Wer sieht den Engel?
Engel
Barock-Strophe
ES gibt
Weg = Ziel ?

Bekanntlich war das Wort „Weihnachtsengel“ in der offiziellen Sprache der verflossenen DDR unerlaubt; solche Figuren hießen vielmehr „Jahresendflügelpuppen“. Engel durfte es nicht geben.
Gibt es sie denn aber? Gab es sie je?

Dieses erstaunliche Bild läßt uns ahnen, wie wir die Realität von Engeln, ja überhaupt die Wirklichkeiten des Glaubens zu verstehen
haben. Seit Tagen begleitet mich das leuchtende Dreieck. Erblicken Sie es? Es strahlt heller als das umgebende Weiß, seine Kanten treten klar hervor. Wer aber nahe hinschaut, muß feststellen: da ist nichts. Es gibt keinen Strich,
das nichtssagende Weiß des Papiers enthält keinen Hinweis. Das Dreieck ist nicht real. Und doch sehe ich es wirklich, nehme es als Wirklichkeit wahr.

Wie kommt das? Sehr
einfach: Das Gehirn ergänzt die erblickten Teile der Figur und nimmt ihre (ideale) Ganzheit wahr. Tatsächlich ist die genaue Anordnung der realen Zeichen nur so erklärbar, daß über dem gestreiften Dreieck ein weißes liegt, vom Ring
festgehalten. Das Auffällige ist nur, daß solche Erkenntnis nicht in Form von Worten auftritt, sondern unmittelbar sinnlich: Ich sehe das weiße Dreieck.

So ähnlich kommt jeglicher lebendige Glaube zustande. Was haben Maria und
Joseph, die Hirten und später die Jünger real erblickt, was hätte der GR (Galiläische Rundfunk) mit Kamera und Mikrofon aufnehmen können? Nicht mehr als ein paar unverbundene Sinn-Fragmente. Nicht davon aber berichten die
Evangelien, vielmehr von jenen Offenbarungslinien, die sich den Glaubenden enthüllt haben - ähnlich unbezweifelbar, wie uns das weiße Dreieck.

Gibt es also Engel? Ja, und ich hoffe, Sie alle sind schon welchen begegnet. Wann
erscheint uns ein Engel? Das griechische Wort Angelos bedeutet: Bote. Engel sind göttliche Botschaften. Und weil jede solche Gott selbst enthält und mitteilt, deshalb läßt sich verdeutlichen: Engel sind die vielen uns auf
verschiedene Weisen* zugewandten Seiten oder Gesichter des einen Gottes. (Auf unsere endliche Art senden auch wir so etwas wie Engel aus: im Blick, Wort, Streicheln kann wirklich die Person selbst dem andern Menschen erscheinen.)
Erinnern wir uns an Augenblicke, da die Wirklichkeit uns bis auf den Grund durchsichtig wurde. Das kann ein Landschaftserlebnis gewesen sein oder eine Melodie, ein schlafendes Kind, ein bedeutungsschwerer Zufall oder was immer.
Recht bedacht, sind wir allezeit von Engeln umgeben, nur ist unsere Sinnkraft oft zu schwach oder zu träge, um sie zu erblicken. Wer Augen hätte, zu sehen, der käme aus dem Staunen über ihr klares Leuchten gar nicht mehr heraus. Dezember 1990

* Zusatz im Mai 2001: Verschieden sind die Weisen
a) dank der geschöpflichen Vielfalt all dessen, was
ES gibt;
b) dank des darin widerstrahlenden
 innergöttlichen Glanzes der  drei-einigen Beziehungen.

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