Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken

DIE TATEN DES EINFACHEN GOTTES

Eine römisch-katholische Stellungnahme zum Palamismus

Rom 1965


Inhaltsverzeichnis

IV. Systematischer Teil

B) Gottes Endlichkeit

Gottes Endlichkeit beginnt mit der Schöpfung und verdichtet sich bei der Inkarnation. Die Problematik ist vorderhand aber dieselbe: Wie kann der Unveränderliche werden, sei es Schöpfer, sei es Mensch? Die nämliche Frage anders gestellt: Wie können wir die Schöpfung so verstehen, daß Gott weder in die Welt hineingezogen noch von ihr geschieden wird? Niemand will heute mehr an einen ersten Beweger glauben, welcher - zwar irgendwie als außerweltlich vorgestellt - dennoch notwendig mitbewegt würde; und keiner hat je, im Ernst, an jenes unbezogene Absolute zu glauben vermocht, das nie eine Welt hätte schaffen können. Was ist aber dann für uns der Schöpfer? Weil unsere Lösung sich als Fortentwicklung der bisherigen katholischen Theologie versteht, greifen wir jetzt die Fäden wieder auf, die wir im dritten Teil bei der Behandlung des Hl.Thomas lose zurückgelassen haben.

1) Relatio rationis

Eine wirkliche Beziehung im Sinn von Thomas fehlt immer dann, wenn das Gegenüber unvergleichlich minder wirklich ist als der Beziehungsträger. Zwischen Gott in sich und der Welt, sowie zwischen der Weltwirklichkeit und einem Wahn der Phantasie besteht je eine unendliche Kluft. Alles theologische Sprechen überträgt Verhältnisse dieser Welt analog auf Gott.

Neuartig verbunden, ergeben diese thomistischen Prinzipien einen fruchtbaren Gedanken: Gott hat zwar keinesfalls ein wirkliches Verhältnis zur Welt; denn seine Beziehung zu ihr kann ja keinen absoluten, notwendigen, göttlichen Seinsrang haben. Dennoch ist sein Bezug zur Welt, wie alles von Ihm Ausgesagte, analog zu verstehen und darum nur proportional ein "ens rationis". Über die "entia rationis", die wir kennen (den Inhalt eines Romans etwa) ist er ebenso hoch erhaben wie Gottes innere Wirklichkeit über das, was in der Welt so heißt. Gottes Beziehung zur Welt hat in Ihm, und von Ihm ausgesagt, den Seinsgrad eben der Schöpfung,auf die er sich bezieht.

Dasselbe anders: Im Sinn der thomistischen Terminologie muß Gottes Bezug zur Welt unbestreitbar als "ens rationis" aufgefaßt werden. Nun kann ich das Schema ens reale/ens rationis bei der theologischen Anwendung entweder analog erweitern oder analog verschieben. Entweder ich verschiebe den Begriff "wirklich" solange nach oben, bis er die unbegreifliche Wirklichkeit Gottes meint, belasse aber den Gegenbegriff "Gedankending" an seinem bekannten Platz: ein Gedankending ist nicht wirklich ("wirklich" im scheinbar selbstverständlichen Sinn von Weltwirklichkeit verstanden). Oder aber, und das schlage ich vor, man verschiebt das gesamte Schema analog, sodaß der Unterschied zwischen relatio realis und rationis tantum, auf Gott angewandt, die innergöttlichen Verhältnisse von der Beziehung nach außen unterscheidet: diese ist zwar unendlich weniger wirklich als Gott selbst, wird dadurch aber nicht schlechthin, sondern analog zu nichts, erreicht vielmehr genau die Wirklichkeit unserer Welt. Der Bezug Gottes zur Welt ist als Gottes eigene Wirklichkeit mit dem Seinsrang der Geschöpfe anzusehen.

Gottes Verhältnis zu mir als diesem einzelnen berührt Ihn in Seiner Gottheit unendlich weniger als mich meine Beziehung zu meinem Photo, dh (denn unendlichgesetzt verliert ein Begriff alle bloß quantitativen Stufen): es berührt Seine Gottheit überhaupt nicht, ist nichts für Ihn: nulla relatio realis. Wer einzig der griechischen Metaphysik diese These zuschriebe, täte Thomas unrecht - sie ist der Schrift nicht fremd! "Siehe, die Völker sind wie ein Tropfen am Eimer, sind wie ein Stäublein auf der Waage geachtet. Siehe, Inseln wiegen nicht mehr als ein Sandkorn. Und der Libanon reicht nicht hin zum Brennholz, und sein Wild reicht nicht zum Opfer. Alle Völker sind vor Ihm nichts und wie ein Nichtiges und Eitles geachtet."(Is.40,15-17)

Des Propheten Bilder drücken allesamt eben den Begriff: nulla relatio realis aus. Dasselbe sagt der Psalmist: "Kennen will ich, wie ich hinfällig bin. Spannenbreite, ach, gabst du meinen Tagen, meine Weile, vor dir ist sie wie nichts, allsamt ein Dunst nur ist all der aufrechte Mensch. Nur als ein Schattenbild geht jedermann."(Ps.39,5-7) Dunst, Schatten: das hat alles keinen Bestand, keine Wirklichkeit.

