottet, welche stoßweise die Bücher des Bischofs heranzuschaffen hatten (GAMMERSBACH 88)
(*16)HÄRING, Sprachlogik 114. Vgl. die folgenden Sätze, die M. D. CHENU bereits 1935 über Gilbert schrieb: "Nous sommes en présence d'une de ces intuitions méthodologiques qui décidèrent de la destinée de la théologie, et, avec elle, de la pensée chrétienne au moyen âge. Gilbert, dans son énoncé, pose en effet le principe de l'application à la théologie des chèmes techniques des autres disciplines: doctrine sacrée, tenue dans un régime d'autorité, elle engage cependant dans son travail des procédées rationnels analogues à ceux des disciplines humaines. Principe légitime et fécond, mais dont on voit vite l'audace ... Gilbert lui-même sut ce qu'il lui coûta." (RSPT 24/1935;261)
(*17) HÄRING, Sprachlogik 115
(*18) Forschungsbericht bei GAMMERSBACH 29-33
(*19) zitiert ebd 15
(*20) Metalog. IV 35 (PL 199,938C)
(*21) ebd.II 17 (875D)
(*22) ebd
(*23) Das dürfte die treffendste Übersetzung sein; vgl. IV 17 (938C): ex his natura ... concreavit)
(*24) Wem solches platonisierendes Denken weniger vertraut ist, dem mag vielleicht ein moderneres Beispiel helfen, es leichter von innen her mitzuvollziehen. Auch beim menschlichen Schaffen gibt es diese viergliedrige Kette: Alles geht vom Erfinder aus, welcher, als erster Ursprung, in seinem Geist die Idee des, sagen wir einmal, Transistorradios trägt. Nichts anderes als diese nämliche Idee in einer anderen Seinsweise (und insofern auch wiederum von ihr verschieden) sind die vielfältigen konkret verwirklichten Konstruktionspläne bestimmter Bauserien. Nach oder in oder gemäß diesen Plänen sind sodann die Einzelgeräte. Wer den Platonismus von unten begreifen wollte, dem müßte er immer fremd bleiben; von oben aber ist er, wie man sieht, durchaus einleuchtend. Von unten denkt das Kind, wenn es einen solchen Apparat sieht und fragt: "Was ist das?" Der Bastler wird dann langsam die "Naturform" erfassen und ihr gemäß (wegen ihrer Konformität) jedes solche Gerät verstehen können. Allein von unten her wird man aber nie zum Begriff der Formalursache gelangen. Man sieht ein, daß alle Radios ähnlich sind, kommt aber nie auf den Gedanken, dieser Ähnlichkeit, die ja nur als Ergebnis des (Nach-)Forschens erscheint, irgendeine Ursächlichkeit beizumessen. Die kennt hingegen der Erfinder. Er begegnet sich selbst, seiner Idee, seinem Werk, einer und derselben Wirklichkeit (und keineswegs nur einem abstrakten Gebilde) in jedem der unzähligen Geräte in den Schaufenstern aller Erdteile: Er weiß, daß sie ohne seine Idee weder da wären noch das wären, was sie sind: Ihres Wesens innerer Grund ist seine Idee. Und sein Begleiter, der nichts erfunden hat, ihn aber sowie die Zusammenhänge kennt: er wird, neben ihm vor dem Schaufenster stehend, die Apparate mit ganz anderen Augen, "in einem ganz anderen Lichte", wie man sagt, sehen als andere, die nur ahnungslose Passanten sind und ein solches Gerät bestenfalls von unten her genau kennen. Dieses Begleiters innere Einstellung zu dem, was er sieht: das ist allen Geschöpfen gegenüber die Haltung des christlichen Platonismus.
(*25) Siehe zu dieser Frage FABRO, Partecipazione 98-106. Dieser Darstellung sind die folgenden Angaben entnommen.
(*26) Diese Stelle gehört zum Kommentar der sechsten Regel des Boethius. Etwas vorher (H6,189; 1318C) hatte Gilbert gesagt, daß alle außer der siebten Regel philosophisch wie theologisch genommen werden können. Von der theologischen Bedeutung sehen wir jetzt ab; die philosophische ist die im Text dargelegte.
(*27) GAMMERSBACH 84
(*28)Der Kommentar ist teilweise veröffentlicht in: Wilhelm JANSEN, Der Kommentar des Clarenbaldus von Arras zu Boethius de Trinitate, Breslau 1926. Er wird (nach früherem Schwanken) nunmehr auch von N. HÄRING Thierry zugeschrieben (AHD 31/1956;262). Die zitierte Stelle: ed.JANSEN, 5x
(*29)"Aggregitur propositum" I 37, ed.HÄRING (AHD 31/1956)276
(*30) In Boeth. de Trin. ed.JANSEN 42x f.
