Jürgen Kuhlmann
DER TEUFEL
- ein dreifach wirklicher Wahn
Vorbemerkung: Dieser Text bringt den Abschnitt IV B (S. 92-99) meines Büchleins "DER DREIEINIGE GOTT" von 1968, [samt den Anmerkungen]. Geändert habe ich die Zuweisungen der Pronomina ich und du auf die göttlichen Personen; Zusätze sind gekennzeichnet.
Eine jener Fragen, wo der Verlust früherer Scheinklarheit die Gemüter der Christen heute schmerzlich bedrängt, springt jeden an, der die folgenden zwei, dasselbe Ereignis schildernden biblischen Berichte miteinander vergleicht:
a) "Der Zorn Jahwes entbrannte noch einmal gegen die Israeliten, so daß er David gegen sie aufreizte durch den Befehl: Auf! Zähle Israel und Juda!" [2 Sam 24,1]
b) "Satan trat gegen die Israeliten auf und reizte David dazu, die Israeliten zu zählen" [1 Chron 21,1]
Sehen wir jetzt, wie die traditionelle katholische Theologie beide Standpunkte versöhnt: "Gott reizte den David, nicht indem er ihm selber vorschlug und sagte: Geh und zähle das Volk (denn sonst hätte er ihn zur Sünde angestiftet, was er nicht kann), sondern indem er dem Teufel, der dazu schon gierig bereit war, erlaubte, daß er den David zu dieser hochmütigen Volkszählung anstiftete. Also hat Gott indirekt, der Teufel aber direkt den David zu dieser Zählung gereizt ... Denn Gott hält die Teufel und bösen Menschen so in seiner Hand, daß sie, so sehr sie aufs Übeltun brennen, dennoch nur dann ausbrechen, können, wenn er sie sendet oder es positiv erlaubt, zur Züchtigung der Sünder. Und diese positive Erlaubnis Gottes wird Tat und Aufreizung genannt." [CORNELIUS A LAPIDE, zu 2 Sam (2 Reg) 24,1 (Ausgabe Antwerpen 1700, S.91]
Recht anders lautet die liberale Erklärung eines Modernen: "Im Samuelbuch ist es also ganz deutlich Jahwe, der den Menschen David selbst zur Sünde wider ihn reizt. Auf diesem Hintergrund der Ambivalenz der Gottpersönlichkeit selbst, die wohl auch als eine weitere ausdrückliche Bestätigung der in dieser Arbeit vertretenen These, daß der Satan eine Wesensseite Gottes verkörpere, betrachtet werden darf, wird auch die entsprechende innergöttliche Spannung zwischen Jahwe und Satan in der Chronik erst voll sichtbar: Die Volkszählung ist gegen den Willen Jahwes, sie ist hybrider Ungehorsam des Mensche als Satan führt Jahwe den Menschen aber selber in diese Sünde. [R. SCHÄRF, Die Gestalt des Satans im Alten Testament, in: JUNG, Symbolik des Geistes, S. 317 f]
Zwischen beiden Exegeten liegen Welten. Wie soll sich der Glaubensgenosse des einen und Zeitgenosse des andern zurechtfinden? Gibt es den Teufel oder nicht? Und welches ist überhaupt der Sinn einer solchen Frage? Ist sie nicht bloß unnütze Spekulation? Heißt etwa die wirkliche Frage ganz anders? Wer immer - und sei es auch nur als ungefährdeter Bücherleser - für einige Zeit in die Hölle der Vernichtungslager eintaucht, wem die Entsetzlichkeiten von Auschwitz oder Treblinka auch am prächtigsten Frühlingstage buchstäblich die Sonne verfinstern, der weiß mit jeder Faser, daß und wie Satan ist. Denn die einzige wirklich Frage heißt: Was ist es mit dem lieben Gott?
Wahrheitskriterium des folgenden Vorschlags kann nur sein, ob die Kirche ihn aufgreift oder verwirft. Ein solcher Satz mag manchem, der sich für aufrecht hält, je nachdem zynisch oder servil vorkommen. Er bedenke, daß Wahrheit Unverborgenheit heißt und sich im Sprechen ereignet, daß ferner niemand für sich allein Mensch sein kann, daß endlich ein naturwissenschaftliches Kriterium bei unserer Frage ähnlich hilfreich ist wie ein Kochbuch beim Ingenieurexamen.
