Jürgen KuhlmannDas Geheimnis von Bühne und Fest
Was ist der »eschatologische Vorbehalt«?
»Vom Ende der Zeit: Geschichtstheologie und Eschatologie bei Erik Peterson« hieß das Thema einer Fachtagung in Mainz. In fünfzehn (zum Teil fremdwortgesättigten) Vorträgen sprachen zwei Bischöfe, fünf Professoren sowie andere Experten. Der evangelische Theologe Erik Peterson (1890-1960) trat nach langem Gewissenskampf 1930 zur katholischen Kirche über, heiratete mit 43 eine junge Italienerin und lebte fortan in Rom - mit fünf Kindern, in bedrückender Armut, beruflich erfolglos. In beiden Konfessionen fast vergessen, fand er dank der Biographie von Barbara Nichtweiß (1992, 967 Seiten) ins christliche Gespräch zurück, seine nie gedruckten Manuskripte gibt sie, von vielen Helfern unterstützt, derzeit heraus.
Eines habe ich neu gelernt: Wir Christen sind von der Tyrannei der Zeit erlöst; dank Jesus ist der alte Äon vom Neuen überwunden. »Die Zeit ist erfüllt« (Mk 1,15). Wir leben bereits in der Fülle der Zeit! Nicht auf das Ewige Leben warten wir, nur in ihm auf seine Enthüllung. Wohl gilt, weil die Geschichte äußerlich weiter läuft, ein »eschatologischer Vorbehalt« (diesen Begriff hat Peterson geprägt): das angebrochene Heil ist noch nicht in sich selbst erlebbar. Vielmehr kann »der Neue Äon immer nur im alten repräsentiert werden« (das ist für B. Nichtweiß das grundlegende Prinzip von Petersons Theologie; mit dem folgenden Gleichnis suche ich es zu verdeutlichen). Sofern wir dieser veralteten Welt angehören, unterliegen wir, wie alle, ihrer Nichtigkeit. Viele Menschen müssen Entsetzliches leiden, auch das Glück scheint vergiftet, weil jede Geschichtsgestalt von anderen widerlegt und verdrängt wird. Runzeln tun weh; ZEIT-Leser wissen, wie schnell die neueste Gültigkeit gleichgültig und ungültig wird. Historismus führt Nachdenkliche zur Verzweiflung.
Aus ihr rettet der Glaube. Bestimmt wird unser Bewußtsein dann nicht länger nur von der Bühne des alten Äon, auf der das Heil repräsentiert, dargestellt wird, vielmehr auch schon vom Ewigen Fest um die Bühne her, dessen mannigfache Sinn-Pole sich, uns Geschöpfen faßbar zu sein, in die dramatischen Gegensätze auf der Weltbühne auseinanderspreizen. Als Figuren auf ihr (a) sind wir vergängliche Fragmente; als Schauspieler (b) sollen wir unsere Rolle überzeugend agieren, wie des Regisseurs Stimme, das Gewissen, sie uns anweist. Wer böse ist, das nicht tut, wird verworfen, hoffentlich sogar vom guten Rest in sich selbst, denn im Geiste sitzen wir (c) zugleich schon als Mitfeiernde im Parkett, so daß ich mitten in der winzigsten Rolle doch den Sinn des Ganzen ahne, auch beim zeitlichen Scheitern meiner Figur Applaus empfangen und spenden kann, noch im Todesgrauen hoffe, daß Sterben eine Episode auf der Bühne des Lebensfestes ist.
So sind die äußersten Gegensätze krampflos versöhnt: der Ernst einer persönlichen, konfessionellen, christlichen Sinngestalt (oder jüdischen oder anderen - das Heilstheater umfaßt viele gegensätzliche Szenen) auf der Bühne der Geschichtszeit ist ebenso gültig wie die ökumenisch-friedliche Einheit aller, die im Saal der Ewigkeit schon mitfeiern, gleichsam als Facetten in Gottes Auge die Szenen des Dramas betrachten. Die Spannung zwischen Auge und Bühne sind wir, ihr Vibrieren ist unser Leben. Wer die Bühne als Bühne durchschaut, lebt schon im Fest.
April 2000
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