WCRP
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Dialog-Treffen
 April 1989 Nürnberg

 Das eigene Wort ...

... im Dialog der Religionen

[um dies gekürzt veröffentlicht in: Christ in der Gegenwart Nr. 18/1989, S. 150]

"Verpflichtung zum Dialog: Die christlichen Kirchen und das Gespräch mit den Weltreligionen", so hieß das Thema des Regionaltreffens am 14. und 15. April 1989 in Nürnberg, zu dem die "Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern" eingeladen hatte. Von ihm sei kurz berichtet, und zwar mit Worten, die dort gesprochen und mitgeschrieben wurden.

Der überaus sympathische Ehrengast war Kurienkardinal Francis Arinze aus Nigeria, gegenwärtig der Präsident des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog. Er legte zunächst dar, was Dialog nicht  ist: gegenseitige Toleranz, friedliche Koexistenz, akademisches Studium fremder Religionen, Bekehrungsversuch, Anstreben einer einzigen Weltreligion, Suchen nach dem gemeinsamen Nenner. Vielmehr ist Dialog ein Zusammenkommen mit Herz und Geist zwischen Anhängern verschiedener Religionen, gegenseitiger Austausch zwischen Glaubenden, gemeinsames Zugehen auf die Wahrheit und Zusammenarbeit bei Projekten von gemeinsamem Interesse. Der Christ ist bereit, auf andere zu hören, hält sich respektvoll offen für Gottes Wirken beim anderen, in der Hoffnung, daß die anderen ebenso tun. Viele Formen hat der Dialog, nicht jede ist für jede Person geeignet. Eine Höchstform vollzieht sich etwa, wenn buddhistische und christliche Mönchsgruppen einander je einen Monat lang in ihren Klöstern besuchen, um mit Sympathie zu erfahren, wie die anderen leben. Die Religionen lehren seit Jahrtausenden die Menschen, wie man lebt, betet, stirbt. Die ganze Menschheit hat nur einen Ursprung: Gott; jeder Mensch trägt etwas von diesem göttlichen Bild in sich und ist für dasselbe Ziel geschaffen. Christus ist die Mitte des göttlichen Planes, der Heilige Geist kann allen Menschen die Möglichkeit geben, mit Christus verbunden zu sein, und das nicht nur als Einzelnen, sondern mit ihren besten kulturellen und religiösen Werten. Es ist nicht nötig, daß wir alles verstehen, Gott ist auf unser Begreifen nicht angewiesen. Die Kirche ist für alle da, nicht bloß ein Club für einige Christen. Gott kann seine Gnade geben, wo Er will und wem Er will , auch ohne Erlaubnis vom Ortsbischof.

Weitere Teile der Tagung waren ein Podiumsgespräch von fünf Theologen verschiedener Konfession mit dem Kardinal, zwei Plenumsdiskussionen sowie Gespräche in Arbeitsgruppen. Im Folgenden versuche ich, das Ideengewimmel im Netz meines Stenogramms in einen lesbaren Zusammenhang zu bringen. Wer die Einmütigkeit dieser Geist-erfüllten Stunden miterleben durfte, wird mein (ohne Quellenscheidung vorgehendes) Verfahren nicht schelten.

Eine geistliche Einheit liegt allen geistigen Gegensätzen voraus und ist bedeutsamer als sie. Gläubige Offenheit für Transzendenz-Erfahrung verbindet alle Religionen, diese mystische Dimension ist rational (auch dem theologisierenden Verstand) nicht einholbar. Dem tiefen Eins-Sein entspricht das Sollen: die "goldene Regel" (sei zu allen Menschen so, wie du es von ihnen wünschst) gilt, fast wörtlich gleich, überall. Sobald es uns Christen darum geht, solche Einheit des Geistes auch sichtbar werden zu lassen, drohen uns zwei gegensätzliche Gefahren: Entweder machen wir unsere Botschaft zum Maßstab des Ganzen (Mission ohne Dialog, Vereinnahmen, Imperialismus) oder wir verraten das uns aufgetragene Christliche zugunsten eines kompromißlerischen Kaum-mehr-Glaubens, der niemandem hilft (Dialog ohne Mission, Identitätsverlust, Synkretismus). Beides ist unmenschlich: Nur immer reden, ohne auf andere zu hören; bloß alles mögliche anhören, ohne auch sein eigenes Wort zu sagen.