Ob es Engel und Teufel im traditionellen Sinn von endlichen, unkörperlichen, persönlichen Geistern gebe, von dieser Frage sehen wir ganz ab. Denn ob die Dämonen "nichts als" personifizierte physische und seelische Naturgewalten jenseits der schon erforschten Bezirke -oder aber viele solche Mächte, autonome Komplexe, Ismen aller Art, "in Wahrheit doch" persönliche Dämonen sind: dieses brennende Problem, lösbar oder nicht, ist gleichwohl nicht das endscheidende.
Wenn Cornelius a Lapide den Teufel einmal mit einem angeketteten Löwen vergleicht, den sein Herr nicht etwa "aktiv und positiv". sondern bloß erlaubend und zulassend nur auf einen ganz bestimmten Hund sich stürzen läßt, während andere verschont bleiben [Zu 2 Sam 16,10; ebd 62], so wird diese Antwort einer gründlich vergangenen Zeit uns zur schärfsten Frage - und zwar liegt (wie im KZ, wo vergleichbare Szenen sich zwischen Kapo, Schäferhund und Häftling abspielten) das Problem nicht im Löwen, sondern im Mann. Nicht ob es von Gott unterschieden und an seiner Kette einen rasenden Dämon des Bösen gebe, kümmert uns, sondern welches auf der Seite Gottes dieser Kette Ende sei - ob nun am anderen ein gefallener Engel oder "bloß" die genießerische Quälsucht des Unmenschen und andere Naturphänomene sich befinden.
Die vorgeschlagene Lösung heißt: Eigentlich und letztlich ist Satan kein Geschöpf, sondern göttlichen Ranges, allerdings keine Wirklichkeit in Gott, sondern das Ergebnis ungläubiger Verstümmelung der Trinität. Als Teufel erscheint einerseits der Vater, andererseits der Sohn, sobald der Heilige Geist geleugnet oder auch nur ernsthaft von ihm abstrahiert wird.
[Neu 2002: Je nachdem ob wir die Trinität als unendliches Selbst-Verhältnis ahnen (1), als ewige Begegnung (2) oder (dem Weltkatechismus in Nr. 2205 folgend) als Urbild der Familie (3), ergibt sich: Gott in sich ist ICH(1)=DU(2)=Vater(3) / "ICH"(1)=ICH(2)=Kind(3) / ICH!(1)=WIR(2)=Hl.Geist(3).]
Für uns ist dieser drei Absoluta Einheit zerbrechlich; denn bei uns gibt es Ich und Du auch ohne Wir, Subjekt und Objekt auch ohne Liebe. Wird eines davon durch diese Abstraktion zuinnerst verfälscht und trotzdem absolut gesetzt, so ergibt sich der zwiefache Ungedanke des "bösen Gottes": aus dem Wir gerissen, erstarrt der allmächtige Vater zum maßlos quälenden Tyrannen, der nur vom Vater her lebende Sohn verkehrt sich zum auftrotzenden Empörer. Tatsächlich setzt sich das überkommene Teufelsbild genau aus diesen beiden Komponenten zusammen.
Beide finden sich bei unserem Gewährsmann Cornelius. So heißt es in seinen Evangelienkommentaren:
a) "Der Teufel brennt von Mordgier und Lust, alle Menschen zu verderben" (zu Joh 8,44). Der Ankläger "ist Satan, der die Menschen beständig bei Gott verklagt, damit er sie sich und seiner Höllenmacht gewinne. " (zu Mt 4,1) "Auch die Heiligen klagt er an, beschuldigt und schmäht all ihre Werke, obwohl sie gerecht sind" (zu Mt 25,41; biblischer Ursprung dieser Vorstellung ist Zach 3,1, wo der Hohepriester von Satan verklagt wird.)
b) Dem Teufel "eingepflanzt und sozusagen mit ihm verwachsen ist dieses Verlangen nach der Gottheit, das ihn blendet; und deshalb hat er zu seiner Verehrung die Götzen erfunden" (zu Mt 4, 9). Mit ihm war Christus "im Himmel zusammengestoßen, als, er ihn, der auf die hypostatische Union aus war und sie ihm, dem künftigen Menschen, neidete, in den Abgrund stürzte, wie einige annehmen" (zu Mt 4,1). "Der Teufel ist der Affe Gottes, mithin macht er Gott nach, welcher der Herr der Scharen ist" (zu Mk 5, 9).
