Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken
Sehe ich DANN meinen Hund wieder?
Versuch einer katholischen Katechismus-Ergänzung
"Sie schauen so bedrückt, was ist los?" "Ach nichts", wehrt die junge Kollegin ab, "Sie lachen mich doch bloß aus". Das tue ich nicht, nachdem sie ihre Geschichte erzählt hat. Im Gegenteil merke ich: Hier klafft eine schlimme Lücke im Glaubensgebäude nicht nur von "Otto Normaldenker" sondern auch des offiziellen Christentums. Die ganze westliche (und islamische!) Welt einschließlich ihrer religiösen Autoritäten muß in einem wichtigen Punkt von der indischen Spiritualität lernen.
Vor hundertfünfzig Jahren brachte Arthur Schopenhauer das Problem auf den Punkt, als er es einen heillosen "Grundfehler des Christentums" nannte, "daß es widernatürlicherweise den Menschen losgerissen hat von der Tierwelt, welcher er doch wesentlich angehört, und ihn nun ganz allein gelten lassen will, die Tiere geradezu als Sachen betrachtend; - während Brahmanismus und Buddhaismus, der Wahrheit getreu, die augenfällige Verwandtschaft des Menschen, wie im allgemeinen mit der ganzen Natur, so zunächst und zumeist mit der tierischen, entschieden anerkennen und ihn stets, durch Metempsychose [Seelenwanderung] und sonst, in enger Verbindung mit der Tierwelt darstellen. Die bedeutende Rolle, welche im Brahmanismus und Buddhaismus durchweg die Tiere spielen, verglichen mit der totalen Nullität derselben im Juden-Christentum, bricht, in Hinsicht auf Vollkommenheit, diesem letztern den Stab; so sehr man auch an solche Absurdität in Europa gewöhnt sein mag ... Ich habe, von sicherer Hand, vernommen, daß ein protestantischer Prediger, von einer Tierschutzgesellschaft aufgefordert, eine Predigt gegen die Tierquälerei zu halten, erwidert habe, daß er, bei dem besten Willen, es nicht könne, weil die Religion ihm keinen Anhalt gebe. Der Mann war ehrlich und hatte Recht." [Sämtl. Werke (Leipzig 1891 ff bei Reclam) V,388.390]
Was kann, wer nicht Buddhist werden sondern Christ bleiben will, angesichts dieses Vorwurfs tun? Ich muß an Jesu Abschiedsworte denken: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, doch ihr könnt es jetzt nicht tragen. Kommt aber jener, der Geist der Wahrheit, so wird er euch in alle Wahrheit leiten" (Joh 16,12-13). Läßt sich ein Herzenskummer mancher Tierfreunde so heilen, daß wir die Lücke im überlieferten Lehrgebäude wahrnehmen und schließen? Kann (um in Jesu Bild zu bleiben) unsere Generation endlich die Last der Steine tragen, die zum Ausfüllen dieser Lücke nötig sind?
Meine Kollegin hatte einen Hund, den sie sehr liebte. Bei einer schweren Krankheit ihres Vaters hat das Tier ihre Trauer gespürt und rührend geteilt. Bewegt trug sie mir ein kleines Gedicht vor:
Daß mir der Hund das Liebste ist,
sagst Du, o Mensch, sei Sünde -
doch bleibt der Hund im Sturm mir treu,
der Mensch nicht mal im Winde.Als der Hund starb, fand sie in ihrer katholischen Religion wenig Trost. Im Neuen Weltkatechismus heißt es (2457): "Die Tiere sind dem Menschen unterstellt, der ihnen Wohlwollen schuldet. Sie können einer gerechten Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen." Von solcher Kälte bis zu Liebe, gar Hoffnung über den Tod hinaus wäre ein weiter Schritt. Können wir ihn gehen?
Ich glaube: Heutige Christen müssen das versuchen. Gerade weil wir das Ewige Leben ebenso herzlich hoffen wie unsere Ahnen, zwingt der Weltbildwandel uns, es anders als sie zu denken. 1970 fragte ich in der Religionslehrer-Zeitschrift "Katechetische Blätter" nach Adams Mutter. War sie eine Äffin? "Wie ertrüge seine unsterbliche Seele die ewige Trennung von seiner ins Nichts zurückgesunkenen tierischen Mutter?" [Meine Antwort an einen bischöflichen Zensor, der sich darüber aufregte]
Doch blenden wir die komplizierten Fragen nach Rändern und Fransen des Personseins jetzt aus. Schimpansen und Menschen haben 98,7 % der Gene gemeinsam; was wissen wir über das Bewußtsein der Delphine und Wale? Auch die ethische Frage nach dem gebotenen Umgang mit Tieren, so wichtig sie nicht erst seit der BSE-Krise ist, sei hier ausgeklammert. Schopenhauer war übrigens kein Vegetarier! Mein Thema heißt nur: Darf jemand nach christlicher Lehre hoffen, daß ein geliebtes Tier im Ewigen Leben bei ihm ist?