In dieser Ausdrücklichkeit findet sich der Gedanke nicht oft in der Bibel; niemand wird aber leugnen wollen, daß er sachlich zum Kern der Offenbarung gehört. In der Deutung dieses "Nichts" ist uns aber Vorsicht geboten. Denn dieser Begriff ist, wie sein Gegenpol "Sein", nur analog zu verstehen. Gottes Wirklichkeit ist mit der meinen so unvergleichlich, daß ich Seine Beziehung zu mir, in meinen Maßstäben gedacht, keineswegs als nichts ansehen muß noch darf. Nichts ist sie, wofern "seiend" hier das göttliche Sein selber meint; verglichen aber etwa mit der Beziehung, die ein irdischer Schöpfer zu seinem Werk hat, darf ich sie nicht nichts nennen: das hieße Gott, eben um seine Transzendenz zu betonen, zu einem Seienden erniedrigen.

Wenn wir hörten, daß das Verhältnis zu Maria für Jesus bloß ein respectus rationis war und ist, dann bedeutet, scheint mir, allein in diesem Lichte ein solcher Satz nicht die Häresie, die er andernfalls (dh nicht ohne, sondern ausdrücklich gegen diese These) wohl wäre, sondern meint nur die jedem Christen geläufige Selbstverständlichkeit, daß das Verhältnis zu seiner irdischen Mutter als diesem individuellen Geschöpf den ewigen Sohn Gottes in seiner unwandelbaren Gottheit nicht berührt (wie sollte auch die Vielfalt in Gottes Einfachheit eindringen können?), daß Jesus aber (und dh:Gott!) dennoch zu seiner lieben Mutter ein ebenso wirkliches und inniges Verhältnis hatte wie nur je ein Sohn zu der, die ihm das Leben gab. In Gott ist kein (göttlich-) wirkliches Verhältnis zu Maria, wohl aber ein (unendlich seinsschwächeres und insofern) nichtiges Verhältnis, das aber wahrhaft ausgesagt werden muß (weil es ebenso wirklich ist, wie das Wirklichste, das wir kennen). Ohne das Eingeklammerte ist dieser Satz genau des hl.Thomas Lehre - ohne die beigebrachte Verdeutlichung hätte die christliche Metaphysik aber schwerlich das Recht, von den Großtaten der Bibel als "entia rationis" zu sprechen.

Aber muß nicht jede Relation auch ihr Insein haben? Selbst zugegeben, daß der Sinn des Bezuges Gottes zur Welt sich solcherart auffassen läßt: was aber ist sein Sein? Da scheint uns nur die Wahl zu bleiben, es entweder mit dem Wesen Gottes zu identifizieren oder aber als Akzidens zu betrachten - doch beide Wege widersprechen aller Gepflogenheit.

2) Actio

Dieser Engpaß erinnert uns an den anderen, in den uns die thomistische "actio" gebracht hat. Beim Verständnis dieser Kategorie widerstreiten sich seit langem zwei Richtungen: nach der einen (Ferrara, Marchal) ist die Tat im Erleidenden vom Handelnden her und somit auch des Handelnden äußere Wirklichkeit, die darum auch, von außen her, von ihm ausgesagt werden kann, nicht aber gehört sie ihm als physisch informierende Wirklichkeit an. Gemäß der anderen Position (Cajetan, Maquart) ist die Tat wirklich im Handelnden, wenn sie auch einzig den Sinn hat, einen Effekt im anderen hervorzurufen, mithin wesentlich im Erleidenden ist. Der Unterschied besteht also vor allem darin, daß die erste Erklärung ein wirkliches Insein der Tat im Handelnden leugnet, die zweite es behauptet.

Zu dieser nicht geringen Unsicherheit tritt die weitere, daß Thomas die Anwendbarkeit der Kategorie "actio transiens" auf Gott kurz hintereinander behauptet und ausschließt.

Angesichts solchen Schwankens der Fundamente wird man es nicht für abgeschmackt halten, wenn wir uns zum Ursprung des Problems zurückbegeben und - da ihre Antworten uns nicht weiterbringen - von Aristoteles und Thomas die Frage selbst übernehmen.

Ändert sich am Herd etwas, ob ein Topf darauf siedet oder nicht? Gewiß nicht. Die Wirkung als Wirkung fügt der Tat als Tat nichts hinzu. Wird der Topf warm, wenn der Herd keine Wärme aussendet? Niemals. Die dem Tätigen eigene Tat ist also für das Zustandekommen der Wirkung erfordert, nicht aber umgekehrt. Anders gesagt: Das Daß der Wirkung hängt gar nicht von der Tat als Tat ab, sondern vom Vorhandensein eines aufnahmebereiten Erleidenden: nicht des Herdes Strahlen entscheidet darüber, ob ein Topf auf ihm steht und so das Strahlen sein Ziel erreicht, die Vollwirklichkeit der übergehenden Tat zustande kommt.

