Jürgen Kuhlmann

Zweideutige Frage -
doppeldeutliche Antwort

Zu einem rätselhaften Umfrage-Ergebnis

Mitunter strahlt, wenn der Blickwinkel es fügt, aus einer Pfütze die Sonne. Ähnlich wirkte auf mich gestern eine Notiz. Bei einer Umfrage hätten angeblich auf die Frage "Glauben Sie an Gott?" mehr Leute mit Ja geantwortet als auf die Frage "Gibt es Gott?". Logisch scheint das widersinnig: Wie kann jemand an einen Gott glauben, der gar nicht existiert? Ein amerikanischer Religionskritiker vermutet: Viele "glauben an Glauben", unabhängig von der Wahrheit des Geglaubten (THE TABLET, 11.03.2006, 26).

Statt daß wir überlegen, ob eine solche Auskunft tiefsinnig oder eher zynisch sei, empfiehlt sich ein realistischer Verdacht. Wer jemals Fragebögen ausfüllen sollte, erinnert sich wohl des Gefühls: Was schreib' ich denn da? Das läßt sich so sehen oder anders. Ach was, ist doch egal. "Ich bin kein ausgeklügelt Buch. Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch". (So ruft [bei C.F.Meyer] Ulrich von Hutten aus, der ritterliche Humanist der Reformationszeit.) Sollen die Auswerter zusehen, wie sie mit meinem Chaos zurechtkommen. - Mehr als lauterem Wahrheitswasser gleichen derlei Umfrage-Ergebnisse einer trüben Pfütze.

Doch leuchtet aus mancher Pfütze die Sonne. Kann ich nachdenklichen Lesern den exakten Blickpunkt vermitteln, von dem aus mir plötzlich mitten in soziologischer Wirrnis das Licht einer christlichen Einsicht aufgestrahlt ist? Damit ein scheinbarer logischer Widerspruch tatsächlich Unsinn ist, müssen seine Wörter eindeutig gebraucht werden. Gelbes kann nicht grau sein. Streiten sich zwei, ob burro gelb oder grau sei, finden sie Klarheit durch das Wissen, daß der Spanier einen Esel meint, die Italienerin Butter.

Ebenso wie in diesem banalen Beispiel läßt sich beim Widerspruch unserer Umfrage-Antworten ein gegensätzlicher Sprachgebrauch ausmachen, dank welchem der Widerspruch verschwindet. Solche Feststellung ist mitnichten ein spekulatives Luftschloß. Früher galt in frommen Milieus ein Atheist als seltenes Monstrum; heute kennt fast jeder Christ Männer und Frauen, die er hochschätzt, obwohl sie sich betont unreligiös geben. Vor diesem Hintergrund, scheint mir, dürfen wir den scheinbaren Widerspruch als ökumenisch-fruchtbaren Gegensatz ausdeuten. Ob der oder jener seine Kreuzchen tatsächlich von solchen Erwägungen aus so erstaunlich verteilt hat, kann niemand wissen. Nicht darum geht es uns jetzt aber, vielmehr um eine Erkenntnis, die für die Beziehung Christ/Atheisten von äußerster Brisanz ist: Können wir die Lebenswahrheit der sogenannten "Gottlosen" nicht nur tolerieren sondern ehrlich achten, obwohl sie der unseren widerspricht? Das geht nur dann, wenn der Widerspruch nicht wahren Glauben von Irrtum scheidet sondern Sprachwelten trennt. Daß es sich vielfach so verhalte, sei unsere Hoffnung.

1. Glauben Sie an Gott? 2. Existiert Gott? Die logische Verknüpfung zwischen beiden Antworten ist zwar gültig, nur innerhalb der einen oder anderen Denkwelt jedoch. Zwischen ihnen versagt die Logik. Nichtgläubige verstehen das Wort "Gott" so, daß sie, um in der Wahrheit zu sein, zu einem solchen Götzen, an den sie nicht glauben dürfen, Nein sagen müssen. Denn was sie sich unter "Gott" vorstellen, wäre ein fremd-liebloser Blick aus dem Himmel; wahrhaft Gläubige sind jedoch überzeugt, "daß in Gott nichts ist als Göttliches, und daß er entweder überhaupt nicht ist, oder wahrhaft und vollkommen gut" (Shaftesbury, 1707). Diese Einsicht ist so etwas wie ein ökumenisches Prinzip zum Frieden zwischen Religiösen und Atheisten.