In der Vergangenheit überwog massiv die Gefahr der Arroganz. Schweigen wir von den Kreuzzügen - nein, schweigen wir von ihnen nicht, dieses schlimme Trauma ist dort wie hier noch nicht verarbeitet. Karl Barths Lehre (die Religionen seien des Menschen vergebliche Suche nach Gott, Christus Gottes Weg zu uns) wird so kraß nicht mehr vertreten, vielmehr so erklärt, daß sie sich mehr auf den Religionsbegriff beziehe, nicht auf die geschichtliche Ausprägung. Auch dem offensten, ganz ökumenisch gesinnten Christen stellt sich jedoch die Frage: Wie machst du es, den anderen nicht zu vereinnahmen? Wenn wir Jesus Christus als einzige Mitte der Geschichte bekennen, wenn die anderen Religionen an der Stellung zu Ihm gemessen werden: müssen wir unsere Gesprächspartner dann nicht notwendig unserem eigenen Raster unterwerfen? Wenn wir den Buddhisten flink zum anonymen Christen erklären, wird er dadurch nicht doch auch vereinnahmt? Minder schlimm als der frühere exklusive Heilsanspruch mag solch inklusivistisches Denken ja sein, ist es aber gut? Werden die anderen Religionen von ihm ernstgenommen?

Heute besteht auch die andere Gefahr. Hüten wir uns vor Identitätsverlust, warnte der Kardinal: Dialog sei wichtig ("Autofahren hat auch Gefahren"), doch niemand könne ein Botschafter seines Landes sein, wenn er nicht ein guter Bürger sei. Nein: Einander schiedlich-friedlich auf die Schulter zu klopfen - "ich bin o.k. du bist o.k.", so kann Dialog nicht gemeint sein. Und als ein Vertreter der Bahai-Religion warm sein Bekenntnis vortrug, daß er "hundertprozentig" an Moses und Buddha, Jesus und Mohammed glaube, weil die Offenbarung eben nicht ein epochal begrenztes Phänomen, sondern ein fortschreitendes Ereignis sei, da wurde zwar auch er mit Respekt angehört, wir Christen spürten aber, daß es derart einfach für uns nicht ist [sein kann].

Wie entgehen wir beiden Gefahren, dem Imperialismus ebenso wie dem Synkretismus? Indem wir Jesus Christus nicht nur im Munde führen, sondern uns ernsthaft nach Ihm richten. Er ist ja, in Person, Gottes Dialog mit der Welt. Er ist den unteren Weg gegangen, steht zwar in der Mitte, nicht als Zentrum aber, das die anderen zu Randfiguren erniedrigt, sondern im Gegenteil: "Ich bin in eurer Mitte wie der Diener" (Lk 22,27), ja bei der Geißelung als der von allen Seiten Verwundete. Als solche Mitte ist Er auferstanden, will Er in uns weiterleben. Dieses Evangelium ist wahrhaft unüberholbar, wir leben im Neuen Testament, brauchen mit keinem neuesten zu rechnen.

Dieses Thema der Verwundbarkeit, Verletzlichkeit hat, scheint mir, unsere Ad-hoc-Gemeinde am stärksten gepackt. Eben weil Jesus der Verwundete unser Maßstab ist, müssen wir darauf gefaßt und sollen innerlich bereit sein, uns von fremden Glaubensansprüchen in unserem geistigen Fleisch verwunden zu lassen, d.h. in dem, was wir zunächst für unseren Glauben halten mögen, was sich aber - dank fruchtbarem Dialog - dann als etwas anderes zeigt: als bloßes Element unserer begrenzten Geschichte, deren Gefangene wir waren, oder gar als blinder Fleck, den ich nicht direkt erblicken kann, nur im Auge des andern gespiegelt. Jesus fordert Metanoia, Umdenken. Wir sind im Glauben verwundbar, weil wir glauben und nicht wissen. Je mehr mein Denken sich verhärtet hat, um so weher tut das Umdenken. Aber (bekannte eine Christin, die bald dreißig Jahre mit einem Moslem verheiratet ist:) man geht gestärkt aus der Verwundung hervor.