Es ist leicht zu sehen, wie auf dieser Stufe der übergehenden Tat beide Positionen recht haben: das Warmwerden des Topfes, die Wirkung der Tat, ist nur im Erleidenden, die wärmestrahlende Tat hingegen ist auch dann im Tätigen, wenn gar keine Wirkung zustandekommt, also - wenden die anderen mit Recht ein - gar keine übergehende Tat vorliegt. Tat des Tätigen bedeutet nicht zugleich Bewirkung; das Plus der tatsächlichen Einwirkung ist für das Tätige ein bloß logisches Akzidens, das ihm ein Beobachter zuschreiben kann: der Herd wärmt den Topf. Genau genommen, ist die Wärme aber, sofern sie ankommt, schon nicht mehr Wärme des Herdes, sondern freie, aus seinem Bereich entlassene Energie. In Bezug auf die ausgehenden Strahlen muß man also sagen, das Bewirken sei nur im Tätigen. In Bezug auf die ankommenden muß es heißen: Das Bewirken ist nur im Leidenden. Tat und Bewirktes sind adäquat getrennt; ihre Einheit ist die Energie, die nur so (für uns und praktisch) beiden gemeinsam erscheint, daß sie (an sich und theoretisch) keinem zukommt, vielmehr frei in der-Mitte ist.

Wie aber konnten sich kluge Menschen Jahrhunderte hindurch an solchen Banalitäten auseinandergrübeln? Das wird nur einsichtig, wenn wir in dieser niedersten Form der übergehenden Tat sehr unvollkommen eine Grundstruktur verwirklicht sehen, in der, als solcher, Tat und Wirkung sich eben nicht so adäquat scheiden lassen. Damit gelangen wir zur Notion einer "reinen übergehenden Tat". Thomas schwankt, wie schon bemerkt, ob er sie verwenden solle oder nicht. Er tut es, wo er bei Gott ausdrücklich die innebleibende von der übergehenden Tat unterscheidet; anderswo weist er einen solchen Begriff aber noch ausdrücklicher zurück (9). Auch ein Mann wie Thomas konnte eben nicht alles Überkommene neu durchreflektieren. Nun war aber der Unterschied von innebleibender und übergehender Tat von Aristoteles so bestimmt worden, daß eine reine Tat nach außen (die diesen Begriff ähnlich vollkommen verwirklicht wie Gottes Selbsterkenntnis den der.innebleibenden Tat), wenn man sie in seinen Kategorien, so wie sie vorlagen, ausdrücken wollte, als geistige, reine Tat nicht mehr zu den übergehenden, sondern zu den innebleibenden Taten gerechnet werden mußte. Darin liegt freilich noch nichts Falsches, es wird vielmehr nur die Unvollkommenheit einer bestimmten endlichen Kategorie durch Verwendung einer besser passenden ausgeschlossen. Der Preis aber für dieses Verfahren war hoch: der in dem Begriffspaar innebleibend/übergehend - unrein und unvollkommen, aber immerhin deutlich genug - dargestellte reine Gegensatz zwischen innerem Leben und Tat nach außen ging der spekulativen Theologie verloren. Holen wir, diese Behauptung zu erläutern, etwas weiter aus.

Die Welt ist stofflich und alle Materie bildet ein großes Ganzes. Es gibt in der -,.Welt, bis hin zu ihrem Gipfel im Menschen, kein reines Innen und kein reines Außen. Vielmehr spielt sich alles Geschehen, sozusagen eindimensional, in jenem allgemeinen Medium der Materie ab, aufgrund derer jedes Seiende in seinem Innen das Außen trägt (weil es den anderen ausgesetzt ist) und gleichzeitig (weil auf andere angewiesen) sein eigenes Innen draußen hat. Innen und Außen sind also nicht reinlich geschieden. Deshalb bleibt der aristotelische Unterschied mehr oder minder willkürlich. Gemäß dem Philosophen ist die innebleibende Tat ihr eigenes Ziel (Beispiel: Sehen), während die übergehende ein äußeres Werk hervorbringt (Beispiel: Bauen).

Die Größe dieser Einsicht zeigt sich darin, daß sie zu sich selbst erst kommt, wenn man sie für den Glauben zu reinigen unternimmt. Denn nur philosophisch genommen, erklärt sie tatsächlich nichts, weil alles Tun innen und außen zugleich ist.(10) Jede Tat betrifft nicht nur das Tätige allein, sondern (schon dadurch!) auch die ganze Welt, in die es eingebettet ist. Und ebenso hat jede Tat nicht nur äußere Ergebnisse für die übrige Welt, sondern - eben weil das Tätige Moment dieser Welt ist - auch für das Tätige selbst. Innerhalb dieser fundamentalen Gleichheit gibt es freilich mannigfache Abschattungen (11); innebleibend und übergehend sind somit keine einander ausschließenden Gegensätze, sondern verschiedene Aspekte einer jeden auf Erden geschehenden Tat. Immanent ist sie, sofern sie das Tätige selbst betrifft, übergehend, insofern sie das Ganze betrifft.(12)

Wie kommen wir nun von diesem empirisch unreinen zu dem spekulativ-reinen Gegensatz; wie führt uns der sozusagen horizontale Unterschied immanens/transiens zu dem vertikalen zwischen innerer und äußerer Tat? Was wir brauchen, ist die "zweite Dimension". Es müßte ein Verhältnis von innen und außen geben, wo beide sich nicht in dasselbe allgemeine Medium teilen müssen, wo vielmehr das Innen unendlich über dem Außen steht, das Außen das Innen überhaupt nicht beeinflußt und das Innen darum frei ist, im Außen nach Belieben zu schalten, ohne irgendwelche Voraussetzungen anerkennen zu müssen.