Jener niederschmetternde Blick des allmächtigen Subjektes, der uns "andere" zu bloßen wehrlosen Objekten seiner Furchtbarkeit macht: er ist der Blick Gottes, kein Geschöpf kann so schauen - abgesehen von der Liebe aber, die aus ihm mitspricht, ist oder wäre er satanische Bosheit: "Der Gotteswille ist so verborgen unter dem Schein des Bösen, Mißfälligen und Verzweifelten, daß er unserem Willen in keiner Weise als Gottes, sondern des Teufels Wille erscheint." [LUTHER, WA 56,447,4, zitiert von E. ISERLOH in einem Vortrag "Luther und die Mystik". Vgl. SCHÄRF zu Zach 3,1: "Dies scheint mir eine der ganz großen Wendungen im alttestamentlichen Gottesbegriff zu sein. Der Satan wird zu dem, was vordem positive Eigenschaft Gottes war: zu seiner Gerechtigkeit. Hier wird Gottes Gerechtigkeit buchstäblich 'verteufelt'. Sie wird zum Hindernis, wird negativ gewertet, weil ein höheres Prinzip gesichtet ist: die Liebe" (ebd 301 f).]
Weil Gott seine Kinder liebt und sie durch den Tod hindurch ins Leben führen kann, darum kann der blinde Glaube noch sein Töten als läuternde Liebe umfangen. Dürfen wir jedoch diese letzte Hoffnung, die oft nur wider alle Hoffnung gerade eben noch den furchtbaren Abgrund der Angst überwindet, jemals als billige Selbstverständlichkeit ausgeben? "Die Kinder, die Herodes aus Haß gegen Christus tötete, sind wahrhaft Martyrer und werden als solche von der Kirche verehrt und gefeiert, dasselbe gilt von allen Kindern, die nach der gnädigen, freigebigen Anordnung Gottes aus Glaubenshaß erschlagen werden" [CORNELIUS A LAPIDE, zu Mt 2,16].
Ist es Glaubensschwäche oder christliches Taktgefühl, was uns vor solcher Sprache zurückscheuen läßt? Jeder verzehrend Liebende trägt die Versuchung zum Sadisten in sich, möchte bedingungslos anerkannt sein, will ungestüm, daß der andere auch unter den furchtbarsten Vermummungen der Grausamkeit noch an seine Liebe glaube. Gottes Liebe ist ein buchstäblich verzehrendes Feuer - und dennoch gerade darum die überschwenglichste Güte. Diese äußerste Botschaft darf und muß man sagen, sollte sie jedoch nie, gleichsam als selbstverständliche Banalität, nebenbei erwähnen.
Im Sterben erreicht die Zweideutigkeit des von DIR abhängenden Ich (welches trotz seiner Hinordnung auf das Wir dennoch in Liebe und Haß eine gewisse Identität durchhält) ihre erschütternde äußerste Grenze. Das zeige der kommentarlose Gegensatz einer modernen Anspielung und ihrer kirchlichen Quelle: "Gewiß hat es noch niemals Menschen gegeben, die - von mystischer Ekstase abgesehen - derart von der Außenwelt isoliert, derart mit Leib und Seele preisgegeben waren. Wenn man ihnen befahl: renne!, dann rannten sie; befahl man: tanze!, dann tanzten sie; befahl man: rede!, dann redeten sie; befahl man: singe!, dann sangen sie. Wenn man ihnen befohlen hätte: töten! dann hätten sie auch das getan. Nach der Devise 'Perinde ac cadaver' hatten die 'Techniker' das Muster des totalen Nicht-Menschen entwickelt, den idealen Sklaven, der wie ein Kadaver gehorcht" [J.-F. STEINER, Treblinka. Die Revolte eines Vernichtungslagers, Oldenburg/Hamburg 1966, S. 77]. "Jeder, der im Gehorsam lebt, muß sich von der göttlichen Vorsehung vermittels des Oberen führen und leiten lassen, als wäre er ein toter Körper, der sich überallhin bringen und wie man will behandeln läßt ..." [IGNATIUS von LOYOLA, Konstitutionen VI. Teil, 1. Kap. Nr. 1].