(*31) N.HÄRING, Scholastik 32/1957,272
(*32) "Man beachte den feinen Unterschied: Wo von numerischer, unanschaulicher Singularität die Rede ist, wird 'diversitas' gebraucht; wo die sichtbar hervortretende (und die Singularität der Substanz 'beweisende', veranschaulichende) akzidentelle Verschiedenheit (die bei jeder Substanz verschiedene Gruppierung der Akzidenzen) mitberücksichtigt wird, da heißt es 'dissimilitudo'." SCHMIDT 58, Anm.172
(*33) In seinem Kommentar zu den Kategorien des Aristoteles (PL 64,174C)
(*34) Vgl. T I 10 12,81;1294B: "Itaque singularitate eius" quo est, singulare est etiam id, quod eo aliquid est." Zu dem im dortigen Zusammenhang gemachten Unterschied singulär/individuell vgl.HÄRING, Christologie 387. Dieser Unterschied kann die wesentliche Änderung Boethius gegenüber zwar in etwa verschleiern, aber nicht verhindern.
(*35) Vgl. den Schluß desjenigen Vorwortes, das er statt der vom Papst erwarteten "Verbesserung" des ersten Trinitätskommentars diesem Werk später vorangestellt hat (T I Praef.7,34):
"Quae vero, a nobis scripta sunt, bene exercitatis lectoribus non modo rationibus firma verum etiam scripturis authenticis adeo consona esse videntur, ut non tam nostra inventa quam furta esse credantur."
(*36) Das will keinewegs heißen, Gilbert habe keine reflexe Wissenschaftstheorie gehabt. Sie hatte er; doch müssen wir aus zwei Gründen hier nicht näher auf sie eingehen. Einmal deswegen, weil sie von zuständiger Seite bereits exakt behandelt worden ist (HARING, case 5-11; SCHMIDT 24-49; 179-209) und sodann weil meines Erachtens nicht in der philosophischen Komponente von Gilberts Methode seine Größe liegt, sondern in ihrer theologischen Bedeutsamkeit. Diese allein, so scheint es, hat auch im 20.Jahrhundert noch anderes als nur historisches Interesse. Darum mag es wohl einmal einen Versuch wert sein, ob es gelinge, sie in sich allein als sinnvolles Gebilde aus ihrem zeitbedingten Rahmen herauszulösen."
(*40) Es scheint mir darum etwas zu viel behauptet, wenn SCHMIDT (S.59f) schreibt; "Das Verhältnis der drei Personen zu ihrer essentiellen Einheit läßt sich demnach mit dem Verhältnis kreatürlicher Individuen zu ihrer gemeinsamen Art oder Gattung nicht vergleichen. Damit ist aber ein beliebter Versuch, das trinitarische Geheimnis zu erklären, abgelehnt."
Allerdings wird an der dort kommentierten Stelle (1262B) gerade die Unterschiedenheit der Dreifaltigkeit von diesem ihrem Bilde betont. Mag Gilbert aber auch naturgemäß in seiner Auseinandersetzung mit den bloßen Nachschreibern des Boethius die Besonderheit der subsistentia als einzelner auch vor allem herausgestellt haben, so verläßt er doch den ihnen gemeinsamen Platonismus so wenig, daß auch die Einheit der spezifischen Form ausgesagt wird. SCHMIDT selbst schreibt (S.55): "...sed quamvis conformes, tamen diversas (sc. res); immo quia conformes, ergo numero diversas a se invicem naturas de numero a se diversis affirmant (1262B). Man beachte beim letzteren Beispiel, wie sich Gilbert selber korrigiert: Die zunächst als Gegensatz empfundenen Begriffe Konformität und Verschiedenheit bilden beim näheren Zusehen in Wirklichkeit ja (immo) gar keinen Gegensatz, sondern sind korrelative Begriffe, bedingen sich gegenseitig." Diese Korrelativität ist also nicht in der Weise ein Gegensatz, daß die singuläre Besonderheit die Wahrheit der Konformität schwächte. Nicht um einen univoken Gegensatz geht es hier, sondern um verschiedene Dimensionen.