Im Reich der Physik suchen wir dieses Modell vergebens. Wohl aber gibt es eines innerhalb des geschaffenen Bildes Gottes, des Menschen. Das Grundmodell zum Verständnis der Schöpfung ist das Verhältnis von Phantasie und Vorstellungsbild. Man schließe kurz die Augen und stelle sich nebeneinander eine rote Rose und eine weiße Nelke vor: sie sind dann, im Verhältnis zum sie Denkenden, fast schon auf die geforderte Weise außen - so überraschend das vielleicht klingt.

Fast, mußte es heißen; denn selbstverständlich gibt es kein vollkommenes Gleichnis für ein Glaubensgeheimnis. Der Mängel sind fünf (soviele wie Grundgrößen in unserem porretanischen System):

1) Das innere Was (Wesen) des Tätigen ist vom Außen nicht unberührt: im Gegenteil, mein ganzes Bewußtsein ist von den Geschöpfen meiner Phantasie ausgefüllt. Wie sehr es trotzdem über ihnen stehe, zeigt aber die Überlegung, ob die Rose mir mehr als die Nelke bedeute. Da stelle ich fest, daß ihr Nichtsein ebensowenig schadet wie ihr Sein nötig ist.

2) Das Wer des Bewirkten ist kein echtes, selbständiges Wer mir gegenüber. Zwar vermag ich den Gestalten meiner Phantasie ein gewisses Eigenleben zu gestatten, ich kann sie gewähren lassen. ohne daß sie dadurch irgendwie von mir unabhängig würden. Wenngleich also sogar die transzendentale Abhängigkeit der wirklichen Freiheit von Gott in diesem Modell weniger dunkel als in anderen ist: dunkel bleibt sie dennoch; denn niemand wird be Don Quixote von echter Entscheidung reden wollen.

3) Das vermittelnde Was (mein Tun und zugleich das Sein des Geschöpfes) hat keinen rechten Bestand. Es hält sich nicht durch Ich kann meiner Kreatur nicht treu sein, mich nicht beständig für sie einsetzen. Eben weil (Punkt 1) die wahre Transzendenz fehlt, gibt es auch keine dauernde Immanenz: da ich innerlich von meinem Geschöpf verändert werde, muß ich es bald wieder vernichten, um selbst weiterleben zu können

4) Das Wesen des Geschöpfes (sein eigenes Was) ist nicht voraussetzungslos von mir geschaffen, sondern die Materie liegt voraus. Niemand könnte den Geschmack eines Pfirsichs "erfinden" und noch in das ursprünglichste Kunstwerk gehen viele schon bestehende Schemata ein.

5) Das tätige Wer ist selber nicht ursprünglich, sondern von einem Größeren ausgedacht und dadurch am Sein erhalten: deshalb ist das ganze Bild nur schwacher Hinweis auf die Wirklichkeit.

Trotz solcher Mängel scheint mir dieses Modell das einzige zu sein, an dem sich die Schöpfung deutlich verstehen und auch einfachen Menschen verständlich machen läßt. Als des Thomas große Leistung wird zu Recht gepriesen, daß er gegen alle essentialistische Einlinigkeit die zwei Dimensionen von esse und essentia betont hat. Dabei muß es bleiben. Solange aber das Verhältnis des esse zu Gott unbedacht ist oder nur durch eindimensionale, physikalische Metaphern (Ausströmen, ausstrahlen usw.) verdeutlicht wird, solange kann sich die Intuition des Thomas nicht halten, das esse muß als besondere Art von essentia mißverstanden oder mit Gottes Wesen selbst verwechselt werden. Denn jeder Theorie Breitenwirkung hängt von ihren Phantasmen ab; solange das Phantasma aber eine beliebige, von einem Existierenden zu einem anderen übergehende Handlung ist (Handwerker/Werk), solange fehlt für den Ternar Gott/esse/essentia jede Vorstellung. Denn nur neues Sosein gibt hier das Tätige, niemals aber irgendwie das Sein selbst - außer bei der Zeugung: die aber kann im Christentum gerade nicht die Schöpfung darstellen.

Ist das Schöpfungsmodell aber das Vorstellen, so leuchtet der Unterschied von esse und essentia dem einfachsten Verstande ein: das, was vorgestellt wird, ist nicht wirklich, sondern eben eingebildet; daß es vorgestellt wird, ist dagegen eine (seelische) Wirklichkeit, die aber wiederum von dem, was der Vorstellende wesentlich in sich selber ist, als nicht notwendige Tat unvergleichlich abfällt.

Unterscheiden wir darum Denkenden, Denken, Gedachtwerden und Gedachtes. Denke ich:"ich", so bleibt der Gedanke innen: dies ist das Trinitätsmodell. Der Denkende ist sein Denken, der Gedachte ist sein Gedachtsein, und Denken und Gedachtsein sind auch dasselbe. Denke ich statt "ich": "Rose" (und stelle sie mir vor), so setze ich eine "Tat nach außen". Denn ich bin keine Rose, und die Rose ist nicht ich. Denkender und Gedachtes sind verschieden. Ebenso ist aber das Wesen des Denkenden und sein Denken verschieden. Denn ich bin ich, auch wenn ich nicht "Rose" denke - wogegen ich (als Geistwesen) nicht sein kann, ohne "ich" zu denken.