Da steht zunächst fest: Viele Christen haben Ihre Osterhoffnung nicht nur auf sich und ihre Mitmenschen erstreckt (schon das scheint dem nüchternen Sinn unfaßbar), sondern sogar für ein geliebtes Tier gehofft. Ein überzeugt katholischer Arzt sagte zu meiner Schwester, sein Hund sei ganz bestimmt im Himmel. Sogar Hunde- und Katzen-Friedhöfe mit Kreuzen soll es geben. Grund solcher Hoffnung ist vermutlich das schlichte Vertrauen: Gott liebt mich, dieses Tier gehört zu mir, also wird es mir DANN gewiß nicht fehlen.
Das stimmt; noch gerechter wird den Tieren aber der heilige Paulus, wenn er im Römerbrief (8,21) schreibt: "Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes." Nicht nur um eines Menschen willen sondern weil es selbst zur Schöpfung gehört, darf jedes Lebewesen ewig dasein.
Wie läßt sich das aber vorstellen? Wissen muß es niemand, "kein Auge hat es gesehen ..." Ohne ein Minimum an denkbarer Ahnung tut die Hoffnung sich allerdings schwer. Ich glaube: Weil wir zuinnerst zeitlich sind, kommt das Ewige Leben nicht nach der Zeit, sondern ist nichts anderes als dieses Leben, freilich anders: befreit von Enge und Schmerz, Fremdheit und Angst. Stellen Sie sich eine Flötistin vor, in ihrer Kammer übt sie für ein kurzes Teilstück einer Sinfonie. Ihre Melodie ist mal leichter mal schwerer, jetzt reizvoll dann banal. Immer aber eine bescheidene und doch stressige Sache. DANN erst, beim angstlos gekonnten Musizieren im Konzert, vernimmt sie, wie herrlich ihr Lied im großen Zusammenklang tönt - exakt dasselbe Lied mit Anfang und Ende, und doch NUN so ganz anders.
Beim Versuch, den Vergleich bis auf den Grund zu verstehen, scheitert irdischer Verstand; nicht zum Begreifen des Ganzen hat er sich entwickelt, nur damit wir uns in der Welt zurechtfinden. Immerhin behebt das musikalische Gleichnis ein irreleitendes Mißverständnis. Jenes Flötenstück enthalte 32 Takte. Nach dem letzten Takt ist es aus. Nichts Späteres, keinen 65. Takt erwartet die übende Künstlerin für sich DANN, wohl aber den vollen Klang ihres Lebensliedes innerhalb der Sinfonie, dazu diese ganz, vom ersten bis zum letzten Ton aller Instrumente. Ihre eigene Melodie bleibt winzig, doch hat sie bewußten Anteil am unendlichen Ganzen.
Was sage ich also meiner Kollegin? Erinnern Sie sich an manchen Augen-Blick Ihres getreuen Freundes. Jeder solche Moment ist eine Note Ihres wie seines Lebensliedes. Keine geht im Konzert verloren. Nicht eine andere Zeit kommt nach der Zeit. Wie verwestes Fleisch sich später wieder zusammensetze - nicht das ist die Frage. Wir, wie unsere Tiere, sind Lebewesen zwischen Zeugung und Tod; wie wir jetzt werden, so leben wir DANN ewig. Dasselbe Lied ertönt beim einsamen Üben und im Konzert. Zwar hoffen Sie DANN auch anderes nach, neben, sogar vor Ihrer Melodie zu vernehmen - eben ALLES (z.B. auch die innere Perspektive des Hundes während er damals aufs Sofa sprang) - das ist aber Teilhabe an fremdem Leben, die man von der ewigen Erlösung der eigenen Lebensmomente nicht trennen aber unterscheiden kann. Alles Ewige wird irdisch geworden sein - oder, wer weiß, auf anderen Planeten, gar in anderen Welten?
Wenn Sie das Zusammensein mit Ihrem Dario neu leben, geschieht das also DANN in derselben Zeit, die Sie miteinander verbracht haben. Nur im vorläufigen engen Übungsraum ist die scheinbar vorbei, bei der Freilicht-Aufführung kommen eben jene Jahre überhaupt erst ganz zu sich. Exakt gesprochen, gibt es kein Vorbei. Keine andere Erde wird die neue sein sondern erlöst, verwandelt, unser Hier und Jetzt. Das zu bedenken ist heilsam. Tiefer verstanden, aufs Wesen geschaut statt aufs Wie: ist etwa dieses Leben, Stunde für Stunde, nicht erst die Probe sondern schon das Konzert?
März 2002
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