WCRP
Pfingsten 1972
Prisma-Prinzip
St. Sebald 1977
P. Klein 1982
1988 in Nürnberg
Dialog-Treffen
 April 1989
Drei-einiger
 Frieden
Vortrag in Mainz
Etappen
Brief an Dekan
 Joh. Friedrich
Buch 2001
Friedenslampe
Gespräche
 Anima/Christian
Ehrfurcht-Buch
Dez. 1988: WCRP-Gruppe
 in Nürnberg gegründet

Die größere Ökumene

Am 3.Dezember 1988 wurde in Nürnberg eine Gruppe von WCRP ins Leben gerufen. Das Kürzel heißt: World Conference on Religion and Peace, deutsch: "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden". Seit etwa zwanzig Jahren besteht diese Bewegung, bei der alle Weltreligionen mitwirken. An jenem Abend waren drei Buddhisten, zwei Muslime sowie Christen aus vier verschiedenen Konfessionen anwesend, auch Juden wären gern gekommen, waren nur durch das Chanukka-Fest verhindert.

Einige der weisesten Christen, die ich kenne, halten diese geistliche Bewegung für das schönste Zeichen unserer Zeit. Fünf Welttreffen in allen Kontinenten haben bisher stattgefunden. Die Weltkonferenz will die verschiedenen Traditionen ausdrücklich nicht vermischen, beileibe keine umgreifende Superkirche sein oder werden, auch nicht zu den bestehenden "n" Denominationen hinzu eine weitere Konfession "Nr. n+1". Ein ehrfurchtsloser "Synkretismus", der (mehr oder minder offen) eines dieser beiden üblen Ziele ansteuern wollte, wird von den Mitgliedern der Weltkonferenz ebenso verabscheut wie von den Verantwortlichen in allen Religionen. Deren Gegensätze bilden einen Reichtum der Menschheit, dürfen nicht nivelliert und auch nicht (das ist die Gefahr des "Relativismus") für bedeutungslos erklärt werden. Freilich sollen sie sich immer weniger in Widerspruch, Hader, Krieg auswirken. Solchen Friedensprozeß zu befördern ist das Ziel von WCRP.

Wie schwer es uns fällt, Gegensatz und Widerspruch auseinanderzuhalten, mag ein lustiges Detail aus der Gründungsversammlung der nationalen Sektion von WCRP in der Bundesrepublik zeigen. Einen locker-aktiven Verbund gibt es zwar schon seit vielen Jahren, die formelle Gründung fand jedoch erst am 10./11. September 1988 in Mainz statt. Im Entwurf einer Ordnung hieß es zunächst: "Trotz aller Unterschiede der Religionen soll die Kenntnis voneinander, das Verständnis füreinander und der Dialog miteinander die Grundlage der Friedensarbeit von WCRP sein." Ein Teilnehmer brachte den Saal zum Lachen, indem er sich gegen ein subtiles Mißverständnis wehrte. Man könne ebenso gut sagen: Trotz aller Unterschiede der Eheleute sollen sie einander dennoch lieben. Daraufhin wurde der Trotz-Passus gestrichen.

Hinkt dieser Vergleich aber nicht allzusehr? Frau und Mann sind aufeinander hingeordnet und haben sich gegenseitig erwählt, nicht so die Religionen. Nun, der Vergleich ist nicht zu pressen. Er stimmt aber insofern, als gegensätzliche Partner innerhalb desselben Lebensraumes miteinander zurechtkommen müssen; ihre bleibenden Spannungen sollen sie nicht - wozu sie stets versucht sind - im Streit austoben oder aber feig verdrängen, vielmehr zur Dauerenergie eines immer reicheren gemeinsamen Lebens machen.