Ebenso ist das Rosesein vom Gedachtsein der Rose verschieden; denn während ihr Gedachtsein zugleich das Denken des Denkenden und somit auch seine Wirklichkeit ist, gibt es die Rose als solche (als verschieden von der Nelke) nur innerhalb der Ordnung des Gedachtseins. Dächte ich die Rose nicht, so "wäre" sie nicht, obwohl sie auch als nur mögliche noch Rose und nicht Nelke wäre.

Nicht verschieden sind aber mein Denken und der Rose Gedachtwerden. Sie sind real identisch; denn eben indem ich die Rose denke, wird sie gedacht. Fasse ich mich und die Rose, der Wahrheit entsprechend, als verschieden auf, so habe ich die actio transiens in ihrer höchstmöglichen noch für uns faßbaren Reinheit. Meine Tat geht auf ein anderes über, bestimmt es zutiefst, gibt ihm überhaupt erst das Sein. Was das belebende Licht der Sonne und die wohltuende Herdwärme nur schwach abbilden, ist mein Denken für die Rose: innere Ursache ihres Seins als einer gleichwohl von mir verschiedenen Wirklichkeit. Darum hat Thomas mit Recht den Begriff "actio transiens" auf Gott angewandt.

Fasse ich dagegen die Rose als von mir gedacht und nur in meiner Phantasie bestehend, so erkenne ich die Schöpfung als actio immanens: außerhalb Gottes gibt es nichts; allein Seinem Denken verdankt sich alles, was ist.

Die beiden Sprechweisen entsprechen genau dem Unterschied dionysischer und palamitischer Theologie: Palamas redet von den zwei Was (Wesen und Tat) eines Wer (= operatio immanens), bei Dionysius ist der Hervorgang zugleich Tat des Tätigen und Wirklichkeit des Bewirkten (= actio transiens).

Während Thomas also andererseits auch recht hatte, den Begriff der "actio transiens", so wie er ihm vorlag, bei Gott für unangebracht zu erklären, bedeutet es doch einen schweren Mangel seiner Theologie, daß sie den darin angedeuteten reinen Begriff "Tat nach außen" zwar als dogmatische, nicht jedoch als spekulative Größe kennt. Die Begriffe "innere und äußere Tat" sind ursprünglich, können nicht auf andere zurückgeführt, sondern nur an Beispielen aufgezeigt werden. Gleicher Seinsrang gehört zum Innen, unvergleichlich schwächerer Seinsrang bildet das Außen. Ganz reine Fälle gibt es, wie schon gesagt, in der Erfahrung nicht; doch können Analogien zu reinen Begriffen führen. Das Verhältnis eines Vaters zu seinem Sohn gehört mehr zum Innen, das zum Kies auf dem Weg mehr zum Außen. Reiner wird der Unterschied, sobald wir aus der stofflichen Wirklichkeit, wo innen und außen zu sehr vermischt sind, in den Bereich des Denkens treten: das Denken an einen selbst oder einen lieben Menschen gehört zum Innen, die Vorstellung eines Steines oder eines zusätzlichen Haares auf der Hand zum Außen.

Diesen Unterschied nun müssen wir, als absoluten und,reinen, auf Gottes Tun anwenden. Dann ergibt sich: Sein inneres Tun ist mit dem Wesen und den drei Personen identisch. Es ist lauterste Einfachheit, erhaben über jede Scheidung in Potenz und Akt, Substanz und Akzidens. Real von diesem inneren Wesen unterschieden ist Gottes äußere Tat. So unendlich ist sie vom Innen unterschieden, daß sie zwar, als äußeres Was, demselben Wer wie, als inneres, das Wesen zukommt, dieses Innen aber dennoch nicht berührt, zum göttlichen Wesen also nicht irgendwie als Akzidens hinzutritt und somit die Gott wesentliche allerhabene Einfachheit nicht antastet.

Immer wieder hat sich die Theologie gefragt, ob es in Gott Akzidentien gebe. Den schwierigen Weg bis hin zur relatio subsistens haben wir oben bereits verfolgt. Was aber ist von Schöpfung und menschlicher Natur Christi zu halten, die doch auf keinen Fall zum Wesen gehören und trotzdem Gott nicht abzusprechen sind? eist bleibt es beim "Quasi-Begriff" "Quasi-Akzidens" (13). Thomas erklärt zuerst am Beispiel der Beziehung eines Menschen zu seinem Kleid, inwiefern die Menschheit für das Wort ein Akzidens genannt werden könne; eigentlich gesprochen lehnt er diese Redeweise aber ab (14). Ähnlich spricht Palamas davon, die Energie sei "irgendwie ein Akzidens" (15) doch gilt: die Energie "ist weder Wesen noch Akzidens. und wenn gewisse Theologen sie Akzidens nennen, so wollen sie nur zeigen, daß in Gott nicht alles Wesen ist" (Kap 127,1209C)

Die Lösung scheint in der Einsicht zu liegen, daß der philosophische Unterschied Substanz/Akzidens innerhalb der eindimensionalen Weltwirklichkeit verbleibt: weder ist die Substanz reines Innen noch das Akzidens reines Außen. Der Fingernagel gehört zur Substanz, eine bestimmte Selbsterkenntnis aber ist ein Akzidens. Weil also jedes Akzidens nicht nur, wie sein Name sagt, dem Wer zukommt, sondern auch das innere Was bestimmt, darum ist kein Akzidens in Gott. Weil aber dem göttlichen Wer nicht nur sein Wesen als inneres Was, sondern auch ein äußeres Was wahrhaft zukommt, darum kann man einen gereinigten Akzidensbegriff doch auf Ihn anwenden und mithin, will man unbedingt aristotelisch sprechen, Schöpfung und Menschheit Christi ein Quasi-Aktidens sein lassen. Die Distinktion Innen/Außen trifft das Gemeinte aber deutlicher.