Tatsächlich ist die Gefahr, den Partner ins eigene System zu vereinnahmen, um so geringer, je lebendiger der Dialog ist. Denn dann merke ich bald: Nicht nur weise ich ihm seinen Platz in meinem Denken an, dasselbe tut er auch mit mir. Mein scheinbarer Inklusivismus enthüllt sich als wechselseitige Inklusivität. Sofern die nur theoretisch bleibt, bedeutet solch unaufhebbare Spannung, für die es kein abstraktes Rezept geben kann, eben den Schmerz des Dialogs. Unser Partner ist nicht nur der freundliche türkische Nachbar, sondern auch der streitbare Mullah oder Ayatollah, auch der milde Buddhist, dem am Dialog gar nicht gelegen ist, für den wir, als Theisten, auf einer unteren oder vorläufigen Stufe stehen auf dem Weg zur eigentlichen, ungegenständlichen Transzendenz-Erfahrung. Ich muß es aushalten, wenn man mir sagt: "Ich bin o.k. du bist nicht o.k.!" - Sofern das gegenseitige Enthalten aber nicht mehr bloß denkerisch-systematisch, sondern existentiell und liebend geschieht (in Teilhabe an der Dreieinigkeit, wo die Personen einander enthalten: "Perichorese"), ist solche gottgeschenkte Einheit bereits die schönste Frucht des Dialogs - unabhängig davon, wie weit er es auf der Begriffs-Ebene bringt.

Am aktuellsten ist die Frage unserer Beziehung zum Islam. Ist er eine andere Religion oder eine nachchristliche Häresie? Eine deutsche Lehrerin türkischer Mädchen leidet daran, daß sie auf jeden Fall verwunden muß: entweder das Kind, das vor dem gewalttätigen Anspruch "seiner" Religion zu ihr sich flüchtet, oder die andere Religion ... In Deutschland werden Moscheen errichtet, warum nicht auch Kirchen in der Türkei? Ein deutscher Botschafter in Nordafrika sei schon Moslem geworden. Umgekehrt hat ein junger Algerier, der dort gegen harte Widerstände Christ geworden war, in Berlin bei der vergeblichen Suche nach einer freudschaftlichen Christengemeinde seinen neuen Glauben wieder verloren.

Zum Schluß spreche ich eine persönliche Hoffnung aus. Sie ist ernst gemeint und keineswegs so verrückt, wie sie manchem zunächst scheinen dürfte. Ein Teilnehmer war lange bei den Papuas in Neuguinea tätig. Er berichtete von einem Dialog, der sich dort ereignete. Ein Neuchrist habe zu den Missionaren gesagt: "Ihr schimpft unseren Ahnenkult einen Verstoß gegen das erste Gebot. Ich sehe das anders: Weil ihr die Ahnen nicht verehrt, sündigt ihr gegen das vierte Gebot." Da fiel mir der Hinweis eines Steinzeitforschers ein: Als die Kirche den Menschen das normalste, menschlichste Gebet verbot, das Beten zu ihren eigenen Toten, da hat sie die Wurzel des Betens ausgerissen, Gott aus der Fülle des Seins (wohin die Toten heimgekehrt sind) zu einer Abstraktion entwirklicht; die jetzige Gottlosigkeit ist die logische Folge. Tatsächlich: "Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt" - warum sollen diesen Schlußsatz des ersten Evangeliums nicht auch, in Christus, solche Menschen als Abschiedsgruß zu ihren Freunden und Kindern sagen dürfen, die als Glieder doch ewig zum auferstandenen Leib Christi gehören? Wenn die Kirche, dank einem gelingenden Dialog mit der Stammesreligion jener Papuas, irgendwann auch die Eingeborenen von Mitteleuropa diese Art des Betens wieder lehrt - vielleicht muß die deutsche Christenheit dann nicht mehr hören, was uns gestern so beschämt hat, als ein junger Moslem sich beklagte, die meisten seiner Freunde hier könnten ihm über das Christentum nichts sagen. "Sie sind ungläubig."

16. April 1989.

Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/wcrp/dialog89/dialog89.htm

     

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