Gott als allmächtiger Anderer, der uns scheinbar versklavt, das ist der eine Aspekt Satans: jener Teufel, vor dem wir uns fürchten. Der andere Aspekt, den wir in uns fürchten, ist das Ich, welches nicht dienen möchte, sondern nur "erste Person" sein. Dieser "verlorene Sohn Gottes", der Hochmütige von Anbeginn, der himmlische Rebell, die alte Schlange, die unsere StammeItern auf ihren Weg geführt hat und als heimlicher Trotz noch unsere selbstlosesten Taten zu vergiften sucht: er ist der Fürst dieser Welt, den Christus durch seinen Gehorsam entthront hat. Denn in Liebe hat er sich als Du angenommen, dessen Speise der Wille des Vaters ist - und er konnte es; denn auch dieser Wille ist, dem Sohne voraus, Liebe und übererfüllt alles, was die Rebellion meint ertrotzen zu müssen. Beide Aspekte Satans sind im Grunde ein und derselbe Teufel; denn die bloße Ichhaftigkeit des Nicht-Sohnes ist nur die Nachäffung der als lieblos verkannten, satanischen Herrschsucht des Nicht-Vaters.
Ist der Teufel also wirklich und persönlich? Ja. Denn das unendliche Du, vor dem wir nichts Eigenes sind, ist wirklich. Und die Lust des Ich, mit dem Du selbig zu sein, ist ebenfalls wirklich. Und dennoch ist der Teufel bloß Abstraktion und falsche Hypothese. Denn böse ist die Macht des Du und die Lust des Ich nur, sofern der Mensch, der sie erlebt, die Liebe wegdenkt, welche dort, wo beide eigentlich wirklich sind, nämlich in Gott, notwendig und innerlichst mit dabei ist.
Mancher Leser hält sich jetzt wohl für berechtigt, "ganz einfach" zurückzufragen: "Der Teufel ist wirklich und persönlich, aber bloß eine abstrakte Hypothese? Das erlaube ich mir - da ich es höflicherweise nicht als bewußte Fopperei deklarieren will - schlicht nicht zu verstehen. Ich möchte nur eines wissen: Gibt es nun eigentlich den Teufel, ist er eine objektive Wirklichkeit oder nicht?"
Natürlich hat jeder das Recht, solche "einfachen Fragen" zu stellen. Dem entspricht aber das andere Recht, darauf die Antwort ebenso schlicht zu verweigern. Die Mühen der höheren Mathematik darf man scheuen - soll aber dann keine Atomphysik verstehen wollen. Die Anstrengungen theologischer Dialektik darf man verachten - muß aber dann gewisse Probleme auf sich beruhen lassen. Das ist nicht schlimm; denn auch ohne Theologie bringt der Glaube Klarheit genug: um den Teufel zu besiegen, muß man nicht verstehen, in welchem Sinn es ihn gibt.
[Zusatz 2002: Gestern hörte ich ein prachtvolles Prinzip: Was vom Glauben ich nicht verstehe, kümmert mich nicht. Schon das zu leben, was ich verstehe, braucht meine ganze Kraft. - Stimmt, ausgenommen für uns Theologen, deren Berufsarbeit eben diese Mühe um Verständnis ist, wie für den Bäcker das Backen.]