Genau hier, meine ich, liegt das Geheimnis der Schöpfung. Begreifen wie Erweis der Unmöglichkeit sind ausgeschlossen; doch kann die aufsteigende Reihenfolge irdischer Stufen auch hier den unendlich fernen Punkt erahnen lassen: Wenn ein Hund einen Hasen jagt, so ist er nicht ganz dabei, sondern die erste Ablenkung läßt ihn alles vergessen; doch auch in sich ist er kaum, vielmehr ganz vom Ergebnis angetan. Wenn bei einem fairen Wettkampf ein Sportler den anderen jagt, ist er sehr dabei und dennoch auch in sich, nicht bis ins Tiefst seiner selbst vom Ergebnis berührt; wenn endlich ein Heiliger etwas unternimmt, ist er völlig dabei und trotzdem auch bei Mißerfolg innerlich fast frei. An seine Grenze geführt, enthält dieser Begriff die Schöpfungswahrheit: Wenn Gott sich die Welt ausdenkt, so ist Er ganz dabei, nicht nur geteilt (denn was auf Erden ganz heißt, ist es in Wahrheit nicht) und wird doch in Sich selbst überhaupt nicht davon berührt.

Das Dogma der Einfachheit Gottes bezieht sich nicht auf Ihn als Wer, als Person, sondern auf das Wesen, die göttliche Natur. Sie ist einfach und enthält keinen Schatten von Vielheit. Darum muß in der Theologie das Vermischtsein von innerer und äußerer Tat ferngehalten werden, wie es sich bei uns findet, nicht aber die äußere Tat als solche. Nicht als was sie ist beeinträchtigt sie die Einfachheit, sondern nur, wo sie nicht rein auftritt und deshalb als Außen ins Innen eingreift.

Dadurch, daß Gott das Werk seiner natürlichen Tat begnadet, ändert sich zwar nicht das Verhältnis (der absoluten Unangemessenheit) von Innen und Außen, wohl aber der Bezug des Wer zum äußeren Was. Gott macht sich selbst zu einem Wer, dem das sonst nur äußere Was auch innerlich ist: seine Tat an uns ist jetzt auch für Ihn, sofern Er, in Seiner eigenen Geschichte ernsthaft mithandelnd, bei uns außen ist, innerlich wichtig und seit der Verfasser in den Roman eingetreten ist, enthält seine Tat auch die Passio, das Leid. Gott kann leiden. Er wirkt nicht nur, er erfährt auch die Gegenwirkung seiner Geschöpfe. Es ist also keine unwahre Redensart, wenn man sagt, die Sünde beleidige Gott. Sie tut es wirklich! (16)

Damit ist die Schwierigkeit gelöst, die sich bei Behandlung der Relation zum Schluß eingestellt hatte. Obwohl zum göttlichen Wesen keine Akzidentien hinzukommen und auch mit diesem Wesen seine Beziehungen nach außen nicht identisch sind, sind die Beziehungen doch nicht nur unfundierte Gebilde unserer Phantasie, sondern gründen in Gottes schöpferischer Vorstellung, die frei in sich selbst die Vielheit der wirklichen Kreaturen setzt und auf sie in einer Erkenntnis bezogen ist, welche zwar einzig und ewig heißen muß, von der eigentlichen Ewigkeit des göttlichen Innen aber noch einmal unendlich verschieden ist. Die vielen Taten des einen göttlichen Denkens sind die eine Tat des reichen göttlichen Denkens. Diese Tat hat etwas von der Substanz und etwas von der Relation, läßt sich aber auf keines der beiden zurückführen.

Sie ist Substanz, insofern ihr Inhalt die Vielheit endlicher Substanzen sind, die sich absolut, und nicht nur relativ, voneinander unterscheiden. Und die Tat ist Relation, insofern sie keine mit dem Wesen identische, sondern eine hinzukommende, äußere Wirklichkeit setzt. An der Substanz hat sie teil als göttliches Was betrachtet: Schöpfung als Gedanke, der nie aus Gottes Denken herausfällt. An der Relation hat sie teil als Bezug von Wer zu Wer betrachtet, nämlich als Beziehung Gottes auf die zum Selbstand entlassenen Geschöpfe.

Wenn demnach Palamas das Sein, von Gottes Wesen unterschieden, dennoch ungeschaffen und göttlich nennt, sieht er in ihm das göttliche Denken nach außen. Wenn Thomas das Sein geschaffen, aber vom Wesen der Dinge unterschieden sein läßt, meint er das Gedachtsein der Dinge im göttlichen Geist. Von "oben" der eine, von "unten" der andere (solche essentialistische Eindimensionalität zugleich überwindend!), meinen beide das nämliche Insein des Außen in Gott. Weder erster Beweger des Himmelsgetriebes ist der Schöpfer noch das bezuglose Absolute, sondern der Verfasser der Welt, der in ihr unendlich mehr ist und weniger aufgeht als zB Beethoven in der neunten Symphonie, da sie zum ersten Mal in seinem Geiste erklang.