Tatsächlich bleibt die notwendige Frage nach Gott prinzipiell so abgrundtief zweideutig, daß ihre Zuspitzung zur scheinklaren Alternative "existiert Gott oder nicht?" als dumme, falsche Frage gelten muß, die keine wahre Antwort erlaubt (ähnlich wie normalerweise die Frage "haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen, ja oder nein?"). "So wie den Bodensee gibt es Gott nicht", soll ein angesehener Theologe versichert haben. In diesem Sinn ist die atheistische Sprachwelt den Gläubigen keine fremde. Zugunsten heilsamer Unterscheidung der Geister tun sie gut daran, auf das Nein ihrer unreligiösen Freunde achtsam zu hören und so die eigene Gottesrede von ehrfurchtsloser Anbiederei zu reinigen. Kampf gegen Götzendienst ist seit jeher eine Hauptpflicht im Gottesvolk. "Sie schlachteten ihre Söhne und ihre Töchter den Götzen", zürnst DU (Ps 106,37) den Gottvergifteten - nicht nur im Alten Bund. Wie viele junge Menschen sind im Lauf der Jahrhunderte von kirchlicher Seite grausamen Gottesbildern geopfert, in Höllenängste gejagt worden!

Deshalb will ich, sollte jene Umfrage mir gestellt werden, mit voller Absicht gleichfalls "unlogisch" antworten. Erst werde ich meinen Glauben an Gott bekennen, dann aber auch der gegensätzlichen Wahrheit der Gottlosen die Ehre geben, indem ich bei der zweiten Frage als Gast in deren Sprachspiel einsteige und mein dort wahres Nein zu Protokoll gebe.

Denn zwar ist es das unstillbare Brennen der Frage nach Gott, was den Menschen ausmacht. Im Büchlein "Warum Denken traurig macht" (Frankfurt/Main 2006, 72) schreibt der weise Jude George Steiner: "Es ist durchaus vorstellbar, daß höhere Formen tierischen Lebens an das Bewußtsein, an das Geheimnis ihres eigenen Todes rühren. Die Gottesthematik jedoch scheint für die menschliche Gattung spezifisch und ihr vorbehalten. Wir sind die Geschöpfe, die imstande sind, die Existenz Gottes zu leugnen oder zu bejahen. Unsere geistigen Anfänge liegen >im Wort<. Sowohl der Strenggläubige als auch der kategorische Atheist empfinden diese Streitfrage als sinnvoll."

Ich glaube, die letzte Feststellung muss präzisiert werden. Die Frage ist sinnvoll, die vernünftige Antwort auf sie jedoch so doppeldeutlich, dass ein als eindeutig mißverstandener Streit inzwischen nicht mehr sinnvoll, vielmehr als dumm und falsch zu durchschauen ist. Insofern muß "das partielle Verschwinden dieser Thematik aus der öffentlichen und privaten Sphäre in den entwickelten Technokratien des Westens" (ebd. 73) nicht als Beginn des Untergangs der Menschheit gedeutet werden. Den hielt Karl Rahner einmal auch in der Form für möglich, dass die Menschheit sich zu einer Art technisch kompetenter Tiere zurückentwickelt, die aber nach Gott und dem Ganzen nicht länger fragen. Laßt uns hoffen, das westliche Abflauen des Streits um Gott liege nicht am Versiegen der Frage, sondern eher an der gewachsenen Einsicht in die dargestellte Doppeldeutlichkeit.

Würde Aida auf der Bühne "glaubst du an Verdi?" gefragt, wäre ihr jubelndes Ja berechtigt - trotzdem kommt in ihrer Welt neben Amonasro und Radames eine Figur namens Verdi nicht vor. Verneint sie wahrheitsgemäß eine Frage nach dieser Wahngestalt, widerspricht sie weder ihrem Glauben noch der schöpferischen Mitte ihrer selbst.

März 2006/ Januar 2007


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