Dieser Sinn sei nochmals erläutert: Gott ist Du, Ich und Wir, jedes ganz. Die Vereinbarkeit dieser drei ist uns unbegreiflich und nicht vorstellbar. Bedenken wir: Wo immer zwei Menschen im Wir der Freundschaft miteinander leben, sind Ich und Du ihrer Eigentlichkeit beraubt. Egoisten sind schlechte Freunde. Ihr Ich ist purer Blick, der den Blick des andern niederzwingt. Es will nicht Objekt für einen andern sein, noch Gemeinschaft mit ihm haben. Wenn zwei solcher Ich-Blicke sich treffen, gibt es nur zwei Lösungen des Kampfes: Entweder schlägt der eine früher oder später die Augen nieder, gibt sich geschlagen und läßt sich objektivieren, oder aber beide entkrampfen sich, abstrahieren gemeinsam vom Ich und verbinden sich zu lauem Wir [Innerhalb des Wir mögen dann beide je abwechselnd Ich und Du spielen . Das macht das Leben farbig und ist ein guter Rat für Eheleute. Dieses Spiel sollte dann so ernst wie nur möglich sein - solange beide wissen, daß es ein Spiel ist] [Korrektur 2002: Quatsch. Klappt nicht. Der Versuch ist gefährlich].
Du oder Ich ohne Wir ist teuflisch, für uns sind Du oder Ich und Wir unvereinbar, Gott aber ist jedes ganz. Weil Er an sich und für uns Du und Ich ist, darum ist der Teufel göttlichen Ranges, wirklich und persönlich - weil Gott Ich wie Du aber immer im Wir der Liebe ist, darum ist der Teufel, das wirlose Ich, an sich nur eine Abstraktion. Für uns aber ist diese Abstraktion grausige Wirklichkeit, vor der uns nur der Glaube rettet. welcher - anders als die Vorstellung - das Mysterium von Du, Ich und Wir ahnend und bekennend umfassen kann. Wer nicht "an den Teufel glaubt", dem wird Gott bald zum ichlosen Wir, zur sentimentalen Gutartigkeit ohne 'Ernst und Kraft. Dem läppischen Teufel der Volksmärchen entspricht der läppische Himmel der Witzzeichner - beides Erfindungen des Teufels. Wer die Härte des Bösen nicht fürchtet, kann auch nicht ermessen, welche diamantene Freude auf uns wartet, wenn einmal absolute Liebe und absolutes Ego wie für Gott so für uns auch eines sein werden.
Kurz: Weil Gottes bitterer Zorn und des Sohnes Lust an der Gottgleichheit in uns oft ohne Liebe verspürt werden, darum und insofern bleibt wahr, daß Satan uns zusetzt. Weil jedoch auch dann dem Glauben feststeht, daß Zorn und Trotz in Gott durch die Liebe überbrückt und aufgehoben sind, deshalb ist der Glaubende aus des Teufels Gewalt erlöst. Wir brauchen also weder, wie unsere Ahnen, Gott und Teufel mythologisch (wenn nicht gar manichäisch) entgegenzusetzen und mit Wörtern wie direkt und indirekt jonglierend das Mysterium zur despotischen Farce zu degradieren ...
[War nicht diese Theologie tatsächlich nur ideologischer Überbau sozialer Mißverhältnisse? "Der Kolonialherr will nicht nur Gewalt, sondern auch Recht haben: bis zum Erbrechen beteuert er, daß er eine Mission habe, daß er Gott und dem König diene, die christliche Lehre und die Werte der Zivilisation verbreite, mit einem Wort, daß er im Grunde etwas Höheres im Sinn habe. Ohne ein gutes Gewissen kommt er nicht aus. Das bedeutet aber: er muß den Terror, den er ostentativ übt, verbergen und seine eigene Demonstration verleugnen. Etwas eigentümlich Schizophrenes, ein wahnwitziger Formalismus haftet daher allen kolonialistischen Unternehmungen an." (H.M. ENZENSBERGER, Nachwort zu: Bartolomé de LAS CASAS, Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder, Frankfurt 1966. S. 145)]
... noch dürfen wir meinen, eine aufgeklärte Weltanschauung könne die "Nachtseite Gottes" je für dauernd zurücklassen.