Damit ist die biblische Aussage endlich nicht erklärt, sondern als Erklärung erkannt! "Es werde!" sprach Gott, und es ward. Das Werden ist nicht Effekt des Wortes, sondern dieses selbst, in seiner Kraft betrachtet. Nicht darin besteht Gottes Übermacht über unsere Macht, daß Sein Schöpferwort eine äußere Wirkung setzt und das unsere im Leeren verhallt. Das wäre allzu kindlich gedacht. Vielmehr besteht darin der allerdings unendliche Unterschied, daß Inhalt und Dichte Seines Schöpferwortes eben jenes Sein ist, welches wir kennen: die feste Erde unter dem hohen Himmel und die unergründliche Tiefe in alledem, während Inhalt und Dichte unseres Schöpferwortes "es sei eine Rose" eben jenes nebelhafte Unsein ist, das wir nach Traum und Phantasie oft genug schmerzlich als nichtig erfahren, ohne daß es doch in jeder Hinsicht nichtig wäre: sonst steckten nicht ganze Anstalten voller Unglücklicher, die nur in diesem Bereiche leben. Kurz: nicht ist meine Wirklichkeit für Gott außen und eine "Idee" von mir, als Sein Wesen, in Ihm: sondern ich bin die Idee Gottes und als Außen in Ihm.

An den im historischen Teil aufgezeigten Unterschieden zwischen T und P sei das Erreichte kurz verdeutlicht:

Der "göttliche Unterschied" zwischen Wesen und Tat (Text 19-23) ist anzuerkennen, bedeutet aber keine Schmälerung von Gottes Einfachheit, weil diese Ihm dem Wesen nach zukommt, während die Taten nach außen unvergleichlich weniger wirklich sind. Das Bild der Ekstase kann verwandt werden (Text 24), ist aber so zu reinigen, daß a) der übersprungene Abstand unendlich ist und, b), das Insich dabei nicht vermindert wird.

Die dionysischen Hervorgänge (Text 26) sind Gottes Denken und zugleich der Dinge Gedachtsein. Sie sind von Gottes wie der Dinge Wesen unterschieden, ohne jedoch Zwischenwesen zu sein (Text 28). Wirklich ist der in Seinem Denken die Gedachten Denkende "und" sie darin (Text 37-38). Das thomistische Sein, als Gedachtsein verstanden, enthält alle gedachten Vollkommenheiten in sich, ebenso bei P die Tat als ungeschaffen. Das Sein als gedachtes bloßes Vorhandensein hingegen enthält die volleren Gedanken noch nicht (Text 25).

P hat darin recht, daß es nicht zwei, sondern drei Grundkategorien der Gotteslehre gibt; T bemerkt aber richtig, daß die übergehende Tat, so wie Aristoteles sie definiert hat, theologisch unbrauchbar ist. Was P meint und T nicht positiv ausschließt, vielmehr als vorliegende Sprechweise durchaus kennt, ist die Distinktion zwischen innerem Leben und Tat nach außen (Text'35).

Gott hat wirkliche Beziehungen zur Welt, nicht aber solche, die Seiner Gottheit Einfachheit störten: in dieser lebt Er, auf nichts Vieles irgendwie bezogen, rein in Sich. Das Innen widerspricht nicht dem Außen, sondern ermöglicht es. (Text 34)

Mit P ist anzuerkennen, daß der tätige Mensch ein eigentliches Bild des Schöpfers ist und allein mit Hilfe der menschlichen Spannung von Innen und Außen die Schöpfungslehre verbegrifflicht werden kann. T hat allerdings darin recht, daß des Menschen Tat nach außen, weil sie nicht nur das Wer, sondern immer auch das innere Was betrifft, des letzteren Einfachheit von vorneherein schon aufhebt und insofern das Bild Gottes trübt. (Text 36).

Damit scheint mir ein wesentliches Anliegen des Palamismus gerechtfertigt und gezeigt, warum die Theologie auf ihn nicht verzichten kann. Wenn dann jenseits seiner "fern" im Osten noch ein anderes Denken für uns an Wahrheit gewinnt; wenn die indische Maya, die Welt als Traum Gottes, sich als eben unsere abendländisch geliebte feste Erde enthüllt - dann dürfte auch das kein Schade sein. Dem Westen zerplatzt die selbständige Welt in unendliche Räume, dem Osten verweht sie als Traum ohne Sein; dem Glauben ist die Welt der verläßliche Wachtraum der spielenden Weisheit, jetzt und immer vom Schöpfer in Treue gedacht.

Anmerkungen

(*9) "Si per impossibile poneretur esse aliquam actionem quae non esset accidens, non esset inhaerens, et tamen denominaret agentem, et tunc agens denominaretur per id quod ab eo est et in eo non est ut inhaerens." (I S d32 q1 a1)

(*10) Solange man freilich bei der ersten Beschreibung stehen bleibt, scheint der Unterschied selbstverständlich: das Bauen verändert die Welt, das Sehen nicht. Es genügt aber, einer Katze in die Augen zu schauen, um zu bemerken, wie bloßes Sehen die Welt verändert. Und andererseits ist nicht nur das Bauen im Gebäude, sondern auch das Gebäude im Bauen - man denke nur an die Sandburg am Strand.