Gilbert zeigt einmal (T I 10 19,82;1295AB) deutlich auf, inwiefern bei geschaffenen Personen unmöglich ein quo mehreren quod gemeinsam sein kann: es kann nicht gleichzeitig sein und nicht, sofern die unitas singularis als solche im Blick steht. Sehe ich aber von ihr ab und auf die wirkliche unio conformitatis hin, so habe ich eben jenes "idem", das einen gewissen Vergleich mit Gott erlaubt:
"Et in naturalibus quidem sic est per se una, quaecumque res 'persona' vocatur, ut scilicet et cuiuslibet illorum, quibus est, singularitate una sit: et dissimilitudine illius, quo nulli a se alii potest uniri, individua: et nullo illorum, quibus ipsa est aliquid, simul et singulariter illa sit, quae in naturalium genere ab eadem est alia. 'Simul' dicimus, quoniam ab aliquo generatus aliquo singulariter etiam eodem est, quo et genitor eius: sed non in eodem tempore. Ea namque paterni sanguinis corporalitate genitus aliquid est, qua singulariter genitor eius non dico 'adhuc est' sed 'fuit aliquid'. 'Singulariter' vero dicimus, quoniam multorum, quibus est, conformitate idem sunt ea, quae ab eadem re sunt alia."
Abermals läßt er ganz zum Schluß von T I (10 37f 87;1299AB) diese "unio" durchaus als Vergleichsbasis zu, ja, stellt sie über das Beispiel des Boethius von Herr und Knecht:
"quantitates et qualitates, secundum quas 'aequalia' et 'similia' dicuntur, non adeo diversae sunt sicut potestas et vilitas, secundum quas ille 'dominus', iste vero 'servus' dicuntur. Sed quodammodo unum sunt: non quidem ea, quae ex singularitate est, unitate, sed ea, quae ex proportione comparatur, unione."
Dadurch, daß er gleich ein (seiner Meinung nach) besseres Beispiel findet, wird das vorige nicht abgelehnt:
"Sed ET ubi non unio collationis sed unitas proprietatis est, fit quandoque praedicatio relativa: ut IDEM EI QUOD EST IDEM IDEM EST non modo identitate unionis (ut homo idem quod homo est, nam Plato et Cicero unione speciei sunt idem hono) verum etiam identitate verae (et quae ex proprietate est) unitatis: ut rationale idem quod rationale est. Veluti anima hominis et ipse homo non unione speciei sed unitate proprietatis sunt unum rationale ..."
(*41) WILLIAMS 62, Anm. 11. Weitere Stellen und ein ausgewogenes Gesamturteil siehe bei SCHMIDT 177f
(*42) Mansi 21,711 E. Der dort gegebene Text der vier Punkte stimmt fast wörtlich mit dem der neu aufgefundenen sog. "Reimser Aktenstücke" überein. Siehe GAMMERSBACH 55
(*43) Ebd 75; "Wir fassen unser Ergebnis zusammens In Reims fällte der Papst nur den von Otto überlieferten Glaubensentscheid; alle übrigen Entscheidungen waren disziplinärer Art."
(*44) Ich fasse kurz zusammen, was SCHMIDT entwickelt (v.a. S. 24-60).
(*45) De Trinitate VII 6 11 (PL 42,943)
(*46) Ebd V 4.5 (PL 42,913f)
(*47) In dem von HARING herausgegebenen "Dialog zwischen Eberhard und Ratius" (MS 15/1953;284), welcher im letzten Jahrzehnt des 12.Jahrhunderts entstand.
(*48) "Librum hunc", ed.JANSEN, 24x f.
(*49) In Boeth. de Trin. ed.JANSEN 100x f.
(*50) Sententiarum Liber I dist.33 cap.1; ed.1916, p.209
(*51) Ebd dist.34 c.l; p.212
(*52) Ebd dist.33 c.l; p.208
(*53) Ebd. p.209; Hilarius,De Trinitate II n.5 (PL 10,54)
(*54) De fide Orth. III c.6 (PG 94,1002)
(*55) De Trinitate II n.9 (PL 10,58)
(*56) Sententiae, L.I c.25 (ed.Moore-Dulong 1943,203-205; PL 211,885C,886B)
(*57) Johannes SCHNEIDER: "Die Lehre vom dreieinigen Gott in der Schule des Petrus Lombardus, München 1961, S.166. (Daß mit dieser Distinktion zwischen logischer und ontologischer Unterscheidung das Proprietäten-Problem noch nicht erschöpft war, sollte der Fortgang der Entwicklung bis hin zur skotistischen Formaldistinktion erweisen. Doch davon später.