Weder nichts ist der Teufel noch unter noch in Gott, vielmehr Gott, so wie er dem Menschen gegenüber als Despot oder in ihm als Rebell erscheinen muß, wenn und soweit nicht Gottes Heilige Liebe selbst den Glaubenden zuinnerst belehrt, daß in ihr nicht mehr Herr noch Sklave ist, sondern allein die gute Freude - die freilich allen du-vermittelten Selbstgenuß des absoluten Tyrannen und alle Fröhlichkeit des absoluten Aufrührers einend in sich beschließt. Man sieht, die Unbegreiflichkeit der Trinität ist keine leere Behauptung!
"Tritt ein in die Freude deines Herrn!" Wer darauf sich freut, ist der Gewalt Satans entrissen, betet, "im Letzten", hinter der Maske des quälenden Teufels mit Christus des Vaters allfordernden Willen an und vernimmt, "im Letzten", aus der Schlange versucherischem Zischen Gottes adoptierenden Kuß - im Letzten allerdings nur. Denn dort allein fallen die Gegensätze zusammen, sind Du, Ich und Wir, Objekt, Subjekt und Gemeinschaft, Gehorsam, Stolz und Freundschaft, jeweils ganz und miteinander wirklich.
[Zusatz 2002: Die beiden folgenden Absätze {-} stimmten damals für mich, weil die Du-Schaltung meine Denkform war. Das Schema stimmt aber nicht so allgemein, wie ich damals meinte: wenn ein Humanist sich ausdrücklich als Ich versteht und seiner Fühlweise gemäß das göttliche Du für eine Angst-Projektion hält, die es um der Würde willen abzuschalten gilt, so unterliegt er nicht dem Teufel. Das erleidet vielmehr, wer sich gegen die Nächstenliebe vergeht: das tut aber nicht nur ein Sadist im Namen seines Ich, sondern auch der seinem Du-Wahn gehorsame Scherge der Inquisition!]
{ Soweit unser Lebenslauf das Geheimnis im Endlichen abbildet und versteht, muß zwischen Ich, Du und Wir gewählt werden, und zwar steht die Wahl zwischen der Krise (DU-ich-Differenz) und dem Frieden des erlebten Wir in Gottes Freiheit, während dann, in der Krise, das Geschöpf zu entscheiden hat, ob es lügnerisch den Herrn spielen oder der Knecht sein will, der es ist.
Fällt diese Entscheidung für den Egoismus, dann hat der Teufel gewonnen, denn die Sünde schwächt nun tatsächlich das Wir von Gott und seinem Kind. Wer aber in einer solchen gottgewollten Krise (wenn also das Wir von Gottes zumutender Entscheidungsforderung zeitweise für mich verdeckt wird) sich selbst verleugnet, seinen dem Geschöpf gebührenden Platz willig einnimmt und Gott den unumschränkten Herrn sein läßt, der besiegt mit Gottes Kraft den Teufel; denn zusammen mit dem göttlichen DU hat solch demütiges Ich an der Liebe teil - jener Liebe, in der für die satanische Ich-Du-Abstraktion des Vaters der Lüge kein Raum ist. Gottgewollte Versuchung ist diese Abstraktion im endlichen, kategorialen Bereich (wo sie sinnvoll ist, weil Ich/du und Wir nie zusammen erlebt werden können); der Teufel selbst ist sie, sobald sie sich im Bereich des Eigentlichen einnistet: denn in Gott selbst sind Vater und Sohn nie ohne den Heiligen Geist. }
Nicht wird also Gott an sich, vielmehr sollen, indem er für uns aus dem Einen durch den Doppelwahn des Teufels hindurch die Dreieinigkeit [(2002 neu:) rechtleitendes/demütiges Du, bejahendes/bejahtes Selbst und Liebe/Geliebtes] wird, wir selbst im stetigen Rhythmus von Frieden und Krise endlich das Ziel der Schöpfung werden: erwachsene Söhne und Töchter Gottes.
Ob irgendein Geschöpf dieses Ziel endgültig verfehle, ob für geschaffene Personen ihr theogonischer Prozeß, die Entwicklung ihrer Teilhabe an der Trinität, jäh unterwegs in der Hölle ende und dadurch der Teufel aus einer realen Abstraktion zu einer konkreten Wirklichkeit werde - auf diese furchtbarste aller Fragen weiß die Kirche keine Antwort. Hoffen aber, daß die Hölle leer sei, das dürfen wir.
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