Eine Frage bewegte mich an jenem geisterfüllten Abend in Nürnberg-Zabo und läßt mich seither nicht mehr los: Was ist denn - theologisch gesprochen - unser Zusammensein? (Jeder der neunzehn Anwesenden erzählte kurz von sich und seiner bisherigen Beziehung zum Dialog der Religionen.) Bestimmt keine Missionsveranstaltung, niemand treibt Propaganda, aber jeder bezeugt seine Wahrheit und wird mehr als höflich angehört. Was ist dieses "Mehr"? Nicht der Eifer von Disputanten, nicht gegeneinander sprechen wir, sondern miteinander. Auch kein spiritueller Tourismus; nicht Neugier bewegt uns, sondern das Bewußtsein, daß Gott (wie immer der einzelne "Ihn" nennt) in der gegenwärtigen Weltstunde genau dieses Friedenswerk von uns will. Wahrscheinlich würden die meisten Anwesenden die Begriffe "Gemeinde" und "Liturgie" für unser Treffen zurückweisen. Und doch bin ich überzeugt, daß sich hier eine noch formlose, aber doch wirkliche Liturgie vollzieht. Wo aber Liturgie, da Gemeinde. Und doch will die Weltkonferenz keine Superkirche oder Nebenkonfession sein. Was sind wir aber dann?

Die folgende Proportionalgleichung geht auf meine Verantwortung, ist in keiner Weise typisch für WCRP. Das Sprachkleid meines Verständnisvorschlags ist christlich; unmittelbar richtet er sich somit an meine Mitchristen. Die anderen Religionen sind jedoch gefragt, ob und wie sie das Gemeinte auf ihre Weise ausdrücken wollen. Es wäre schön, wenn sich innerhalb der Weltkonferenz ein gemeinsames Selbstverständnis entwickeln könnte, das mit den Sichten aller mitwirkenden Religionen vereinbar wäre. Auf dieses Ziel hin stelle ich folgende These zur Diskussion:

Ähnlich wie laut dem II. Vaticanum [Kirchenkonstitution Art. 26] "die Kirche Christi wahrhaft in allen Ortsgemeinden der Gläubigen anwesend ist", so ähnlich ist auch die vom heiligen SINN des Ganzen belebte Gemeinschaft aller erlösten Menschen überhaupt (mit Augustin sagen wir Christen: Kirche seit Abel) in jeglicher Ortsgemeinde von Gläubigen wirklich da, und zwar nicht nur, wenn nach altehrwürdigen Riten einer bestimmten Religion Liturgie gefeiert wird, sondern auch bei einer geistlichen Zusammenkunft über die Religionsgrenzen hinweg. Während der drei Stunden, die wir im Heiligen Geist versammelt waren, bildeten wir eine echte "congregatio localis" jenes schrankenlosen menschheitlichen Gottesleibes, den jede Religion zwar anders nennt, aber mit den heiligen Worten ihrer Tradition letztlich doch meint.

Als Organisation will die Weltkonferenz weder leitendes Organ über den gewachsenen Religionen noch Konkurrenzunternehmen neben ihnen sein, sondern allein für den Frieden zwischen ihnen arbeiten sowie in ihrem gemeinsamen Auftrag für den Frieden in der Welt; als je aktuelles Geist-Ereignis steht sie aber in überhaupt keiner mißdeutbaren Relation zu anderen solchen Ereignissen, vielmehr ist der SINN in jedem gleich unmittelbar da und am Wirken. Diese Erfahrung aus Angst vor "Synkretismus" zu verdrängen, gar zu leugnen, solche Lüge wird von keiner Religion verlangt, höchstens vom bösen Geist, der alle Religiösen versucht, jenem engherzigen Klerikalismus und Heilsegoismus, der "Gottes vielbunte Weisheit" (Eph  3,10) am liebsten verfinstern möchte, damit die eigene Funzel das Feld für sich allein habe. Gegen ihn zu kämpfen, dazu helfe uns der pfingstliche Friedensgeist, der sich bei manchem WCRP-Treffen spüren läßt.

Dezember 1988

Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/wcrp/12-1988/12-1988.htm

Zurück zur Leitseite von Jürgen Kuhlmann