(*58) "Subsistens" jetzt natürlich im thomistischen, Gilberts gerade entgegengesetzten Sinn verstanden! Diesen Begriff gab es zur Zeit Gilberts noch nicht (So HÄRING, Sprachlogik 123 sowie SCHNEIDER, op.cit.225); solange er nicht gefunden war, konnte die Verwirrung kein Ende nehmen. Sobald aber der Begriff da ist, stellt sich auch der Ausdruck ein (Siehe etwa: Thomas, S.th. Ia 40 2 ad 4)
(*59) Was das 12.Jahrhundert anlangt, so berichtet Petrus Lombardus (III Sent. dist. 6, 7 u.10) von den drei Meinungen, die damals um die Herrschaft kämpften. Vgl.dazu HARING, case 26-40, sowie P.GLORIEUX, "L'orthodoxie de III Sentences" , Misc. Lombardiana, Novara 1957, 137-147. Nach HARING war keine der drei Ansichten richtig. "The fact that St.Thomas considered the second opinion as orthodox only proves that he failed to irterpret it accurately." S.38); Gilbert habe der zweiten angehangen (S. 28). GLORIEUX hingegen meint, Lombardus bringe "l'explication porrétaine tout d'abord, puis l'explication traditionelle, des Victorins et de l'ensemble des théologiens, enfin celle d'Abélard et son école". (S.139)
Über die Schwierigkeiten des 12.Jahrhunderts informiert die von E.HOCEDEZ herausgegebene Anthologie "Quaestio de unico esse in Christo", Romae 1933.
(*60) Es sei erlaubt, das Gemeinte an einer uns näher stehenden Fragestellung zu erläutern: Wie kann Christus als Mensch Kenntnis von seiner Person haben, die doch göttlich ist ? Es ist hier nicht der Ort, auf die vielfachen Lösungsversuche dieser Frage einzugehen; unserem Autor wäre aber wohl schon die Frage in sich höchst verdächtig erschienen; scheint es doch, als werde hier das Verhältnis Person/Natur gerade auf den Kopf gestellt. Denn hier wird die Menschheit zum id quod gemacht (der, welcher weiß oder wissen möchte) und die Person zum id quo (nämlich zum Objekt des Wissens, d.h. zu einer Determination einer Weise, zu sein.). Wollte man eine Frage, die zu Gilberts Zeit nicht aktuell war, aus seinen Prinzipien heraus zu lösen versuchen, so wäre wohl zu sagen: So kann nicht gefragt werden. Nicht der Mensch weiß von "seiner Person", sondern der da weiß, ist Gottes Sohn, die Person des Wortes: was und wie er aber weiß, bestimmt sich nach seinem id quo, hier also nach seiner Menschheit. Richtig gestellt - und dann allerdings sehr sinnvoll. und tief - würde die Frage also lauten: "Wie weiß Gott menschlich um Seine Gottheit?" Vergleicht man diese Formel mit der oft gebrauchten: "Wie weiß der Mensch Jesus von seiner göttlichen Person?" so springt der Unterschied der Denkformen in die Augen. Dort eine geheimnisreiche Selbstverständlichkeit, hier eine ausweglose Aporie.
(*61) Dies ist im Sinne von Thomas gesprochen; auf die Frage der Formaldistinktion auch zwischen den wesenhaften Attributen müssen wir noch zurückkommen.
(*62) Damit ist freilich nicht das gesamte Problem der Natur der "Proprietäten" gelöst. Wir sehen hier aber von den nicht Person-bildenden ab und betrachten allein innascibilitas, filiatio und spiratio passiva. Sie sind, ohne jegliche Einschränkung, mit den Personen real und formal identisch.
(*63) Historisch war sie freilich, wie schon erwähnt, entscheidend: indem sie zum ersten Mal Natur und Person konkret und substantiell gegenüber zu stellen vermochte und so dem Paar in se / ad aliud erst die Anwendung auf Gott ermöglichte, welche vorher die Akzidentalität der Relation bzw die Abstraktheit der einen Substanz verhindert hatte.
(*64) Zitiert bei HÄRING, Christologie 375
(*65) In III Sent. dist.6 q 2 a 2 ad 1
(*66) Skotus bemerkt dazu: . "Si Verbum tantum habeat respectum novum ad naturam, et ille erit respectus rationis tantum: cum autem per respectum rationis non dicatur subiectum formaliter esse aliquid: ergo Verbum, in quantum homo, non erit formaliter aliquid: consequens est contra illud extra de hereticis 'Cum Christus' ergo." (in III Sent. dist. 6 q 1; ed. HOCEDEZ 119) Er bezieht sich auf ein Verbot Alexanders III., zu sagen, "quod Christus non sit aliquid secundum quod homo" (D 393).
Es hat einen gewissen Reiz zu beobachten, wie sich hier in einer anderen Frage zwischen Thomas und Skotus wörtlich (und mir scheint, nicht nur wörtlich) der Zwist zwischen Gilbert und Petrus von Poitiers wiederholt: Hier heißt es "non secundum rem" - dort "est aliquid".
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