(*11) Ein Blick auf einen Stein ändert die Welt nur, insofern er den Schauenden ändert (oder einen Dritten, den das wundert), ein Blick in ein Menschenauge kann Gewaltiges bewirken. Umgekehrt wäre Sandsackboxen für Aristoteles eine übergehende Tat, während es in Wahrheit zwar diesen Aspekt durchaus hat, das Subjekt jedoch weit mehr als den Gegenstand betrifft.

(*12) Der Klarheit halber noch einige extreme Beispiele: Archimedes entdeckt in der Badewanne das hydrostatische Grundgesetz - eine rein immanente Tat, die aber doch den Forscher nicht nur als geistiges Subjekt betrifft, sondern auch als Glied der technischen Menschheit. Das Innen seines Geistes ist nicht zu lösen vom Außen seines Leibes; hier trifft er sich, als Lehrer, mit anderen Menschen, und das ferne Ergebnis jener scheinbar nur in sich kreisenden Gelehrtentat ist die millionenfache Öldruckbremse.

Das Gegenbeispiel ist der Bankangestellte, der aus Zerstreutheit auf den Alarmknopf drückt. Sirenenheulen, die Polizei eilt heran, und was geschieht? Der Mann wird wegen Fahrlässigkeit gemaßregelt, obwohl in ihm so gut wie nichts geschah, sondern seine ganze "Tat" nur im "Effekt" besteht.

(*13) Schon bei KYRILL v.Alexandrien heißt es: "Mit Recht sagt man zwar, daß es kein Akzidens beim Wesen Gottes gebe, weil Es aus sich das vollkommene Sein hat. Wir sehen uns aber gezwungen, solches wie Akzidentien bei Gott zu denken, auch wenn Ihm gar nichts zufällt. Denn was sollen wir sagen, wo doch, wie wir einsehen, vor der Ausschmückung des Alls Gott zwar schon dem Wesen nach Schöpfer war, noch nicht aber der Tat nach, weil noch kein Seiendes zum Werden gebracht war? Als Er aber das All machte, wurde Er gleichsam zum Schöpfer und irgendwie ward dies Ihm ein Akzidens." (Thesaurus, Ass.31; PG 75,445f)

BONAVENTURA sagt über die Menschheit Christi: "Humana natura in Christo quodam modo proprietatem accidentis habet, in hoc videlicet, quod substantificatur in supposito alterius naturae, ita quod non dat illi supposito primum esse, sed advenit iam completo ... Et propterea nostri doctores dixerunt quod humana natura in Christo vergit in accidens, secundum quandam conformitatem. Et hoc si intelligatur sane, est dictum subtiliter et catholice." (In III Sent d6 a1 q3 c)

(*14) "Si est accidens, oportet quod alicui accidat. Non homini, quia per se convenit ei humanitas. Ergo accidit Filio Dei, quod est contra Boetium, qui dicit, quod in Deo non est aliquod accidens." (In III Sent d6 q3 a2, 3. sed contra)

(*15) MEYENDORFF 308

(*16) Die frühen Christen wagten sich ohne aristotelische Komplexe auch denkend in diese Tiefen hinein. So schreibt ORIGENES:
"Er stieg auf die Erde herab aus Mit-leiden mit dem Menschengeschlecht, ja er litt unsere Leiden bevor er das Kreuz erduldete und bevor er unser Fleisch anzunehmen sich würdigte. Denn hätte er nicht gelitten, so wäre er nicht in den Wandel des Menschenlebens eingetreten. Erst litt er, dann stieg er herab und ward sichtbar. Was ist das für ein Leiden, das er da um unseretwillen litt? Es ist die Leidenschaft der Liebe. Und der Vater selbst, der Gott des All, 'langmütig und gar sehr mitleidend', leidet nicht auch er gewissermaßen? Oder weißt du nicht, daß er, wenn er das Menschliche lenkt, menschliches Leiden mit-leidet? 'Es ertrug' nämlich 'der Herr dein Gott deine Sitten, so wie ein Mensch seinen Sohn erträgt.' Wie also der Sohn Gottes 'unsere Leiden trägt', so 'erträgt' Gott unsere 'Sitten'. Auch der Vater ist nicht ohne Leiden. Wenn er gebeten wird, so erbarmt er sich und leidet mit, er erleidet etwas von der Liebe, und er versetzt sich in jene, in welchen er in der Ansehung der Größe seiner Natur nicht sein kann." (Ezech.Hom.6,6; ed.BAEHRENS VIII,384-5; ed.BALTHASAR, Geist und Feuer, Nr.269)
Des Origenes Schüler GREGOR der Wundertäter hat einen großartigen Dialog verfaßt, in dem er darstellt, wie Gottes Impassibilität für die Christen - anders als für die Hellenen - das Leid nicht ausschließt: vielmehr ist Gott gerade durch Sein Leiden des Leidens Leid geworden und hat durch Seinen Tod Seine völlige Überlegenheit angesichts des Leids gezeigt. Ein feiger und bequemer Gott aber stünde tief unter tapferen Menschen! (Vgl. H.CROUZEL: La passion de l'Impassible)

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